Zehntes Kapitel

[162] Wie bei einer Taufe Weltliches und Geistliches sich mischen


Noch ehe der zweite Lehnzins gegeben werden sollte, er, hielt Vreneli das zweite Kind, und diesmal einen munteren Buben. An diesem hatte Uli sehr große Freude, er rechnete schon, wie schnell er ihn brauchen könne, was er ihm ersparen werde, nur war er noch ungewiß, ob er ihm als Karrer oder Melker ersprießlichere Dienste leisten werde. Die Gevatterschaft gab auch diesmal viel Redens, Uli und Vreneli wurden lange nicht einig; endlich mußte Vreneli nachgeben, Uli hielt ihm den Hagelhans vor. Es handelte sich absonderlich um die beiden Paten; die Gotte ward einhellig erwählt in der Schmiedin, welche Vreneli noch weitläufig verwandt war. Die Paten waren Wirt und Müller, mit welchen Uli im Verkehr stand, aber nicht zu Vrenelis Freude; es war ihm immer, als könnten die Uli verderblich sein, als suchten sie ihn in ihre Gewalt zu erhalten, um ihn auszubeuten. Ihre zärtlichen Worte schienen ihm eben falsche Münze zu sein. Der Wirt war ein dicker, schwerer Mann, jeder Zoll an ihm ein Zentner Holdseligkeit, mit welcher man eine große Stadt voll saurer Engländer hätte süß machen können. Die Freundlichkeit ist die freundlichste aller Tugenden, hat unter allen das lieblichste Gesicht, sie ist der Schlüssel zu allen Herzen, sie ist eine erquickende Essenz, erscheine sie am Krankenlager oder im Gesellschaftszimmer, bei der Magd im Schweinestall oder bei dem Regenten auf dem Throne; sie wird viel zu wenig beachtet, viel zu wenig bei den Kindern darauf gesehen,[162] tausendmal des Tages sollte man daran erinnern. Gott gibt sie den begabtern Menschen umsonst, aber desto wüster ists, wenn sie auf Gewinn ausgelegt wird, benutzt, wie man den Honig braucht, wenn man Fliegen fangen will, mit ihr auf Menschen spekuliert, mit durch sie gewonnenem Zutrauen Wucher treibt, Gewinn und Gewerbe, dem Anderen ablockt, was er hat, mit der größten Gewissenlosigkeit, unbekümmert darum, hängen die Betrogenen sich, springen sie ins Wasser oder gehen sie einfach und simpel zu Grunde.

Eine Person der Art war unser Wirt; mit schlauem Verstand, kaltem Herzen und holdseligem Wesen hatte er ein schönes Stück Geld verdient. Wer mit ihm handeln wollte, dem tat es im Herzen wohl, und seine Worte schienen viel besser zu sein als anderer Leute bares Geld. Er hatte eine großherzige Weise, die Leute glücklich zu machen. »Sieh, weil du es bist, gebe ich dir einen Gulden mehr. Die Sache ist mir recht, da braucht man nicht Kummer zu haben, man kriege seine Sache nicht oder schlecht; ja, wenn alle wären wie du, dann könnte man handeln. Sieh, du bist mir zu hoch im Preise, aber weißt du was? Versuche, was du lösen kannst, halte die Sache feil, wem du willst; sieh, was dir geboten wird, und einen Gulden mehr als der Höchstbietende will ich dir geben; es kann Keiner geben was ich, ich habe den Absatz und Leute an der Hand, welche zahlen, welche um eines Kreuzers willen nicht reden, bis sie Löcher in die Zunge kriegen, reiche Leute, und wenn sie schon nicht auf den Tag zahlen, von wegen sie sind in gar vielen Dingen, so kömmt es dann zusammen, da gibt es Haufen Geld; du magst mir es glauben oder nicht, mein Rößlein hat mich manchmal übel erbarmet, wenn es heimziehen mußte.« Nebenbei war er auch den meisten Weibern lieb. Er kannte das Handwerk des Flattierens aus dem Grunde und wußte ihnen so zärtlich in die Augen zu gucken, daß sie die Fuße nicht mehr stillehalten[163] konnten unterm Tische. Ihn vorzüglich haßte Vreneli. »Du wirst dich mit ihm abgeben, bis du einen Schuh voll herausnimmst,« sagte es oft zu Uli.

