Der Minne Schuld.

[141] Langer Umschweif sei verbannt:

Isolde in ihrer Kindheit fand

Einen Witz und eine List,

Die allerbesten zu der Frist:

Daß sie nichts weiter thäten,

Als daß sie Brangänen bäten,

Daß sie in der ersten Nacht

Ohne Rede still und sacht

Bei König Marke läge,

Gesellschaft mit ihm pfläge.

Das konnte er leiden ungeklagt,

Denn sie war schön und war auch Magd.

So machet nun die Minne

Lautere treue Sinne

Auf Arg und Falsch beflissen,

Die doch nicht sollten wissen

Von Falschheit, noch von Lügen,

Noch böslichem Betrügen.


Die Liebenden also thaten:

Brangänen sie da baten

Also lange und also viel,

Bis sie es brachten an das Ziel,

Daß sie sich zu der That verstand

Und gelobte es auch mit Mund und Hand,

Doch aber auch mit mancher Noth:

Sie ward da mehr als einmal roth

Und wieder bleich bei diesem Sang;

Auch that's ihr Noth: das Liedlein klang

Auch seltsam, wie ich wähne.

»Traut Fraue,« sprach Brangäne,

»Eure Mutter, der ich dienstbar bin,

Die gesegnete Königin,

Befahl Euch in meine Pflege,

Und sollt ich auf diesem Wege

Und dieser leiden verfluchten Fahrt

Euch haben vor solchem Leid bewahrt;

Und nun mit der Wahrlosigkeit

Hab ich Euch gebracht in Schmach und Leid.

Darum so darf ich wenig klagen,

Muß ich mit Euch die Schande tragen:

Es wär auch wohl gefüge,

Daß ich sie alleine trüge,

Wenn nur Ihr ledig möchtet sein.

Gnädiger Gott und Herre mein,

Wie konntest du mein vergessen, ach!« –

Isolde zu Brangänen sprach:

»Stolze Niftel, sage mir,[141]

Was meinest du, was wirret dir?

Mich wundert, was du klagst. So sag's.« –

»Fraue, da warf ich eines Tags

Aus dem Schiffe ins Meer ein Glas.« –

»So thatest du: was wirret das?« –

»O weh, dasselbe Glas fürwahr

Und der Trank, der darinne war,«

Sprach sie, »der ist euer Beider Tod.« –

»Warum doch, Niftel?« sprach Isot:

»Was soll das heißen?« – Das heißt so viel:

Nun berichtete sie das leide Spiel

Den Beiden ganz von Anfang an. –

»Nun walte Gott!« sprach da Tristan:

»Es sei nun Tod oder Leben,

Es hat mir sanft vergeben.

Ich weiß nicht, wie jener werden soll:

Dieser Tod, der thut mir wohl.

Sollte die wonnigliche Isot

Immer also sein mein Tod,

So wollte ich gerne werben

Um ein ewigliches Sterben.«


Laßt alle Rede bleiben:

Wollen wir Liebe treiben,

So kann's ja nicht immer bleiben,

Wir müssen Leid auch treiben.


Wie sanft uns in der Liebe sei,

So müssen wir doch je dabei

Gedenken auch der Ehren.

Wer sich an nichts will kehren

Denn an des Leibes Freud und Lust,

Der kommt an Ehre zu Verlust.

Wie wohl Tristanden mochte thun

Das Leben, das er hatte nun,

Doch zog ihn seine Ehre ab.

Seine Treue ihm Warnung gab,

Daß er ihrer gedächte

Und Marken sein Weib heimbrächte.

Die beiden, Ehr und Treue,

Bezwangen ihm aufs Neue

Sein Herz und seine Sinne,

Die da gegen die Minne

Hatten zuvor den Sieg verloren,

Da er die Minne für sie erkoren:

Die zwo Sieglosen im ersten Streit,

Die siegten über die Minne seit.


