Das Schachzabelspiel.

[25] Um diese Zeit von ungefähr

Begab es sich, daß übers Meer

Von Norweg dar ein Kaufschiff kam,

Den Weg zum Land Parmenien nahm

Und landete vor Kanoel,

Vor jenem selbigen Castel,

Wo der Marschall seit lang und fern

Mit Tristan, seinem jungen Herrn,

Und seinem ganzen Hause war.

Nun daß die Fremden kamen dar

Und hielten ihren Markt am Strand,

Da ward es gleich bei Hof bekannt,

Was da von Kaufrath wäre.

Inzwischen kam die Märe

An Tristan, nicht zu seinem Heil:

Es seien allda Falken feil

Und ander schönes Federspiel;

Und ward des Redens also viel,

Bis von des Marschalls Kindern zwei

(Denn Kinder sind immer gleich dabei)

Unter sich kamen überein,

Daß sie Tristanden zu ihnen zwein,

Ihren vermeintlichen Bruder, nahmen,

Mit ihm zu ihrem Vater kamen

Und baten diesen hoch und sehr,

Daß er für sie, Tristanden zu Ehr,

Der Falken etliche kaufen hieß;

Was auch der edle Rual zuließ,

Und wär es ihm gefallen schwer,

Daß nicht alles ergangen wär,

Was sein Freund Tristan erbat,

Da er ihm mehr zu liebe that

Und hielt ihn werther, den Einen,

Als irgend einen der Seinen,

Vom Lande oder Gesinde.

Keinem eigenen Kinde

War er gesinnt wie gegen ihn;

Wodurch es klar vor der Welt erschien,

Wie er vollkommener Treue pflag,

Wie viel Tugend in ihm und Ehre lag.

Gleich stund er auf und nahm Tristanden,

Seinen lieben Sohn, zu Handen

Und führte ihn hin mit sanftem Schritt;

Die andern Söhne, die gingen mit.

Auch fehlte das Hofgesinde nicht:

Die gingen aus Lust und Die aus Pflicht

Und folgten ihnen bis an den Kiel;

Und was Jemanden da gefiel,

Zu was ihn nur sein Wille trug,

Das fand er da zum Kauf genug:

Kleinode, Seiden, edel Gewand,

Das war in Fülle da zur Hand,

Auch gab es schönes Federspiel,

Der edlen Pilgerfalken viel,

Schmerle und Sperber warden,

Habichte und Bussarden

Gefunden da in großer Zahl;

Auch Rothgefieder stand zur Wahl;

Nichts, was man auf dem Markt nicht sah.

Tristanden kaufte man allda[25]

Falken und Schmerlein;

Und, ihm zu liebe, den Herrlein,

Die seine Brüder sollten sein,

Kaufte man auch, und so allen Drein,

Was jeglicher begehrte.


Nun daß man ihnen gewährte

Das alles, was sie wollten,

Und sie heimkehren sollten,

Von ungefähr es da geschah,

Daß Tristan in dem Schiffe sah

Ein Schachzabel hangen,

Am Brett und an den Spangen

Gar schön und wol gezieret

Und ganz nach Wunsch feitieret;

Dabei Figuren, feine,

Von edlem Helfenbeine

Gedrechselt, wie man's selten findt.

Tristan, das tugendreiche Kind,

Schaute das Schachbrett fleißig an.

»Edle Kaufleute,« sprach Tristan,

»So Gott euch helfe, verstehet ihr

Schachzabelspiel? das saget mir.«

Und sprach's in ihrer Zungen.

Da sahen sie den Jungen

Aber noch fleißiglicher an,

Der ihre Sprache zu reden begann,

Die Wenige verstanden da.

Nun begannen sie den Jungen nah

Und näher zu betrachten,

So daß sie alle bedachten,

Daß sie noch keinen Jüngling sahn

So schön gesittet, so wohlgethan.

»Ja, Freund,« sprach einer von ihnen klug,

»Ihrer sind unter uns genug,

Die solche Kunst von Grund verstehn:

Wollt Ihr, so mag es gar wohl geschehn.

Wohl her, so will ich mit Euch dran.« –

Tristan, der sprach: »Das sei gethan.« –

Da setzten die Zwei zum Spiele sich.

