Dreizehntes Kapitel

[211] Von Haushaltungsnöten und daherigen Stimmungen


Vreneli ward das Leben wirklich schwer. Sie hatten zu allem Verdruß im Inwendigen auch nach außen nicht Glück gehabt. Es war nicht eigentlich Mißwachs, aber ein mager Jahr, wo es wenig zu verkaufen gab. Das sogenannte Beiwerk fiel größtenteils weg; der Lewat geriet nicht, der Flachs war nicht gut, Obst gab es keins, hinter den Kartoffeln waren die Käfer, das Gras war nicht melchig, das heißt die Kühe gaben wenig Milch dabei, es hatte zu viel geregnet, das Korn war gefallen, brandig, gab wenig aus in der Tenne; das Geld im Schranke wollte sich nicht mehren, die Kasten im Speicher sich nicht füllen, es füllte sich nichts als Ulis Seele mit Ungeduld und Mißmut und Vrenelis Seele mit Wehmut.

Vreneli hatte, wie wir wissen, aristokratisches Blut in seinen Adern und einen nobeln Sinn, wie er einer wahren Bäuerin so wohl ansteht und ihr eine Bedeutung im Volksleben gibt, welche selten ein Mann erringt. Drei Dinge hat so[211] eine Bäuerin: einen verständigen Sinn, einen goldenen Mund und eine offene Hand. Ein gut, mild Wort tut einem armen Weibe, welches nur an Schelten und harte Worte gewöhnt ist, viel besser als eine schöne Gabe, und ein verständiger Rat ist oft weit nötiger als ein reiches Almosen. So ein »Chumm mr zHülf« in aller Not ist ein Posten, der weder erschlichen noch ererbt werden kann, er wird aus freier Wahl nach Verdienst vergeben. So war es auch Vreneli allmählich gegangen. Die Weiber der Tagelöhner, anderer Arbeiter usw. hatten sich ihm allmählich zugewandt, da es häufiger mit ihnen in Verkehr kam als die Mutter, auch rüstiger Hand bieten konnte an einem Krankenlager oder wenn eine Kindbetterin in Nöten war. Begreiflich nahm dieses Amt etwas Zeit hinweg und noch allerlei anderes, wenn man zum Beispiel im Küchenschrank einer Wöchnerin nicht so viel fand, um eine stockblinde Suppe zu machen, und im ganzen Häuschen kein Hüdelchen groß genug, den kleinen Staatsbürger darein zu wickeln.

Seit der ersten Ernte hatte Uli nicht viel mehr gesagt. Vreneli nahm sich in acht, tat verständig, das heißt nicht reicher, als sie waren, schonte Uli bestmöglichst und suchte ihm doch wirklich nichts geflissentlich zu verbergen. Es gibt nicht leicht was Schlimmeres, als wenn die Weiber sich gewöhnen, des Mannes Rücken lieber zu sehen als sein Gesicht, als ihren besten Freund, der ihnen nichts ausplaudert. Nun aber, da das Jahr ein mageres war, wenn auch kein eigentlich Fehljahr, die Brünnlein alle versiegt schienen oder spärlich flossen, ward Uli ängstlich. Wird einer aber ängstlich, spitzt er Augen und Ohren, und was er fürchtet, sieht und hört er allüberall. Fürchtet einer das Feuer, so riecht er allenthalben Rauch, hört Flammengeknister, träumt vom Verbrennen. Fürchtet einer Gespenster, so kriechen ihm solche aus allen Gräbern nach, gucken durch alle Zäune, reißen ihm regelmäßig[212] alle Nächte das Deckbett vom Leibe. Wird einer mit der Eifersucht behaftet, fürchtet, seine Frau kriege die Untreue, so wird ihm alles gefährlich, Katzen, Spatzen und Zaunstecken, und sieht er eine Mannsperson durchs Fernrohr, greift er nach Säbel und Pistolen und schreit: »Jetzt weiß ichs und habs endlich klar, und jetzt muß mir der Donner erschossen sein; hilft es dann nicht, so schlage ich ihm mit dem Säbel Kopf und Beine ab, und wenn das noch nicht hilft, vergrabe ich den Hund schließlich lebendig«. Nun ward es Uli nicht angst ums Reichwerden, sondern angst vor dem Armwerden, und da ward es ihm, als helfe alles dazu, als habe die ganze Welt sich verschworen, ihn um alles zu bringen. Auf alles guckte er und allem sah er nach, alles, was gebraucht wurde, biß ihn, und was fortgetragen wurde, ging durch seine Seele. Uli hatte ein nicht ganz so beschränktes Hirn als Mädi, aber wenn ihn was recht erfaßte, ward er immer so eintönig, nur eines und immer das Gleiche klang in ihm nach.