Tristan hieß Boten gehen ans Land

yIn zwei Fahrzeugen wohlbemannt

Und entbot dem Herrn die Märe,

Wie es ergangen wäre

Mit der Schönen vom Irenland.

Marke besandte allzuhand

Die Seinen in der Runde:

Da rannten zu der Stunde

Tausend Boten nach Ritterschaft:

Man empfing mit großer Heereskraft

Die Heimischen und die Gäste.

Das Aergste und das Beste,

Das Marke an diesen Zwein empfing,

Mit denen sein Leben auch unterging,

Dasselbe empfing er also wohl,

Als ein Mann das empfahen soll,

Was ihm werth vor allen Dingen ist.


Marke, der hieß zur selben Frist

Den Landbaronen sagen,

Daß sie in achtzehn Tagen

Bei Hofe sich einfänden,

So daß sie ihm wohl anständen

Zum Fest und zur Brautleite.

Die waren ihm bald zur Seite:

Sie kamen reich und herrlich dar.

Da kam manch wonnigliche Schaar

Von Rittern und von Frauen,

Ihre Wonne zu schauen,

Die lichte Fraue Isolde.

Da ward beschaut die Holde,

Da ward ein Wundern fort und fort,

Da hörte man nur das Eine Wort:

»Isot, Isot la blunde,

Marveil de tu le munde!

Isold, Isold die blonde,

Das Wunder unter dem Monde!

Es ist alles wahr, was man da sagt

Von der süßen, seligen Magd:

Sie gibt den Landen Wonne

Gleichwie die lichte Sonne.

Es wird nach so wonniglicher Magd

In allen Reichen umsonst gefragt.«


Nun daß die Ehe vollzogen ward

Und sie in ihrem Rechte bewahrt

Und Kornewall und Engelland[142]

Also gesetzt in ihre Hand,

Daß, wenn sie keinen gebäre,

Der Erbe Tristan wäre,

Und auch die Huldigung vollbracht,

Und nun sie sollte auf die Nacht

Mit ihrem Herren schlafen gehn,

Da hatten sie sich vorgesehn,

Sie und Brangäne mit Tristan

Und hatten alles zuvor gethan,

Auf daß Ort und Gelegenheit

Zu ihren Statten wär bereit

Und alles wohl berathen.

In Marke's Kemenaten

Waren die Vier in guter Ruh,

Der König und die Drei dazu.

Nun war auch Marke herabgekommen.

Brangäne hatte an sich genommen

Isoldens Brautgewande hier:

Die Kleider waren zwischen ihr

Verwechselt und der Königin.

Tristan führte Brangänen hin,

Die Marter zu leiden und die Noth.

Die Lichter löschte Frau Isot.

Marke Brangänen zu ihm zwang:

Ich weiß nicht, wie ihr der erste Klang

Gefiel der neuen Weise:

Sie duldete so leise,

Daß es gar ohne Geräusche blieb:

Was ihr Gespiele mit ihr trieb,

Sie leistete und gewährte,

Was er an sie begehrte,

Mit Messing oder auch mit Gold,

So wohl, als er es je gewollt.

Ich will mich deß auch wohl versehn,

Daß es eh selten sei geschehn,

Daß je Messing, so schön und reich,

Für einen güldenen Vergleich

Als Bettgeld ward gegeben.

Ich setze gern mein Leben,

Daß nimmer ward seit Adams Tagen

So edles Trugmetall geschlagen,

Noch falsche Münze von echtrem Schlag

Zu eines Mannes Seite lag.


Dieweil die beiden Guten

So ohne Ruhe ruhten,

Die ganze Weile hatte Isot

Gar große Angst und starke Noth;

Sie dachte immerfort bei sich:

»Gott Herre, nun bewahre mich

Und hilf mir, daß mein Niftelein

Mir möge treu und redlich sein.

