Die Jagd.

[31] Nun geschah's in kurzer Stunde,

Daß seines Oheims Hunde,

Des Königs Marke von Kornewall,

Hatten bei lautem Hörnerschall,

Wie uns die wahre Märe sagt,

Einen zeitigen Hirsch gejagt;

Der begann der Straße zu nahen,

Ließ sich von ihnen fahen

Und stund allda zu Bile:

Seine Kraft, die war am Ziele,

Von Sprung und Flucht dahingenommen.

Nun waren auch die Jäger kommen,

Umringten ihn mit Lärm und Schall,

Zum Abfang blasend mit lautem Hall.

Tristan, wie er den Bil ersah,

Gegen die Pilger trat er da

Und sprach mit klugem Munde:

»Ihr Herren, diese Hunde,

Den Hirsch und diese Leute,

Seht, die verlor ich heute:

Nun komm ich just zum Fällen.

Dies sind meine Gesellen;

Gebietet mir, dahin will ich.« –

»Kind,« sprachen sie, »Gott segne dich,

Und mögest du mit Frieden fahren.« –

»Viel Dank, euch möge Gott bewahren,«

Sprach er mit holden Mienen.

Er neigte sich vor ihnen

Und ging hinweg, zum Hirsche dar.

Nun dieser abgefangen war,

Der Jägermeister zu ihm stund

Und streckte ihn nieder auf den Grund,

Auf alle Viere, recht wie ein Schwein:

»Wie nun, Meister, was soll dies sein?«

Rief da der höfische Tristan:

»Laßt ab, um Gott, was fangt Ihr an?

Zerwirkt man Hirsche auf diese Art?« –

Der Jäger stand auf und strich den Bart,

Er sah ihn an und sprach dazu:

»Wie willt du, Kind, daß ich ihm thu?

Man weiß nichts andres bei unsrer Birsch,

Als, wenn enthäutet ist der Hirsch,

So spaltet man ihn behende

Vom Kopf bis an das Ende,

Und darnach in die Viere,

So daß der vier Quartiere

Keines um viel darf größer sein

Als die anderen ins gemein.

Das ist der Brauch in diesem Land:

Kind, ist es anders dir bekannt?« –

»Ja,« sprach der Sohn von Riwalin:

»Das Land, da ich erzogen bin,

Das hat den Brauch nicht so wie hie.« –

»Und wie denn?« sprach der Meister: »wie?« –

»Man entbästet den Hirsch bei mir.« –

»Traun, Freund, ich sähe es denn von dir,

So weiß ich nicht, was entbästen heißt.

Darin ist Niemand unterweist

In diesem Königreiche hie;

Auch hörte ich das Wort noch nie

Von Heimischen noch von Gästen.

Traut Kind, was ist Entbästen?

Bei deiner Güte, nun zeige mir's,

Geh her, entbäste diesen Hirs.«

Tristan sprach: »Lieber Meister mein,

Soll es mit Euren Hulden sein,

Und mag Euch Liebes dran geschehen,

So laß ich's Euch viel gerne sehen,

So weit ich selber es erkannt,

Was der Brauch ist in meinem Land,

Das Ihr da fraget um den Bast.« –

Der Meister sah den jungen Gast

Freundlich und gütlich lächelnd an,

Denn er war selbst ein höfscher Mann

Und kannte alle Sitten wohl,

Die ein guter Mann verstehen soll.

»Ja,« sprach er, »lieber Freund, das thu.

Wohl her, und bist du zu schwach dazu,

Traut Geselle, liebes Kind,

Ich selbst, und die hier bei mir sind,

Wir wollen dir mit Händen

Ihn legen helfen und wenden;

Du darfst mir und den Leuten

Nur mit dem Finger deuten.«[32]

Tristan, das heimathlose Kind,

Den Mantel nahm er ab geschwind

Und legte den auf einen Block;

Er zog höher hinauf den Rock;

Die Ermel schlug er vorne wider,

Die schönen Haare strich er nieder,

Hinter die Ohren strich er sie.

Und mehr und mehr besahen Die,

So bei dem Jagdstück waren,

Sein Wesen und Gebaren.

Sie faßten alles in ihren Muth,

Und däuchte sie es also gut

Und lieblich zu betrachten,

Daß sie im Herzen dachten,

Sein Wesen wäre rittergleich,

Seine Gewande fremd und reich,

Sein Leib nach allem Wunsch gethan.

