Elftes Kapitel

[176] Von einer Falle, welche Uli abtrappet, aber diesmal noch ohne Schaden


Joggeli hatte das ganze Jahr hindurch Verdruß gehabt mit seinen Kindern; der Tochtermann betrachtete sein Elisi wie ein Schröpfhörnchen, wenn er Geld nötig hatte, setzte er es dem Vater auf den Hals. Der Johannes dagegen kam selbst angefahren mit Gepolter und Schnauben und holte seinen Teil unter Donner und Blitz. Jedesmal, wenn eine solche Operation vorüber war, Joggeli in Schmerzen lag und Lust zu einer Ohnmacht hatte, verschwor er sich hoch und teuer, das müsse die letzte sein, möge es gehen wie es wolle, bei Lebzeiten gebe er keinen Kreuzer mehr. Und wenn sie wieder kamen, so ging es doch wieder und Joggeli mußte sich am Geldseckel operieren lassen, er mochte sich winden und drehen, wie er wollte. Als nun die Verfallzeit des Lehnzinses heranrückte, welche Sohn und Tochtermann kannten so gut als er, war er in großer Verlegenheit, was machen. Sollte er an Uli wachsen und versuchen, ob derselbe nicht eine Woche oder zwei früher zahlen wolle, oder aber daß er warten solle, bis der Sturm abgeschlagen sei mit dem Vorwande, der Pächter habe nicht bezahlt und könne nicht bezahlen? Beides hatte seine zwei Seiten; kriegte er den Zins früher, so hatte er ihn also, und das ist immer schön, wenn man einmal was hat, aber was dann machen? Im Hause durfte er das Geld nicht behalten, und brachte er es unter, so mußte er angeben, wo es sei. Sage er das, so ruhten die Hagle, Gott verzeih mir meine Sünde, nicht, bis sie es haben. »Das ist ein Elend,« jammerte er. Sage er Uli, er solle nicht bezahlen auf den Termin, so sei das wohl gut, aber dann habe Uli das Geld und nicht er,[176] könnte es ihm weiß Gott wann geben und vielleicht gar ein Recht daraus machen und alle Jahre später kommen mit dem Zins, bis er ihm zuletzt gar keinen gebe. Darauf könne er es also nicht ankommen lassen, kalkulierte er.

Endlich schoß ihm ein Blitzgedanke durch das Haupt, er rieb mit vergnüglichem Gesichte die Hände und dachte: Für solche Gedanken zu kriegen, muß man Joggeli in der Glungge sein. Man könnte manches Dorf aus laufen, ehe man einen fände, dem beifiele, was ihm. Der gute Joggeli war noch nicht zu der Erfahrung gekommen, was Einfälle, auf die man sich am meisten zugute tut, für Schwänze haben! Er dachte, er wolle Uli sagen, derselbe solle ihm den Zins acht Tage zum voraus geben, denselben wolle er gehörig in Sicherheit bringen, und wenn dann seine Blutsauger kämen, sagen, im Einverständnis mit Uli, Uli habe noch nicht bezahlt, er werde den Zins einstweilen nicht geben können. Er trug seinen Gedanken alsbald seiner Frau vor. »Was Tüfels ersinnest du aber Dummes,« sagte ihm diese, »das kömmt nicht gut, zähle darauf.« »Ich wüßte eigentlich auch nicht, wann du etwas gut gefunden hättest, was mir beigefallen, es war von Anfang so und wird so bleiben bis ans Ende.« So sprach Joggeli in zornigem Brummen, drehte sich und ging ab, ging zu Uli und trug ihm den Handel vor. Uli war das sehr zuwider. Er glaube, sagte er, das Geld könne er geben, aber mit dem Verleugnen wollte er lieber nichts zu tun haben. Man könne am Ende nicht wissen, was das für Folgen haben könne, jeden, falls begehre er keinen Streit mit den Beiden, denn wenn sie ihm etwa auf den Hals steigen und wüst sagen würden, so nehme er dies nicht gelassen hin. »Habe nicht Kummer,« sagte Joggeli, »ich will das schon machen, und Folgen hat es keine, gebe dir eine gesetzliche Quittung und schreibe es als, bald ein. Es ist ein bloßer Gefallen, dich kostet es nichts und mir ists ein großer Dienst, und etwas wirst mir doch auch tun[177] wollen, oder meinst etwa, es wäre nicht recht?« Uli fügte sich, Vreneli hatte nichts dawider, begehrte bloß über den Alten auf, der immer was erlisteln wolle und Andere hineinstoßen und doch nichts ausrichte, weil er keinen Mut hätte, sondern allezeit das Herz in den Hosen.