Rual sprach: »Tristan, nun will ich

Wieder hinauf nach Hause gehn;

Willst du hier bleiben, so mag's geschehn.

Meine andre Söhne, die gehn mit mir:

Drum bleibe dein Meister da bei dir,

Und hüte dich an diesem Ort.«

So ging der Marschall wieder fort

Mit allem seinem Gesinde,

Und blieb da bei dem Kinde

Sein Meister nur, der seiner pflag,

Von dem ich euch wohl sagen mag

Für wahr, als uns die Märe spricht,

Daß ein so höfischer Knappe nicht

Und von so edler Herzensart

In keinen Landen erfunden ward,

Und war genannt der Kurvenal.

Seiner Tugenden war eine große Zahl,

So daß er Dem wohl zu Statten kam,

Der auch von seinem Lehrer nahm

Gar manche und schöne Tugend an.

Das tugendreiche Kind Tristan,

Der wohlgezogne Jüngling, saß

Und trieb sein Spiel allda fürbaß

Und spielte so höfisch und so fein,

Daß all die Fremden insgemein

Die Augen auf ihn wandten,

In ihren Herzen bekannten,

Sie hätten nie gesehn die Jugend

Gezieret mit so mancher Tugend.

Wie ihnen aber auch gefiel

Seine Gebärde und sein Spiel,

War's ihnen doch nur wie ein Wind:

Das nahm sie Wunder, daß ein Kind

So viele Sprachen bezwungen:

Die floßen ihm von der Zungen,

Wie sie es nie vernommen,

So weit sie auch gekommen.

Der höfische, hofgewohnte Knab

Höfische Reden von sich gab,

Und seine fremde Schachwörtlein

Flogen behende zwischendrein;

Die sprach er wohl, konnt ihrer viel:

Damit so zierte er sein Spiel.

Auch sang er, wohl zu preisen,

Schanzune und künstliche Weisen,

Sang so Refloit als Stampenie,

Und alle solche Curtoisie

Trieb er so viel und lange fort,

Bis daß die Handelsleute dort

Zu Rathe wurden unter sich:

Könnten sie ihn durch einen Schlich

Behalten und mit ihm entfliehn,[26]

So gewännen sie vielleicht durch ihn

Großen Nutzen und viele Ehr;

Da verweilten sie auch nicht mehr,

Befahlen ihren Rudrern an,

Sich zu bereiten Mann für Mann,

Und zogen selber den Anker ein,

Als sollte nichts geschehen sein.

Da eilten sie und stießen ab

So leise, daß weder der junge Knab

Noch Kurvenal die List befand,

Bis daß sie die Beiden von dem Strand

Stark eine Meile fortgebracht;

Denn Beide waren ganz bedacht

Auf ihr Schachzabelspiel so sehr,

Daß sie da an nichts andres mehr

Als an ihr Spiel gedachten.

Nun daß sie das vollbrachten,

So daß Tristan das Spiel gewann

Und er sich umzusehn begann,

Da sah er wohl, woher der Wind.

Nun würdet ihr auch kein Mutterkind

Erschaun mit solchen Jammermienen.

Auf sprang er und stand unter ihnen:

»Edle Kaufleute!« sprach Tristan:

»Um Gott, was fangt ihr mit mir an?

Redet, wo wollt ihr hin mit mir?« –

»Seht, Freund,« sprach einer, »Ihr seid nun hier;

Niemand kann Euch davor bewahren:

Ihr müßt mit uns von hinnen fahren.

Seid ruhig und habet guten Muth.« –

Da hob Tristan, das arme Blut,

So jämmerliches Klagen an,

Daß Kurvenal sein Freund begann

Zu weinen mit dem Knaben,

Sich also zu gehaben,

Daß all das Kielgesinde

Von ihm und von dem Kinde

Unmuthig ward und sehr unfroh.

Da schieden sie die leiden Zwo

Und setzten Kurvenalen aufs Meer

Im Kahn und gaben ihm nicht mehr

Als ein Ruder und ein kleines Brod

Für die Fahrt und die Hungersnoth,

Und hießen ihn, daß er kehre,

Wohin sein Gemüth ihn lehre;

Tristen, der müsse mit ihnen fort. –

Sie fuhren hin mit diesem Wort

Und ließen ihn da lebend,

In manchen Sorgen schwebend.