Ich fürchte, treibt sie dieses Spiel

Allzu lange und allzu viel,

Daß es ihr so behage,

Daß es gar drüber tage;

So werden dann wir alle

Zu Spotte und zu Schalle.« –

Nein, ihre Gedanken und ihr Muth,

Die waren lauter und waren gut.

Nachdem sie für Isolden

Das Messing machte golden

Und leistete ihre Teiding dort,

Da ging sie von dem Bette fort.


Bald auch zur Hand Isolde war:

Vor das Bette saß sie dar,

Als sollte sie Dieselbe sein.

Da heischte der König auch den Wein,

Wie es die Sitte ihm befahl:

Denn es war Sitte dazumal,

Daß man in allweg dessen pflag,

Wenn Einer bei einer Jungfrau lag

Und ihr die Blume abgewann,

Daß Jemand kam mit Wein alsdann

Und bot den Trank da Beiden

Zusammen ohn Unterscheiden.

Dieselbe Sitte auch da geschah:

Tristan sein Neffe brachte da

Beide so Licht als Wein dahin.

Der König trank und die Königin.

Auch kann man in Mären lesen,

Es sei des Tranks gewesen,

Von welchem Tristan und Isot

Verfielen in ihre Herzensnoth.

Nein, der that Keinem fürder weh:

Brangäne warf ihn in die See.


Nun sie die Sitte gehalten auch,

Beide getrunken nach dem Brauch,

Die junge Königin Isot,

Da legte sie sich mit mancher Noth,

Mit verborgenen Schmerzen[143]

In ihrem Muth und Herzen

Zu ihrem Herrn dem König nieder.

Der begann seine Freude wieder:

Er zwang sie nahe an seinen Leib.

Ich wähne, ihm däuchte Weib wie Weib:

Ihm war auch Diese füglich,

Und fand's mit ihr vergnüglich.

Ihm war Diese wie Jene,

Isolde wie Brangäne:

An jeder war Messing und war Gold.

Auch leisteten sie ihren Sold

Also her und also hin,

Daß er nichts merkte in seinem Sinn.


Fraue Isolde war da stark

Von ihrem Herrn und König Mark

Geminnet und gehehret,

Gepreiset und geehret

Beides von Land und Leuten,

Die sich der Gaben freuten,

So man an ihr so reichlich sah.

Wer loben konnte, der sprach da

Zu ihrem Lob und Heile.

Unter all dieser Weile

Die Fraue mit ihrem trauten Lieb

Gar manche Stunde süß vertrieb

Und hatten allzeit ihre Lust;

Denn Keinem war davon bewußt;

Da ahnte weder Weib, noch Mann,

Es wäre was Unrechtes dran.

Sie war in seiner Pflege

Allstund und allewege

Und lebte, wie ihr däuchte gut.


Hiemit so nahm sie in ihren Muth

Und bedachte, wie es um sie stand:

Da nur Brangänen war bekannt

Von ihren geheimen Ränken,

Mußte sie immer denken,

Wenn die Eine nicht wäre,

Alsdann um ihre Ehre

Dürfte sie wenig in Sorgen sein.

Ihre Sorge, die war nicht klein;

Sie fürchtete sehr zu aller Zeit,

Brangäne möchte zu Marken seit

Etliche Liebe tragen

Und ihm am Ende sagen

Die Schmach und die ganze Märe klar,

Alles, wie es ergangen war.

Die sorgenhafte Königin,

Die wies damit auf die Wahrheit hin,

Daß man auf Erden Schmach und Spott

Mehr fürchtet als den gerechten Gott.

Zween Knechte sie besandte,

Von England Unbekannte;

Dieselben hieß sie Beide

Eide schwören auf Eide,

Treu über Treue geben

Und gebot auf Leib und Leben,

Was sie sie hieße untergehn,

Das sollte, beides, rasch geschehn

Und auch verhohlen bleiben.