Uli mußte ans Rechnen gehen vor der Zeit, und das war ihm sehr zuwider, nicht deswegen, weil er dachte, es könnte der Pünktlichkeit schaden, wenn er acht oder vierzehn Tage vor der Zeit die Rechnung schließe. Nein, daran dachte er gar nicht; so einen Ketzer von Rechnung könne man ja stellen, wie man wolle, einige Wochen vorwärts oder rückwärts, wie man wolle, darauf komme es nicht an, wenn es ihm so recht sei. Akkurat wie er mit dem Zeiger seiner Uhr auf zehn oder zwölf fahren könne, je nach seinem Belieben, weil es ja seine Uhr sei und niemand weiters angehe. Aber solch Rechnen war ihm zuwider, solch Rechnen, nicht alles Rechnen, denn er rechnete eigentlich, wo er ging und stand, wir hätten fast sagen mögen, alle seine Gedanken hätten sich ins Rechnen aufgelöst; aber er rechnete im Kopf, was dieses ihm eintragen, jenes kosten würde, wie viele Malter er aus jenem Acker machen, wieviel Flachs, wieviel Reps usw., was er davon beiseitelegen und was er brauchen müsse, das ging ihm fort und fort im Kopf herum akkurat wie ein Mühlrad, kam ihm im Traum vor, machte ihn zuweilen glücklich, zumeist aber steinunglücklich. Er wollte halt reich werden, viel gewinnen, stellte daher alle seine Rechnungen auf Gewinn, dachte hauptsächlich bloß an die Einnahmen, Ausgaben sah er nicht und dachte nicht daran. Die Einnahmen sieht der Landmann vor sich in Äckern und Wiesen, die Ausgaben kommen ungesinnet; zerbrochene Wagen, abgesprengte Roßeisen fallen nicht zum voraus ein, und an eine Masse von Haushaltungsausgaben denkt ein Mann, namentlich ein junger, nicht. Alle diese ungesitteten Ausgaben verdarben immer[178] die Rechnung, er mußte immer von vornen anfangen, verdarb damit alle andern Gedanken und kam doch nicht zu Ende. Aber auf dem Papier rechnen, zusammenziehen alles, was man gemacht hat, und zwar so, daß es sich treffen soll, ja, das ist was anders, Uli hatte es erfahren, und obendrein noch so viel Geld zählen, und zwar so, daß man allemal gleichviel hat, das ist noch was viel anderes, und Uli hatte es ebenfalls erfahren. Nachdem er einen halben Tag gezählt hatte und zweimal endlich die gleiche Summe herausgebracht, fand Uli, daß er mehr Geld hatte, als der Pachtzins betrug, doch ziemlich weniger als im vergangenen Jahre. Es blieben ihm, wenn er die Schuld abgetragen, noch ungefähr hundert Taler übrig, dagegen hatte er mit Wirt und Müller bedeutend zu rechnen. Der Wirt namentlich war ihm zwei fette Kühe, von denen jede über sechzig Taler wert gewesen, und vier Schweine, welche zusammen wohl zwölf Zentner gewogen, schuldig, dagegen hatte er was genommen, aber eben viel nicht; eben darum stunden sie in Rechnung, und Uli hatte das Geld nicht. Der Müller stand ebenfalls mit Uli in Rechnung für eine ganze Menge von allerlei. Uli hatte auch was genommen, aber von ferne glich es sich nicht aus; da hatte er sicherlich sehr viel zu fordern, aber wie viel, wußte er doch nicht bestimmt.

Bei solchen Rechnungen, namentlich wo sie en détail gehen und lange nicht bereinigt werden, hat es eine ganz verfluchte Bewandtnis; sie sind imstande zu wachsen, während man sie macht, zu einer ganz unglaublichen Größe, ungefähr wie Blutegel, welche ganz schmächtig sind, wenn man sie anlegt, und fast faustdick, wenn sie abfallen. Wer mit einem Müller oder einem Wirte in Rechnung steht, der hat ein ganz verflucht Zeug am Halse. Kriegt er endlich den Müller zwischen die Knie, um mit ihm zu rechnen, so hat er eine große Reihe voll Semmelmehl, Kuchenmehl, Kleien,[179] Spreuer, Taubengrütze, Hühnerfutter, von welchem allem der Bauer nichts weiß. Sagt er dem Müller in hohem Zorn: »Donner, von dem allem weiß ich nichts, wird auch nicht sein!«, so sagt der Müller: »Wirst doch nicht glauben, ich hätte falsch aufgesetzt? Sieh, mache mich nicht böse, das ist mein Gebrauch nicht. Das hat deine Magd geholt, welche letzte Weihnacht fort ist, und dies das arme Mädchen, welches du im vorigen Jahr von der Gemeinde hattest, und dies der Knecht, welchen du vor vier Wochen fortjagtest; das Eine kam von deiner Frau gesandt, und ein Anderer sagte, er habe von dir den Befehl, und da schicket es sich doch unsereinem nicht, solches alles schriftlich zu wollen oder gar auf Stempelpapier. Was meinst, was würde deine Frau sagen, wenn die Magd zurückkäme und sagte, der Müller gebe nichts, wenn er es nicht schriftlich von dir hätte?« Wer will sich nun an alles erinnern, Und wenn gar die Rechnung sich hinauszieht, bis Knecht, Kind, Magd fort sind, wer Teufel will alles erforschen? Und wenn man es zu erforschen versucht, was gewinnt man? Uneinigkeit, Mißtrauen usw., und am Ende bleibt die Rechnung Rechnung; so lang sie war, so lang bleibt sie. Ja, es ist ein kurios Ding mit solchen Rechnungen, gar Mancher hat sich mit solchen um Hab und Gut verrechnet; doch das wußte Uli nicht, und wenn es ihm schon jemand gesagt hätte, er hätte den Glauben nicht gehabt, daß es so sein könnte, er hielt, was er an Wirt und Müller zu fordern zu haben glaubte, wie bar Geld.

Wenn er Geld, Vorräte, Rechnungen überschlug, hatte er wieder ein gut Jahr gehabt und mehr gemacht als im vorigen Jahr. Bös hätte er gehabt, sagte Uli, ein Jahr verlebt, er möchte es keinem Hund gönnen, aber es sei doch was dabei herausgekommen, die geringern Dienstbotenlöhne seien doch wirksam. »Weiß nicht,« sagte Vreneli, »ob der Gewinn daher kömmt und ob wirklich ein Gewinn da ist.« »He,« sagte Uli,[180] »wenn du weißt, was zweimal zwei ist, so sieh, was da ist: so viel bar und noch so viel in Rechnung.« »Ja,« sagte Vreneli, »das Geld sehe ich, und wenn ich auch das sehen könnte, was noch in Rechnung ist, wäre es mir noch lieber.« Da fuhr Uli auf, gab einen bösen Blick von sich und ging hinaus. »Haben es ihm die Ketzer schon so weit angetan,« sagte Vreneli, »daß er blind ist und man ihm über sie weniger sagen darf als einem Christen über seinen Herrgott?«