Kurvenal schwebete auf der See;

In mancher Weise war ihm weh:

Weh über Unglück und Gefahr,

Worin der junge Tristan war;

Weh über seine eigne Noth,

Die ihn bedrohte mit dem Tod,

Weil er nicht konnte schiffen

Und hatte es nie begriffen.

Da sprach er jammernd so zu sich:

»O weh, Gott Herre, was thue ich!

So war ich noch in Sorgen nie.

Nun bin ich ohne Leute hie

Und kann doch selbst nicht fahren.

Gott Herre, du sollt mich bewahren

Auf diesem bösen Pfade,

Ich will auf deine Gnade,

Was ich nie begann, beginnen:

Sei du mein Gefährte von hinnen!« –

Damit griff er sein Ruder an,

Zu fahren er mit Gott begann

Und kam in kurzer Stunde,

Mit Gottes Huld im Bunde,

Nach Hause mit der Märe,

Wie es ergangen wäre.

Der Marschall und sein edles Weib,

Die Beiden quälten ihren Leib

Mit solchem Leid und solcher Noth,

Läg er vor ihren Augen todt,

Daß ihnen diese Schwere

Nicht näher gegangen wäre.

Und also gingen sie Beide

In ihrem gemeinen Leide

Mit alle dem Gesinde

Nach dem verlornen Kinde

Zu weinen überm Meeresgrund.

Mit Treuen bat da mancher Mund,

Daß Gott sein Helfer wäre.

Da gab es manche Zähre:

Sie klagten weh und klagten ach,

Und als herein der Abend brach,

So klagten sie vereinet,

Die einzeln erst geweinet;

Und als es an ein Scheiden ging,[27]

Da trieben sie nur dies Eine Ding:

Sie riefen her, sie riefen dort

Nichts andres als das Eine Wort:

»Beas Tristan; curtois Tristant,

Tun cors, ta vie a De cumant!

Dein schöner Leib, dein süßes Leben

Sei heute Gott dahingegeben!«

Die nordischen Männer führten ihn

Inzwischen allewege hin

Und glaubten alles abgemacht,

Als hätten sie an ihm vollbracht

All ihren Willen und Begehr.

Da widerschuf es alles Der,

Der alle Dinge schlichtet,

Schlichtend zurechte richtet,

Dem Wind und Meer und jede Kraft

Mit Beben dienen, wie er's schafft.

Wie Der es wollte und Der's gebot,

Erhob sich eine große Noth

Von Sturmgewitter auf der See

Da ward es ihnen Allen weh,

Wußten sich nicht zu helfen mehr,

Ließen das Schifflein gehn im Meer,

Wohin es die wilden Winde trieben,

War ihnen wenig Trost geblieben,

Zu retten Leib und Leben:

Sie hatten sich ganz ergeben

An das viel arme Steuer,

Das da heißet Abenteuer;

Ja, Zufall führte das Gebot

Ueber ihr Leben und ihren Tod.

Ihr Wesen war nichts andres mehr,

Als daß sie mit dem wilden Meer

Aufstiegen in die Lüfte

Und in Schlünde und Grüfte

Wieder hinunterflogen.

So trieben die tobenden Wogen

Das Schifflein hin und wieder,

Bald auf und bald darnieder,

So daß auch von der ganzen Schaar

Keiner zuletzt im Stande war,

Sich auf den Füßen zu halten;

Und ging es solcher Gestalten

Acht Tage und acht Nächte lang.

Da war es ihnen in diesem Drang

Beinahe um Sinn und Kraft gethan.

Nun sprach da Einer die Andern an:

»Ihr Herren, so Gott mir stehe bei,

Mir däucht, daß es Gottes Strafe sei,

Wie wir in Aengsten leben

Und kümmerlich lebend schweben

Ueber den tobenden Gründen:

Das ist uns von den Sünden

Und Untreuen entstanden,

Daß wir mit Raub Tristanden

Haben geführt von den Seinen fort.« –

»Ja,« sprachen sie Alle auf dieses Wort:

»Sieh, so ist es, du redest wahr.« –

Alsbald beschloß die ganze Schaar,

Möchten sie Ruhe finden

Vor Wasser und vor Winden,

Daß, wo sie ans Ufer stießen,

Sie ihn gar gerne ließen

In Freiheit, wohin er wollte gehn;

Und siehe, kaum war dies geschehn

Und aller Wille geoffenbart,

Da ward die kümmerliche Fahrt

Gelindert noch in der Stunde;

Still ward es auf dem Grunde,

Der Wind war hingezogen,

Da legten sich die Wogen,

Die Sonne schien wie immer licht.

