Achter Brief

[259] Und noch einmal Juliens Hand! Heute ist's mein freier Wille, ja gewissermaßen ein Geist des Widerspruchs, der mich antreibt, Ihnen zu schreiben. Nachdem ich mich gestern so sehr gesperrt hatte, die letzte Arbeit zu übernehmen und Ihnen von dem, was noch übrig ist, Rechenschaft zu geben, so ward festgesetzt, daß heute abend eine solenne akademische Sitzung gehalten werden sollte, in welcher man die Sache durchsprechen wollte, um sie schließlich an Sie gelangen zu lassen. Nun sind die Herren an ihre Arbeit gegangen, und ich fühle Mut und Beruf, das allein zu übernehmen, wozu sie mir ihren Beistand großmütig zusagten, und ich hoffe sie diesen Abend angenehm[259] zu überraschen. Denn wie manches unternehmen die Männer, was sie nicht ausführen würden, wenn die Frauen nicht zur rechten Zeit mit eingriffen und das leicht Begonnene, schwer zu Vollbringende gutmütig beförderten.

Es trat ein sonderbarer Umstand ein, als wir die Liebhaber, die uns gestern besuchten, auch mit in unsere Einteilung einrangieren wollten. Sie paßten nirgends hin, wir fanden eben gar kein Fach für sie.

Als wir darüber unsern Philosophen tadelten, versetzte er: »Meine Einteilung kann andere Fehler haben; aber das gereicht ihr zur Ehre, daß außer dem Charakteristiker niemand Ihrer übrigen diesmaligen Gäste in die Rubriken paßt. Meine Rubriken bezeichnen nur Einseitigkeiten, welche als Mängel anzusehen sind, wenn die Natur den Künstler dergestalt beschränkte, als Fehler, wenn er mit Vorsatz in dieser Beschränkung verharrt. Das Falsche, Schiefe, fremd Eingemischte aber findet hier keinen Platz. Meine sechs Klassen bezeichnen die Eigenschaften, welche, alle zusammen verbunden, den wahren Künstler sowie den wahren Liebhaber ausmachen würden, die aber, wie ich aus meiner wenigen Erfahrung weiß und aus den mir mitgeteilten Papieren sehe, nur leider zu oft einzeln erscheinen.«

Nun zur Sache!


Erste Abteilung

Nachahmer

Man kann dieses Talent als die Base der bildenden Kunst ansehen. Ob sie davon ausgegangen, mag noch eine Frage bleiben. Fängt ein Künstler damit an, so kann er sich bis zu dem Höchsten erheben, bleibt er dabei kleben, so darf man ihn einen Kopisten nennen und mit diesem Wort gewissermaßen einen ungünstigen Begriff verbinden. Hat aber ein solches Naturell das Verlangen, immer in seinem beschränkten Fache weiterzugehen, so muß zuletzt eine[260] Forderung an Wirklichkeit entstehen, die der Künstler zu leisten, der Liebhaber zu erfahren strebt. Wird der Übergang zur echten Kunst verfehlt, so findet man sich auf dem schlimmsten Abwege; man gelangt endlich dahin, daß man Statuen malt und sich selbst, wie es unser guter Großvater tat, im damastnen Schlafrock der Nachwelt überliefert.

Die Neigung zu Schattenrissen hat etwas, das sich dieser Liebhaberei nähert. Eine solche Sammlung ist interessant genug, wenn man sie in einem Portefeuille besitzt. Nur müssen die Wände nicht mit diesen traurigen, halben Wirklichkeitserscheinungen verziert werden.

Der Nachahmer verdoppelt nur das Nachgeahmte, ohne etwas hinzuzutun oder uns weiterzubringen. Er zieht uns in das einzige höchst beschränkte Dasein hinein, wir erstaunen über die Möglichkeit dieser Operation, wir empfinden ein gewisses Ergötzen; aber recht behaglich kann uns das Werk nicht machen, denn es fehlt ihm die Kunstwahrheit als schöner Schein. Sobald auch dieser nur einigermaßen eintritt, so hat das Bildnis schon einen großen Reiz, wie wir bei manchen deutschen, niederländischen und französischen Porträten und Stilleben empfinden.