Diesmal konnte Joggeli mit Behagen sein Geld zählen und hatte große Freude daran. Uli hatte darauf gehalten, schönes Silber zu geben, was Kindern und andern Leuten den Wert desselben bedeutend erhöht, jedenfalls immer ein Zeichen von Achtung und dem Wunsche ist, in Huld zu bleiben. Als Joggeli es genug gezählt hatte, ging die Sorge für das Verbergen an, welche nicht größer hätte sein können, wenn er fremdes Volk, Kosaken, Italiener, eine Nation, welche sich im Krieg auf das Mausen versteht, erwartet hätte. Wie einen Feldherrn, auch wenn er mit dem größten Vorbedacht seine Dispositionen gemacht hat, immer ein kleines Herzklopfen anwandelt, wenn die Stunde naht, wo der Feind kommen soll, so hatte es auch Joggeli, und zwar schon am Verfalltag selbst, am Vorabend großer Ereignisse, wie er dachte.

Aber es war der Ereignisse selbst nicht der Vorabend, sondern der wirkliche Tag. Dem Johannes fiel es ein, wenn er einen Tag früher käme als das letztemal, kriegte er vielleicht das Ganze. Dem Tochtermann fiel akkurat das Gleiche ein, denn sie hatten innerlich ungeheure Ähnlichkeit und äußerlich auffallend gleiche Sympathien, wenn sie auch körperlich kein Haar von einander hatten. Der Baumwollenhändler glich einem halbverkohlten Schwefelholz, Johannes einem fünf Fuß zehn Zoll langen Kürbis. Beide kamen gleich nach, mittags angefahren, und nicht nur die Rosse schnauften entsetzlich, sondern auch beide Aspiranten, Prätendenten oder[181] wie man sie sonst nennen will. Jetzt hätte Joggeli gern das Hasenpanier ergriffen. »Ware ich nur gegangen,« murmelte er für sich, als es dahergefahren kam wie das Donnerwetter, noch viel ärger, als an einem englischen Wettrennen die langbeinigen Lords daherrennen. Joggeli hatte es wie ein Renommist, und zwar hatte er es siebenzig Jahre lang so gehabt und kannte doch diese Schwäche nicht. Er war ein Held weit vom Geschütz oder wenn er hinter seiner Frau stund, kam er aber auf die Mensur, so kriegte er den Schlotter, und stund nicht seine Frau, sondern ein Mann vor ihm, so drückte er sich gerne beiseite. Springen hätte jetzt Joggeli wenig geholfen, er mußte warten. Eben freundlich empfing er die beiden Herren wirklich nicht, und wenn sie eine Haut gehabt hätten, welche empfindliche Redensarten nicht hätte ertragen mögen, sie wären Beide alsbald wieder abgefahren. Aber Beider Häute waren sattsam gegerbt, nicht bloß in solches Wetter, sondern wenn man Stiefel daraus gemacht hatte, sie wären ohne besondere Salbe wasserdicht geblieben bis zum letzten Fetzen.

Es ging nicht lange, so mußte er ihnen sagen, er habe den Zins noch nicht empfangen und werde ihn einstweilen auch nicht empfangen; der Pächter sei nicht bei Gelde, er habe ihm Stündigung gestattet. Sie sollten doch nicht tun wie Hungerleider, welche den Lohn immer zum voraus einzögen. Wenn sie Hungerleider wären, so sei niemand anders schuld als er, weil er sie Hunger leiden lasse, und wenn da was zu schämen sei, so komme es an ihn, sagte der Tochtermann und ging hinaus. Nun setzte Johannes mit Ungestüm auf den Vater ein, brach aber plötzlich ab und fuhr auch zur Türe hinaus. Er hatte durch das Fenster den Schwager hinüber zu Uli gehen sehen und faßte alsbald, was der drüben wollte, und machte sich ihm nach. Joggeli lächelte ihm nach, kriegte aber alsbald Angst, Uli möchte vielleicht mit der Wahrheit ausrücken.[182] Gut sei es, daß er ihm die Quittung noch nicht gegeben, dachte er, er könne es allweg nicht beweisen, und da wüßten die Blutsauger nicht, woran sie seien und wem sie glauben sollten.

Drüben ging ein tapferer Lärm an. Erst biß der Baumwollenhändler nach dem Schwager, was er ihm nachzulaufen habe, darauf fertigte Johannes den Schwager grob genug ab. Darauf manöverierten Beide gegen Uli. Erst kamen sie mit Manier und wünschten auf Abschlag so viel Geld, als er im Hause hätte, es sei des Vaters Wille und Begehr, daß er gebe. Da komme er schön in die Klemme, dachte Uli, der Alte stelle ihm zum Ausessen die Suppe dar, welche er selbst nicht möge. Uli entschuldigte sich, er habe nur das nötigste Geld für die Hauskosten bei der Hand, am Zins könne er nichts machen; er habe ein böses Jahr gehabt, Mehreres ausstehen, Anderes nicht verkaufen können, so sei es ihm unmöglich, ihnen mit Geld an die Hand zu gehen. Nun redeten die Beiden erst von Lumpenware und Hudelbuben, so komme man dran, wenn man Leute von der Gasse nehme, da hätte man keine Sicherheit, die machten sich nichts daraus, mit dem Schelmen davonzugehen. Das kam Uli über den Magen. Wenn es mit dem Schelmen davongelaufen sein müsse, so sei er in alle Wege der Letzte von ihnen Dreien, welcher laufe, sagte er. »Zuletzt,« sagte der Tochtermann, »ist das ein abgeredet Spiel, sie stecken Beide unter einer Decke. Es war schon lange der Gebrauch hier, die Kinder zu betrügen zum Besten von Lumpenpack, welches uns unsere Sache abstiehlt. Laß sehen, du Hagels Lehenmannli, jetzt gib Bescheid, kurz, Ja oder Nein. Hast bezahlt oder nicht bezahlt, Wir wollen wissen, woran wir sind.« Uli stutzte, sagte aber bald, mit ihnen hätte er nichts zu tun; ob er bezahlt habe oder nicht, gehe sie nichts an, sie sollten ihre Wege gehen, ihn ruhig lassen, die Sache mit ihrem Alten ausmachen[183] Johannes hätte beinahe an Uli seine Kraft versucht, denn von einem Fremden lasse er sich aus seinem Hause weder stellen noch weisen, sagte er. Aber Uli sagte, er gedenke weder das Eine noch das Andere zu tun, aber plagen um etwas, welches sie nichts anginge, lasse er sich ebenso wenig, und wenn sie nicht gingen, so ginge er. Da sagte der Tochtermann: »Zanken mit dir wollen wir nicht lange, aber zähl darauf, innerhalb einer Stunde wissen wir, woran wir sind, und wollen dich dann in den Schraubstock spannen, daß du nach Gott schreien lernst. Du sollst es erfahren, wie es so einem vierschrötigen Kuhstrumpf ergeht, der sich einfallen läßt, Leute von unserm Schlage zum Besten haben zu wollen. Warte nur, Bürschli, du wirst froh sein, andere Saiten aufzuziehen.« Darauf ging er ab, husch Johannes ihm nach.

Das Horchen ist auf dem Lande nicht halb so verpönt als in den Städten. Man hat meist vergebene Mühe, wenn man Mägden das Schmähliche, welches darin liegt, begreiflich machen will. Weiber behaupten förmlich das Recht dazu zu haben, so gut als zum Schlüssel zum Bureau, denn wo Zwei Eins sein sollen, wie sollte da ein Geheimnis zwischen ihnen sein können! So hatte auch Vreneli gehorcht, und als die beiden Unholde abgefahren waren, kam es mit der Frage auf Uli zu: »Du hast doch eine gesetzliche Quittung?« »Nein,« sagte Uli, »Joggeli hatte nicht Stempelpapier, und seither ging die Zeit herum, ich wußte nicht wie, und daran mahnen durfte ich ihn nicht.« »Du bist doch ein Tropf, nimm es mir nicht übel! Aber gehst, sagst, du habest nicht bezahlt, hast keine Quittung in Händen, und Joggeli ist Joggeli, du solltest ihn doch kennen. Was die jetzt mit ihm anfangen und wozu sie ihn nötigen, das weiß Gott. Achthundert Taler ohne den Zins für die Schatzungssumme kannst du verklappert haben mit einem Worte.« Da ward es Uli katzangst, sein Mund tat nichts als donnern, auf der Stelle wollte er hinüber. »Nein,«[184] sagte Vreneli, »jetzt gehst nicht, mache dich nicht selbst zuschanden! Ich gehe zur Base, daß sie aufpasse, was vorgeht; sie läßt uns nicht betrügen, und ists nötig, kann sie dich rufen.«

Als die Base hörte, worum es sich handle, entrannen ihr aber einige herzhafte Seufzer über das Mannevolk, wo Keiner was rechts, sondern wer nicht Esel, Schelm sei, und sagte: »Sei nur ruhig, denen will ich den Marsch machen, daß es eine Art hat. Aber sage Uli, ein Lümmel sei ein Lümmel, und wenn er einer bleibe, so könne er sich und Andere plagen mit Arbeit und Sparen und doch zuletzt im Winter barfuß laufen und ein schön Liedlein pfeifen, statt eine warme Suppe essen.« Alsbald begab sich die Base auf die Lauer und vernahm an der Türe, wie der Tochtermann vorbrachte: Sie müßten allerdings glauben, der Zins sei nicht bezahlt, ob mit Gutheißen vom Schwäher oder nicht, sei ihm gleichgültig, er verlange bloß eine Anweisung auf Uli, er wolle dann sehen, ob er Geld kriege oder nicht, er kenne solche Geschäfte. Johannes ging plötzlich ein Licht auf, es war das erstemal, daß er eine Art Respekt vor dem Schwager kriegte. Er wolle auch eine, brüllte er, der Teufel solle ihn lotweise zerreißen, wenn er vom Platze gehe, ehe er eine hätte. Erst weigerte sich Joggeli mit allerlei Ausflüchten, als aber die Andern immer heftiger in ihn drangen, ward sein Widerstand schwächer. Die Base an der Türe dachte: Was Tüfels ist ihm aber in Sinn gekommen. Er ist Hunds genug, er tuts. Richtig, endlich ging Joggeli nach Tinte und Papier und suchte die bessere Brille, welche er seither angeschafft hatte.

Da tat sich die Türe auf, die Base trat ein. Es verzogen sich ärgerlich oder verlegen alle Gesichter, sie aber ließ sich dies nicht anfechten, sondern sagte, es nehme sie wunder, was es gebe und was da geschrieben werden solle? Sie mußte zweimal fragen, da munkelte Joggeli: »Nicht viel anders.« Der[185] Tochtermann aber sagte: »Der Vater sieht ein, was recht ist, und tut, was der Brauch ist. Es ist in allen vornehmen Häusern der Fall, daß die Eltern, wenn sie alt werden, nicht mehr kapitalisieren, sondern ihre Ersparnisse den Kindern austeilen, weil jüngere Leute das Geld besser zu nutzen verstehen. Da will der Vater so gut sein und uns Anweisungen auf den rückständigen Pachtzins geben.« »Welch rückständigen Pachtzins?« frug die Base. »Geh, Frau,« sagte Joggeli, »laß uns machen, die Sache ist bald richtig, mach daß wir dann was zu essen und zu trinken haben.« »Essen und Trinken ist da und die Sache ist richtig, denn du schreibst die Anweisungen nicht,« sagte die Base. Joggeli wollte ihr zublinzen, der Tochtermann sagte: »Aber Mutter, wollt Ihr denn wüster gegen uns sein als der Vater? Ihr waret sonst Eurer Kinder Stütze, und jetzt redet Ihr wider sie. Warum wollt Ihr uns z'böst sein? Was haben wir Euch zuwider getan?« »Warum? Darum,« sagte die Base, »weil der Zins bereits bezahlt ist, ihr ein Hudel- und Schelmenpack seid, Alt und Jung, und ich nicht zugeben will, daß unter meinem Dache solche Schelmenstücke verübt werden.« »Mutter, das sind Flausen«, sagte der Tochtermann, »der Pächter hat selbst gesagt, er habe den Zins nicht bezahlt, und so was sagt man sonst nicht, wenn es nicht wahr ist. Er zeige uns die Quittung, wenn wir es glauben sollen; der Vater würde auch nicht Anweisungen schreiben, wenn der Zins bezahlt wäre, so schlecht ist der Vater nicht.« »Was er ist, das weiß ich nicht,« sagte die Base, »aber der Sache will ich ein kurzes Ende machen, schreibt dann meinethalben Anweisungen ein ganz Fuder voll.«

Rasch ging sie zum Bette, warf den untern Teil auf den obern zurück, zog aus dem Strohsack einen schweren, klingenden Beutel, den sie kaum heben mochte, sagte, das sei die rechte Quittung, und wenn die sei, wo sie hingehöre, so werde die Sache sich schon machen. Ehe die Andern recht[186] wußten, was geschah, war sie zur Türe hinaus. Unter der Haustüre sah sie Vreneli, welches aufgepaßt hatte, stellte den Beutel ab und winkte. Rasch war es drüben. »Nimm, lauf, der Atem fehlt«, sagte die Base. Vreneli nahm, lief und war in ihrem Hause, ehe die Andern sich gefaßt hatten und nachgestolpert kamen. Nun, das Ende vom Liede war, daß Joggeli wieder um den größten Teil des Geldes kam.

»Aber Base,« sagte Vreneli, »ist der Vetter wirklich so schlecht, daß er begehrte, arme Leute um Hab und Gut zu bringen, ihr Eigentum ihnen abzuleugnen?« »Nein, so schlecht ist er nicht,« sagte die Base, »aber so ist er, daß er alles macht, um das Unangenehme von sich ab und auf Andere zu wälzen, und wenn dann was Schlechtes daraus entstünde, so würde er sagen, er vermöge sich dessen nicht, sondern der oder jener sei schuld daran. Warum habe zum Beispiel Uli selbst gesagt, er hätte den Zins nicht bezahlt? Dazu habe ihn niemand gezwungen, ihm hätte es in Sinn kommen sollen, was daraus entstehen könne; er mische sich nicht darein, die Andern, wo was mit einander hätten, könnten es ausmachen.« »Aber Base, ist das recht?« fragte Vreneli. »He, das weißt,« antwortete dieselbe, »aber ists gescheut von Uli, keine Quittung zu haben und zu sagen, er habe nicht bezahlt Gefälligkeit hin, Gefälligkeit her, Wahrheit ist Wahrheit; er sollte sich doch nicht in Sachen einlassen, welche er nicht versteht und von denen er nicht weiß, wie weit sie gehen. Mit solchen Lumpensachen kann man nicht bloß um Hab und Gut, sondern auch um den ehrlichen Namen kommen.« »Base, Ihr habt recht und mir macht solches Kummer; Uli möchte gerne der Gute sein, läßt sich gerne zum Großen machen, und je schneller er reich wäre, desto lieber hätte er es. Es scheint mir oft, der Teufel habe eine Angelschnur mit drei Haken nach ihm ausgehängt, an welcher noch hängen bleibt, weiß Gott. Base, ich habe einen Kaffee gemacht, bleibt bei mir;[187] drüben habt Ihr doch böse Gesichter, hier möchte ich Euch zu hunderttausend Malen danken, und Uli hätte auch Ursache dazu.« »Nein, muß hinüber, gucken, was es gibt, schlimm wird es nicht gehen. Ich habe ein gut Gewissen, sie böse, ich mache ein keck Gesicht, und sie wissen nicht, welche sie schneiden sollen. Wenn ich komme, so werden sie lange schweigen, endlich viele Redensarten ins Feld führen, wie sie ja keinen Betrug im Sinne gehabt, und wenn ich das erstemal hinausgehe, kömmt mir Johannes nach und sagt: Mutter, du bist immer die Beste, hättest mir nicht noch einen schönen Kram für Trinette, das Pflaster?«

Kaum hatte der Johannes gemacht, wie die Mutter es vorausgesagt, kam der Tochtermann, hätte die Mutter gerne gestreichelt und gehätschelt, wenn sie nicht drei Schritte rückwärts gegangen wäre, und sagte, ob sie ihm nicht was Gutes hätte für Elise: einen Schinken, eine Wurst, Käse, Butter usw.; Elise liebe derlei Dinge sehr und er gönne sie ihm von Herzen, zuweilen sei sie etwas wunderlich, aber er habe die Hoffnung, mit Ernst sei sie ganz zu kurieren. Ernst sei gut, sagte die Mutter, aber mit der Fünffingerkur solle er nicht mehr probieren, in St. Gallen oder wo er daheim sei, die Menschen noch halb wild seien, da sei sie vielleicht gut, aber im Bernbiet schlage sie schlecht an, man nehme sie von der Regierung nicht an, geschweige denn so von einem halbbaumwollenen Mannli. Probiere sie eine Regierung, so könne sie darauf zählen, ehe ein Jahr umgehe, liege sie im Graben. Aber das gutmütige Wesen tat ihr doch wohl, der Tochtermann ging auch bei ihr nicht leer aus. In Gottes Namen, dachte sie, Elisi hats desto besser, und daß ich an nichts schuld sei, will ich nicht sagen. Wir möchten einen hohen Preis auf die Beantwortung der Frage setzen, wie arm eine Mutter sein müsse, daß sie für das Kind, welches ihr oder für welches man ihr ans Herz klopfe, nichts mehr zu geben habe.[188]

Vreneli suchte den Zuspruch der Base Uli beizubringen, aber er war nicht mehr empfänglich dafür; er sah den Fehler selten mehr auf seiner Seite, war in einen Widerspruchsgeist hineingeraten, der schwer zu bekämpfen ist, wo er sich einmal eingebürgert hat. Es sei böse, wenn man nicht mehr den Nächsten trauen könne, sagte er, übrigens sei die Geschichte lange nicht so gefährlich gewesen, wie sie ausgesehen. Joggeli habe nur die Beiden vom Halse schaffen, Ruhe haben wollen, wenn sie fortgewesen, hätte er ihm die Quittung gegeben; wenn auch das nicht, so wäre die Sache, wenn sie zum Prozeß erwachsen, bald aus gewesen, so viel kenne er von der Sache. »Uli, das glaube doch nie,« sagte Vreneli, »die Prozesse kriegen eigene Köpfe, laufen meist ganz anders, als der Mensch in seinem Kopfe gehabt. Was man sich ganz kurz gedacht, wird lang, lang, länger als ein Bandwurm, und nimmt kein Ende. Vor den Prozessen muß man sich hüten, wahr sein, lauter, in keine Kniffe und Anschläge sich einlassen, alles rund abmachen. Ist man einmal darin, ist man auch nicht mehr Meister.« »Man kann nicht vor allem sein,« sagte Uli, »ungesinnt wird man in einen Prozeß verflochten, und wenn man zu allem Ja sagen wollte, was Andere vor, sagen, käme man lustig weg.« »Ja,« sagte Vreneli, »vor allem kann man nicht sein, aber vor dem hättest sein können, und gerade das war so eine Geschichte, welcher man hätte eine Nase drehen können, wie man sie haben wollte. Wenn die Beiden geschworen hätten, du hättest selbst gesagt, du seiest den Zins noch schuldig, was meinst dann?« »Ah bah, das verstehst du nicht,« sagte Uli und ging weiter.[189]

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 2, Zürich 1978, S. 176-190.
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