Da weilten sie auch länger nicht;

Sie waren vom Winde verschlagen

In den acht Nächten und Tagen

Nach Kornewall dem Lande,

Und waren sie dem Strande

Mit Einem Mal so nahe,

Daß man das Ufer sahe.

Da eilten sie, zu landen,

Und nahmen sie Tristanden

Und setzten den Knaben aus am Land,

Gaben ihm ein Brod in die Hand

Und andrer ihrer Speise ein Theil.

»Freund,« sprachen sie, »Gott gebe dir Heil

Und möge deiner pflegen.« –

Sie boten ihm ihren Segen

Und stießen ab, gesagt, gethan.


Nun, wie gehabte sich Tristan?

Tristan, der heimathlose? Ja,

Da saß er und weinete allda;[28]

Denn Kinder können anders nicht

Als weinen, wenn ihnen Leid geschicht.

Der trostlose Verbannte

Die Hände gen Himmel wandte

Zu Gott mit inniglichem Flehn:

»Ei Gott der reiche,« bat er den,

»So reich als du an Gnaden bist,

So viel als Güte an dir ist,

Viel süßer Gott, so bin ich dich,

Daß du erzeigest gegen mich

Deiner Gnade Schein und Glast,

Nachdem du es verhänget hast,

Daß ich also verführet bin;

Und weise mich doch wo irgend hin,

Daß ich bei Menschen möge sein!

Ich schaue rings in die Welt hinein

Und sehe nichts Lebendes um mich.

Die große Wildniß fürchte ich:

Wohin ich die Augen wende,

Da hat die Welt ein Ende:

Wohin ich die Blicke kehre,

Da sehe ich in das Leere,

Sehe ein öd Gefilde,

Alles wüste und wilde,

Wilde Felsen und wilde See;

In dieser Angst ist mir so weh.

Ueber das alles fürchte ich,

Wölfe und Thiere, die fressen mich,

Nach welchem Ende ich gehen mag;

Zudem so neiget sich der Tag

Gegen die Abendzeit gar sehr.

Ich darf nicht länger weilen mehr,

Denn geh ich nicht von hinnen,

So muß ich Schaden gewinnen;

Verlasse ich diesen Ort nicht bald,

So muß ich nächtigen in dem Wald,

Und ist es dann um mich geschehn.

Nun seh ich, daß hie bei mir stehn

Hoher Felsen und Berge viel;

Ich wähne, ich will ein hohes Ziel

Erklimmen, so ich das vermag,

Und sehen, dieweil noch scheint der Tag,

Ob keine Wohnung vorhanden sei,

Entweder fern oder nahe bei,

Allwo ich Leute finde,

Zu denen ich mich gesinde,

Bei denen mir's möge wohl ergehn,

Es möge so oder so geschehn.«

So stund er auf und ging hinan.

Rock und Mantel hatte er an

Von einem Pfelle, der war reich

Und an Gewirke wundergleich;

Es war von Sarazenenhand

Mit kleinen Börtlein dies Gewand

Nach ausländischem Fleiße,

Heidnischer Art und Weise,

Durchwirket rings und mitten,

Und also wohl geschnitten

Nach seinem schönen Leibe,

Daß man von Mann noch Weibe

Adlige Kleider konnte nie

Besser geschnitten sehn, als die;

Dazu sagt uns die Märe,

Derselbe Pfelle wäre

Saftgrün, mehr als ein Maienplan,

Gewesen, und das Futter dran

Von Hermelin, so weiß und fein,

Daß es nicht weißer konnte sein.

Hiemit so machte er sich bereit,

Weinend und voller Traurigkeit,

Zu seiner mühevollen Fahrt.