Sie begann sie anzutreiben:

Also sprach die Mordstifterin:

»Nun merket Beide meinen Sinn:

Ich geb euch eine Jungfrau mit,

Die nehmt mit euch auf einen Ritt

Wohl heimlich und wohl balde

Zu irgend einem Walde,

Er sei fern oder nahe bei,

Der euch dazu gefällig sei,

Da Niemand hause, nicht Mann, noch Weib,

Und schlaget ihr das Haupt vom Leib,

Und all ihr Reden, das merket ihr,

Und was sie sage, das saget mir.

Ihre Zunge bringt mir dann herein;

Und sollt auch deß versichert sein,

Wie ich's nur füglich machen mag,

Daß ich euch morgen an dem Tag

Mit ritterlicher Sache

Beide zu Rittern mache,

Und will euch beleihen und begaben,

Dieweil ich mag das Leben haben.«


Die Rede ward da fest bestallt.

Isolde nahm Brangänen bald:

»Brangäne,« sprach sie, »schau doch her:

Wie seh ich aus? mißfarbig sehr!

Ich weiß nicht, wie es um mich steh:

Mein Haupt, das thut mir schmerzlich weh.

Du mußt uns Wurzeln bringen:

Wir müssen diesen Dingen

Versuchen Rath zu geben,[144]

Sonst geht's mir an das Leben.« –

Die getreue Brangäne sprach:

»Traut Fraue, Euer Ungemach,

Das macht mir Angst und schmerzt mich sehr.

Nun redet auch nichts weiter mehr:

Heißet mich weisen an einen Ort,

Auf daß ich möge erforschen dort,

Was Euren Dingen behilflich sei.« –

»Nun sieh, zween Knappen sind hie bei:

Mit denen reite, die weisen dich.« –

»Gerne, Fraue, und das thu ich.« –

So ritt sie in Gottes Namen.


Nun sie zum Walde kamen,

Da Wurz und Kraut und Gras zuhand

In Fülle nach ihrem Willen stand,

Da wollte Brangäne vom Rosse sein.

Nun führten sie sie baß hinein

In die Wüste und Wilde.

Nun sie von dem Gefilde

Ferne ins Dickicht kamen,

Die Getreue sie nahmen,

Die Höfische, vom Pferde

Und setzten sie auf die Erde

Mit Trauer und mit Leide

Und zuckten die Schwerter beide.

Das war Brangänen solch ein Schlag,

Daß sie still an der Erde lag

Und lag so lang darnieder;

Ihr bebten Herz und Glieder.

Erschrocken sah sie auf und sprach:

»Gnade, Herre,« sprach sie, »ach!

Um Gott, was stellt ihr mit mir an?« –

»Um Euer Leben ist's gethan.« –

»O weh! warum? das saget mir!« –

Und Einer sprach: »Was habet Ihr

Begangen wider die Königin?

Die hieß Euch schlagen: nun kommt's dahin:

Eure und unsre Fraue Isot,

Die hat geschaffet Euren Tod.«


Sie schlug die Hände zusammen: »Nein,«

Sprach sie mit Weinen, »Herre mein,

Bei Gott und Eurer Güte, nicht!

Fristet mir Beide dies Gericht

Und laßt mich also lange leben,

Daß ich euch Antwort möge geben.

Darnach habt ihr mich bald erschlagen.

Ihr möget wissen und sollt ihr sagen,

Daß ich nicht habe die kleinste Schuld

Begangen wider ihre Huld,

Daran ich mich hätte je versehn,

Daß ihr sollte ein Leid geschehn,

Es wäre denn nur also viel,

Was ich doch nicht verhoffen will:

Da wir Zwo fuhren von Irenland,

Da hatten wir Zwo zwei Gewand,

Die hatten wir uns Beiden

Erwählt und ausgescheiden

Von anderem Gewande;

Die führten wir von Lande,

Zwei Hemden, weiß wie lauter Schnee.