Da traten sie zu ihm heran

Und nahmen seiner Dinge wahr.

Nun ging der Heimathlose dar,

Der junge Meister, Herr Tristan;

Er griff den Hirsch mit Händen an

Und wollte ihn auf den Rücken legen;

Doch konnte er ihn nicht bewegen,

Er war dem jungen Blut zu schwer.

Da bat er höfisch rings umher,

Sie sollten ihn niederbreiten

Und zu dem Bast bereiten.

Nun war das alsobald geschehn.

Da ging er oben am Hirsch zu stehn,

Begann den Strich zu schneiden,

Den Hirschen zu entkleiden

Unten von dem Geäs hernieder;

Zu den Bugbeinen kehrte er wieder;

Die schälte er nach dem Brauch, der Flinke,

Erst das rechte und dann das linke.

Beide Hüftbeine nahm er drauf,

Die entschälte er, Lauf um Lauf.

Dann ging er, von den beiden

Seiten die Haut zu scheiden.

Er machte sie los, der kluge Knab,

Alles von oben nach unten hinab,

Und legte die Haut dem Hirschen nieder.

Zu seinem Bügen kehrte er wieder,

Entbästete die Blätter frei

Und ließ die Brust doch ganz dabei.

Die Büge legte er nebenan.

Seine Brust er darauf begann

Von dem Rücken zu scheiden

Und ließ von den Seiten beiden

Drei Rippen, da und dort, an ihr.

Das ist die rechte Bastmanier:

Die läßt man jederzeit daran,

Wenn Einer die Brust ablösen kann.

Und alsbald kehrte er wieder her,

Mit rascher Hand entbästete er

Die beiden Hinterbeine,

Zusammen, nicht alleine.

Ihr Recht er auch den beiden ließ,

Den Braten, da der Rücken stieß

Von der Lende gegen das Ende

Wohl anderthalben Hände;

Ziemer wird er allda genannt,

Wo diese Bastkunst ist bekannt.

Dann ging er zu den Rippenstücken,

Die hieb er beide von dem Rücken;

Doch Magen und Gescheide,

Sie waren keine Weide

Für seine schönen Hände mehr;

Er rief: »Wohl bald zween Knechte her!

Da, nehmet diese Stücke

Und legt sie weiter zurücke!« –

So war der Hirsch entbastet,

Der Haut nach Fug entlastet;

Die Brust, die Blätter, Seiten, Bein

Hatte er alle überein

Dahingelegt mit Schick und Acht:

Hiemit so war der Bast vollbracht.

Tristan, der heimathlose Gast,

»Seht, Meister,« sprach er, »das ist der Bast,

Und also ist diese Kunst bestellt.

Nun tretet näher, wenn's Euch gefällt,

Mit Eurer Massenie,

Und machet die Furkie.« –

»Furkie? traut Kind, was ist das?

Du sagst mir vor, ich weiß nicht, was.

Du hast uns diesen Jägerbrauch,

Der fremde ist und löblich auch,

Nach Meisterweise lassen sehn:

Nun laß ihn vollends für sich gehn,

Deine Meisterschaft vollführe fein,

Wir wollen dir hold und gewärtig sein.« –[33]

Alsbald von hinnen sprang der Knab

Und hieb sich eine Gabel ab,

So Die da Furke nennen,

Die die Furkie kennen;

Doch ist der Unterschied gering,

Denn Furke und Gabel, das ist Ein Ding.

Nun kam er wieder mit seinem Stab,

Die Leber schnitt er besonders ab,

Netz und Lümmel schied er dann

Und auch den Ziemer abgewann

Von dem Gliede, an dem er saß.

Er ließ sich nieder in das Gras,

Nahm die drei Stücke da zur Hand,

An seine Furken er sie band,

So gut das Netz sie faßte;

Mit einem grünen Baste

Verstrickte er sie hier und dort.

»Nun seht, ihr Herren,« fuhr er fort:

»Dies heißen sie Furkie

In unsrer Jägerie,

Und weil ich's an die Furken band,

Darum so wird der Brauch genannt

Furkie und stimmt auch überein,

Weil es muß an der Furken sein.

Dies nehme ein Knecht von dem Geleit.

Nun aber haltet euch bereit

Und schreitet zur Curie.« –

»Curie! De benie!«

Riefen sie Alle: »was ist das?

Wir verstünden Sarazenisch baß.

Was ist Curie, lieber Mann?

