Zwölftes Kapitel

[190] Dienstbotenelend


Anfangs war Uli mit seinem Dienstbotenpersonal so übel nicht zufrieden gewesen. Er glaube, er habe es getroffen, es gehe besser als im letzten Jahre, sagte er zu Vreneli. »Rühme nicht zu früh,« sagte Vreneli, »neue Besen kehren gut.« Natürlich plumpst so ein neuer Knecht oder eine neue Magd, welche zur zweiten Abteilung der dritten Klasse gehören, nicht so mit allen Lastern zur Türe herein. Der Knecht macht ein Sonntagsgesicht und stellt sich gut nach Vermögen, teils will er ein gutes Vorurteil für sich erwerben, teils muß er doch erst die Gelegenheit erkundschaften, die Faden suchen, sein alt Leben am neuen Orte anzuknüpfen. Zudem mag in Manchem wirklich der Sinn sich regen, anders tun wäre besser, so komme es am Ende doch nicht gut. An einem neuen Orte, wo die alten Gefährten, die alten Gelegenheiten fehlten, er das Auslachen nicht zu fürchten hätte, ließe es sich schon tun. Er nimmt sich zusammen, tut gut einige Wochen, bis der Teufel ihm nachgeschlichen ist, ihn wieder gefunden, neue Gelegenheit bereitet hat, die Begierden im Leibe recht gierig und hungrig geworden sind; da geht es wieder los, und der neue Besen ist handkehrum zum alten geworden.

Das erfuhr Uli allgemach. Uli haßte das Rauchen in der Scheuer und bei der Arbeit. Auf die Mahnung des Bodenbauers hatte er es sich nach und nach abgewöhnt und sich sehr wohl dabei befunden; jetzt, da er Meister war, begriff er erst recht, wie lästig und unangenehm dasselbe einem Meister ist. Wenn man alle Hände voll zu tun hat, jeder versäumte Schritt von so großem Nachteil ist, und gelassen klopfen Knechte und Tagelöhner die Pfeifen aus, stopfen ein, reichen[190] sich gegenseitig den Tabak, versuchen Feuer zu machen, erst mit Zündhölzchen, welche sie in offener Tasche tragen, endlich, wenn das nicht gehen will, mit abgenutztem Feuerzeug, und wenn endlich alle Feuer erhalten, einer wieder spricht: »Du, gib mir wieder Feuer, es ist mir erloschen,« und wenn der endlich hat, ein Zweiter, ein Dritter sagt: »Du, gib mir Feuer, es ist mir erloschen,« was da für angenehme Empfindungen dem Meister in alle Glieder fahren, erfuhr er. Wenn er dazu rauchen sieht um das Heu herum, ins Stroh die Pfeifen ausklopfen, die Zündhölzchen hinwerfen sieht, wo es sich eben trifft, da kömmt zum Ärger die Angst, was aus solchem Leichtsinn werden solle. Wie unendlich viele Häuser sind durch diese Ursachen abgebrannt, von denen man hintendrein sagte, sie seien angezündet worden! Bei einer allfälligen Untersuchung ergeben sich keine Ursachen des Brandes, man nimmt also einfach Brandstiftung an, das ist wirklich das Simpelste. Ein Knecht wird natürlich nicht sagen, er habe beim Heurüsten geraucht, habe Zündhölzchen verloren, er wisse nicht wo, habe die Laterne mit den Fingern geputzt und den glimmenden Docht in den Mist geworfen, der möglicherweise trocken habe sein können. Das alles und noch viel anderes, woraus ein Brand entstehen kann, vernimmt man nicht. Da nun die dickköpfigen Juristen dieses nicht begreifen, auf der andern Seite an keine Wunder glauben, so finden sie, in Erwägung, daß sie sonst nichts wissen, sich veranlaßt, Brandstiftung anzunehmen. Uli haßte also jetzt das Rauchen mehr, als er es früher geliebt, fragte die Knechte, wenn es ums Dingen zu tun war, ob sie rauchten. Wenn einer sagte: Ja, aber nicht daß es ihn zwinge und er meine, es müsse sein; so am Feierabend habe er gerne sein Pfeifchen oder am Sonntage statt eines Schoppens, so sagte Uli: Dawider könne er nichts haben, lieber wärs ihm freilich, es würde gar nicht geschehen. Aber bei der Arbeit und in der Scheune wolle er es durchaus[191] nicht haben, das sage er rundweg. Begreiflich, sagte der Knecht, das verstehe sich von selbst, hatte aber natürlich keinen Augenblick im Sinn, auch also zu tun.

So hatte er es auch mit dem Karrer gehabt und der auch gesagt: »Das versteht sich von selbst.« Nun aber merkte Uli, daß derselbe sein Wort nicht hielt, sondern mehr und mehr bei der Arbeit rauchte, und starken Verdacht hatte er, er rauche auch abends oder morgens, wenn er glaube, der Meister komme nicht dazu, im Stalle. Wenn Uli kam unversehens, sah er natürlich keine Pfeife mehr, und wenn er fragte, wer geraucht habe, er rieche Tabak, so erhielt er zur Antwort, man wisse es nicht, es sei vielleicht jemand rauchend vorübergegangen. Sah er ihn rauchen und mahnte, es wäre ihm lieber, es geschehe nicht, so steckte der Karrer anfangs schweigend die Pfeife in die Tasche, später sagte er, sie sei bald ausgebrannt, endlich meinte er: Oh, ein Pfeifchen werde doch wohl erlaubt sein, er hätte noch keinen Meister angetroffen, der so unvernünftig in der Sache gewesen. Der gute Karrer war durchaus ungebildet, aber er kannte aus Instinkt die Art und Weise, wie man in Gesetz und Ordnung einbricht und am Ende sie mit Füßen tritt. In Friesland dem Meere nach, im Emmental der Emme nach sind Deiche oder Dämme; läßt man in einem solchen Damm ein Mauseloch unverstopft und unverstampft, so kann man darauf zählen, es geht nicht lange, so bricht durch das kleine Löchlein die gewaltige Flut, reißt es auf zu weitem Bruch, bringt Graus und Zerstörung über das dahinter liegende Land.

