XLIV. Mischung, reale

[157] 551. Eine jede Mischung setzt eine Spezifikation voraus, und wir sind daher, wenn wir von Mischung reden, im atomistischen Felde. Man muß erst gewisse Körper auf irgendeinem Punkte des Farbenkreises spezifiziert vor sich sehen, ehe man durch Mischung derselben neue Schattierungen hervorbringen will.

552. Man nehme im allgemeinen Gelb, Blau und Rot als reine, als Grundfarben, fertig an. Rot und Blau wird Violett, Rot und Gelb Orange, Gelb und Blau Grün hervorbringen.

553. Man hat sich sehr bemüht, durch Zahl-, Maß- und Gewichtsverhältnisse diese Mischungen näher zu bestimmen, hat aber dadurch wenig Ersprießliches geleistet.

554. Die Malerei beruht eigentlich auf der Mischung solcher spezifizierten, ja individualisierten Farbenkörper und ihrer unendlichen möglichen Verbindungen, welche allein[157] durch das zarteste, geübteste Auge empfunden und unter dessen Urteil bewirkt werden können.

555. Die innige Verbindung dieser Mischungen geschieht durch die reinste Teilung der Körper durch Reiben, Schlemmen und so weiter, nicht weniger durch Säfte, welche das Staubartige zusammenhalten und das Unorganische gleichsam organisch verbinden; dergleichen sind die Öle, Harze und so weiter.

556. Sämtliche Farben zusammengemischt behalten ihren allgemeinen Charakter als σκιερον, und da sie nicht mehr nebeneinander gesehen werden, wird keine Totalität, keine Harmonie empfunden, und so entsteht das Grau, das, wie die sichtbare Farbe, immer etwas dunkler als Weiß und immer etwas heller als Schwarz erscheint.

557. Dieses Grau kann auf verschiedene Weise hervorgebracht werden. Einmal, wenn man aus Gelb und Blau ein Smaragdgrün mischt und alsdann so viel reines Rot hinzubringt, bis sich alle drei gleichsam neutralisiert haben. Ferner entsteht gleichfalls ein Grau, wenn man eine Skala der ursprünglichen und abgeleiteten Farben in einer gewissen Proportion zusammenstellt und hernach vermischt.

558. Daß alle Farben zusammengemischt Weiß machen, ist eine Absurdität, die man nebst andern Absurditäten schon ein Jahrhundert gläubig und dem Augenschein entgegen zu wiederholen gewohnt ist.

559. Die zusammengemischten Farben tragen ihr Dunkles in die Mischung über. Je dunkler die Farben sind, desto dunkler wird das entstehende Grau, welches zuletzt sich dem Schwarzen nähert. Je heller die Farben sind, desto heller wird das Grau, welches zuletzt sich dem Weißen nähert.

Quelle:
Johann Wolfgang Goethe. Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche. Band 1–24 und Erg.-Bände 1–3, Band 16, Zürich 1948 ff, S. 157-158.
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