(Notabene! Daß Sie ja nicht irrewerden und, weil Sie meine Hand sehen, glauben, daß das alles aus meinem Köpfchen komme. Ich wollte erst unterstreichen, was ich buchstäblich aus den Papieren nehme, die ich vor mir liegen habe; doch dann wäre zu viel unterstrichen worden. Sie werden am besten sehen, wo ich nur referiere, ja Sie finden die eignen Worte Ihres letzten Briefs wieder.)


Zweite Abteilung

Imaginanten

Mit dieser Gesellschaft sind unsere Freunde gar lustig umgesprungen. Es schien, als wenn der Gegenstand sie reizte, ein wenig aus dem Gleise zu treten, und ob ich gleich[261] dabeisaß, mich zu dieser Klasse bekannte und zur Gerechtigkeit und Artigkeit aufforderte, so konnte ich doch nicht verhindern, daß ihr eine Menge Namen aufgebürdet wurden, die nicht durchgängig ein Lob anzudeuten scheinen. Man nannte sie Poetisierer, weil sie, anstatt den poetischen Teil der bildenden Kunst zu kennen und sich darnach zu bestreben, vielmehr mit dem Dichter wetteifern, den Vorzügen desselben nachjagen und ihre eignen Vorteile verkennen und versäumen. Man nannte sie Scheinmänner, weil sie so gern dem Scheine nachstreben, der Einbildungskraft etwas vorzuspielen suchen, ohne sich zu bekümmern, inwiefern dem Anschauen genug geschieht. Sie wurden Phantomisten genannt, weil ein hohles Gespensterwesen sie anzieht, Phantasmisten, weil traumartige Verzerrungen und Inkohärenzen nicht ausbleiben, Nebulisten, weil sie der Wolken nicht entbehren können, um ihren Luftbildern einen würdigen Boden zu verschaffen.

Ja zuletzt wollte man nach deutscher Reim- und Klangweise sie als Schwebler und Nebler abfertigen. Man behauptete, sie seien ohne Realität, hätten nie und nirgends ein Dasein und ihnen fehle Kunstwahrheit als schöne Wirklichkeit.

Wenn man den Nachahmern eine falsche Natürlichkeit zuschrieb, so blieben die Imaginanten von dem Vorwurf einer falschen Natur nicht befreit, und was dergleichen Anschuldigungen mehr waren. Ich merkte zwar, daß man darauf ausging, mich zu reizen, und doch tat ich den Herren den Gefallen, wirklich böse zu werden.

Ich fragte sie: ob denn nicht das Genie sich hauptsächlich in der Erfindung äußere? und ob man den Poetisierern diesen Vorzug streitig machen könne? Ob es nicht auch schon dankenswert sei, wenn der Geist durch ein glückliches Traumbild ergötzt werde? Ob nicht in dieser Eigenschaft, die man mit so vielen wunderlichen Namen anschwärze, der Grund und die Möglichkeit der höchsten Kunst begriffen sei? Ob irgend etwas mächtiger gegen[262] die leidige Prosa wirke als eben diese Fähigkeit, neue Welten zu schaffen? Ob es nicht ein seltnes Talent, ein seltner Fehler sei, von dem man, wenn man ihn auch auf Abwegen antrifft, immer noch mit Ehrfurcht sprechen müßte?

Die Herren ergaben sich bald. Sie erinnerten mich, daß hier nur von Einseitigkeit die Rede sei; daß eben diese Eigenschaft, weil sie ins Ganze der Kunst so trefflich wirken könne, dagegen so viel schade, wenn sie sich als einzeln, selbständig und unabhängig erkläre. Der Nachahmer schadet der Kunst nie, denn er bringt sie mühsam auf eine Stufe, wo sie ihm der echte Künstler abnehmen kann und muß, der Imaginant hingegen schadet der Kunst unendlich, weil er sie über alle ihre Grenzen hinausjagt, und es bedürfte des größten Genies, sie aus ihrer Unbestimmtheit und Unbedingtheit, gegen ihren wahren Mittelpunkt, in ihren eigentlichen, angewiesenen Umkreis zurückzuführen.

Es ward noch einiges hin und wider gestritten, zuletzt sagten sie: ob ich nicht gestehen müsse, daß auf diesem Wege die satirische Karikaturzeichnung als die kunst-, geschmack- und sittenverderblichste Verirrung entstanden sei und entstehe?