Den Müller haßte Vreneli etwas weniger, doch immer noch genug, um ihn nicht zum Götti zu wollen. Er hing sich auch an Uli, war alle Augenblicke da, war nicht ganz mit Honig bestrichen, doch wußte er sich auch zu rühmen und zu ködern, daß Uli ihn für einen trefflichen Freund hielt. Bald holte ihn der Müller, um ein Pferd zu besehen, bald sollte er ihm eine Kuh kaufen helfen: das kenne niemand wie Uli, bald holte er einige Malter Getreide und sagte, er müsse es haben, er solle für diesen oder jenen Bäcker besonders schönes Mehl haben, und Korn wie bei Uli fände er nirgends, er wolle es ihm dann aber auch darnach bezahlen, sobald sie mit einander rechneten. Das wußte er immer ganz vortrefflich zu karten, daß sie mit einander in Rechnung blieben, von welcher Rechnung er beständig auch sprach, sehr selten aber sie zum Abschluß machte, sondern immer so, daß etwas auf neue Rechnung blieb. Es ist wirklich auch nichts Bequemeres im Handel, als wenn man immer sagen kann: »Ich zahle dir das jetzt nicht, es geht zum Andern; behalte alles gut in Rechnung, die Sache wird sich dann schon finden.«

Wenn Vreneli Seufzer über solche Rechnungen ausstieß, so sagte Uli: »Sieh, dies verstehst du nicht, die Sache findet sich, und was brauche ich einstweilen Geld Es ist mir sicherer dort, als wenn ich es daheim hätte, ich begreife gar nicht, was du wider die Männer hast, und weißt doch, wie kommod sie uns kommen und wie da nie Nein ist, man mag wollen was man will. Gehe ich zum Wirt, so bringe ich das beste Fleisch, Wein, wie er sagt, wie man ihn sonst nirgends findet, nimmts mit Gewicht und Maß nicht spitz, meint nicht, daß ich jeden Schoppen zahlen müsse. Ein Faß hat er uns zum Einbeizen geliehen und mir hundertmal gesagt, wenn ich was[164] mangle, sei es Tag oder Nacht, so solle ich nur herkommen, er zürne, wenn ich an einen andern Ort gehe, und wenn niemand gegenwärtig sei, nur nehmen ungeniert, was ich bedürfe; einen behülflicheren Mann habe ich nirgends angetroffen, solche Leute sind rar, wo man sie findet, muß man Sorge zu ihnen tragen. Ich muß sagen, es freut mich allemal, wenn ich ihn sehe, und wenn ich schon nur Pächter bin, so schämt er sich meiner doch nicht. Er hätte noch Keinen so wie mich angetroffen, hat er mir schon manchmal gesagt, wenn ich so fortfahre, werde es nicht lange gehen, so sei ich Bauer trotz einem. Beim Müller ist es gerade so; fehlt mir Spreuer, so sind für mich da, wenn für niemand sonst da sind, mit Pferdefutter ists auch so und um einen Preis, wie ich es sonst nirgends bekomme; aus dem Getreide läßt er mir gehen, was Keiner sonst. Mein Lebtag habe ich gehört, es sei nichts kommoder auf der Welt als gute Leute, zu solchen müsse man mehr Sorge tragen als zum Brote. Ich kann gar nicht begreifen, was du gegen sie hast.« »Ja, Uli, gute Leute sind kommod, das haben wir am besten erfahren, ohne gute Leute wären wir nicht, wo wir sind,« antwortete anfangs Vreneli, »aber es ist auch ein großer Unterschied zwischen guten Leuten und guten Leuten. Es gibt gute Leute, welche einem aufhelfen und am besten sich zeigen, wenn man in der Not ist, und es gibt Leute, welche gut scheinen, solange sie jemand ausnutzen können, und ist er ausgenutzet, so lassen sie ihn hängen wie eine Spinne die Fliege im Netz, wenn sie ausgesogen ist. Wenn die es gut meinten, sie wären nicht halb so schmeichelhaft und machten dir den Kopf so groß. Mit der Dienstfertigkeit gehe mir, ich möchte doch wissen, wer mehr dienet, ob sie dir oder du ihnen Haben sie je was zu fahren oder ein Pferd nötig, so stehn sie vor der Türe, und wie viel sie dir dafür geben, weißt du; es steht zu verdienen, werden sie dir sagen, und hast was nötig, so sprich auch zu! Leiht[165] man ihnen etwas, einen Wagen oder ein Werkzeug, so geben sie es nicht wieder, und läßt man es endlich holen, so ist es entweder nicht da oder es weiß niemand, wo es ist, oder es ist zerbrochen und wir haben die Kosten, es ausbessern zu lassen. Ein alter Pfarrer hat immer gesagt: Fründ wie Hünd, und die mahnen mich wohl daran. Du wirst es aber wohl noch erfahren, ob ich recht habe oder nicht.«