Schweig und sage uns gar nichts an:

Laß es gleich lieber vor sich gehen,

Daß wir's mit eignen Augen sehen;

Das thue, höfischer Knabe du!« –

Tristan war gleich bereit dazu;

Er nahm den Herzrick, das Geschling,

Woran des Hirschen Herze hing,

Und streifte alles dran zurück;

Vom Herzen schnitt er das halbe Stück

Gegen dem spitzen Ende;

Er nahm's in seine Hände,

Auf daß er es halbire,

Dann kreuzweis schneide in Viere,

Warf auf die Haut die Theile nieder,

Kehrte zu seinem Ricke wieder

Und löste Milz und Lungen gar,

So daß der Rick entledigt war.

Das lag auf der Haut, nach rechtem Brauch.

Dann schnitt er Rick und Gurgel auch

Oben heraus am End der Brust.

Den Kopf er löste mit Jägerlust

Sammt dem Geweihe von dem Kragen

Und hieß das zu der Brust hintragen.

»Wohl her,« sprach Tristan und hielt inn,

»Nehmet mir diesen Rick dahin,

Und kommen arme Leute her,

So theilet ihnen nach Begehr

Von diesem Ricke mit, oder thut

Mit ihm nach eurem Brauch und Muth.

Nun wende ich zur Curie mich.« –

Zu ihm traten sie männiglich

Und nahmen seiner Künste wahr.

Der Knabe hieß ihm bringen dar,

Was er zuvor bereiten ließ.

Auch lag zu Handen alles dies,

Wohl zugerüstet und bereitet,

Wie er zuvor sie angeleitet.

Es lagen der Quartiere

Von dem Herzen viere,

Wie sie die Jäger legen,

Die solcher Sitte pflegen,

Zerschnitten auf der Haut zu vier;

Nun schnitt er Lungen und Milz vom Thier,

Dann Magen und Gescheide,

Und was der Hunde Weide,

In Stücke, eben also klein,

Wie es ihm mochte füglich sein,

Und spreitet's alles auf die Haut.

Hiemit begann er überlaut

Den Hunden zu rufen: »Sa, sa, sa!«

Aufs Schierste waren sie alle da

Und standen und genoßen.

Er, dem die Worte floßen,

Sprach: »Seht, dies wird Curie genannt

Daheime in Parmenienland;

Auch will ich euch sagen wárum:

Curie heißet es dárum,

Weil man es auf die Cuire legt,

Was man den Hunden zu geben pflegt;

So hat das Waidwerk, siehe,

Denselben Namen Curie[34]

Von Cuire erfunden und genommen,

Von Cuire ist Curie kommen;

Und ist zwar dieser Brauch den Hunden

Zum Frommen und zur Lust erfunden

Und ist ein Ding, das Nutzen trägt;

Denn ihnen wird, was man so legt,

Süß durch den Schweiß, ich meine das Blut,

Und machet auch die Hunde gut.

Nun sehet diese Bastkunst an,

Es ist kein andrer Witz daran:

Seht, wie sie euch gefalle.« –

»Ach Herre,« riefen sie alle

Und sprachen: »Was sagst du, seliges Kind?

Wir sehen wohl, diese Künste sind

Den Bracken und den Hunden

Zu großem Nutz erfunden.«

Und weiter sprach Tristan das Wort:

»Nun nehmet eure Cuire fort,

Denn meine Kunst ist nun am Ziel;

Und wisset, hätt ich bei dem Spiel

Euch können baß zu Diensten stehn,

Es wär von Herzen gern geschehn.

Nun schneide Jeder seine Wied,

An Sattel knüpfet Glied für Glied,

Das Haupt, das führet an der Hand

Und bringet euren Jagdprisant

Zu Hof nach zierlichem Hofesbrauch;

Da zieret ihr euch selber auch.

So wisset ihr auch selber wohl,

Wie man den Hirsch prisanten soll:

Prisantet ihn nach Rechte.«

Den Meister und die Knechte,

Die nahm es Wunder mehr und mehr,

Wie dieses Kind in aller Lehr

Und aller Jagdkunst heimisch war,

Das so besonders und so klar

In allen Jägerpflichten

Sie wußte zu unterrichten.