Es ist wirklich sehr schön, wie es zugeht in der Welt! Erst kommen Mörder, Diebe und sonstige Spitzbuben von allen Sorten und machen in Gesetz und Ordnung die Mauselöcher, dann kommen Richter mir blöden Augen, blödem Verstand und blödem Gewissen und übersehen die Mauselöcher, und hintendrein kommt die Springflut sturmköpfiger[192] Juristen, reißt Gesetz und Ordnung ein, beweist aus der Vernunft, klar wie eine Wurstsuppe, daß Gesetz und Ordnung unvernünftig seien, Hemmschuhe der Humanität und des entschiedenen Fortschrittes, und machen Platz der aufgewühlten Grundsuppe des menschlichen Herzens, der tierischen Begehrlichkeit, welche dem reinen Lichte, welches in schwarzen Wolken den Regenbogen bildet und in der trüben Welt ein tausendfältig Farbenspiel, ähnlich ist. Denn das Tierische im Menschen ist überall im Herzen das gleiche, während es die Welt berührend in hundert und abermal hundert Brechungen schillert, eine schmutziger als die andere. Von der allerschmutzigsten jedoch würde so ein rechter Jurist von der wahren Sorte aus der reinen Vernunft auf das Klarste beweisen, daß sie der reinste Ausdruck des wahren Menschlichen sei, rein wie das reinste ungebrochene Sonnenlicht. Es ist merkwürdig, wie die Resultate der hochgebildetsten Juristen mit dem einfältigen Instinkt eines ungebildeten, rohen Karrers zusammentreffen. Die Extreme berühren sich, sagt ein Sprüchwort; könnte man vielleicht nicht auch sagen, sie fielen in eins zusammen und deckten sich wie gleichschenklige Dreiecke?

Uli verstund das Ding noch nicht so recht, was ihm nicht zu verübeln ist, verstehen es doch dato mancher König und manches Volk nicht. Er wollte nicht der Wüstest sein, nicht noch mehr verbrüllet werden, als er bereits war; er hielt den Karrer nicht einfach an seinem Versprechen, sprach nicht: »Entweder oder, folg oder marsch;« er fürchtete, das könnte inhuman, illiberal geheißen werden. Er verschluckte schrecklichen Zorn, drückte nur hie und da und noch dazu halb verbissen ein zornig Wort hervor, kriegte dazu noch Angst und Bangen. Uli merkte nach und nach auch, daß der Karrer ein förmlicher Trinker war. Im Wirtshause saß er nicht viel, die Glungge stund abhanden, und die gnädige Obrigkeit[193] war noch nicht so ungnädig gewesen, dem Glunggenbauer gegen seinen Willen eine obrigkeitliche Zersittlichungsanstalt vor die Fenster zu setzen. Freilich, wenn er mit dem Zug auf der Straße war, kam er selten nüchtern heim. Merkwürdig war, wie er allemal, wenn er einen Stich hatte, mit der Peitsche ganz eigen knallte, so daß Uli von weitem hörte, was Trumpf war, und nachsehen konnte. Aber besonders daheim war er angestochen, roch nach Branntenwein auf Schussesweite, setzte die Beine auseinander und verstellte zu beiden Seiten wie ein Matrose, der drei Jahre hintereinander ununterbrochen zur See gewesen. Uli stellte ihn zur Rede, er möchte doch wissen, was das zu bedeuten hätte. Da begann der Karrer gar wehlich zu wimmern, wie er einer grausamen Krankheit unterworfen sei, Magenkrämpfe sage man ihr. Es sei akkurat die gleiche, an welcher der Bonaparte gestorben. Er hätte gemeint, er müsse sich totkrümmen, kein Doktor habe ihm helfen können. Da sei einmal einer zu ihm gekommen, ganz ungefähr, und habe gesehen, wie er tun müsse, wenn die Krämpfe ihn ankämen. Der habe gesagt, er wolle ihm schon helfen, das seien eben akkurat die gleichen Krämpfe, welche der Bonaparte gehabt, Magenkrebs sage man ihnen. Hätte er es zu rechter Zeit vernommen, so hätte er Roß und Wägeli genommen und wäre zu ihm gefahren; dem hätte er helfen wollen, da wäre er ein reicher Mann geworden. Als er es vernommen, sei er schon tot gewesen, da hätte er begreiflich nichts mehr machen können. »Aber wenn er jemanden helfen könne, so helfe er, und wenn ich wolle, so wolle er mir auch helfen. Was habe ich anders wollen? Wenn ein Mann wie der Bonaparte dran hat sterben müssen, was hatte ich zu erwarten? Ihr, Meister, wißt nicht, was solche Krämpfe bedeuten, wo es einem ist, als hätten zwei Wäschweiber den Magen in den Händen und drehten ihn und drehten ihn, und wenn sie mit den Händen nicht mehr mögen, mit Stöcken, daß[194] man meint, die Seele fahre zum Hirn aus. Ich nahm also das Mittel, es ist starkes Zeug, es gleicht dem Wacholderbranntwein; wenn ich davon nehmen muß, weiß ich oft lange nicht, stehe ich auf dem Kopfe oder auf den Füßen. Aber was sein muß, muß sein, und Ihr werdet es mir nicht verbieten wollen, so unvernünftig war noch kein Meister, bei welchem ich gewesen.« Was sollte Uli machen? Sollte er so unvernünftig sein, wie der Karrer noch Keinen getroffen Er konnte unter Angst und Bangen Tag und Nacht nachsehen, damit kein Unglück geschehe und er eine Gelegenheit finde, den Kerl fortzujagen, ohne ihm den ganzen Jahrlohn bezahlen zu müssen.