Diese konnte ich denn freilich nicht in Schutz nehmen: ob ich gleich nicht leugnen will, daß mich das häßliche Zeug manchmal unterhält und der Schadenfreude, dieser Erb- und Schoßsünde aller Adamskinder, als eine pikante Speise nicht ganz übel schmeckt.

Fahren wir weiter fort !


Dritte Abteilung

Charakteristiker

Mit diesen sind Sie schon bekannt genug, da Sie von dem Streit mit einem merkwürdigen Individuo dieser Art hinreichend unterrichtet sind.

Wenn dieser Klasse an meinem Beifall etwas gelegen ist,[263] so kann ich ihr denselben versichern; denn wenn meine lieben Imaginanten mit Charakterzügen spielen sollen, so muß erst etwas Charakteristisches dasein; wenn mir das Bedeutende Spaß machen soll, so kann ich wohl leiden, daß jemand das Bedeutende ernsthaft aufführt. Wenn uns also ein solcher Charaktermann vorarbeiten will, damit meine Poetisierer keine Phantasmisten werden oder sich gar ins Schwebeln und Nebeln verlieren, so soll er mir gelobt und gepriesen bleiben.

Der Oheim schien auch nach der letzten Unterhaltung mehr für seinen Kunstfreund eingenommen, so daß er die Partei dieser Klasse nahm. Er glaubte, man könne sie auch in einem gewissen Sinne Rigoristen nennen. Ihre Abstraktion, ihre Reduktion auf Begriffe begründe immer etwas, führe zu etwas, und gegen die Leerheit anderer Künstler und Kunstfreunde gehalten, sei der Charakteristiker besonders schätzbar.

Der kleine, hartnäckige Philosoph aber zeigte auch hier wieder seinen Zahn und behauptete: daß ihre Einseitigkeit, eben wegen ihres scheinbaren Rechtes, durch Beschränkung der Kunst weit mehr schade als das Hinausstreben des Imaginanten, wobei er versicherte, daß er die Fehde gegen sie nicht aufgeben werde.

Es ist eine kuriose Sache um einen Philosophen, daß er in gewissen Dingen so nachgiebig scheint und auf andern so fest besteht. Wenn ich nur erst einmal den Schlüssel dazu habe, wo es hinauswill!

Eben finde ich, da ich in den Papieren nachsehe, daß er sie mit allerlei Unnamen verfolgt. Er nennt sie Skelettisten, Winkler, Steife und bemerkt in einer Note: daß ein bloß logisches Dasein, bloße Verstandesoperation in der Kunst nicht ausreiche noch aushelfe. Was er damit sagen will, darüber mag ich mir den Kopf nicht zerbrechen.

Ferner soll den Charaktermännern die schöne Leichtigkeit fehlen, ohne welche keine Kunst zu denken sei. Das will ich denn auch wohl gelten lassen.
[264]


Vierte Abteilung

Undulisten

Unter diesem Namen wurden diejenigen bezeichnet, die sich mit den vorhergehenden im Gegensatz befinden, die das Weichere und Gefällige ohne Charakter und Bedeutung lieben, wodurch denn zuletzt höchstens eine gleichgültige Anmut entsteht. Sie wurden auch Schlängler genannt, und man erinnerte sich der Zeit, da man die Schlangenlinie zum Vorbild und Symbol der Schönheit genommen und dabei viel gewonnen zu haben glaubte. Diese Schlängelei und Weichheit bezieht sich sowohl beim Künstler als Liebhaber auf eine gewisse Schwäche, Schläfrigkeit und, wenn man will, auf eine gewisse kränkliche Reizbarkeit. Solche Kunstwerke machen bei denen ihr Glück, die im Bilde nur etwas mehr als nichts sehen wollen, denen eine Seifenblase, die bunt in die Luft steigt, schon allenfalls ein angenehmes Gefühl erregt. Da Kunstwerke dieser Art kaum einen Körper oder andern reellen Gehalt haben können, so bezieht sich ihr Verdienst meist auf die Behandlung und auf einen gewissen lieblichen Schein. Es fehlt ihnen Bedeutung und Kraft, und deswegen sind sie im allgemeinen willkommen, so wie die Nullität in der Gesellschaft. Denn von Rechts wegen soll eine gesellige Unterhaltung auch nur etwas mehr als nichts sein.