Jetzt fiel ihm Vrenelis Ehrenamt spitzig in die Augen. »Du kannst geben, bis wir selbst nichts mehr haben, sieh dann zu, wer dir geben wird. Die und die ist abermal eine ganze Stunde bei dir gestanden, hat nichts getan und dich versäumt. Wundern muß man sich nicht, daß es so arme Leute gibt. Wie sollte es anders kommen, wenn die Weiber ganze Tage herumstehn und nichts tun! Lieber wäre es mir, es ginge uns nicht auch so. Was doch das für eine verfluchte Unvernunft ist, wenn eine sieht, daß man alle Hände voll zu tun hat, und dann einem vor der Nase steht, daß man nicht vom Platz kann. Ich begreife nicht, wie du ihnen zuhören magst. Es dünkt mich, es sollte dir dabei himmelangst werden. Den Verstand könntest du ihnen machen, wenn sie ihn nicht selbst haben: du hättest nicht Zeit, ihrem Geklatsch zuzuhören, du hättest Schweine, welche gefüttert werden,[213] und Menschen, welche arbeiten müßten und essen wollten zu rechter Zeit.« Umsonst entschuldigte sich Vreneli, es hätte dabei nichts versäumt, sondern immer zugeschafft und aufs Essen hätte niemand warten müssen, weder Menschen noch Schweine. Umsonst entschuldigte Vreneli die armen Weiber damit, sie hätten ihns um Rat gefragt oder es tue ihnen so wohl, ihr Elend klagen zu können. Wenn jemand ihnen freundlich zuhöre, so leichtere es ihnen wenigstens um die Hälfte. Umsonst entschuldigte Vreneli die Gaben, dieweil sie nur so klein seien; wenn sie es ohne die nicht machen könnten, so sei es bös bestellt mit ihnen, und wenn sie Gottes Gnade und Hilfe so nötig hätten, so seien sie doch um so mehr schuldig, zu tun nach seinem Wort und Befehl. Er solle doch nur denken an der armen Witwen Scherflein im Gotteskasten. Umsonst war das alles, Ulis Augen wurden immer spitziger, sein Ärger beim kleinsten Anlasse größer.

Vreneli hielt seine Kinder sorgfältig, wie ein Mädchen seine Blumen, reinlich mußten sie ihm sein um und um. Narrenzeug mochte es für sein Leben nichts an ihnen leiden. Es hatte nicht Augen wie so manche Mutter, welche nicht Farben genug an ihrem Kinde anbringen kann und es am schönsten findet, wenn dasselbe Dinger am Leibe hat, wie sie niemand hat, und grelle, glitzernde, die in allen Gassen schreien und haben doch keine Zunge im Munde. Nun hatte zum Beispiel der Wirt oder dessen Frau dem Johannesli ein Ungeheuer von Turban geschenkt, hochrot von Farbe, mit blauem Borde, eine Elle hoch, oben eine Elle breit, mit Ohrenlappen, groß wie die Blatten an einem Pferdekommet, und einem handbreiten gelben Bande, ihn unter dem Kinn zu binden. Das arme Kind sah darin aus wie ein Zwerg in einer Grenadiermütze oder ein klein Spätzlein, welchem man einen großen Hahnenkamm aufs Köpflein gepflanzt. Vreneli konnte es nicht übers Herz bringen, das Bübchen in das Ungetüm[214] zu stecken. Aus einem Kinde eine Vogelscheuche zu machen, sei eine Sünde, sagte es, so was könne einem Kinde sein Lebtag nachgehen. Wer ein Kind so spöttisch verpuppt gesehen, der erinnere sich daran, wenn das Kind ihm längst erwachsen vor die Augen komme, nehme es für dumm und lächerlich und gewöhne sich mit Mühe daran, die Sünden der Eltern zu vergessen und das verständig gewordene Kind als verständig anzunehmen. Vreneli kaufte dem Bürschchen ein klein Käpplein, wohlfeil und doch schön, und was will man mehr? Darüber ward Uli auch wieder sehr böse. Unnütz Geld auszugeben sollte man sich hüten in solchen Umständen, sagte er. Es werde sehen, wie weit man komme damit, aber dann werde es zu spät sein. Die Hoffart habe reichere Leute auf die Gasse gebracht, und dümmer sei nichts, als vorstellen zu wollen, was man nicht sei, was man erst mit Mühe und Not werden könne. Übrigens begreife er nicht, was ihm an der Kappe nicht recht sei, ihm gefalle sie und zwar besser als die, für welche es Geld verschleudert. Es sei aber nur Weiberwunderlichkeit; weil es die Wirtin hasse, so gefalle ihm nichts, was von ihr komme. So eine Wirtin, welche an einer Straße wohne, wo alle Tage Herrschaften vorbeiführen, Engeländer und Huttwyler, werde doch wohl besser wissen, was schön sei und Mode, als so eine Pächtersfrau, welche jahraus jahrein niemand sehe als die Eierfrau, den Hühnerträger und zuweilen einen Lumpensammler. Und daß es das Bübli nur den – er wußte selbst nicht, wie er dem roten Turm sagen sollte – tragen lasse! Wenn die Wirtin mal käme und das Kind hätte ihn nicht auf dem Kopfe, so hätte sie es ungern und meinte, man schätzte ihn nicht.