Während Uli mit dem Karrer seine Nöten hatte und sie seiner Frau nicht merken lassen durfte in zusammenhängender Rede, höchstens in einzelnen Ausrufungen, stund Vreneli andere Qualen aus und mochte sie Uli auch nicht klagen; es fürchtete, nicht Glauben zu finden, weil es nicht Beweise hatte. Es suchte welche. Vreneli merkte nämlich, daß etwas geschehen müsse im Stalle mit der Milch. Es schien ihm, es werde nicht gemolken wie sonst. Es wollten ferner im angehenden Frühjahr die Hühner nicht legen, wie man es sonst gewohnt war. Es konnte nicht recht glauben, daß sie ihre Natur geändert und zu dem Korps sich geschlagen, welches nur fressen will und nichts dafür tun.

Vreneli war eine von den Hausfrauen, welche nicht mißtrauisch sind, aber es im Gefühl haben, wenn etwas nebenausgeht. Sie haben die zweite Art von Instinkt, welcher nicht sowohl angeboren als von Jugend auf angewöhnt wird, eben wenn man von Jugend auf bei einer Sache ist. Es warf natürlich sein Auge auf den Melker, Mädi, seine Adjutantin, unterstützte es getreulich, aber sie konnten nichts erkunden. Der Melker war eine bequeme Natur, machte nicht mehr, als er müßte, und tat so liederlich er durfte, ohne ausgescholten zu werden. Aber er war nicht undienstfertig, brauchte gute[195] Worte, kurz er hatte etwas, welches namentlich dem Weibervolk gar nicht unangenehm ist. Er war oft nachts nicht da, heim, doch am Morgen zumeist zu rechter Zeit da, so daß weiter nicht viel gesagt werden konnte. Man mußte es als eine Unart betrachten, welche leider noch Viele haben. Da der Melker unschuldig schien, die Hühner aber wie verhexet, begann Vreneli Verdacht auf Marder oder auf Katzen, welche zuweilen auch Eierliebhaber sind, zu werfen, obschon man keine Schalen fand. Es war stark die Rede von Beizen, Fallenstellen usw. Da solche Maßregeln zumeist lange in Rede stehen, ehe sie zur Ausführung kommen, werden sie oft durch etwas Unvorhergesehenes ganz überflüssig gemacht.

Wie gewohnt, kam einmal die Eierfrau und hätte gerne eine mächtige Ladung Eier gekauft für einen Bäcker, welcher das Backwerk zu einer großen Hochzeit zu liefern hatte. Vreneli konnte wenige geben und klagte seine Not. Wenn es an Hexen glaubte und eine in der Nähe wüßte, so müßte es jetzt glauben, daß man es den Hühnern antun und das Legen verhalten könnte. Da meinte die Eierfrau: Vielleicht daß sie ihm über den Marder, welcher seine Eier fresse, kommen könne, oder über die Hexe, welche das Legen verhalte. Sie hätte einen Ton gehört, wenn was dran sei, so würde der Marder sich bald finden. Vielleicht daß sie ihm schon das nächste Mal Bericht geben könne. Mehreres wollte sie durchaus nicht sagen. Gar lange ging es nicht, so kam sie wider und zwar mit einem Gesicht, welchem man es von ferne ansah, hinter dem stecke eine wichtige Botschaft. »Hör« sagte sie zu Vreneli, »ich kann dir drauf helfen, aber bei Leib und Leben verrat mich nicht.« Nachdem das Versprechen in bestmöglicher Form abgelegt war, rückte sie aus: Drüben im Mühlengraben stehe ein Häuschen am Walde, man könne dazu und davon, es sehe es kaum ein Mensch. Dort sei nach dem Neujahr ein Mensch eingezogen, angeblich eine Wollenspinnerin, aber[196] sie sei die meiste Zeit daheim, mit Arbeit viel verdienen werde sie nicht. Doch lebe sie gut. Es rieche manchmal so gut ums Häuschen, als ob Engländer da wohnten mit einem vornehmen Koch. Pfannkuchen, Eierbrot und dergleichen könne man alle Tage riechen, und Kaffee mache das Mensch des Tags wenigstens dreimal. Lange habe man geglaubt, es trinke ihn schwarz, denn es kaufe selten für einen Kreuzer Milch und wo es die Eier hernehme, habe man lange nicht begriffen. Hühner habe das Mensch keine, herbeitragen hätte man auch keine gesehen. Die Leute hätten bald geglaubt, es lege sie selbst, und hätten ihm das gerne abgelernt, denn kommode wärs; für eine Hexe hätte es ihnen wohl jung geschienen und zu wenig Runzeln an den Backen gehabt und Kröpfe am Hals. Nicht daß es gar jung und hübsch sei, aber ein appetitlich Weibervolk, eine muntere Witwe im besten Alter, wie sie am liederlichsten seien. Sie hätten ihr aufgepaßt und endlich ihr Leghuhn entdeckt. Es komme ein Mann zu ihr und von dem komme alles, Milch, Eier, und sie wollten sagen, noch mehr Sachen. »Der Bursche ist von der Größe Euers Melkers, das Gesicht konnten sie noch nicht sehen, er kömmt spät und geht früh, aber nicht den Weg, welcher hier, her führt, daneben kann er einen Umweg machen, um auf falsche Spur zu leiten, wie ich glauben muß. Von wegen dir zulieb, Fraueli, war ich mal selbst dort, wo er früher diente, und frug unter der Hand nach, warum er dort fortging. Da hieß es nun, wegen einem Mensch, dem er alles zutrage, was er erreichen möge; aber er wisse die Sache schlau anzufangen, denn sie hätten ihn nie darob erwischen können. Was sie ihm bloß auf den Verdacht hin zugemutet, habe er abgeleugnet, daß sie ihn bald hätten besser machen müssen, als er sein Lebtag je gewesen sei. Nun sei dort das Mensch mit ihm verschwunden, und es werde nicht fehlen, er werde dasselbe an irgend einem Orte in seiner Nähe haben.«[197]