Da wir nun kamen auf die See

Und waren auf der Ueberfahrt,

Isolden heiß von der Sonne ward,

So daß sie in den Tagen

Kaum etwas mochte tragen

Als nur ihr Hemd alleine,

Das weiße und das reine.

Also ward ihr das Hemde lieb,

Daß sie's trug und das so lange trieb,

Bis daß es übertragen gar

Und seine Weiße getrübet war.

Nun hatte ich aber das meine

Heimlich in meinem Schreine

In reinen weißen Falten

Verborgen und behalten,

Und als meine Fraue gen Kornwall kam,

Den König ihren Herren nahm

Und mit ihm schlafen sollte gehn,

Da war das Hemde nicht anzusehn

So reinlich, als es sollte

Und als sie gerne wollte:

Daß ich ihr lieh das meine nun,

Und wollt's vielleicht nicht willig thun

Und mich so gegen sie vergaß,

Das müßte ihr wirren, und ist's nicht das,

So weiß Gott, daß ich nimmermehr

Noch ihr Gebot, noch ihr Begehr

Gering geachtet habe.

Nun gönnt mir die Gottesgabe

Und sagt ihr, ich grüße sie also wohl,

Als eine Magd ihre Frauen soll.[145]

Und Gott nach seiner Güte,

Der bewahr und behüte

Ihr Ehre, Leib und Leben!

Auch sei ihr mein Tod vergeben.

Die Seele befehl ich in Gottes Wacht,

Den Leib in eure Hand und Macht.«


Nun aber begannen diese Zween

Erbärmlich einander anzusehn:

Sie erbarmte an der Reinen

Ihr innigliches Weinen;

Es reuete sie Beide

Und nahmen sich's zu Leide,

Daß sie um güldne Sporen

Hatten den Mord geschworen,

Da sie an ihr nichts funden,

Und konnten auch nichts erkunden,

Das solchen Mord zuließe

Und todeswürdig hieße.

Nun riethen sie und sannen,

Bis sie den Rath gewannen,

Was sich auch möge begeben,

Sie wollten sie lassen leben.

Die Getreue banden sie alsobald

Auf einen hohen Baum im Wald,

Daß sie die Wölfe nicht nähmen,

Bis daß sie wieder kämen,

Und schnitten an der Stunde

Einem der Vogelhunde

Die Zungen aus und ritten hin.


Da sagten sie der Königin,

Der grimmen mörderischen Isot,

Sie hätten sie geführt zum Tod

Mit Jammer und mit Leide,

Und sagten ihr da Beide,

Dieselbe Zunge, die sei von ihr.

Isolde sprach: »Nun saget mir,

Was Märe sagte euch die Magd?« –

Sie meldeten, was sie gesagt,

Von Anfang bis zu Ende fort

Und verschwiegen auch nicht Ein Wort.

»Mehr nicht?« sprach sie und ward wie Schnee.

»Nein, Fraue.« – Isolde rief: »O weh

Und Waffen über dieses Leid!

Unselige Mörder, die ihr seid,

Was habt ihr angefangen!

Ihr müsset Beide hangen.« –

»Herre,« sprachen aber sie,

»Wie lauten diese Mären hie?

Viel wunderliche Frau Isot,

Ihr habt uns doch mit mancher Noth

Erflehet und genöthet,

Daß wir sie haben ertödtet.« –

»Ich weiß nicht, was ihr von Flehen sagt:

Ich hab euch befohlen meine Magd

In eure Hut und Pflege,

Sie zu hüten auf dem Wege,

Daß sie mir sollte bringen

Etwas zu meinen Dingen.

Die müßt ihr mir wieder geben,

Oder es geht euch ans Leben.

Unselige Mordschlangen,

Ihr werdet Beide erhangen

Oder auf einer Hurt verbrannt.« –

»In Treuen!« sprachen sie zuhand,

»Fraue, Euer Herz und Euer Muth,

Die sind nicht lauter und sind nicht gut;

Eure Zunge, die ist sehr mannigfalt.