Sobald der Künstler, der Liebhaber einseitig sich dieser Neigung überläßt, so verklingt die Kunst wie eine ausschwirrende Saite, sie verliert sich wie ein Strom im Sand.

Die Behandlung wird immer flacher und schwächer werden. Aus den Gemälden verschwinden die Farben, die Striche des Kupferstichs verwandeln sich in Punkte, und so wird alles nach und nach, zum Ergötzen der zarten Liebhaber, in Rauch aufgehen.

Wegen meiner Schwester, die, wie Sie wissen, über diesen Punkt keinen Spaß versteht und gleich verdrießlich[265] ist, wenn man ihre duftigen Kreise stört, gingen wir im Gespräch kurz über diese Materie hinweg. Ich hätte sonst gesucht, dieser Klasse das Nebulistische aufzubürden und meine Imaginanten davon zu befreien. Ich hoffe, meine Herren, Sie werden bei Revision dieses Prozesses vielleicht hierauf Bedacht nehmen.


Fünfte Abteilung

Kleinkünstler

Diese Klasse kam noch so ganz gut weg. Niemand glaubte Ursache zu haben, ihnen aufsässig zu sein, manches sprach für sie, wenig wider sie.

Wenn man auch nur den Effekt betrachtet, so sind sie gar nicht unbequem. Mit der größten Sorgfalt punktieren sie einen kleinen Raum aus, und der Liebhaber kann die Arbeit vieler Jahre in einem Kästchen verwahren. Insofern ihre Arbeit lobenswürdig ist, mag man sie wohl Miniaturisten nennen; fehlt es ihnen ganz und gar an Geist, haben sie kein Gefühl fürs Ganze, wissen sie keine Einheit ins Werk zu bringen, so mag man sie Pünktler und Punktierer schelten.

Sie entfernen sich nicht von der wahren Kunst, sie sind nur im Fall der Nachahmer, sie erinnern den wahren Künstler immer daran, daß er diese Eigenschaft, welche sie abgesondert besitzen, auch zu seinen übrigen haben müsse, um völlig vollendet zu sein, um seinem Werk die höchste Ausführung zu geben.

Soeben erinnert mich der Brief meines Oheims an Sie, daß auch dort schon gut und leidlich von dieser Klasse gesprochen worden, und wir wollen daher diese friedlichen Menschen auch nicht weiter beunruhigen, sondern ihnen durchaus Kraft, Bedeutung und Einheit wünschen.


Sechste Abteilung

Skizzisten

[266] Der Oheim hat sich zu dieser Klasse schon bekannt, und wir waren geneigt, nicht ganz übel von ihr zu sprechen, als er uns selbst aufmerksam machte, daß die Entwerfer eine ebenso gefährliche Einseitigkeit in der Kunst befördern könnten als die Helden der übrigen Rubriken. Die bildende Kunst soll durch den äußern Sinn zum Geiste nicht nur sprechen, sie soll den äußern Sinn selbst befriedigen. Der Geist mag sich alsdann hinzugesellen und seinen Beifall nicht versagen. Der Skizzist spricht aber unmittelbar zum Geiste, besticht und entzückt dadurch jeden Unerfahrnen. Ein glücklicher Einfall, halbwege deutlich und nur gleichsam symbolisch dargestellt, eilt durch das Auge durch, regt den Geist, den Witz, die Einbildungskraft auf, und der überraschte Liebhaber sieht, was nicht dasteht. Hier ist nicht mehr von Zeichnung, von Proportion, von Formen, Charakter, Ausdruck, Zusammenstellung, Übereinstimmung, Ausführung die Rede, sondern ein Schein von allem tritt an die Stelle. Der Geist spricht zum Geiste, und das Mittel, wodurch es geschehen sollte, wird zunichte.