»Siehe,« sprachen sie, »seliges Kind,

Die Künste, die hier ergangen sind,

Die gefallen uns dergestalt

Und dünken uns so mannigfalt,

Daß wir sie möchten zu Ende sehn;

Was bis daher von dir geschehn,

Das achten wir gar für einen Wind.«

Sie brachten dem heimathlosen Kind

In Eile ein Pferd: da baten sie,

Daß er mit ihnen aus Curtoisie

Nach seiner Kunst zu Hofe ritte

Und seine Jagd- und Landessitte

Bis an das Ende ließe sehen.

Tristan sprach: »Das mag wohl geschehen,

Nehmet den Hirsch aus und wohl hin,« –

Saß auf und that nach ihrem Sinn.

Nun er dahin mit ihnen ritt

Und ging also zu Hofe mit,

Da konnten sie Stund und Gelegenheit

Kaum erwarten, war Jeder bereit,

Zu entwerfen und zu vermuthen frei,

Von welchem Lande er bürtig sei

Und wie hieher gekommen;

Sie hätten gern vernommen

Von allem, wie es um ihn stand.

Das hatte auch gar bald erkannt

Der wohl besonnene Tristan,

Der gleich mit großen Witzen sann,

Wie er seine Mär erfinde.

Sein Reden war einem Kinde

Fürwahr in keiner Weise gleich.

Er sprach an Sinn und Witze reich:

»Jenseits Britannien liegt ein Land,

Das ist Parmenien genannt,

Da ist mein Vater ein Handelsmann,

Der wohl nach seinem Wesen kann

Mit der Welt leben gar schön und wohl,

Ich meine, wie ein Kaufmann soll.

Nun aber wißt, ihr Herrn, zugleich:

Mein Vater ist doch nicht so reich

An Habe und an Gute,

Als tugendlichem Muthe.

Der hieß mich lehren, was ich kann.

Nun kam manch fremder Handelsmann

Aus andern Königreichen dar,

Und dieser Fremden nahm ich wahr,

Sah ihre Sprache und Sitten an,

Bis mich zu spornen mein Muth begann

Und anzutreiben fort und fort

In fremde Reiche und ferne Ort,

Damit ich würde baß bekannt

Mit andern Leuten und andrem Land.

Von Stund an war ich früh und spat

Gänzlich bedacht auf meinen Rath,[35]

Bis daß ich meinem Vater entkam,

Die Flucht auf einem Kaufschiff nahm;

So bin ich hier ans Land gekommen.

Nun habt ihr all mein Ding vernommen;

Weiß nicht, wie's euch gefalle.« –

»Ah, traut Kind,« sprachen sie Alle,

»Das war bei dir ein edler Muth:

Die Fremde ist manchem Herzen gut

Und lehret mancher Arten Tugend.

Trauter Geselle, süße Jugend,

Gebenedeiet sei das Land

Von Gott, wo eines Kaufmanns Hand

Erzog so tugendreiches Kind!

Alle Könige, die nun sind,

Hätten es besser nicht gethan.

Nun, liebes Kind, sag uns auch an:

Dein höfischer Vater, wie nannte er dich?« –

»Tristan,« sprach er, »Tristan heiß ich.« –

»De us adjut!« sprach Einer hier:

»Um Gott, was soll der Name dir?

Du wärest besser fürwahr genannt

Juvente bele et la riant,

Die schöne Jugend, die lachende.« –

So ritten sie, Kurzweil machende,

Der Eine hie, der Andere da;

Doch was von Reden dort geschah,

Das galt nur diesem Kinde.

So fragete das Gesinde,

Wie Jeder sich's zu Herzen nahm.

In kurzer Stunde es aber kam,

Daß der Knabe die Burg ersah.

Von einer Linden brach er da

Zwei Kränzlein, waren wohl belaubt;

Eines setzte er auf sein Haupt,

Das andre er etwas weiter maß,

Dem Jägermeister bot er das:

»Ei,« sprach er, »lieber Meister mein,

Sagt, was wohl diese Burg mag sein?

Wie königlich! Die gefällt mir wohl!« –

Der Meister: »Das ist Tintayol.« –

»Tintayol? Ah!« sprach er: »Wohl!

De te benie, Tintayol,

Und alle dein Gesinde!« –

»Ah wohl dir süßem Kinde!«

Sprachen die Andern aus Einem Mund:

»Sei glücklich und sei froh allstund,

Und müsse dir's also wohl ergehen,

Daß wir es gerne mögen sehen!«

So kamen sie zu Burg und Thor.

Da machte Tristan Halt davor.

»Ihr Herren,« sprach er, »haltet inn!