Nun, Fraue, fristet diese Gewalt:

Eh man uns soll begraben,

Eh sollt Ihr sie wieder haben,

Um die Ihr klagt, schön und gesund.« –

Die Königin, die sprach zur Stund

Und weinte hart und weinte sehr:

»Nun lüget mir nicht fürder mehr:

Lebt Brangäne, oder ist sie todt?« –

»Sie lebt noch, wunderliche Isot.« –

»O weh, so bringet mir sie her,

Und was ich habe gelobt vorher,

Das sollt ihr auch fürwahr empfahn.« –

»Fraue Isot, das sei gethan.« –

Isolde behielt den Einen dort;

Der Andre, der ritt zur Stunde fort

Und kehrte hin, wo Brangäne war,

Und brachte sie ihrer Frauen dar.

Und da sie für Isolden kam,

Isolde sie in die Arme nahm

Und küßte sie auf Wang und Mund

Zu einer und zu mancher Stund.

Den Zweien gab sie zu Solde

Wohl zwanzig Mark von Golde[146]

Mit Beding, daß die Märe

Von ihnen verhohlen wäre.


Nun daß die Königin Isot

Brangänen in der Todesnoth

Hatte getreu und stet und gut

Und auch an ihrem Sinn und Muth

Untadlig in alleweg erkannt

Und in dem Tiegel rein gebrannt

Und geläutert wie klares Gold,

Seit waren Brangäne und Isold

Im Herzen und im Sinne

So voll Treue und Minne,

Daß sie nicht mehr auf Erden

Konnten geschieden werden.

Sie waren da, die seligen Zwo,

Ihres Muthes und Herzens froh.

Brangäne stand am Hofe wohl,

Der Hof war ihres Lobes voll,

Sie war da werth bei Allen

Und trug Niemanden Gallen,

Im Herzen nicht, noch mit der That.

Sie war da wohlbetrauter Rath

Des Königs und der Königin.

Auch geschah nichts in der Kammer drin,

Das sie nicht mußte wissen;

Auch war sie stets beflissen,

Isolden wohl zu dienen:

So dienete sie ihnen,

Ihr und Tristanden, mit Fleiße.


Dies trieben sie also leise,

Daß Niemand über ihrem Spiel

Auf einen Argwohn je verfiel.

Rede, Gebärde, Märe,

Und was dergleichen wäre,

Nahm ihnen selten Jemand wahr,

Und Keinem träumte, was es war.

Ihnen war sanft und also wohl,

Als zweien Liebenden werden soll,

Denen alles zu jeder Frist

Zu Statten und zu Willen ist.

Da waren allzeit, siehe,

Amis und seine Amie

In der Minne Gejage,

Begannen oft am Tage

Die Augen zu verstricken

Mit inniglichen Blicken

Am Hof und unter Leuten,

Da Blicke sollen deuten

Und Wechselmäre meinen,

Wodurch man sich vereinen

In aller lieben Liebe mag.

Das trieben die Beiden Nacht und Tag,

Und war das ohne Gefährde:

Mit Rede und Gebärde

Waren sie, mochten sie stehen,

Sitzen oder gehen,

Frei, offen und ohne Zagen.

Ihr offenes Betragen,

Und das verstanden sie wundersam,

Begannen sie oft, nachdem es kam,

Mit Klebeworten zu durchweben:

Oft sah man in ihren Mären kleben

Der Minne Werk, aus Worten

Gewirkt, wie Gold in Borten.

Doch Keinem kam's zu Sinne,

Daß da von andrer Minne

In ihnen wirke eine Kraft,

Als einzig von der Magenschaft,

Die da so groß und offenbar

An Marken und Tristanden war.