Uli hatte für derlei Dinge durchaus keinen Sinn. Was nichts kostete, gefiel ihm am besten, daneben dann, was so recht buntscheckigt war, so recht himmelschreiend. Er meinte auch, für Kinder sei gleich alles gut, und je weniger man an[215] sie wende an Zeit und Kleidern, desto besser kämen sie fort, desto weniger ungezogen würden sie, an desto weniger gewöhnten sie sich. Uli dachte nicht daran, daß keine Zeit kostbarer angewendet wird als die, welche man an das Reinigen der Kinder wendet, und daß keine versäumte Zeit sich schwerer rächt als die, welche man zu wenig dazu braucht. Der Landmann mistet fleißig, wäscht den Schweinen den ganzen Leib, den Pferden Schwänze und Fuße usw., und der gleiche Landmann läßt seine Kinder in nassen Betten liegen und tut, als ob jeder Tropfen Wasser Champagner wäre, den man bekanntlich nicht alle Tage braucht. Ja es gibt Leute, welche ihr Lebtag nie am ganzen Leibe gewaschen wurden als am Tage ihrer Geburt, diese Waschung hielts dann bis zum Tage des Todes, war eine währschafte. Er dachte ferner nicht daran, daß die Art, wie ein Kind gekleidet wird in der Jugend, ihm gerne nachgeht im Leben, und Kleider machen ja Leute. Es gibt nicht bloß Familien, sondern ganze Geschlechter bis ins dritte und vierte Glied, welche ihr Lebtag ungewaschen scheinen, alle Kleider an ihnen schmutzig, ja Leib und Seele schmutzig, sie mögen sich gebärden, kleiden, so kostbar sie wollen. Wir glauben, Demanten würden auf ihren Personen den Glanz verlieren und Farbe kriegen wie abgestandener Froschlaich. Wenn sie auch vornehm werden, diese abgestandenen Gesichter, und nach Seife und Pomade langen, erst im dritten und vierten Glied fängt man an zu merken, daß da was Ungewöhnliches in Gebrauch gekommen. Uli gehörte nicht zu diesem Schmutzgüggelgeschlecht, er war im Gegenteil, er mochte machen was er wollte, immer sauber anzusehen, aber er war von Natur so und wußte nicht, wie schnell man in die Familie der Schmutzgüggel geraten kann.