So berichtete die Eierfrau. Das war eine schöne Geschichte. Also im Roßstall war es nicht sauber, mußte wegen Tabak und Magenkrämpfen aufgepaßt werden, im Kuhstall war es nicht sauber, dort ging es an Milch und Eier, das war doch wohl viel auf einmal. Vreneli mußte es Uli sagen, der ward anfangs böse und meinte nur, Mädi rupfe dem Melker was auf. Es hasse ihn, weil es denselben lieben möchte und der Melker dieser Liebe nichts nachfrage. Er wisse selbst, wie das gehe, und der Melker habe so was merken lassen, wenn auch nicht gerade herausgesagt. Da stellte indessen Vreneli ab und sagte: Es nehme ihns wunder, ob es keine Wahrheit mehr sagen könne und auf einmal nichts verstehe. Nicht Mädi habe es aufgerupft, sondern es selbst habe gesehen, daß da was nebenausgehe, nachgefragt und nun so und so Bericht erhalten. Glaube er nicht daran, so solle er mal selbst hingehen und Nachfrage halten, von wegen die Sache sei zu wichtig, als daß man sie so hingehen lassen könne ein ganzes Jahr lang. Uli paßte dem Melker auf, konnte aber hell über nichts kommen. Der Melker hatte keine Art von Gefäß im Stalle beim Melken als das übliche, man mochte dazukommen, wenn man wollte, oder ihn belauschen von der Futtertenne aus. Man sah auch nicht das geringste Verdächtige, und Uli ward unwillig, hätte fast Verdacht gefaßt, das Unrichtige komme von ganz anderer Seite her.

Da kam einmal ein schöner Sonntagnachmittag, und Mädi trug sein Herzkäferchen, das kleine Vreneli, an der schönen Sonne herum, stellte es auf den Boden, ließ es träppeln und stampfen, segelte mit ihm in der Richtung, nach welcher das kleine Ding mit den Füßchen strebte, mit den Händchen zeigte. Sie lebten selig zusammen, das Mädi hatte volle Zeit, dem lieblichen Spiele sich hinzugeben. Der Ruf des Gewissens, daß es den Lohn habe zur Arbeit und nicht zum Tändeln, versalzte ihm die Freude nicht, die weil es Sonntag war,[198] und das Vreneli wurde nirgends hingesetzt mit einem Steinchen oder Blümchen, welche weder reden noch laufen konnten, um mit ihnen sich die Zeit zu vertreiben. Es ist eine gar strebsame, bildungshungerige Zeit, die Zeit vom zehnten Lebensmonat hinweg. Da ists über einem freundlichen Kinde alle Tage wie über der Erde an jedem schönen Frühlingsmorgen. Neue Herrlichkeit hat sich entfaltet, es ist ein Anderes geworden und doch das Gleiche geblieben, denn die Freude ist über Nacht neu geworden, hat neue Pracht entdeckt, über Nacht erblüht. Aber stumm sind die Blümchen, keine Beine haben die Steinchen, wohl spielt das Kind mit ihnen, aber nicht lange, es wird ihm öde dabei und unheimlich, unbewußt ist es ihm, als solle es nicht reden lernen, als müsse es sitzen bleiben auf der gleichen Stelle lebenslang. Darum aber wird es dem Kinde wie dem Fischlein im Bache, wenn eine gute Seele mit ihm springt und spricht, spricht und springt; es trampelt mit den Füßchen, schlägt mit den Händen, hell jauchzt es auf, ihm ist, als gehe es zum Himmel auf. Weiter und weiter strebet es, hinaus in die Welt. Plötzlich kehrt es sich um, streckt die Händchen auf nach dem Halse des Gefährten, birgt das Gesichtchen an seiner Brust, segelt mit allen Kräften heimwärts. Ein fremd Gesicht hat es gesehen, etwas Ungewohntes hat seine Sinne berührt, es fühlt plötzlich sich fremd in der weiten Welt; das Heimweh taucht auf in seinem kleinen Herzen, es beruhigt sich nicht, bis daß die Heimat es wieder umfängt. Zu klein waren noch die Flügel für die weite, große Welt.

So waren Mädeli und Vreneli trappelnd und jauchzend auf Reisen gegangen, waren nach vielen Irrfahrten endlich hinter einen alten Holzschopf gekommen, um welchen allerlei Gräbel lag und namentlich altes sogenanntes Zäuneholz, mit welchem man im Herbst beim Weidgang provisorische Zäune herzustellen pflegt. Der alte Schopf stund tagelang[199] einsam und verlassen, und hätte er ein Gesicht gehabt, er würde ein sehr verwundertes gemacht haben, daß zwei Menschen auf einmal durch seine stille Einsamkeit trappelten und jauchzten.

Indessen gab es doch ein verwundert Gesicht. Vreneli hatte plötzlich eine Erscheinung. In den alten Zaunstecken raschelte es, ein prächtig gelbes Huhn trat majestätisch aus denselben und verkündete der Welt mit hellem Geschrei seine eigene Heldentat, es habe nämlich ein Ei gelegt. »Ja so, du Ketzers Täsche, legst du da? Das wäre mir nicht beigefallen,« sagte Mädi, »so geht es in der Welt immer anders und schlechter. Hier zu legen fiel noch keinem Huhn ein, aber es ist alles gleich, Menschen und Hühner, es muß alles verstohlen und verschleppt sein, da ist niemand mehr zu trauen.« Vreneli, welches am gackelnden Huhn seine Freude hatte, ward ins Gras gesetzt, und Mädi kroch dem entdeckten Schatze nach ins alte Holz hinein. »Tüfel! Tüfel!« rief es plötzlich aus dem Holze. Doch sah Mädi nicht wirklich den Teufel, sondern was anderes. Es fand nicht so viel Eier hier, als es gehofft, nur etwa vier oder fünfe. Das Nest fiel ihm auf, es schien nicht von einem Huhn, sondern von einem Menschen gemacht, zudem war ein altes Nestei darin. Mädi war Expertin im Hühnerfach, es wäre gut, es würden in keinem Fache schlechtere Experte gebraucht. Mädi schloß alsbald, das sei nicht bloß eine einfache Hühnerverlegete, wo einfach ein Huhn sein Naturrecht geltend macht, seine Eier legt, wohin es will, und nicht wo die Frau Prinzipalin will, um brüten zu können, wenn es ihm ankömmt, ohne es der Willkür der Frau Prinzipalin zu unterstellen, welche imstande ist, ihm zum Dank für seine Bereitwilligkeit das Nest mit Nesseln zu reiben. Mädi schloß alsbald auf eine menschliche Schelmerei welche den Hühnern hier, an dem abgelegenen Orte, ein Nest gemacht und sie durch bekannte Mittel verführt, ihre[200] Eier an den Ort zu legen, an den kein ehrlicher Mensch dachte. Als Mädi sich kundig umsah nach allen Merkmalen, welche zu einem sichern Schlusse führen konnten, sah es nebenbei im alten schwarzen Holz was Weißes, und als es dasselbe hervorzog, war es eine große Milchflasche von weißem Bleche und voll Milch. Das trieb ihm den »Tüfel« ins Maul, und triumphierend kroch es hervor, die Eier in der Schürze, die Flasche in der Hand, und im Triumph ging es dem Hause zu. Endlich hatte es ihn erwischt, hatte auch ein Heldenstücklein vollbracht wie noch keines, von dem die Leute reden würden als wie vom Tellenschuß, so lange nämlich, als die Schweizerberge stehen. Noch viel lauter als das gelbe Huhn gackelte Mädi, daß alles, was im Hause war, herausschoß und Mädi nach, dem Vreneli zu. Da ward alles besichtigt um und um, endlich fragte Uli, den Mädi auch herbeigegackelt hatte: »Jetzt möchte ich doch wissen, wer der Spitzbube ist. Seh, wem ist die Flasche?« Da blieb es stille ringsum, kein Eigentümer meldete sich, niemand wollte die Flasche gesehen haben, niemand um das Einest wissen hinterm alten Holzschopf. Uli mochte fragen, drohen, wie er wollte, Keiner wollte sagen: »Meister, ich bin der Schelm!«

Es gibt auf der Welt nichts Fatalers, frage man nur jeden Knaben, als wenn man am seichten Bache stund, einen großen Fisch unter einen alten Weidstock fahren sah, rasch sich niederlegte, mit der Hand nachfuhr, Lebendiges in die Hand kriegte, rausfuhr, und man hat eine Kröte in der Hand, nicht den Fisch, und wenn man die Hand wieder nachstreckt, ist kein Fisch mehr da, man hat nichts mehr als das Gramseln in der Hand von der Kröte her und den Ärger über den falschen Griff. Mädi hatte gemeint, was es habe an Flasche und Eiern aber den Fisch hatte es doch nicht, der Fisch war fort. Als nun der Fisch sich gar nicht finden wollte, sagte Uli unwillig: »Du bist immer das gleiche dumme Mädi, wirst dein[201] Lebtag nicht gescheut, warum mußte nicht jemand anders die Sachen finden! Wenn man Vögel fangen will, brüllt man nicht die Haut voll. Hättest alles am Orte gelassen, wo du es gefunden, und mir es gesagt, dann wäre ich auf der Lauer gestanden, hätte den Dieb mit den Sachen in der Hand erwischt und der Handel hätte eine Nase gehabt. Jetzt ist es aus, denn wenn man einen Dieb nicht kriegt, wenn er die Sache genommen hat, und sieben Zeugen, welche gesehen haben, daß er sie wirklich genommen und nicht bloß gefunden, so hat man das Nachsehen und kann die Kosten bezahlen.« »Ist das jetzt mein Dank?« begehrte Mädi auf. »Wenn es dir Ernst ist, den Schelmen an Tag zu bringen, so frage nur den Melker, der kennt ihn wohl, hat ihn vielleicht in seinen eigenen Hosen.« Potz Himmel, da gab es Spektakel! Der Melker war dabei, als Mädi so sprach, und husch, hatte es eine Ohrfeige weg, ehe jemand es hindern konnte, und hätte auch die Haare lassen müssen, wenn Uli nicht mit starkem Arme Halt gemacht.

Mit der Ohrfeige hatte aber der Melker dem Mädi den Zapfen aus dem Redefaß geschlagen, und heraus sprudelte eine Zornesflut, in welcher der Melker sicherlich zuschanden gegangen, wäre er nicht ein hölzernes Kamel und an solche Fluten längst gewohnt gewesen. Alles, was die Eierfrau gesagt und nicht gesagt von seinem Mensch und seinem Leben, das warf Mädi dem Melker an den Kopf. Der brüllte wie ein angestochener Urochs und begehrte auf von wegen seiner Unschuld, schrecklich, und schlug mit seinen Zeugnissen alle Anschuldigungen tot. Da könne man sehen, was er sei und was er nicht sei, und zwar auf Stempelpapier. Aber der Teufel sei Meister in der Welt und Menschen gebe es, welche kein einzig Zeugnis hätten und wollten Andere zu Schelmen machen, die verfluchten Luder. Denen wolle er es zeigen, sie müßten erfahren, wer er sei, und selbst den Namen tragen,[202] den sie ihm gerne angehängt hätten. Der Melker tat schrecklich, wie zu Olims Zeiten der Gouverneur von Magdeburg, der sich vermaß, Hundsleder zu fressen, ehe er die Festung übergebe, war aber kuraschierter als derselbe Gouverneur und saß nicht allsogleich auf den Nachtstuhl, als der Feind stand, hielt und sogar näherrückte. Der Melker wußte, daß schlechter die Welt wird, das Recht immer mehr dem zufällt, der am meisten aufbegehrt, am wüstesten tun kann, alles von wegen der Unschuld. Aber Mädi war eine Batterie, welche nicht so bald zum Schweigen zu bringen war, sondern immer schärfer schoß, je wilder die andere feuerte. Scheltungen waren hin- und hergeflogen wie Hagelsteine, wenn es recht hagelt, daß ein gewöhnlicher Richter acht Tage gebraucht hätte, sie auseinanderzulesen und ordentlich zu sortieren.

Endlich, lange hatte er es umsonst versucht, kam Uli zu Worten, hob alles Gesagte auf von Amtes wegen, jagte Mädi in die Küche, den Melker in den Stall, machte so den Feindseligkeiten einstweilen ein Ende, jedoch nicht der Feindschaft. Dem Melker grollte es im Kopfe wie einem Vulkan im Bauche, den Ausbruch fand er jedoch nicht rätlich, speite Rauch und Flammen bloß, wenn der Meister und die Meisterfrau es nicht hörten, redete alle Tage, morgen mache er die Anzeige beim Richter, und machte sie doch nicht. Er war ein alter Praktikus und wußte, daß wenn man mal was einem Richter oder Advokaten zur Hand gegeben, man nicht mehr Meister sei zu sagen: bis hierher und nicht weiter, sondern das Ding mit einem durchgehe wie wilde Rosse mit einem sturmen Kutscher und ein Ende nehme mit Schrecken. Es ist gar schlimm, in mürbes, blödes Tuch einen kleinen Riß machen zu wollen; wie leise man macht, husch, reißt es durch, und die Stücke bleiben einem in der Hand.

Mädi glich einer lebendigen Schlüsselbüchse, pfupfte den ganzen Tag, tat aber niemand weh als ihm selbst. Auf seiner[203] Heldentat hielt ihm niemand viel als Vreneli, welches aber doch oft über das ewige Pfupfen sich beklagte und Mädi schweigen hieß, was Mädi begreiflich sehr übel nahm, über unsern guten Herrgott böse ward, daß er die Welt so schlecht werden ließe und keine Dankbarkeit mehr sei auf Erden. Es wollte den Leuten zeigen, wer Mädi sei und was es könne, legte sich nun dem Melker an die Fersen und lauerte ihm auf Tag und Nacht. Aber das gute Mädi fing nichts mehr, der Fisch war fort. Es trug ihm nichts ein als einige Kübel verdammt kalten Wassers, mit welchen es auf seinen nächtlichen Gängen begossen wurde, es wußte nicht woher und von wem. Der Melker habe es getan, winselte es. Es wolle keine gesunde Stunde mehr haben, wenn es nicht so sei, darum solle Uli ihn fortjagen, er treffe sicher den Rechten, und wenn auch nicht der Milch oder der Eier wegen, so habe derselbe es doch ob ihm verdient. »Wärst im Bette geblieben,« antwortete Uli endlich unwillig, »es hieß dich niemand herumstreichen. Wenn es gemacht sein muß, so laß es an die, denen es zukömmt, willst aber den Haushund machen, so mußt auch nehmen, was ein Hund.« Uli hatte das nicht böse gemeint, sondern es im bittern Unmute ausgestoßen. Von Mädis Entdeckung hatte er keinen Nutzen gehabt, aber ein andauernder Verdruß schien ihm daraus erwachsen zu wollen. Mädi aber gingen diese Worte tief und eiterten. Das ist das schlimmste aller Übel, wenn Worte eitern, und doch wissen so viele Menschen nichts von dieser Krankheit. Mädi hatte einen Schwung genommen, es hatte sich ihm der Himmel aufgetan zu einer großen Tat, aber nur von ferne hatte es das gelobte Land gesehen; als es über die Schwelle wollte, entschwand die ganze Herrlichkeit gleich der Fata Morgana in den Wüsten Afrikas, es sollte bloß das wüste, böse Mädi sein, recht in keinen Schuh. Das schlug ihm ins Gemüt, machte es unwirsch, mißtrauisch, böse gegen alle. Nie dachte es daran,[204] daß in ihm eine Schuld des ganzen Elends liege, statt Vrenelis Hülfe ward es Vrenelis Plage. Der dümmste Junge kann ein Glas Wasser färben mit einigen dunkeln Tropfen, aber getrübtes Wasser klar machen, gesalzenes Wasser wieder süß, eine überpfefferte Suppe genießbar, das kann kein dummer Junge, das kann mancher Gelehrte nicht, es ist Arbeit für eine höhere Hand. Es ist gar wunderbar, wie die Mischungen in den Gemütern sich machen, und wer achtet auf die Tropfen alle, welche in die Gemüter fallen, sie zuckern oder pfeffern, säuren oder salzen, und wer verstehts, Salz und Pfeffer zu tun ans rechte Ort, wieder wegzubringen vom unrechten und zu passender Zeit?

Mädi hatte einen von den Köpfen, für welche man im Bernerland ein prächtig Wort hat, das Wort »eitönig«, einen Kopf, in welchem nur ein Ton Platz hat, und klingt der einmal, weder mit Liebe noch Gewalt ein anderer Ton hervorzubringen ist, im Gegenteil, je mehr man es anders tönen machen will, desto stärker tönet der gleiche alte Ton.

Indessen der Krug geht so lange zum Wasser, bis er bricht. Den Melker ertappte man freilich nicht als Dieb, fand weder Eier noch Milch mehr, aber die Kühe bekamen kranke Euter, die Milch ward ziegerig. Uli, der sich auf Kühe verstund, suchte alsbald die Schuld beim Melker. Er sah ihm zu, er visitierte einige Male die Kühe, ob der Melker etwa nicht gehörig ausmelke, Milch in den Eutern lasse, was höchst verderblich ist, aber er fand alles in der Ordnung. Er ging zu einem Vieharzt, der war ein schlauer Kundius und half ihm auf die Spur. »Sieh,« sagte dieser, »das ist von den Feinern einer, dem kannst lange aufpassen, der riecht hinten und vornen, nimmt nicht die leere Guttere zur gewohnten Zeit zum Melken und stellt sie neben sich, als hätte sie das Recht dazu oder läßt einzelne Kühe oder Stricke an den Eutern ungemolken; der rupft dir an den Kühen, wenn er sich ganz[205] sicher weiß, um Mitternacht, um Mittag, kurz wenn nichts zu fürchten ist. Der treibt das nicht zum erstenmal und nicht zum letzten. Was willst du dich plagen, dich auf die Lauer legen, bis du halbtot bist Mach daß du von ihm kömmst so bald als möglich. Begehre mit ihm auf aus dem ff wegen den kranken Kühen, sage ihm, er sei ein Bub, kein Melker; vielleicht wirft er dir den Bündel dar, und magst du ihn nur mit dem kleinen Finger erreichen, so hebe ihn auf und mach Weihnacht. Der Lumpenkerl verpfuscht dir in einem Jahr zehnmal mehr, als sein Lohn beträgt.«

Das begriff Uli, aber der Melker biß nicht in den Apfel, der wollte nicht töricht sein und um seinen Platz kommen, ehe das Jahr um war; er nahm seinen Worten gehörig das Maß und sagte höchstens, er sei schon an manchem Orte Melker gewesen, noch habe ihm niemand gesagt, er könne nicht melken, man solle doch seine Zeugnisse nachsehen, ob was darin stehe, daß er nicht melken könne, den Kühen die Euter verderbe. Aber was für ein Meister er sei, sei zu Stadt und Land bekannt, und wenn er ihm nicht recht sei, könne er ihn senden, er gehe auf sein Geheiß die erste Stunde, aber dann wolle er auch den Lohn für das ganze Jahr nach Brauch und Gesetz. Das war Uli auch nicht anständig, er marterte sich lieber mit Zorn, Angst und Aufpassen, ward immer saurer und übler im Gemüte; es war nichts mehr da, welches die Wolken zersetzte, den Nebel auflöste, die finstern Stimmungen abklärte in milde und freundliche. Sonst tut dieses das Auge Gottes oder das Licht von oben, wenn eine Seele sich ihm aufschließt, hinein die hellen Strahlen leuchten, oder es tuts der Hauch der Liebe, wenn er leise säuselt um die düstere Stirne, oder es tuts eines Kindes Lächeln, wenn es dem beängstigten Vater aufgeht wie dem Verzagten der Regenbogen, das Zeichen der Gnade und Verheißung am Himmel. In die Dornen und Disteln des Lebens drangen die hellen[206] Strahlen nicht mehr, die Nebel der Welt waren zu dick, Lächeln und Liebe vermochten nichts mehr über sie. Nichts drang mehr durch und gab lichtere Stimmungen als der Gewinn an einem Roß, welches schlecht war und für gut hatte verkauft werden können, das Rühmen des Müllers, wenn er Uli Korn abdrang, oder Späße des Wirtes, wenn er Uli für eine Kuh zehn Taler mehr versprach, als irgend ein Metzger geboten, indessen einstweilen nicht bar zahlte. »Sieh,« sagte er gewöhnlich, »du kannst das Geld haben, welche Stunde du willst, aber du hast es nicht nötig, ich weiß es, willst es ja nur beiseitelegen, um im Frühjahr den Zins zu machen. Bis dahin verdient mir das Geld viel, jetzt ist mit bar Geld viel zu machen; dein Schade solls nicht sein, und einem Freund wirst doch einen Gefallen tun. Hör, Uli, ich habe es meiner Frau schon manchmal gesagt, lieber ist mir auf der ganzen Welt niemand als du, man kann das Land auf und ablaufen, ehe man dir einen Gespan findet. Unter Tausenden kömmt Keiner so weit, in ein paar Jahren bist ein Mann, und wenn du nicht noch Ammann wirst, so verstehe ich mich auf nichts mehr. Ja Uli, so ists! Frau, hol eine Flasche vom Bessern.« Von Geld war keine Rede mehr, denn Uli lebte wohl an den Worten und dachte an den Ammann.

Aber übel steht es doch in dem Gemüte, in welchem ein Wirt und ein Müller und ein Roßhandel Sonne, Mond und Sterne vorstellen, und wie viel tausend Menschen haben kein ander Licht in ihren Gemütern als das, welches von solchen Lichtern kömmt oder noch viel schlechtern! Man muß sich immer wundern, daß die Menschen, deren eine so große Zahl nur von solchen Talglichtern und stinkenden Öllämpchen erleuchtet werden, nicht noch unendlich schlechter sind und mit rasender Schnelligkeit noch schlechter werden, wie Krebse auch um so schneller gesotten werden, je heißer das Wasser wird und je schneller man es zum Sieden bringt. Aber eben[207] daraus sieht man, daß Gott die Welt regiert und nicht der Teufel, noch viel weniger ein Seminardirektor, sie wäre sonst seit vielen Jahren schon unheilbar verpfuscht. Doch muß man sich durchaus nicht vorstellen, Uli sei, was man zu sagen pflegt, gottlos geworden. Die Menschen machen das Kreuz vor dem Worte gottlos, und doch ist kein Mensch, der nicht gottlos ist. Bei jeglicher Sünde und namentlich, wenn jemand sein Handeln nicht durch Gott und sein Wort bestimmen läßt, sondern durch sein eigen Fleisch und Blut oder andere Kreaturen, ist der Mensch immer gottlos, und in dem Sinn war es Uli auch oft, und je länger je öfter. Aber Uli merkte es nicht, sein Entfernen von Gott merkte er nicht, und von einem Lossagen von Gott war keine Rede. Der eigentliche Gottlose ist eben ganz los von Gott, sowohl im Erkennen als Bekennen, sowohl in Worten als Taten, der eigentliche Gottlose wird ein Rekrut des Teufels und versucht zu lernen den Kampf gegen Gott und sein Reich, den unseligen Kampf, wo nichts zu lernen ist als Gottes Macht und des Teufels Ohnmacht und nichts zu gewinnen als der eigene Untergang und die Überzeugung, daß Gott der Wahrhaftige sei und des Reiches Feinde zu des Herrn Füßen lege, wie er es verheißen hat.