Uli dachte, es sei doch eine verfluchte Sache mit der Eifersucht der Weiber. Stelle man dem Weibervolk nicht nach, so erstrecke sie sich auch auf das Männervolk, und am Ende dürfe man mit niemand mehr reden als mit seinem Weibe und dem Hund, doch mit diesem nur halblaut. Das dürfe er nicht aufkommen lassen, und jetzt sei ein Anlaß, zu zeigen, wer Meister sei. Der gute Uli hatte was läuten hören, und das ist das Verfluchteste, wenn man was läuten hört, aber weder weiß, woher das Läuten kömmt, noch was es bedeutet. Die Weiber sind eifersüchtig, das versteht sich, und zuweilen nicht bloß auf Mannsvolk und Weibervolk, sondern wirklich auch auf Hund und Katze. Nun ist es mit dieser Eifersucht wirklich wunderlich. Eigentliche Eifersucht halten wir kaum durch äußere Mittel zu heilen, weder durch Reizungen noch durch die strengste Treue. Reizungen machen Krämpfe, und je offenbarer die Treue ist, desto verdächtiger erscheint sie der Eifersüchtigen, scheint Deckmantel von was Geheimem. Diese Eifersucht kann bloß von innen heraus geheilt werden, und zwar bloß durch den Sinn, der von oben kommt, der den Splitter in des Nächsten Auge nicht sieht, aber den Balken im eigenen, der Mißtrauen hat in die eigene Tugend und nicht in die der Andern, der durch Liebenswürdigkeit zu gewinnen und festzuhalten sucht, was ein schnödes Wesen behandelt wie ein Kind eine Uhr: sie zernichtet, zerstört und doch fordert, daß sie in regelrechtem Gange gehe und die Stunden gehörig zeige.[166]