Je mehr Mädi aus dem Häuschen kam, desto mehr kam an Vreneli. Viel machen macht sich noch, aber viel machen und[216] nicht das Rechte machen und daher nicht genug schaffen können, das ist hart und drückt schwer aufs Herz, besonders wenn man noch was unter dem Herzen hat. Auch am Essen mäkelte er, es war ihm nicht mehr recht. Es klagen gar viele Weiber, sie könnten es ihren Männern nicht gut genug geben; das ist von den Weibern dumm, sobald ihnen die Männer Geld genug geben und Geld dafür da ist. Lernen sie halt besser kochen, nehmen sie sich die Mühe nachzusehen, ob was in der Küche ist, und nachzudenken zu rechter Zeit und nicht erst, wenn es auf den Tisch sollte, was sie in die Küche geben, so wird das Ding sich wohl machen, der Mann müßte denn gar ein Unflat sein. Aber wenn die Frau es zu gut gibt, schlechter geben soll, als es sich mit ihrem Gewissen verträgt, weil sie denkt, Dienstboten seien doch eigentlich, genau genommen, keine Hunde, wenn sie zehn und mehr Jahre gekocht mit Verstand und zur Zufriedenheit, und auf einmal ists nicht mehr recht, sie sollte es mit dem Halben machen und hat doch gleich viel Mäuler zu sättigen oder noch mehr (denn je schlechtere Arbeiter man hat, desto mehr muß man ihrer haben, und schlechte Arbeiter essen zumeist mehr als gute), dann ists böse, denn es ist nichts böser, als wenn man mit Bewußtsein und wider Willen unverständig handeln soll. Es ist wohl nichts dümmer auf der Welt, als wenn man zu schlecht zu essen gibt und es besser geben könnte. Es ist dumm und schlecht, wenn man es der eigenen Familie zu schlecht gibt, da wachsen keine Kräfte nach, die Kinder müssen es oft büßen lebenslang, hat ähnliche Folgen, wie wenn man das Land, den Boden ermagern läßt. Es ist aber noch viel dümmer, wenn man fremde Leute zu schlecht hält; erstlich wird man tapfer verbrüllet, und zweitens stehlen sie wieder an der Arbeit ab, was man ihnen am Essen abstiehlt, das fehlt nicht. Das Sprüchwort »Eine Hand wäscht die andere« erwahrt sich wohl nirgends unfehlbarer als hier.[217]

Es ist sonderbar, wie Menschen in einfachen Dingen so wunderliche Augen oder Gedanken haben können. Uli wollte es nicht schlecht geben, aber minder gut. Ihm möge es eine große Summe bringen im Jahr, die Andern merkten es nicht oder hätten jedenfalls nicht weniger, meinte er. Der gute Uli hatte vergessen, wie feine Nasen die dümmsten Dienstboten in dieser Beziehung haben und wie hoch sie den geringsten Abbruch anschlagen, er dachte jetzt so wenig daran als früher an der Ernte, denn es sind gar viele Leute, welche meinen, sie alleine hätten ein Hirn zum Merken und eine Nase zum Riechen.

Vreneli war übel daran. Diese Zumutungen alle waren nicht in einem Tage zu übersehn, sondern sie wurden alle Tage neu, sollten die Regel für das Tägliche werden, und Vreneli konnte sie wirklich nicht erfüllen, wenn es des Hauses Bestes im Auge hatte, konnte nicht denken: Meinethalben, wenn er es so haben will, so habe er es, es ist seine Sache. Es redete mit der Base. Die Base riet, leise zu tun, nicht viel zu widerreden, und wenn es geredet sein müßte, ohne Hitz, mit Liebe. »Vorschreiben wird er dir nicht, wie viel Butter oder Schmalz du ins Gemüse tun sollst und wieviel Kaffeepulver in die Kanne, wird dir weder die Eier nachzählen noch das Mehl kellenweise messen; so kannst du immer das rechte Maß halten, wie du es vor Gott und Menschen zu verantworten meinst. Verliere den Mut nicht, sonst ist alles verloren. Laß dich auch nicht unterdrücken in Gram und Sorgen, daß du lauter trübselige Gesichter machst und lauter maßleidige Worte von dir gibst. Dann hat es auch gefehlt. Ich meine nicht, du sollest jubilieren wie ein Hagspatz oder ein Buchfink, das klänge wie Trotz und würde Uli ärgern; aber freundlich sollst du sein, lieblich fragen und antworten, kein bös Wort aus deinem Munde lassen. Sieh, in solcher Trübsal sollte die Frau immer die Haussonne vorstellen. Du weißt ja, wie wohl[218] einem Kranken, welcher das Fieber hat oder die Auszehrung, die Sonne tut, wie er sich gestärkt fühlt und halb gesund, wenn er eine Stunde daran gesessen ist. So geht es auch einem Menschen, der an der Seele krank ist und das Bessere in ihm die Auszehrung hat; Freundlichkeit und gute Worte tun ihm doch wohl, sie alleine vermögen zu erhalten das Bessere, bringen wieder gute Stunden, mildes Hauswetter, die vergangene Traulichkeit, habe das vielhundertmal erfahren. Ich sagte Joggeli wohl harte Worte, so hart, wie er sie ertragen mochte, aber waren sie gesagt, so wars vorbei. Ich gab guten Bescheid, zeigte guten Mut, dann war er auch wohl dabei und froh, mit mir ein vertraulich Wort reden zu dürfen. Das machte, daß er mir nicht von Hause schlug und ich immer wußte, was er tat und wollte. Mag einer die Freundlichkeit nicht mehr ertragen, macht sie ihn nur böser oder flieht er sie, dann steht es schlecht, dann hat seine Seele die beste Handhabe verloren, und zumeist schlägt er auch von Hause.«