Daß es so ist, zeigte Gott. Es war gegen Herbst, als man mitten in der Nacht ein mörderlich Geschrei vernahm, das durch das ganze Haus drang und selbst die Kinder weckte. Uli fuhr auf, zündete alsbald, wie es einem guten Hausvater ziemt, die Laterne an, um zu sehen, was es für ein Unglück gegeben. Uli hielt dafür, es seien Kiltbuben aneinandergekommen und einer schwer getroffen oder gestochen worden. Als er vor das Haus kam, war es stille draußen. Von den Knechten, welche herbeikamen, wollte der eine es dort vernommen haben, ein anderer in entgegengesetzter Richtung. Man suchte hier, man suchte dort und allerwärts umsonst,[208] Man horchte in die stille Nacht hinein, man vernahm weder Fußtritte Fliehender noch Seufzen oder Röcheln eines Verwundeten. Das Ding ward unheimlich, den Meisten rieselte es kalt den Rücken auf, doch nur einer sprach es aus und sagte: Er möchte zu Bette gehen, das Ding gefalle ihm nicht, es sei nicht ein Schrei gewesen wie ein anderer, und wer zu neugierig sei, lese leicht eine geschwollene Nase auf oder gar ein böses Bein sein Lebtag. Man habe der Beispiele viele und man sollte sich ihrer achten, was nützen sie sonst Die Worte fanden Anklang. Sie müßten doch noch einmal sehen und etwas weiter gehen, der Schrei sei gar zu nötlich gewesen; der, welcher ihn getan, sei nicht weit mehr gelaufen, und daß es ein Gespenst sei oder sonst der Art was, könne er nicht glauben, man hätte sonst wohl schon was gehört, sagte Uli. »Das erstemal ist eins, hat Hamglaus gesagt«, sagte einer. Er möchte doch nachsehen, sagte Uli, wer sich fürchte, solle ins Bett. Uli ging und alle kamen nach, Einer dicht am Andern, aber nicht wegen Heldenmut und Nächstenliebe, sondern weil Keiner alleine heim ins Bett durfte. Sie gingen und fanden in einer wilden Ecke hinten bei einem Schopf einen Menschen bewußtlos liegen. Als man zündete, war es der Melker, dessen Abwesenheit aufgefallen war. Er schlafe gar hart, hatte darauf der Karrer gesagt, und sei nicht zu erwecken. Neben ihm lag eine nagelneue blecherne Flasche, und zerbrochene Eierschalen knatterten unter den Füßen. »Da wäre also doch der Dieb, hat es ihn einmal! So wäre es recht, so wüßte man doch bestimmt, ob ein gerechter Gott im Himmel sei oder gar keiner«, hieß es von allen Seiten. Der Melker war hinaufgestiegen gewesen unters Dach in sein Versteck, im Herabsteigen hatte ihm ein Tritt gefehlt, er stürzte hinab, brach ein Bein, beschädigte sich sonst übel, blieb sein Lebtag ein Krüppel.

Einige Tage lang war auf der Glungge stark die Rede vom[209] Melker und von Gott, man ging sogar in die Kirche, die Einen, weil sie wirklich dachten, es könne nicht schaden, und wenn ein gerechter Gott im Himmel sei, so möchten sie es wirklich nötig haben, Andere in der Hoffnung, der Pfarrer ziehe den Melker in der Predigt an, und wenn er schon nicht alle nenne, welche ihn gesucht und gefunden, könnten sie doch hintendrein sagen: »War auch dabei! So sollte es allen gehen, welche es so machen und damit ihre ehrlichen Nebendiensten in Verdacht bringen. Daneben dünkt es mich doch, der Pfarrer habe es wohl stark gemacht. Nicht, daß ich mich mit dem Melker zusammenzähle, bewahre mich davor, aber wir sind alle arme Sünder und der Pfarrer wird nicht besser sein als Andere.« In diesen Tagen ließ Uli manchen Zuspruch fahren, worin er auf den deutete, der an die Sonne bringe, was im Verborgenen geschehe, und den rechten Meisterleuten beistehe, wenn sie mit schlechten Dienstboten nicht auskommen könnten. »Was fängt er dann mit schlechten Meisterleuten an, wenn es einen gerechten Gott gibt, denn er wird doch nicht bloß für Dienstboten da sein wie Käsmilch und Mehlsuppen ohne Mehl, sondern auch für schlechte Meisterleute?« frug ein naseweises Bürschchen, welches eine Zeitlang in einer Schenke gedient hatte und nichts glaubte. Das sei ein leer Gerede, daß Gott dem Melker das Bein gebrochen. Sei er gerecht, so müßten alle Diebe die Beine brechen, da hätte er wohl viel zu tun, und er mochte wissen, wieviele auf ganzen Beinen herumliefen. Am übelsten ginge es dabei den Geigern, denn das Tanzen ließen wohl die Meisten sein. Das habe niemand anders getan als Mädi, das habe dem Melker leise die Leiter weggestellt, und als der darauf treten wollte, sei er hinuntergestürzt, das sei der ganze Handel. Mädi verdiente Kettenstrafe, wenn nicht den Galgen, denn auf diese Weise könne ein Mensch den Hals brechen, nicht bloß ein Bein, und Mörder solle man hängen, heiße es. Wenigstens[210] müßte es ihm den Melker heiraten und ihn ernähren, und billiger als dieses sei nichts und besser könne es selbst Gott nicht machen, wenn einer sei nämlich.

Mädi begehrte schrecklich auf über diese Zumutung, aber nicht weil es sich ein Gewissen daraus gemacht hätte, die Tat zu tun, sondern weil es sie nicht getan und doch jetzt schuld sein sollte. Es sei nur da, um Sündenbock zu sein, und das sei ihm erleidet, und jetzt sollte es noch den Melker erhalten. Je böser Mädi wurde, desto mehr hatten die Andern Freude daran; da half alles Zureden nichts, nichts bei Mädi, nichts bei den Andern, ein täglicher Krieg war los, so daß wenn der Melker schon fort war, das Leben um nichts freundlicher wurde.

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 2, Zürich 1978, S. 190-211.
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