Ich weiß nicht, da ich fremde bin,

Wie euer jedes Name sei:

Nun fahret eben Zwei und Zwei

Und reitet wohl geschlossen ein.

So soll der Hirsch beschaffen sein:

Zuvörderst kommen die Stangen,

Die Brust kommt nachgegangen,

Die Rippen nach den Bügen;

Darnach so sollt ihr's fügen,

Daß alsobald den Rippen bei

Das hinterste Glied gesellet sei;

Darnach so achtet auf den Fug,

Daß ihr im allerletzten Zug

Die Cuire und Furkie paart:

Das ist die rechte Jägerart.

Auch treibet es nicht allzu jach,

Reitet gemach einander nach:

Mein Meister hie und ich, sein Knecht,

Reiten zusammen, dünkt's euch recht,

Und daß es euch gefalle.« –

»Ja, traut Kind,« sprachen sie alle:

»So wie du willt, so wollen wir.« –

»So sei's,« sprach er: »nun leihet mir

Ein Horn, das mir gerechte sei,

Und seid auch deß gemahnt dabei:

Wenn ich anhebe, so horchet mir,

Und wie ich horne, so hornet ihr.« –

Der Meister sprach zu ihm: »Nun thu,

Viel lieber Freund, und horne du,

Wie es dir nur gefalle;

Wir folgen und dienen dir Alle,

Ich und die hier mit mir sind.« –

»A boneure,« sprach das Kind,

»Mit Güte, so soll es also sein.« –

Ein kleines helles Hörnelein,

Das gaben sie ihm an seine Hand.

»Nun hin!« sprach er: »allez avant!«

So ritten sie rottiret ein

Zu Zweien, wie es sollte sein;

Und als durchs Thor die Rotte kam,

Tristan sein helles Hörnlein nahm[36]

Und begunte fein zu blasen

Und wonniglich aus der Maßen;

Und Alle, die auf ihn harrten,

Die konnten's kaum erwarten,

Bis sie ihm zu Hilfe kamen,

Vielmehr die Hörner nahmen

Und machten ein Getöne

In seinem Ton gar schöne:

Er vor, das klang zu Preise;

Sie nach in seiner Weise

Und machten das geschickt und wohl:

Die Burg ward des Getönes voll.

Der König und die Hofleut all,

Da sie den fremden Jägerschall

Erhörten und vernahmen drin,

Da waren sie in ihrem Sinn

Erschrocken und erstaunt gar sehr,

Weil dessengleichen nie vorher

Bei Hofe war vernommen.

Nun war die Rotte kommen

Für den Palast und an die Thür;

Da war viel Hofgesinde für

Gelaufen ob dem Hörnerschall,

Und nahm es sie groß Wunder all,

Was das Getön begehrte.

Auch war der lobenswerthe

Marke selber gekommen dar,

Zu nehmen diese Märe wahr,

Und mit ihm mancher höfische Mann,

Nun daß den König sah Tristan,

Begann er ihm zu gefallen.

Von den Andern allen

Erlas er ihn mit Herz und Muth,

Denn er war ja von seinem Blut:

Die Natur, die zog ihn dar.

Er nahm sein mit den Augen wahr

Und begann ihn schön zu grüßen.

Mit Tönen, fremden, süßen,

Eine andere Weise hob er an,

So laut zu hornen er begann,

Daß ihm Keiner von Allen

Vermochte beizufallen.

Nun war das aber bald gethan:

Der wohlgezogene Tristan,

Der schwieg und ließ sein Horn in Ruh.

Er neigte sich dem König zu

Gar hold und sprach mit süßem Mund,

So süße, als er das verstund:

»Deus sal roi et sa mehnie:

König und seine Massenie

Erhalte Gott der gute!« –

Marke der wohlgemuthe

Und all sein Hofgesinde,

Die danketen dem Kinde

Viel tugendlich und also wohl,

Als man dem Tugendhaften soll.

Sie freueten sich allgemein:

»Ach,« sprachen sie alle, Groß und Klein,

»De duin duze aventure

Si duze creature:

Süße Stunden und frohes Leben

Möge Gott so süßem Geschöpfe geben!«

Der König nahm des Kindes wahr;

Er besandte den Jägermeister dar:

»Sag an,« sprach er, »wer ist dies Kind,

Deß Worte so wohlgesetzet sind?« –

»Ach, Herre, es ist ein Parmenois

Und ist so wundervoll curtois,

So aus der Maßen tugendsam,

Wie ich's an Kindern nie vernahm.