Dann aber wird wirklich Manches Eifersucht geheißen und als Eifersucht ausgelegt, was es nicht ist. Wenn eine Frau den Mann vor Menschen warnt, sei es männlichen oder weiblichen, wenn sie ihn nicht gern tagelang herumlaufen sieht oder ganze Nächte schwärmen läßt, so kann dieses sehr edle Beweggründe haben: Sorge um den Bestand des Hauswesens, Sorge für die Kinder, Sorge für Ehre und Wohlergehen des Mannes selbst. Wir halten dafür, daß bei Vreneli die letzteren Gründe alleine vorwalteten und nicht wirkliche Eifersucht. Wir halten Eifersucht immer als den Ausbruch des Bewußtseins der eigenen Schwäche oder der eigenen Unliebenswürdigkeit, und nun müssen wir sagen, daß Vreneli kräftiger im Charakter und liebenswürdiger in seinem Wesen war als Uli, daß wir daher Vreneli nicht der eigentlichen Eifersucht untertan glauben. Uli nun aber nahm es freilich so, wollte ein Exempel statuieren und erzwang die beiden Paten. Daß bei Vreneli nicht Eifersucht im Spiel war, hätte er daraus sehen können, daß Vreneli darüber nicht wüst tat, nicht schmollte. Billig und recht wäre es eigentlich, daß eine Mutter, welche das Kind geboren, in derlei Dingen das erste Wort haben sollte, aber wenn er es erzwingen wolle, nun so dann in Gottes Namen, so solle er es. Er werde die Leute schon kennen lernen, nur dauern tue es ihns, daß das arme Bubi zwei solche Paten haben müsse, von denen es einst denken werde, wenn es nur niemand wüßte, daß sie ihm zu Gevatter gestanden. Die kindliche Freude an Ehrenhäuptern, welche man zu Paten habe, sei doch so schön und eine gar mächtige Kraft in kindlichen Gemütern. Aber in Gottes Namen, die Base habe gesagt, man solle nichts erzwingen, sondern denken, was geschehe, sei sicher gut für etwas, und wenn man es recht nehme, diene es zum Besten. Dabei mußte es aber an den Hagelhans im Blitzloch denken und fragen: Es nehme ihns nur wunder, was da Gutes herauskommen werde, daß er des[167] Mädchens Götti sei, derselbe hätte nichts von sich hören lassen. Aber strenge sei es doch, dachte das Weibchen, daß es an keiner Gevatterschaft so eine rechte, vollständige Freude haben solle.

Am Tauftage selbst hätte man von dieser Stimmung nichts bemerkt, denn kreuzlustig war die Gesellschaft und kurzweiliger hätte es nicht zugehen können. Die Drucke, worin die Schnurren und lächerlichen Erzählungen aufbewahrt liegen im Gedächtnis der Menschen, war aufgesprungen. Erzählungen, eine lustiger als die andere, jagten sich; Joggeli lachte laut auf und die Base fuhr ein über das andere Mal mit der dicken Hand über die Augen, wischte die Tränen aus, welche das Lachen hineingetrieben, und bat um Gottes willen, man solle doch aufhören, es versprenge sie sonst. Mit diesen Drucken ists wunderlich, denn es gibt deren mehrere in der Schatzkammer der Seele; da ist zum Beispiel die Liederdrucke, die Gespensterdrucke, die Krankheitsdrucke, die Liebesdrucke und die große Grümpel- oder Plauderdrucke. Diese letztere ist immer bei der Hand, offen fast Tag und Nacht, ohne Boden wie der Himmel, und enthält alles, was wir vom Nächsten gesehen, gehört, gerochen, geschmeckt, gefühlt, gedacht, gemeint, vermutet und geglaubt haben. In dieser kramt man beständig herum, gibt auf die freigebigste Weise zum Besten, was man in die Hände kriegt. Die andern Drucken dagegen liegen verwahrt und verschlossen, man merkt ihr Dasein oft die längste Zeit nicht. Dann, wie von einem Zauberstäbchen berührt, springt die eine der Drucken bei einem Menschen plötzlich auf, und hervor quillt der Inhalt, und allgemach gehen bei allen Anwesenden die gleichnamigen verschlossenen Drucken auf; ihr Inhalt quillt herauf, mischt sich mit dem Strome der Andern. Und wo dieses Quellen mal begonnen, ist es schwer zu stillen; mit schwerem Seufzen schließen diese Drucken sich wieder, denn groß war[168] die Wonne, solang die Quellen rannen, es war wie ein Säuseln aus der Ewigkeit, in welchem die rinnende Zeit, die ganze Gegenwart vergessen wird, und je schauerlicher der Inhalt der Drucken ist, desto größer die Wonne, desto mächtiger, ergreifender das Säuseln aus einer andern Welt.