Verdienstvolle Skizzen großer Meister, diese bezaubernden Hieroglyphen, veranlassen meist diese Liebhaberei und führen den echten Liebhaber nach und nach an die Schwelle der gesamten Kunst, von der er, sobald er nur einen Blick vorwärts getan, nicht wieder zurückkehren wird. Der angehende Künstler aber hat mehr als der Liebhaber zu fürchten, wenn er sich im Kreise des Erfindens und Entwerfens anhaltend herumdreht; denn wenn er durch diese Pforte am raschesten in den Kunstkreis hineintritt, so kommt er dabei gerade am ersten in Gefahr, an der Schwelle haftenzubleiben.

Dies sind ungefähr die Worte meines Oheims.

Aber ich habe die Namen der Künstler vergessen, die bei[267] einem schönen Talent, das sehr viel versprach, sich auf dieser Seite beschränkt und die Hoffnungen, die man von ihnen gehegt hatte, nicht erfüllt haben.

Mein Onkel besaß in seiner Sammlung ein besonderes Portefeuille von Zeichnungen solcher Künstler, die es nie weiter als bis zum Skizzisten gebracht, und behauptet, daß dabei sich besonders interessante Bemerkungen machen lassen, wenn man diese mit den Skizzen großer Meister, die zugleich vollenden konnten, vergleicht.


Als man soweit gekommen war, diese sechs Klassen voneinander abgesondert eine Weile zu betrachten, so fing man an, sie wieder zusammen zu verbinden, wie sie oft bei einzelnen Künstlern vereinigt erscheinen und wovon ich schon im Lauf meiner Relation einiges bemerkte. So fand sich der Nachahmer manchmal mit dem Kleinkünstler zusammen, auch manchmal mit dem Charakteristiker. Der Skizziste konnte sich auf die Seite des Imaginanten, Skelettisten oder Undulisten werfen, und dieser konnte sich bequem mit dem Phantomisten verbinden.

Jede Verbindung brachte schon ein Werk höherer Art hervor als die völlige Einseitigkeit, welche sogar, wenn man sie in der Erfahrung aufsuchte, nur in seltenen Beispielen aufgefunden werden konnte.

Auf diesem Weg gelangte man zu der Betrachtung, von welcher man ausgegangen war, zurück: daß nämlich nur durch die Verbindung der sechs Eigenschaften der vollendete Künstler entstehe, so wie der echte Liebhaber alle sechs Neigungen in sich vereinigen müsse.

Die eine Hälfte des halben Dutzends nimmt es zu ernst, streng und ängstlich, die andere zu spielend, leicht und lose. Nur aus innig verbundenem Ernst und Spiel kann wahre Kunst entspringen, und wenn unsere einseitigen Künstler und Kunstliebhaber je zwei und zwei einander entgegenstehen,
[268]

der Nachahmer dem Imaginanten,

der Charakteristiker dem Undulisten,

der Kleinkünstler dem Skizzisten,


so entsteht, indem man diese Gegensätze verbindet, immer eins der drei Erfordernisse des vollkommenen Kunstwerks, wie zur Übersicht das Ganze folgendermaßen kurz dargestellt werden kann.


Ernst allein:

Individuelle Neigung,

Manier


Nachahmer

Charakteristiker

Kleinkünstler


Ernst und Spiel verbunden:

Ausbildung ins Allgemeine,

Stil


Kunstwahrheit

Schönheit

Vollendung


Spiel allein:

Individuelle Neigung,

Manier


Phantomisten

Undulisten

Skizzisten


Hier haben Sie nun die ganze Übersicht! Mein Geschäft ist vollendet, und ich scheide abermals um so schneller von Ihnen, als ich überzeugt bin, daß ein beistimmendes oder abstimmendes Gespräch eben da anfangen muß, wo ich aufhöre. Was ich noch sonst auf dem Herzen habe, eine Konfession, die nicht gerade ins Kunstfach einschlägt, will ich nächstens besonders tun und mir dazu eigens eine Feder schneiden, indem die gegenwärtige so abgeschrieben ist, daß ich sie umkehren muß, um Ihnen ein Lebewohl zu sagen und einen Namen zu unterzeichnen, den Sie doch ja diesmal, wie immer, freundlich ansehen mögen.

Julie[269]

Quelle:
Johann Wolfgang von Goethe: Berliner Ausgabe.Kunsttheoretische Schriften und Übersetzungen [Band 17–22], Band 19, Berlin 1960 ff.
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