Die Weiber mögen urteilen, ob der Rat der Base richtig oder unrichtig war; Vreneli glaubte daran und versuchte ihn, wenn er auch schwer war in seiner Ausführung. Das Andauernde, Stätige ist viel schwerer als einzelne Heldentaten, oft Früchte flüchtiger Aufwallungen. Schwer ists, immer liebenswürdig zu bleiben, wenn das Herz voll Leid und Kummer ist. Man stoße sich nicht etwa am Worte liebenswürdig; wir halten dafür, Weib sei Weib, stehe es am Herde oder im Tanzsaale, manöveriere es im Salon oder vor dem Schweinestall, und meinen, es könne und solle allerwärts wahrhaft liebenswürdig sein. Denn die wahre Liebenswürdigkeit hängt nicht am seidenen Kleide oder an himmlisch gekämmten Haaren, sondern am Herzen, welches sich auf einem freundlichen Gesichte spiegelt. Man halte es auch nicht für Heuchelei, wenn man ein freundlich Gesicht mache, während das Herz voll Leid und Kummer ist. Leid und Kummer[219] sind Zustände, welche man immer zu überwältigen, ihr Weitergreifen zu verhindern hat. Jeder Zoll Haut, welche man von ihnen befreit, ist großer Gewinn. Gewinnt man ihnen gegenüber ein ganz freundliches, gesundes Gesicht ab, so hat man nicht bloß ihnen etwas abgenommen, sondern man hat eine Macht gegen sie gewonnen. Denn solange man ein freundlich Gesicht macht, fühlt man Leid und Kummer weniger, sie verlieren ihre Schärfe, milder wird ihr Schmerz. Und die Kraft, welche man zu einem freundlichen Gesichte braucht, ist ja eben auch die Kraft, welche Kummer und Leid verzehrt, welche zu der Stärke führt, welche spricht: Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen, der Name des Herrn sei gelobt! Kömmt einmal der Mensch dazu, diese Kraft zu suchen und zu versuchen, dann ist das Bessere in ihm erwacht, der erste Schritt zur Genesung getan.

Nun ist auf der Welt nichts vollkommen, vor allem alle Anfänge nicht, und nichts Böses weicht aus dem Menschen ohne den hartnäckigsten Widerstand. Es geschah Vreneli, daß das zurückgepreßte Weh unwillkürlich ausbrach, daß es weinen mußte die hellen Tränen, es mochte wollen oder nicht. Dann machte es, wie es sein soll, den Pfarrer und versuchte sich selbst tapfer abzukanzeln, daß es so nötlich tue. Es sei ihnen doch eigentlich gar kein Unglück begegnet, kein Kind sei ihnen gestorben, keine Krankheit habe sie geschlagen, Not sei keine da, wenn auch das Jahr ein ungünstiges sei; das wisse man ja zum voraus und müsse sich darauf gefaßt machen, daß gute Jahre mit bösen wechseln, und sie vermöchten es doch zu ertragen, Rückstände hätten sie ja keine, sondern Geld im Vorrat. Und wenn sie schon Verdruß von den Dienstboten hätten, so sei das allerwärts, wo man solche habe, das sei nicht wohl anders zu machen, in einem andern Jahr sei es vielleicht besser.