Er sagt, sein Name sei Tristan,

Und sei sein Vater ein Handelsmann,

Ich glaub es aber nimmer:

Wie hätte ein Kaufmann immer

In seiner großen Unmüßigkeit

Auf ihn gewandt so viele Zeit?

Sollte er Muße für ihn gewinnen,

Der immer soll Unmuße beginnen?

Ach, Herre, er ist so tugendhaft:

Seht, diese neue Meisterschaft,

Wie wir zu Hofe sind gekommen,

Die haben wir ganz von ihm genommen.

Und hört die Wunderkünste: Wißt,

Recht wie der Hirsch beschaffen ist,

So ist er hier zu Hof gebracht:

Wo ward eine Kunst so wohl bedacht?

Seht, erstens Kopf und Stangen,

Dann kommt die Brust gegangen,

Büge darnach und Beine:

Herr, schöner wurden noch keine

Und besser zu Hof prisantet eh.

Seht dort, Herre, und habt Ihr je[37]

Eine solche Furkie gesehn?

Mir ist dergleichen nie geschehn,

Seit ich die Jägerkunst verstehe.

Dazu ließ er uns sehen ehe,

Wie man den Hirsch entbästen soll:

Die Kunst gefällt mir also wohl,

Daß ich noch Hirsch, noch andre Thiere

Zerhauen will in vier Quartiere,

Und sollt ich bis an mein Ende jagen.« –

So begann er seinem Herrn zu sagen

Von Anfang alle Märe,

Wie er vollkommen wäre

In aller höfischen Jägerschaft,

Und wie er die Curie beschafft

Für die Bracken und die Hunde.

Des Jägermeisters Kunde,

Die nahm der König in seinen Sinn,

Hieß den Knaben rufen zu sich hin

Und hieß die Jäger nach Hause fahren,

Ihr Amt und ihre Pflicht bewahren;

Die kehrten um und ritten fort.

Tristan, der Jägermeister dort,

Gab hin sein Hörnlein wieder

Und sprang zur Erde nieder.

Das junge Hofgesinde,

Das lief entgegen dem Kinde

Und conduirt's mit holdem Sinn

An den Armen für die Krone hin.

Auch konnte er selber zierlich gehn,

Und war der Leib ihm anzusehn,

Wie es die Minne nur gebot:

Sein Mund, der war recht rosenroth,

Sein Antlitz licht, seine Augen klar,

Gar schön war sein lichtbraunes Haar

Geringelt an dem Ende;

Seine Arme und Hände,

Die waren wohlgebaut und blank,

Sein Leib im rechten Maße schlank;

An seiner Füße und Beine Stand

Ward seine Schöne zumeist erkannt;

Sie standen so zu Preise wohl,

Als man's am Manne preisen soll.

Sein Gewand, das wisset ihr,

War mit großer höfischer Zier

Nach seinem Leib geschnitten.

Seine Gebärden und Sitten,

Die standen ihm so lieblich an,

Daß man den Knaben lieb gewann.

Der König schaute immer zu:

»Freund,« sprach er, »Tristan heißest du?« –

»Ja, Herre, Tristan. De vus sal.« –

»De vus sal, beas Vassal.« –

»Merzi,« sprach er, »gentil Rois,

Edler König Kornewalois:

Ihr und Euer Gesinde,

Ihr seiet von Gottes Kinde

Immerdar gesegnet!« –

Da ward ihm hold entgegnet

Mit Merzi und Merzi fort und fort.

Sie sprachen nur das Eine Wort:

»Tristan, Tristan li Parmenois,

Cum est beas et cum curtois!« –

Marke sprach aber Tristanden an:

»Ich sage dir, was du thust, Tristan,

Du sollt mir eine Bitte gewähren,

Das will ich nicht von dir entbehren.« –

»Was Ihr gebietet, Herre mein.« –

»Du sollt mein Jägermeister sein.« –

Nicht wenig lachten Die um ihn.

Da sprach der Sohn von Riwalin:

»Herre, gebietet über mich,

Was Ihr gebietet, das bin ich,

Euer Jäger und Euer Mann,

Und will Euch dienen, so gut ich kann.« –

»Mit Güte, Freund!« sprach Marke froh:

»Das ist gelobt, nun sei es so.«

Quelle:
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Stuttgart 1877, S. 31-38.
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