Es war aber sonderbar, bei Vreneli wollte die Drucke mit den lustigen Geschichten nicht aufspringen, obgleich es auch eine hatte und zwar eine große und wohlgefüllte. Wenn den Andern die Lachtränen die Augen füllten, waren die seinigen auch voll, aber eine unerklärliche Wehmut hatte sie heraufgetrieben, und wenn die Base bat, man möchte um Gottes willen schweigen, das Lachen versprenge sie sonst, hätte es auch so bitten mögen, aber aus dem entgegengesetzten Grunde. Die Wehmut stieg ihm auf, es wußte nicht woher, warum. Als sie da war, machte es entsprechende Gedanken hinein, wie ein Lehrer Buchstaben oder Zahlen auf eine schwarze Tafel oder eine Dame Menschen, Vieh und sonst allerlei auf sogenanntes Beuteltuch, ein gelöchert Zeug, welches vornehme und andere Damen mit schönen Dingen flicken. Nicht unkommod wäre es für manchen Mann, wenn seine gelöcherten Strümpfe zuweilen geflickt würden und nicht einmal mit schönen Dingen, sondern mit simplem Baumwollengarn oder ebenso simplem flächsernem Faden. So machte Vreneli sich auch Gedanken und dachte: Es sei doch eigentlich nicht recht, an einem Tauftage so liederlich und lustig zu sein, das sei keine Weise für ein christlich Kind zu einem christlichen Leben. Wenn das lustige Leben dem Kinde nur nicht angetan werde, daß es auch meine, es müsse sein Lebtag so zugehen in Saus und Braus, in Lust und Lachen. Vreneli war himmelweit von einer Kopfhängerin, aber Vreneli war ein Weib, welches was auf Ahnungen hielt und meinte, man könnte sich versündigen, dieses oder jenes könnte einem nachgehen und die Sünden der Eltern kämen[169] bis in das zweite und dritte Geschlecht. Es war weit entfernt zu glauben, man sollte an einem Tauftage nicht fröhlich sein, nicht was Gutes essen und trinken, aber doch alles so in einer ehrbaren Gsatzlichkeit, so daß man der ganzen Gesellschaft es ansehe, daß sie Christen seien und zur Ehre Gottes gleichsam essen und trinken täten und nicht so wie eine liederliche Wirtshausgesellschaft, welche keinen andern Zweck hat, als sich lustig zu machen. Es wußte der Sache eigentlich keinen rechten Namen zu geben, und es wäre in große Verlegenheit gekommen, wenn es hätte beschreiben sollen, was ihm nicht recht sei und wie es es eigentlich haben möchte.