Aber es ging Vreneli mit seinem Predigen, wie es vielen[220] andern Pfarrern auch geht; wie schön und richtig es auch predigte, es wollte doch nicht anschlagen, der böse Feind nicht weichen. So sei es wohl, sagte der Teil in ihm, welcher nicht den Pfarrer machte, aber es könne in Gottes Namen nicht helfen. Nicht Geld und Not liege ihm im Herzen, sondern was ganz anderes, es könne fast nicht sagen was. Aber es sei nicht mehr wie ehedem, es sei, als tappten sie im Nebel, wüßten nicht mehr Steg und Weg und fänden ihn nimmermehr. Wie man in einen bösen Luft kommen könne, man geschwollen werde über und über, daß man die Augen nicht mehr sehe, so müßte auch an sie ein böser Luft gekommen sein, aber an ihre Seelen, daß sie einander selbst nicht mehr kennten, und seien sie doch Mann und Frau. Dann liege ihm so schwer auf dem Herzen ein Bangen, es wisse nicht vor was, aber vor einem großen Unglück. Es sei ihm, als stehe vor ihm eine große schwarze Wolke und in der Wolke ein grausig Etwas, es wisse nicht was, aber es erwarte mit Zittern und Beben, daß es herausfahre und ihns verschlinge und alles alles mit. Dieses Weinen, Predigen, Bangen versteckte Vreneli bestmöglichst vor allen, aber am Neujahrstage vermochte es dieses nicht, die Brunnen der Tiefe brachen unwillkürlich auf. Wie der liebe Gott größere und kleinere Lichter gemacht hat am Himmel, welche Tag und Nacht regieren und die Jahre zumessen den Menschenkindern, so hat er auch diesen Menschenkindern ein Gefühl in die Seele gelegt, welches die schwindenden Tage mit Bangen zählt und mit Zagen jedes neu zugemessene Jahr betrittet; denn am Ende der Tage ist der Tod, und im neu angetretenen Jahre kann man treten auf diesen Tod. Es ist überhaupt jedes Jahr, welches kömmt mit seinen 365 Tagen, eine dunkle Wolke, schwanger mit Tod und Not, mit Freude und Lust. Wie diese Wolke tritt in die Zeit hinein, wird es lebendig in ihrem Schoße; die Wolke glüht, speit Blitze aus, zahllos, ununterbrochen, blitzt ins ohnmächtige[221] Menschengeschlecht hinein Not und Tod, Lust und Freude, Millionen fallen, Millionen weinen, Millionen jauchzen auf, verstummen wieder, wenn von entgegengesetzter Seite her millionenfacher Jubel schallt.

Als nun früh am Neujahrsmorgen Vreneli erwachte, berührt sich fühlte von der schwarzen Wolke Rand, war es ihm, als höre es das Schmieden der Blitze, welche fahren sollten durch sein Herz, es füllen mit Not und Tod. Ein unendlich Bangen ergriff ihns, ein unaussprechlich Weh, in lautes Schluchzen brach es unwiderstehlich aus. Uli erwachte darob, fragte bestürzt: »Vreneli, was hast, was fehlt« Lauter noch schluchzte Vreneli, aber Worte fand es nicht. Uli ward angst, er wollte Licht machen, wollte nach Hoffmannstropfen gehen, endlich konnte Vreneli sagen: »Ach, Uli, mein Uli, es ist mir so bang, so angst, aber Tropfen helfen nichts. Es ist nicht mehr wie ehemals, die böse Welt kam über uns und zwischen uns, und mir ists, als stehe vor uns ein groß groß Unglück; noch ist Nacht darum, ich höre wohl sein Schnauben, aber seine Gestalt sehe ich nicht. Wie soll das gehen, wie wollen wir es ertragen, wenn wir einander nicht mehr verstehen, du so mißtrauisch, so unzufrieden bist mit mir, allen Andern mehr glaubst als mir Ach Uli, mein Uli, das dauert mich so sehr, drückt mir fast das Herz ab.« Uli war nicht hart, stieß das sich öffnende Herz nicht wieder zu, und warum? Weil Vreneli nicht alle Tage jammerte, weil dieser unwillkürliche Ausbruch der erste dieser Art war, welchen Uli erlebte. Wer alle Tage Pillen schlucken muß, den widern sie entweder so an, daß er das Gesicht jämmerlich verzieht oder kaltblütig schluckt, als ob es gewöhnliche Brotkügelchen wären. Uli war auf eine gewisse Weise freudig erschrocken. Er hatte Vrenelis Freundlichkeit nicht begriffen, sie nicht selten für Gleichgültigkeit, Leichtsinn oder gar Bosheit genommen.