Mit der verkauften sie da viel

Und brachten hinaus ihr Minnespiel;

Ob solchem Spiel der Minne

Täuschten sie manche Sinne,

Von denen keiner je befand,

Wie es um ihre Liebe stand.

Die war an ihnen rein und gut:

Ihr Beider Sinn, ihr Beider Muth

War Eins in Allem, Ein und Ein,

War Ja und Ja, war Nein und Nein:

Von Ja und Nein, von Nein und Ja,

In Treuen, war nichts zu hören da.

An ihnen war nichts zu scheiden:

Da war nur Eins in Beiden.


Tristan und seine Königin,

So trieben sie lieblich die Stunden hin,

Zuweilen so, zuweilen so:

Sie waren unterweilen froh

Und unterweilen ungemuth,[147]

Wie Liebe zweien Liebenden thut:

Die brauet in ihren Herzen

Das Wohlsein bei dem Schmerzen,

Bei Freude Kummer, bei Wonne Noth.

So Tristan und seine Frau Isot

Ihr Ziel in ihren Dingen

Nicht konnten stets erringen,

Das war ihre Noth: also und so

Waren sie traurig und waren froh.

Auch dieses blieb nicht aus dem Spiel,

Daß Zorn zu ihrer Liebe fiel,

Ich meine Zorn ohn Hassen.

Kann das Jemand nicht fassen,

Daß Zorn je sollte stammen

Aus solchen Herzensflammen,

Fürwahr, da bin ich sicher dran,

Daß Der nie rechte Lieb gewann.

Denn solches ist die Art der Minne:

Damit entflammt sie minnende Sinne,

Damit befeuert sie den Muth:

Denn wie der Zorn viel wehe thut,

So sühnt die Herzen je die Treu,

Da ist die Liebe wieder neu

Und Treue größer denn zuvor.

Doch wie sie wallen im Zorn empor,

Wie sie von selbst zur Sühne kommen,

Das habt ihr wohl schon oft vernommen.

Minnenden dünket gerne,

Die sich nicht wohnen ferne

Und sind sich immer nahe bei,

Daß Jemand anders lieber sei

Und näher liege dem Herzen an,

Und machen aus einem kleinen Wahn

Ein mächtiges Zornfeuer,

Eine Sühne, reich und theuer,

Aus einem kleinen Leide;

Und ist auch gut für Beide

Und soll man's nicht verwehren:

Hievon soll Liebe sich nähren,

Verjüngen und erneuen,

Entzünden an den Treuen.

Die Liebe armet und altet,

Verkühlet und erkaltet,

Wo sie gar nicht im Feuer steht;

Denn so der Zorn an ihr zergeht,

Zuhand so grünet sie auch nicht.

Wenn unter Freunden je ausbricht

Ein Zörnlein irgend, sehet hin,

So ist Treue je die Sühnerin

Aufs Frische und aufs Neue.

Dies erneuet die Treue,

Dies läutert die Liebe gleichwie Gold.


So trieben Tristan und Isold

Mit Lieb und Leid die Stunden hin:

Lieb und Leid hielt ihren Sinn

Frisch und in steter Unmüßigkeit:

Lieb mein ich ohne Herzeleid.

Noch wußten sie nichts Beide

Von solchem Herzeleide

Und nichts von solcher Jammernoth,

Die da mit Tod dem Herzen droht.

Auch bargen sie so Lieb als Leid

Und verhahlen ihre Heimlichkeit

Mit Augen und mit Munde

Und trieben das manche Stunde.

Sie waren Beide hochgemuth,

Ihr Muth war frei und immer gut.

Die Königin Isolde,

Die war so werth und holde

Bei den Leuten und in den Landen;

Auch sagten von Tristanden

Alle zusammen, Leut und Land:

Er war bekannt und viel genannt,

Gefürchtet ohne Gleichen

In beiden Königreichen.

Quelle:
Gottfried von Straßburg: Tristan und Isolde. Stuttgart 1877, S. 141-148.
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