Nur eines wars, was es bestimmt nennen konnte und um welches endlich alle seine Wehmut zusammenlief und sein Glaube, daß man sich versündige und das Kind es einst büßen müsse, sich klammerte, und zwar Folgendes. Als es später war und die Schmiedin von Aufbrechen sagte, was bekanntlich immer eine geraume Zeit vor dem wirklichen Aufbruch geschieht, sagte der muntere Wirt: Man solle noch warten, er hätte da noch was, das müsse man versuchen, dann wisse man erst, was Wein sei. Er zog nun Champagnerflaschen hervor, welche er unvermerkt herbeigeschmuggelt hatte. Nun wehrte man von allen Seiten, er solle doch nicht aufmachen, man hätte bereits zu viel getrunken und was er doch denke, so köstlichen Wein! Eben, sagte er, müsse man den trinken, wenn man vom andern genug hätte, der mache einem dann ganz wohl wieder und leicht, daß es einem dünke, man möchte fliegen. Und als man von den Kosten sagte und wie solcher Wein nicht in ein Bauernhaus gehöre, so sagte er: Darüber sollten sie sich keinen Kummer machen, allweg koste er sie nichts, ihn hätte er auch nichts gekostet oder doch nicht viel. Er hätte in Frankreich einen guten Freund, einen ganz charmanten Herrn, einen so freundlichen, der gemeinste Bauer könnte nicht so gemein sein mit allen[170] Leuten. »Wenn er zu uns kommt, so ißt er, ihr mögt es glauben oder nicht, mit uns an einem Tische, wo die Kinder essen und Knechte und Mägde. Dem komme ich manchmal kommod, er handelt mit Kühen, Rossen, Kirschgeist, kurz mit vielen Sachen. Es ist ein gar grausam vornehmer Herr« (die Base flüsterte Vreneli, der und der Tochtermann werden einander wohl kennen), »aber nicht ganz fest mit der Sprache, da muß man ihm zuweilen zurechthelfen. Die Leute sind gar unverschämt, man glaubt es nicht, und wenn sie ihn betrügen könnten, sie täten es, und noch dazu Leute, man glaubt es nicht. Aber das tue ich nicht und das sieht er wohl und erkennts auch. So schickt er mir alle Jahre was Gutes und dieses Jahr einen Korb Champagner. Man hat ihn in Körben, der Korb enthält fünfzig Flaschen, und ihr mögt es mir glauben oder nicht, drinnen angenommen, kostet die Flasche geringsten zwei Gulden. Es ist aber auch Wein, der König in Frankreich wäre froh, wenn er solchen kriegte. Aber er kriegt ihn nicht, der wird heillos betrogen, der Herr hat es mir erzählt. Dieser Wein sei nur für gute Freunde, hat mir der Freund gesagt. Auf meine arme teure, wenn er zu uns kommt, er klopft mir den ganzen Tag auf die Achsel, und wie oft er mir ›mon ami‹, das ist auf deutsch ›mein guter Freund‹, sagt, könnte kein Mensch zählen.« Beiläufig gesagt war an der ganzen Geschichte nicht ein wahres Wort. Jedenfalls war der Wein nicht aus Frankreich, sondern aus dem Waadtlande, wo man auch Champagner fabriziert, aber Champagner, der so schwer im Kopfe liegt wie dreijähriges Sauerkraut im Magen. Nun aber war es gar schön, wie der Wirt mit der Flasche umging, mit welchem schmunzelnden Behagen er zeigte, wie die zugemacht sei. Und dann werden sie noch was hören, sagte er. Bedenklich ward sein Gesicht, als der Pfropf gelöst, es ans Knallen gehen sollte, aber es lange zweifelhaft blieb, ob es wirklich knallen werde oder ob es nur[171] eine der vielen Waadtländer Flaschen sei, welche ein Gesicht machen, als ob sie knallen konnten, und am Ende doch nicht knallen. Doch endlich sprang der Pfropf, es knallte wirklich, ja, und mit glücklichem Gesichte sah der Wirt rundum, stillschweigend fragend: »Habt ihr je so was gehört?« Und mit großem Behagen führte er sich alle Verwunderung zu Gemüte, welche er auf den Gesichtern sammelte, und prägte sie tief in sein Gedächtnis, um gelegentlich sie hervorzunehmen und zu zeigen, wie die Verwunderung aussehe, welche man einmal in einem Bauernhause gemacht, als er Champagner habe springen lassen.