Er sah, sie war ihm nicht erspart,

Zog seinen Rock, zu beßrem Lauf,

Unter dem Gürtel ein wenig auf,

Machte den Mantel zum Bündelein,

Legte ihn auf sein Achselbein

Und strich bergan, der wilden Fluh

Durch Wald und durch Gefilde zu.

Er hatte weder Weg noch Pfad,

Als welchen er sich selber trat:

Die Füße suchten ihm den Weg,

Die Hände bahnten ihm den Steg;

Statt Rosses nahm er Arm und Bein

Zusammen, und über Stock und Stein

Klomm er immer den Berg hinan,

Bis daß er eine Höhe gewann.

Da kam ihm ganz von ungefähr

Ein wilder Waldsteig in die Queer,

Dicht verwachsen mit Gras und schmal,

Auf dem er jenseits schritt zu Thal.

Der führte ihn gerade hin,

In kurzer Weile bracht er ihn[29]

Auf eine schöne Straße

Von gutem Ebenmaße,

Breit und befahren hin und her.

An diesem Wege setzte er

Weinend zur Ruh sich nieder.

Sein Herze trug ihn wieder

Zu seinen Freunden und zu dem Land,

Wo jeder Mensch ihm war bekannt.

Da fiel ihn großer Jammer an;

Jammernd er abermals begann.

Gott zu klagen sein Ungemach;

Er sah herzinnig auf und sprach:

»Gott, Herre guter, erbarme dich!

Wie haben Vater und Mutter mich

Verloren! wie ist des Jammers viel!

Weh, hätt ich mein Schachzabelspiel,

Mein leidiges, gelassen!

Ich will es immer hassen.

Schmerle, Falken und Sperber,

Gott sei ihr Verderber!

Die raubten mich meinem Vater und Herrn,

Um ihretwillen bin ich fern

Von Freunden und Verwandten;

Und Alle, die mich kannten

Und gönnten mir mein Glück und Gut,

Die haben alle schweren Muth

Und sind nun sehr betrübt um mich.

Ach süße Mutter, wie du dich

Mit Klage nun quälst, das weiß ich wohl;

Vater, dein Herz ist Leides voll;

Ich weiß wohl, ihr seid Beide

Sehr beladen mit Leide.

Und o Gott Herre, wüßte ich doch,

Daß ihr es wisset, daß ich noch

Gesunden Leib und Leben habe,

Das wär eine große Gottesgabe

Euch Beiden und darnach auch mir.

Zwar weiß ich freilich wohl, daß ihr

Kaum oder nimmer werdet froh,

Es füge denn Gott die Sachen so,

Daß ihr Kunde von mir empfaht.

Du aller Sorgenden Trost und Rath,

Gott Herre, nun so füge das!«

Unterdessen er also saß,

In Nöthen tief und Klagen schwer,

Da sah er aus der Ferne her

Zween alte Waller gehen,

Gottselig anzusehen,

Betaget und bejahret,

Bebartet und behaaret,

Als wie die wahren Gotteskind

Und frommen Waller meistens sind.

Sie trugen, was ein Waller trägt,

Und hatten an den Leib gelegt

Linnenröcke und solch Gewand,

Wie man es je bei Wallern fand,

Und außen auf dem Gewande

Muscheln vom Meeresstrande

Und fremder Zeichen sonst genug.

Ein Jeglicher von ihnen trug

Einen Pilgerstab in seiner Hand.

Ihre Hüte und Beingewand

War alles nach ihrem Rechte.

Auch trugen die Gottesknechte

An den Schenkeln linnene Hosen,

Die über den Knöcheln schloßen,

Wohl handbreit ab vom Knöchel stunden

Und waren fest ans Bein gebunden.

Füße und Knöchel waren bloß

So für den Tritt als für den Stoß.

Ueber den Schultern trugen sie,

Ihr Büßerleben zu zeigen hie,

Geistlich gethane Palmen.

Ihre Gebete und Psalmen,

Und was sie konnten Gutes,

Lasen sie frommen Muthes.

Tristan, als er die Beiden sah,

Zu sich selber sprach er ängstlich da:

»Gnädiger Gott und Herre mein,

Was wird aber mein Schicksal sein?

Jene Männer, die dorther gehn,

Haben sie etwa mich ersehn,

So mögen sie mich wohl fahen.« –

Nun sie begannen zu nahen,

Da hatte er sie bald erkannt

An den Stäben und am Gewand;

Alsbald erkannte er auch ihr Wesen

Und begann vom Schrecken zu genesen.