Es geht so, wenn man nicht alle Tage zusammen ein traulich[222] Wort spricht oder nicht in einem Höhern den Einklang findet. Es geht so in der Richtung dieser Zeit, wo jeder Lümmel jeden, der nicht in sein Horn bläst, nicht bloß für einen Esel, sondern für seinen Todfeind hält, in der Richtung dieser Zeit, wo der dreckigste Kuhjunge oder der vierschrötigste Bärenwirt mit Dolch und Pistolen umherfährt und jeden ersticht und dann erschießt, der nicht Gax nachsagt, wenn er Gix vorgesagt; es geht so bei der zunehmenden Dummheit, welche man für Weisheit hält, welche aber nichts ist als die eintönigste Janitscharenmusik, verbunden mit Spießen, Hängen und Kopfrunter, wenn einer einen Ton fehlt. Es reißt eine Intoleranz ein, gegen welche die der Pharisäer ein Liebkosen war, welche alle Gebärden der französischen Revolutionsmänner nachäfft. Es ist aber kurios, wenn mal dieser Wind weht, man heißt ihn den Zeitgeist, so wird alles davon ergriffen mehr oder weniger, jeder in seinem Verhältnis. Wer hat schon einen großen Wirbel in einem Flusse gesehen, oder wenn man will einen Wasserfall, den Rheinfall zum Beispiel? Da kommen die Wasser angezogen, klar, ruhig, majestätisch. Wie sie in Bereich des Wirbels kommen, werden sie unruhig, verlassen den natürlichen Lauf, müssen in den Wirbel hin, ein, müssen schäumen, sich drehen, müssen auf den Grund. Allmählich löst sich der Zwang, sie werden frei, ziehen weiter, aber noch schäumend, kochend, bis allmählich die Ruhe wiederkehrt, der feierliche Gang, die majestätische Haltung. Solche Wirbel sind auch im Strome der Zeiten, und wenn der Mensch je als Tropfen eines Meers erscheint, so ist es im Zwange dieser Wirbel, und dieser Zwang herrscht nicht bloß in der Mitte der Strömung, wo die hohen Häupter schwimmen, die sogenannten Lichter des Jahrhunderts. Ach nein, und dieses ist eben das Erbärmliche und Demütigende: ins gleiche Loch werden gewirbelt die Größten, die Kuhjungen, die Irländer, die Waadtländer und Hausväter, welchen die[223] Weiber nicht Gix nachsagen wollen, wenn sie Gax vorgesagt, und Hausweiber, welche Zeter schreien, wenn der Mann nicht alle anspuckt, welche ihns angrännen.

Um Politik bekümmerte sich nun Uli nichts, aber der Wirbel hatte ihn doch erfaßt, der Wirt hatte die Verbindung vermittelt. Darum war er diesmal um so teilnehmender und meinte: »Jä, ja lueg, es ist mir auch schon lange bange und es freut mich, daß es dir auch kömmt.« Nun mußte Vreneli freilich sich erläutern, und das ist nicht leicht bei solchen Umständen und bedarf einer zarten Hand. Indessen diese hatte Vreneli, und indem es Ulis Bangen nicht schnöde und radikal zurückwies, sondern in seinem Werte gelten ließ, fand es auch mehr oder weniger Geltung für das seine, fand ein schönes Neujahrkindlein, fand eine freundliche Verständigung, hatte einen milden Tag, und doch wollte die Beklommenheit nicht von ihm weichen, das Weinen war ihm immer zuvorderst. Es war ihm, als sollte es von jemand Abschied nehmen, und wußte nicht von wem. Hatte es das kleine Vreneli auf dem Schoße, so meinte es, es gelte dem, und küßte es, bis auch ihm das Weinen kam. Hatte es den Johannes, so war es ihm ebenso und es machte es ihm gleich. Es ging ihm mit der Base so, ließ sie aber nicht, bis Beide die hellen Tränen weinten und die Base endlich sagte: »Nimm dich zusammen und tue es aus dem Kopf! Du machst mir sonst Angst, solches bedeutet manchmal etwas und manchmal nichts, aber was nützt es, wenn man vorher so ängstet und sich grämt? An der Sache macht man doch nichts. Am besten ists immer, man sei zweg auf alles und nehme unterdessen, was kömmt, mit Dank. Komm, ich habe ein Kaffee zweg, nimm ein Kacheli, es bessert dir dann ums Herz.« Es ist wohl nichts auf der Welt und von der Welt, was einem Weibsbilde so wohl macht und so guten Trost gibt, als ein Kacheli guten Kaffee.[224]

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 2, Zürich 1978, S. 211-225.
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