Das nun schmerzte Vreneli sehr, daß man am Tauftag seines armen Bubli solch köstlichen Wein trinke, zwei Gulden die Flasche, von dem man sagte, daß ihn der König von Frankreich nicht einmal so trinke. Das arme Kind vermöge sich dessen nichts, und doch werde es diesen gottlosen Aufwand mitbüßen müssen, denn Hochmut komme vor dem Falle. Sie hätten kein Vermögen, die Andern nicht viel mehr, und da könne man doch denken, ob das gut kommen könne, wenn solche Leute solchen Wein trinken wollten, wo sie ja nicht einmal den Verstand hätten, zu wissen, ob er gut sei oder nicht. »Wenn bei Leuten, wie wir sind, solch Aufwand getrieben wird, was sollen erst die Leute anfangen, welche tausendmal reicher als wir sind? Einer, der mit solchem Weine kömmt, dem fehlt es entweder im Kopf oder es weiß der Teufel, was er im Sinn hat, allweg nichts Gutes, und wir können den verfluchten Wein vielleicht einmal noch ganz anders bezahlen als zu zwei Gulden die Flasche.« Es fand auch den Wein bitter, ganz abscheulich, während die Andern ihn nicht genug rühmen, freilich heimlicher unwillkürlicher Grimassen sich nicht enthalten konnten. Es ist allenthalben Sitte, gut zu finden, was kostbar ist, und schlecht, was wohlfeil ist und was man alle Tage haben kann. Darum[172] sind so schrecklich viele Leute so schrecklich unglücklich, dieweil sie so schrecklich dumm sind, daß sie meinen, sie müßten auch alles Schlechte haben, was viel kostet, und das Gute verachten, dieweil es wohlfeil ist. Da ist unser lieber Herrgott gescheuter, und es wäre gut, wenn all unsere dummen Leute ein Beispiel nehmen würden an ihm und so gescheut werden würden, wie er es ist. Er hat die Kartoffel so wohlfeil gemacht, das Brot nicht teuer, läßt Kraut wachsen, mehr als Manchem lieb ist, läßt die Kühe süße Milch geben, und Schlächter lernen das älteste Kuhfleisch als kräftiges Ochsenfleisch verkaufen, läßt den Ärmsten die kühnsten Zähne wachsen, das nahrhafteste Fleisch zu verarbeiten. Was meint man wohl, wenn unser Herrgott den Armen Austern, Schnecken, Frösche, Konfitüren, Bittersüßes samt chinesischen Vogelnestern und passabler Limonade wohlfeil gemacht und darauf sie angewiesen hätte? Wäre man wohl da, bei, oder würde man schreien über schreckliche Ungerechtigkeit? Was kriegten die Armen bei den wohlfeilen Fröschen und Schnecken, Limonaden und Polnisch Bittern für dünne Wangen und lasterhafte Zähne! Wie würden sie doch wieder schreien nach den teuren Kartoffeln und dem unbezahlbaren Schwarzbrot! Aber so ist halt die Welt, hat das ganze Paradies und will halt nichts als Äpfel vom schlechten Baume, an welchen man sterben muß. So hatten sie es auch in der Glunggen, gränneten über den waadtländischen Göttertrank und rühmten ihn doch über die Maßen und redeten ihr Lebtag davon, sie hätten Champagner gesehen und sogar davon getrunken. Vreneli allein sagte, es finde ihn nit e Tüfel nutz und man solle ihns ruhig lassen damit. Der Wirt tat sehr gekränkt. »Mußt eine wunderliche Zunge haben,« sagte er, »daneben will ich niemand zwingen, es wird schon jemand sein, der ihn nimmt,« und darin täuschte er sich wirklich nicht. »Mag sein,« sagte Vreneli, »daß ich nicht weiß, was gut ist,[173] daneben bin ich froh darüber. Mich dünkt gut, was ich habe und was wir vermögen und Gottlob alle Tage, solange wir gesund sind. Dabei bin ich wohl und habe Ursache, Gott zu danken. Es dünkt mich, ich möchte es nicht anders, denn was hätte ich davon, wenn mich die Krankheit ankäme, nur das gut zu finden, was ich nicht hätte und nicht vermöchte, eine Gluste, die ihre Zunge in allem haben möchte, was man selbst nicht hat, aber Andere. Habe von dieser Krankheit schon gehört, aber bis dahin geglaubt, sie sei bloß eine vornehme Krankheit. Sollte sie aber auch unter das gemeine Volk kommen, wie es den Anschein hat, dann gnade Gott den armen Menschen, dann adieß Zufriedenheit, dann wird der Teufel Meister.«