Sein Gemüthe ward ein wenig froh;

Aus vollem Herzen sprach er so:

»Lob dir, gnädiger Herre mein!

Dies mögen wohl gute Leute sein;[30]

Ich darf nicht Angst vor ihnen haben.«

Gar bald geschah es, daß den Knaben

Die Zwei vor ihnen sitzen sahn.

Nun sie begannen ihm zu nahn,

Mit Curtoisie er sprang empor

Und hielt die Hände gefaltet vor.

Alsbald begannen ihn die Zween

Mit vielem Fleiße anzusehn

Und nahmen seine Sitte wahr.

Freundlich traten sie auf ihn dar

Und begannen mit dem süßen

Gruße ihn zu begrüßen:

»De vus sal, beas amis!

Viel lieber Freund, bedeutet dies,

Gott möge dich erhalten.« –

Er neigte sich vor den Alten:

»Ei,« sprach er, »De benie

Si sainte cumpanie!

Solch heilige Genossenschaft

Gesegne Gott mit seiner Kraft!« –

Gleich sprachen ihm die Waller zu:

»Viel liebes Kind, woher bist du,

Oder wer hat dich daher gebracht?«

Tristan, der war gar wohl bedacht

Und besonnen für seine Jahre;

Er diente ihnen mit andrer Waare:

»Ihr Herren,« sprach er mit schlauem Sinn,

»Von diesem Land ich gebürtig bin

Und sollte reiten heute,

Ich und andere Leute,

Zur Jagd in diesem Walde hie.

Da entritt ich, weiß selbst nicht wie,

Den Hunden und dem Jagdgesind.

Die der Waldstiege kundig sind,

Die fuhren Alle baß denn ich,

Denn ohne Steig verritt ich mich,

Bis daß ich ganz verirret war.

Nun nahm ich einer Fährte wahr,

Die brachte mich zu einem Graben;

Da begann mein Roß sich wild zu gehaben

Und wollte immer hinab für sich.

Am Ende lagen Pferd und ich

Auf Einem Haufen darnieder;

Und eh ich konnte wieder

Aufkommen in den Bügel,

Hatte es mir den Zügel

Entrissen und lief zum Wald hinein.

So kam ich an dies Fußweglein;

Das hat mich daher getragen,

Nun weiß ich nicht zu sagen,

Wo ich bin und wohin ich soll.

Nun, gute Leute, thut so wohl

Und saget mir, wo wollt ihr hin?« –

»Freund,« sprachen sie mit holdem Sinn,

»Ist es der Wille unsres Herrn,

So möchten wir heut Nacht noch gern

Gen Tintayol in die Stadt gelangen.« –

Er bat mit freundlichem Verlangen,

Daß sie ihn ließen mit ihnen gehn.

»Viel liebes Kind, das mag geschehn,«

Sprachen die Waller auf seine Bitt:

»Willt du dahin, so komm nur mit.«

Er trat den Weg mit ihnen an,

Und auf dem Gange da entspann

Sich unter ihnen manches Wort.

Das höfische Kind sprach fort und fort

Und war mit Reden doch so klug,

Daß er auf jedes Wort mit Fug,

Sie fragten ihn dieses oder das,

Das Rechte sprach im rechten Maß.

Er wog auf seiner Wagen

Sein Reden und Betragen,

Daß mehr und mehr die Weisen,

Die hochbetagten Greisen

Auf ihn die Augen wandten,

Mit großer Lust bekannten,

Wie schön seine Art und Sitte sei,

Wie wohlgethan sein Leib dabei.

Auch seine Kleider, die er trug,

Besahen die Beiden oft genug,

Die däuchten ihnen schön und reich

Und an Gewirke wundergleich;

Sie sprachen in ihrem Muthe:

»Ach, Herre Gott der gute,

Wer und von wannen ist dies Kind,

Deß Sitten so recht schöne sind?« –

So gingen sie hin betrachtend,

Auf all sein Wesen achtend,

Und trieben die Kurzeweile

Wohl eine welsche Meile.

Quelle:
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Stuttgart 1877, S. 25-31.
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