Endlich brachte es die Schmiedin doch zum Aufbruch, obgleich der Wirt sagte: So sei es in der Welt, wenn es am lustigsten gehe und es einem am besten gefalle, so müsse man aufprotzen und fort. Früher hätten sie bloß so Flausen getrieben wie etwa an andern Orten auch, jetzt aber wäre das Predigen angegangen, das wäre was Neues gewesen; es hätte ihn wunder genommen, dies zu hören, es scheine ihm, die Frau Gevatterin könnte es noch besser als mancher halbsturme Pfaff. Er müsse sagen, mit dem, was sie da von der Kanzel runter pralatzgeten, könne er hell nichts machen, er verstehe nichts davon, und in diesen Zeiten, wo man nicht mehr so dumm sei, werde es den Meisten so gehen; es nehme ihn wunder, ob er es nicht erlebe, daß das Zeug ganz aufhöre.

Vreneli ward blaß, da sagte die Base, sie hätte auch schon gehört, daß solche Dinge geredet würden, selbst sei sie aber nicht dabeigewesen und habe es nicht glauben wollen; jetzt wisse sie es, es wäre ihr aber lieber, sie erführe es nicht noch einmal. »Dir, Wirt, wird es auch noch anders kommen, entweder hier oder dort. Wie es dir dann sein wird, wenn du draußen stehst und klopfst und hören mußt: Ich kenne dich[174] nicht, selb wirst dann erfahren, aber leider wird es zu spät sein. Aber eins will dir sagen: wenn im Winter Stein und Bein gefroren ist und so recht eisig der Wind durch die dicksten Kleider zieht bis ins Mark hinein, und es steht ein arm Bettlerkind im dünnen Kleidchen zitternd vor deiner Türe und bittet um Gottes willen, daß man ihns hineinlasse, nur einen Augenblick, um sich zu wärmen, es müsse sonst erfrieren, und man tut ihm die Türe nicht auf und von innen her, aus tönt eine Stimme: Packe dich fort! Wir kennen dich nicht, denk, wie es dem armen, bebenden Kinde sein muß, denk, Wirt! Und doch findet es nicht weit davon eine andere Türe und einen barmherzigeren Hausvater, sterben muß es noch nicht. Denk, wenn du aber einmal so vor der Türe dort stehst, zitternd, und klopfst und hörst: Ich kenne dich nicht, so ist keine Türe für dich, kein barmherziger Hausvater, es ist der Allerbarmer, der dich nicht kennen will; denk, wie wird dir dann sein?« »Ich sehe, die Glunggebäuerin kann das Predigen auch, und wenn unser Pfarrer abgeht, so brauchts keinen Pfarrer mehr, eine von euch oder abwechselnd könnt ihrs auch machen, und vielleicht macht ihrs besser und wohlfeiler als der jetzige. Es will niemand rühmen, daß er ein sehr Geschickter sei, daneben frage ich dem nicht viel nach; lieb ists mir allweg, daß meine Frau auf das Predigen sich nicht so versteht, es könnte mir mißfallen! Nun so dann, so wollen wir,« schloß der Wirt, der jetzt zum Aufbruch sehr bereitwillig sich zeigte, den Predigten wollte er entrinnen und sein Champagner war zu Ende. »Die Flaschen nehme ich wieder mit,« sagte er, »oder braucht ihr sie zu was?« Seine Freigebigkeit hatte ihre Grenzen, wie man sieht.[175]

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 2, Zürich 1978, S. 162-176.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Uli der Pächter
Uli der Pächter
Uli, der Pächter (Birkhäuser Klassiker)
Uli, der Pächter: Eine Erzählung (Birkhäuser Klassiker)
Uli der Pächter
Uli der Pächter

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Der gute Mond / Er laßt die Hand küssen / Ihr Traum. Drei Erzählungen

Der gute Mond / Er laßt die Hand küssen / Ihr Traum. Drei Erzählungen

Drei Erzählungen aus den »Neuen Dorf- und Schloßgeschichten«, die 1886 erschienen.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon