Neunzehntes Kapitel

[328] Ein ander Gericht und ein einziger Spruch


Uli wars nicht wohl. Gewohnt, dem immer sehr bestimmt ausgesprochenen Willen des Wirts sich zu unterwerfen, ging er wohl hin, erzählte, wie es gegangen, aber was das Mannli ihm gesagt, verschwieg er, das wollte ihm nicht den Hals herauf; hastig trank er den Wein und pressierte weiter, denn schon bewegte sich stark das Laub an den Bäumen wie von unsichtbarer Hand, denn kein Wind bewegte die dicke, heiße Luft. Fernher donnerte es dumpf, fast aneinander, als ob ein schwerer Wagen über eine hölzerne Diele fahre. Wenn es wettern will, eilt der rechte Hausvater heim so stark als möglich, dort ist sein Platz, wie der des Obersten an der Spitze des Regiments, wenn der Feind naht. Man weiß nie, was es geben kann, und beim Hausvater soll der Rat sein in allen Dingen und die Hand zur Tat in allen Fällen. Uli eilte weiter trotz den Versicherungen des Wirtes, er komme ohne Pressieren heim, zu rechter Zeit, und das Wetter ziehe obenein, er solle darauf zählen.

Es war merkwürdig am Himmel, drei, vier große Wetter standen am Horizonte, eines drohender als das andere. Feurig war ihr Schoß, schwarz und weiß gestreift ihr Angesicht, als ob mit der Nacht der Tod sich gatte, dumpf toste es. »Dort geht es bös, dort hagelts,« sagte Uli halblaut für sich, »wie[328] angenagelt steht das Wetter; dort hagelt es fast alle Jahre, da möchte ich nicht wohnen, hier durch kommen solche Wetter nicht, der Wirt hat recht. Joggeli hat gesagt, als er die ersten Hosen getragen, da habe es einmal gehagelt, er möge sich noch gar wohl daran erinnern, seither nie mehr, daß es der Rede wert.« Indessen schneller wurden ihm unwillkürlich seine Schritte, langsam rückten auch die Wetter herauf am Horizonte, zogen sich rechts, zogen sich links, feindlichen Armeen gleich, die sich bald in der Fronte, bald in den Flanken bedrohen, es ungewiß lassen, ob und wo sie zusammenstoßen. Das gefährlichste der Wetter zog seinen gewohnten Weg, obenein, da kam von dorther ein ander Gewitter rasch ihm entgegen, stellte seinen Lauf, drängte es ab von seiner Bahn. Gewaltig war der Streit, schaurig wirbelten die Wolken, zornig schleuderten sie einander ihre Blitze zu. Wie zwei Ringer einander drängen auf dem Ringplatze ringsum, bald hierhin, bald dorthin, rangen die Gewitter am Himmel, rangen höher und höher am Horizonte sich herauf, und je wilder es am Himmel war, desto lautloser war es über der Erde. Kein Vogel strich mehr durch die Luft, bloß ein Lämmlein schrie in der Ferne. Uli ward es bang. »Das kömmt bös,« sagte er. »Ich habe es noch nie so gesehen. Da ist ein großer Zorn am Himmel, wenn ich nur daheim wäre. Hageln wird es, so Gott will, nicht; es ist mir wegen Einschlagen, es ließe mir niemand das Vieh heraus. In einer guten Viertelstunde zwinge ichs.« Wie er das für sich selbsten sagte, ward er scharf auf eine Hand getroffen. Er zuckte zusammen, sah um sich, sah einzelne Hagelsteine aufschlagen auf der Straße, durch die Bäume zwicken, nur hier und da einer, ganz trocken, ohne Regen, aber wie große Haselnüsse waren die Steine. Es wird doch nicht sein sollen, dachte Uli, und sein Herz zog sich zusammen, daß das Blut nicht Platz hatte in demselben, dessen Wände zu zersprengen drohte. Es hörte wieder auf. Uli dachte: »Gottlob,[329] es wird nicht sein sollen, böser hätte es nie gehen können als gerade jetzt, so kurz vor der Ernte, und jetzt bin ich daheim oder so viel als.« Uli stund auf einem kleinen Vorsprunge, wo der Weg nach der Glungge abging und das ganze Gut sichtbar vor ihm lag, da zwickte ihn wieder was und zwar mitten ins Gesicht, daß er hoch auffuhr, ein großer Hagelstein lag zu seinen Füßen. Und plötzlich brach der schwarze Wolkenschoß, vom Himmel prasselten die Hagelmassen zur Erde. Schwarz war die Luft, betäubend, sinneverwirrend das Getöse, welches den Donner verschlang. Uli barg sich mühsam hinter einen Kirschbaum, welcher ihm den Rücken schirmte, verstieß die Hände in die Kleider, senkte den Kopf bestmöglich auf die Brust, mußte so stehen bleiben, froh noch sein, daß er einen Baum zur Stütze hatte, weiterzugehen war eine Unmöglichkeit.

Da stund er nun gebeugt am Baume in den sausenden Hagelmassen, seines Lebens kaum sicher, fast wie an den Pranger gebunden, vor seinen vor kurzem so schön prangenden Feldern, welche jetzt durch die alles vernichtenden Hagelwolken verborgen waren. Uli war betäubt, keines klaren Gedankens fähig, er stund da wie ein Lamm an der Schlachtbank; er hatte nichts als ein unaussprechlich Gefühl seines Nichts, ein Zagen und Beben an Leib und Seele, das oft einer Ohnmacht nahekam, dann in ein halb bewußtlos Beten überging. Das Zagen und Beben entstund eben aus dem dunkeln Gefühl, daß die Hand des Allmächtigen auf ihm liege.

So stund er eine Ewigkeit, wie es ihm vorkam, in Fetzen schien Gott die Erde zerschlagen zu wollen. Da nahm das schreckliche Brausen ab; wie eine milde, liebliche Stimme von oben hörte man das Rollen des Donners wieder, sah die Blitze wieder zucken, der Gesichtskreis dehnte sich aus, die Schlacht tobte weiter, die Wolkenmassen stürmten über neue[330] Felder, rasch hörte der Hagel auf, freiern Atem schöpfte wieder der bis zum Tode geängstigte Mensch.

Auch Uli hob sich auf, zerschlagen und durchnäßt bis auf die Haut, aber das fühlte er nicht. Vor ihm lag sein zerschlagener Hof, anzusehen wie ein Leichnam, gehüllt in sein weißes Leichentuch; von den Bäumen hing in Fetzen die Rinde, und verderblich rollten die Bäche durch die Wiesen. Aber Uli überschlug den Schaden nicht, schlug die Hände nicht über dem Kopfe zusammen, fluchte nicht, verzweifelte nicht. Uli war zerknirscht, war kraftlos an Leib und Seele, fühlte sich vernichtet, von Gottes Hand niedergeschlagen. Ob er was dachte oder nicht, wußte er nie zu sagen. Er wankte heim, merkte Vreneli nicht, welches weit vom Hause die Knechte regierte, daß sie Einhalt täten den stürmenden Wassern, bis es ihm um den Hals fiel mit lautem Jubel und sprach: »Gottlob bist da! Nun, wenn du da bist, ist alles wieder gut und gut zu machen. Aber was ich für einen Kummer um dich ausgestanden, das glaubst du nicht. Mein Gott, wo warst in diesem Wetter! Gewiß im Freien, und kamst lebendig davon!« Die freundliche Teilnahme weckte Uli aus der stumpfen Betäubung, doch bloß bis zu den Worten: »Es wäre vielleicht besser anders, mir wäre es wohl gegangen und niemand übel.« »Nit, nit« sagte Vreneli, »versündige dich nicht. Es ist übel gegangen, viel zu übel; als es am stärksten machte, wollte es mir fast das Herz abdrücken, es war mir, als sollte ich dem lieben Gott zuschreien, was er doch denke. Da fiel mir ein, du könntest im Wetter sein, vom Blitze getroffen werden oder sonst übel zugerichtet. Da war es mir weder um Korn noch Gras noch Bäume mehr; es kömmt ein ander Jahr, und da wachsen wieder andere Sachen, aber wenn es nur Uli nichts tut, dieser recht nach Hause kömmt, so macht alles andere nichts, ward mir. Da faßte ich mich, und sobald man vor das Dach durfte, sah ich nach dem Wasser, und siehe, da[331] kömmst du daher, und jetzt ist alles gut. Jetzt komm heim, du hast es nötig.« »Siehst?« sagte beim Gehen Uli, »kein Halm steht mehr, kein Blatt ist an den Bäumen, alles am Boden, alles weiß wie mitten im Winter. Was jetzt,« Er stund still und zeigte Vreneli hin über das Gut.

Es bot wirklich einen herzzerreißenden Anblick, sah schaurig aus, ein Schlachtfeld Gottes, wo seine Hand über den Saaten der Menschen gewaltet. Unwillkürlich tränten Vrenelis Augen und seine Hände falteten sich, aber es suchte sich stark zu machen, es sagte: »In Gottes Namen, es sieht schrecklich aus, aber denk, Gott hat es getan, wer weiß warum! Wir müssen es nehmen, wie er es gibt; er, der uns geschlagen hat, kann uns auch helfen, mit Kummern und Klagen richten wir nichts aus. Denk, wie es heißt: Sorget nicht für den morgenden Tag, es ist gut, daß jeder Tag seine eigene Plage habe.« »Das steht schön geschrieben, aber wer kann es so nehmen,« sagte Uli, »bsunders –« Doch Vreneli fiel ihm ins Wort und sagte: »Nit, nit, Uli! Immer denken muß man so, dann kommt es einem auch so ins Herz und man weiß nichts mehr anders. Aber sieh, was ist das? Du mein Gott!« Es war eine Brut junger Wachteln; wahrscheinlich hatte die Mutter mit ihren Kleinen ins nahe Gebüsch fliehen wollen, und als sie merkte, daß es nicht ging, die Jungen, welche ihr gefolgt, noch einmal unter ihre schirmenden Flügel gesammelt und so mit ihnen den Tod gefunden. Sie lag mit ausgebreiteten Flügeln tot, unter denselben und um sie her ihre Jungen alle, sie war den Tod der Treue gestorben. »So wäre es einem am wöhlsten,« sagte Uli. Vreneli antwortete nicht darauf, sondern sammelte die armen Tierchen in seine Schürze und sagte: Die müsse ihm keine Katze fressen oder ein ander wüst Tier. Die Alte mit ihren Kindern verdiene begraben zu werden wie ein Mensch, denn braver als mancher Mensch hätte sie gehandelt.[332]

Unter dem Dache seines Stöckleins steckelte Joggeli im Hagel, der dort hoch aufgetürmt lag, und sagte: »Groß wie Baumnüsse sind sie, so große Steine sah ich nie. Es war ein schrecklich Wetter, es weiß kein Mensch, wie übel es gegangen, gleich vor der Ernte, das wird manch Lehnmannli schütteln und erlesen. Aber sie sind selbst schuld, warum tun sie nicht in die Assekuranz; gerade für solche Leute, die ein Hagelwetter nicht ertragen mögen, wäre sie. Aber wunder nimmt es mich, warum es gerade in diesem Jahre nach siebenzig Jahren zum erstenmal wieder gehagelt hat und so grob; da muß was Apartes dahinter sein, ich wüßte sonst nicht, warum Gott es gerade jetzt wieder hätte hageln lassen. Wenn es nur so wegen dem allgemeinen Gebrauch wäre, so wäre es schon lange wieder geschehen, aber warum gerade jetzt wieder? Das dünkt mich kurios.« Er erhielt keine Antwort. Als sie ins Haus waren, sagte Joggeli: »Jetzt ist dem das Reden doch einmal auch vergangen, es dünkt mich nicht anders. Ich will nicht sagen, daß ich es ihm gönnen mag, aber recht ist, daß dem auch mal was auf die Nase kömmt. Wenn ich nur schon meinen Zins hätte, da läßt sich zur rechten Zeit zusehen, daß ich zu meiner Sache komme.«

Vreneli unterdrückte mit aller Macht Klagen und Kummer, war mit aller Teilnahme um Uli besorgt, legte trockne Kleider zurecht, bereitete einen guten Kaffee, der Weiber Tröster in allen Nöten. Aber düster blieb Uli, sprach nicht, legte statt zu essen und zu trinken den Kopf in die Arme auf den Tisch und seufzte tief Vreneli sprach zu, guten Muts zu sein, das sei die Hauptsache. Noch hätten sie auch noch etwas, hätten gute Leute, und an dem, was Gott tue, sei doch noch selten jemand zugrunde gegangen, wenn er standhaft geblieben und Herz und Kopf am rechten Flecke behalten; wer zugrunde gehe, sei gewöhnlich selbst daran schuld. »Eben das ists,« sagte Uli, »du weißt darum nicht alles.« »Und wenn du[333] den Prozeß auch verloren hast,« sagte Vreneli, »so macht das wieder nichts, es geht nicht um Frankreich, es ist ein Lehrgeld für ein andermal.« »Ja, wenn ich ihn verloren hätte, da wäre es wohl gut, ich wäre dessen noch froh, dann hätten wir das Hagelwetter nicht und ich nichts auf dem Gewissen, welches mir niemand mehr von demselben nimmt.«

Nun erzählte er Vreneli, wie er den Prozeß gewonnen; nach dem Gesetze habe er recht gehabt, so hätten es die Richter gesagt. Angelogen habe er das Mannli, das sei wahr, aber das sei nicht gegen das Gesetz gewesen, und über den Gewinn sei er ganz froh gewesen, bis das Mannli von Weib und Kindern gesprochen und ihm angewünscht, daß Gottes Hand ihn entweder beizeiten treffen oder er am Galgen sterben möchte. Die Worte hätten ihm schwer gemacht und nicht aus dem Sinne wollen, es sei ihm immer gewesen, wäre er nur daheim; aber an ein Hagelwetter habe er nicht gedacht, da es ja hier nicht hagle, höchstens alle hundert Jahre einmal. Er habe wohl gesehen, daß es hagle gegen das Oberland, er habe den Zusammenstoß der Wetter gesehen und wie sie einander heraufgetrieben gerade gegen ihn zu; es sei ihm kalt geworden ums Herz, er habe denken müssen: kömmt ein Blitz und trifft er dich? Als der Hagel losgebrochen, als er wie ein armer Sünder am Halseisen unter dem Baume gestanden, da habe er den Blitz erwartet und nichts denken können als: Gott sei meiner armen Seele gnädig! Mit dem Leben sei er davongekommen, aber was jetzt? Ein armer Tropf, solange er lebe, daß ärmer keiner auf der Welt sei. Er sei nun um seine Sache, sei um ein gutes Gewissen, müsse sein Lebelang denken, er habe sich und noch einen unglücklich gemacht, und wenn er schon gut machen wollte, so seien ihm die Hände gebunden, da er selbst nichts habe. Als der Alte vorhin gesagt, es nehme ihn wunder, warum es gerade jetzt hageln müsse, da hätte er es ihm sagen können, aber nichts als wünschen,[334] wenn er doch nur zehntausend Klafter tief unter dem Boden wäre.

Vreneli hatte mit Beben Ulis Beichte gehört. Es war weit entfernt, die Sache leicht zu nehmen und Uli die Art, wie er das Gewitter auffaßte, auszureden. Es hatte einen innigen Glauben an den Zusammenhang der göttlichen Fügungen mit den menschlichen Handlungen, glaubte an eine Vorsehung, welche die Haare auf dem Haupte kennt und die Sperlinge auf dem Dache behütet, es glaubte an die zeitlichen Strafen, aber als eine Zucht, welche wirken soll bei denen, welche Gott lieben, eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit. Als es stumm dagesessen und lange um das rechte Wort gerungen und es nicht gefunden – klagen, Vorwürfe machen wollte es nicht, und wie trösten? –, da stund es plötzlich auf, holte das heilige Buch, suchte, fand und las: »Betrachtet doch den, der ein solches Widersprechen von den Sündern wider sich erduldet hat, auf daß ihr nicht matt werdet, den Mut fallen lasset! Ihr habt noch nicht bis aufs Blut widerstanden über dem Kämpfen wider die Sünde. Und, Lieber, habt ihr schon allbereits vergessen die Vermahnung, die mit euch als mit Söhnen redet? Mein Sohn, spricht sie, achte nicht gering die Züchtigung des Herrn und verzage nicht, wenn du von ihm gestraft wirst, denn welchen der Herr lieb hat, den züchtigt er; er geißelt aber einen jeglichen Sohn, den er aufnimmt. So ihr die Züchtigung erduldet, so erbeut sich Gott gegen euch als gegen Söhne; denn welcher Sohn ist, den der Vater nicht züchtigt? Seid ihr aber ohne Züchtigung, deren sie alle sind teilhaftig worden, so seid ihr Bastarde und nicht Söhne. Darnach so haben wir die Väter unseres Fleisches zu Züchtigeren gehabt und sie gescheuet; sollten wir dann nicht viel mehr untertan sein dem Vater der Geister, daß wir leben? Denn jene haben uns gezüchtigt wenig Tage nach ihrem Gutdünken; dieser aber züchtigt uns zunutze, auf daß wir[335] seiner Heiligkeit teilhaftig werden. Eine jede Züchtigung aber, wenn sie gegenwärtig ist, dünket sie uns nicht Freude, sondern Traurigkeit zu sein; aber darnach gibt sie denen, die durch sie geübet sind, eine friedsame Frucht der Gerechtigkeit. Darum richtet wieder auf die sinkenden Hände und die müden Knie und machet richtige Wegleisen euren Füßen, auf daß nicht, was lahm ist, abgestoßen werde, sondern vielmehr gesund werde! Jaget dem Frieden nach gegen jedermann und der Heiligung, ohne welche niemand den Herrn sehen wird! Und sehet darauf, daß nicht jemand Gottes Gnade versäumet, daß nicht etwa eine Wurzel der Bitterkeit auf, wachse und Unruhe anrichte und Viel durch dieselbige befleckt werden!«

»Das wäre schön,« sagte Uli, als Vreneli zu lesen aufhörte und ihn ansah, »wer es fassen könnte.« Da wurde er abgerufen, die Knechte fühlten einmal, daß sie den Meister bedurften. Die Ställe waren voll Vieh, und keine Hand voll Gras wäre in diesem Augenblick auf dem ganzen Gute zu haben gewesen; die Trümmer waren mit Hagel bedeckt, das neue Heu noch in Gärung. Da kam es Uli wohl, daß er dafür sorgte, so viel als möglich durch den größten Teil des Sommers altes Heu zu haben; dies kömmt in gar vielen Fällen äußerst bequem, immer ists freilich nicht zu machen, es gibt Jahre, wo man froh ist, wenn Heu und Gras einander erreichen.

Vreneli war sehr bewegt in seinem Gemüte, es fühlte wohl, wie schwer es sei, den wahren Trost zu fassen, wie schwer, über alle irdischen Kümmernisse den Glauben zu erheben, daß das, was Gott tue, wohl getan sei. Es pries als ein groß Glück das Unglück, wenn dadurch Uli aus dem Wirbel des Zeitlichen dem höhern Ziele zugewendet worden, aber dazwischen kamen ihm doch die Sorgen: was werden wir essen und womit werden wir uns kleiden, Am tiefsten ergriff[336] ihns, daß indem sie unglücklich geworden und geschlagen, das Mannli seine Sache doch nicht wieder hätte, doch vom Höflein komme, mit den Kindern dem heiligen Almosen nach müsse, daß sie nicht imstande seien, ihn mit Geld zu sühnen; was sie auf- und anbringen möchten, gehöre Joggeli, dem alten Gläubiger, und wie es herauskäme, wenn sie diesem geben würden, was sie ihm nicht schuldig seien, und da nicht zahlen, wo die Schuld verschrieben sei? Das plagte ihns. Es sagte sich freilich, das Mannli sei auch etwas schuld an der Sache, es habe sich immer sehr hässig gebärdet und aufbegehrt; wenn es freundlicher getan, so hätte Uli vielleicht nachgegeben. Indessen hatte eben das Mannli recht und Uli unrecht. Vreneli wußte sich nicht anders zu helfen, als die Sache auf Gott zu stellen, ihn zu bitten, dort gut zu machen, was selbst zu tun er ihnen selbst die Hände gebunden.

Das Haus war ihnen also nicht verbrannt, aber alles, was auf dem Gute grünte, verhagelt worden. So geht es oft; man fürchtet etwas als das größte Unglück, damit wird man verschont, dagegen bricht ein anderes über uns herein, an das man nicht gedacht, welches aber viel größer und schwerer ist.

Der Morgen nach einem Brande ist ein trauriger Morgen, da steht man an der Brandstätte und denkt ans Haus, wie es gewesen und was alles darin gewesen. Dann geht man auf die Brandstätte, sucht im rauchenden Schutte dieses, jenes; das eine findet man nicht, von anderm Bruchstücke, die nicht zu brauchen sind; dann will man traurig weg und kann doch nicht, und immer wieder zieht es einem zurück, zu suchen nach diesem, nach jenem, zu schauen, wie es jetzt ist, zu denken, wie es gewesen.

Aber nicht viel weniger traurig ist der Morgen nach einem großen Hagelschlag, besonders für einen Pächter, der den verschiedenen Pflanzungen nachgeht, traurig die Stummel[337] und Trümmer betrachtet und überschlägt: Soviel hätte mir dieses ertragen, soviel jenes, und jetzt nichts; die Bäume betrachtet und denkt: So manches Jahr sind sie nun unfruchtbar, und viele sterben; denken muß: Wo jetzt zu essen nehmen, was jetzt pflanzen, daß man im Herbst doch noch einen kleinen Ertrag hat, etwas für die allerhöchste Not, Das sind traurige Wanderungen, besonders wenn bei der Heimkunft der Pachtherr unter dem Dache steht und sagt: »Höre du, was ich sagen wollte, es wäre mir lieb, wenn du mir geben könntest, was du mir vom vorigen Jahre noch schuldig bist, es war diesen Morgen jemand bei mir und ich sollte Geld haben.« Besonders wenn man dazu noch angegriffen ist an Leib und Gemüt, alle Glieder schmerzen, die Beine so schwer sind, daß man glaubt, sie gingen knietief in der Erde, und die Seele so voll ist, daß man sich hinlegen, sterben möchte, der Mut zu allem fehlt. Vreneli munterte Uli auf, gab verständigen Rat, tröstete ihn über Joggelis Unverstand, daß der nichts zu bedeuten hätte, doch alles umsonst. Uli blieb zerschlagen in Gliedern und Gemüt.

Nachmittags sagte ihm Vreneli, sie wollten zusammen die mit dem Gute nicht zusammenhängenden Äcker besuchen. Auf einem derselben, der durch einen Hügel vom Ganzen getrennt war, hatten sie eine sehr bedeutende Kartoffelpflanzung. Mit großer Mühe konnte Vreneli ihn dazu bewegen und bloß durch die Vorstellung, daß sie doch zusehen müßten, ob man noch irgend einen Ertrag erwarten könne oder neue setzen müsse. Wenn man gleich dran hingehe, so könne man bis im Spätherbst noch Erdäpfel erwarten, besonders von rasch wachsenden, schnell reifenden Sorten. In den nähern Äckern fanden sie die gleiche Verheerung, mit großer Not bewegte Vreneli den Mann, noch zu den Erdäpfeln zu gehen. Er möge nicht, sagte Uli, es seien ihm die Beine wie zusammengebunden. Vreneli gab nicht nach. Uli ging. Als[338] sie auf der Höhe waren, sahen sie zu ihrer großen Verwunderung den ganzen Acker fast unversehrt. Je stärker ein Hagelschlag ist, desto schärfer ist er zumeist begrenzt. Auf der einen Seite eines Weges oder eines Zaunes sieht man alles zerschlagen, auf der andern keine Spur eines Hagelkorns. Fast laut auf hätte Vreneli gejauchzt. Es fühlte so recht die Freude über etwas, welches man verloren geglaubt und unversehrt wieder gefunden. Es nahm es als ein Pfand, daß alles besser kommen werde, als es den Anschein habe. »Nun freue dich, Uli,« sagte es; »hat man Kartoffeln, so hat man alles, die Sache wird sich schon machen.« »Ja, wenn es mit dem Essen gemacht wäre,« sagte Uli. »Es wäre schier besser, es wäre alles im gleichen Loch, so wüßte man, woran man wäre; was helfen Erdäpfel?« Dem Mutlosen gilt alles nichts, dem Mutigen wenig viel.

Am folgenden Tag fuhr ein Wägelchen an; Vreneli stieß einen Schrei der Freude aus, Uli hob kaum den Kopf, denn ihm war noch schlimmer als am vorigen Tag. Auf dem Wägelchen saßen der Bodenbauer und seine Frau. Sie waren lange nicht dagewesen, hatten das Unglück vernommen, kamen nun selbst, zu sehen, wie es stehe und welche Hülfe die beste sei; es waren wahre Freunde in der Not. Sie sahen mit innigem Mitleid die Verwüstung, wie ihnen seit langem keine vorgekommen, besonders erbarmten sie die armen Bäume, welche jahrelang siechen und fruchtlos bleiben mußten. Auf Vrenelis Antrieb gingen sie allenthalben herum, und Vetter Johannes mußte raten und sagen, was man vorzukehren hätte, um noch so viel möglich Nutzen zu ziehen aus diesem und jenem, was umzufahren sei, was man stehen lassen, was abmähen solle usw. Uli war wohl auch dabei, aber es war fast, als ob er keine Ohren hätte, die Sache ihn nichts anginge. Joggeli trappete auch nach, gab hier und dort verblümte Stiche, die niemanden trafen als Vreneli, welches seine Redeweise[339] am besten kannte. Es lud ihn ein, mit ihnen zu essen, er gab jedoch zur Antwort, sie hätten ihre Sache selbst zu brauchen und niemanden nötig, ihnen dabei zu helfen.

Dem Bauer und der Bäuerin war Ulis Niedergeschlagenheit aufgefallen, nach der Weise bedächtiger Leute hatten sie aber nichts davon gesagt. Nach dem Essen stellte Vreneli nach Landessitte, wo der Wein erst nach dem Essen erscheint, wenn nämlich welcher erscheint, eine Maß auf den Tisch und schenkte ein. »Warum hast doch Kosten,« sagte die Bodenbäurin, »wir haben es nicht nötig und ihr das Geld sonst zu brauchen; daneben wenn ihr was nötig habt, so sprechet zu, wenn wir es haben, so soll es nie Nein heißen. Gerade in solchen Zeiten hat man einander nötig, gehts gut, so kann man es alleine machen.« »So ists,« sagte der Bodenbauer, »und was meine Frau sagt, ist nicht bloß geredet, sondern ist Ernst. Aber sag mir, Uli, was ist mit dir? Dich kenne ich gar nicht wieder, warst sonst doch nicht so verdrückt und ohne Mut; warst wohl manchmal obenaus und ließest wieder die Flügel sinken vor der Zeit, aber wenn du sahest, daß man dir zu helfen begehre, und man dir das Kinn in die Höhe drückte, so warst wieder ein Mann. Aber heute will gar nichts anschlagen bei dir, essen und trinken tust du nichts, reden nichts, und seit einer Weile ists, als hörtest du nichts! Rede, was ists?« »Ich bin nicht zweg,« sagte Uli matt, »es ist mir in allen Gliedern, es ist mir, als wäre ich unter der Erde. Es wäre gut, ich wäre es schon, denn an allem bin ich schuld.« Vreneli wollte unterbrechen, der Bodenbauer fragte, Uli sagte zu Vreneli: »Rede selbst und sag, wie die Sache sich verhält, es tut mir der Kopf so weh! Sage nur alles, es ist am besten, sie wissen, wie es ist.«

Vrenelis Verstand sah alsbald, daß Offenheit hier am Platze sei. Johannes war Bürge, und wenn jemand mit Rat und Tat beistehen konnte, so war er es. Wenn man Beistand will,[340] muß man offen sein; nichts schreckt hülfsbereite Menschen mehr ab, als wenn sie merken, daß man ihnen viel oder die Hauptsache verheimlicht, wodurch jede Hülfe nichts ist als in einen Abgrund geworfene Schätze. Vreneli erzählte klar, aber so schonend als möglich. Als es ihre Finanzzustände auseinandersetzte, berührte es begreiflich auch das Verhältnis mit Wirt und Müller, aber nur leise, so daß, wer nicht die ländlichen Verhältnisse ganz genau kannte, nichts Besonderes bemerkte. Ebenso machte es es mit dem Prozeß, als es aber zu dessen Ende kam und dessen Zusammenhang mit dem Hagelwetter erzählte und wie Uli dies jetzt so schwer nehme, da sagte die Bodenbäurin ein über das andere Mal: »Mein Gott, mein Gott, ist das möglich!«, und der Bodenbauer meinte, so was sei doch wirklich seit langem nicht er, lebt worden. Aber wenn es so sei, so solle Uli sich eben trösten, denn es sei ein Zeichen, daß Gott es gut mit ihm meine. Eine Züchtigung, und sei es auch ein solch Hagelwetter, sei doch immer besser, als am Galgen zu sterben. Auch vergaß Vreneli nicht zu erwähnen, wie Joggeli keinen Verstand habe, was sie auch an ihm täten. Doch hätte dieses so viel nicht zu bedeuten, denn Ernst würde er von sich aus nicht machen; aber Sohn und Tochtermann seien immer geldbedürftig, ließen sich vielleicht seine Anforderungen abtreten oder beschummelten ihn auf andere Weise, daß sie zwischen Tür und Angel kämen. Es sei Keinem zu trauen, namentlich der Tochtermann sei des Ärgsten fähig, und Joggeli, obgleich beständig aufbegehrend, sei so leicht einzuschüchtern wie ein Huhn, und obgleich alle Menschen tadelnd, in vielen Dingen einfältiger als die dümmste Frau. So sei er nicht immer gewesen, aber das Alter sei da und die Frau fehle ihm.

Johannes ging hinüber zu Joggeli und hatte eine lange Konferenz mit ihm. Diese Konferenz war keine Intervention, auch keine Mystifikation auf die Weise, wie ein übermütiger[341] englischer Junge sie wohl probiert an neugebackenen Diplomaten, sondern sie war bloß ein Sondieren, ein freundlich Bestimmen, ein Zusichern, man sei dann auch noch da, und deswegen solle Joggeli keinen Kummer haben, sondern bloß Geduld, wenn es sein müsse. Das Beste versprach Joggeli, denn Respekt hatte er vor dem Bodenbauer, und als die besten Freunde schieden sie. Darauf hatte Johannes noch eine Privatkonferenz mit Vreneli. »Sieh, Fraueli,« sagte er, »dein Mann ist nicht zweg, das Zeug hat eingeschlagen bei ihm, es ist sich aber auch nicht zu verwundern, so was wird nicht alle Tage erlebt; daneben ists besser, nicht zu viel davon zu reden einstweilen. Laß morgen den Doktor holen, besser wärs, er würde krank, als daß es ihm ins Gemüt schlägt, das ist schwer zu heilen. Du mußt die Zügel fassen, laß alsobald dies und jenes machen, und wenn du mich nötig hast oder Geld willst, so laß es mir sagen. Bös stehts nicht mit euch, aber gut wärs, ihr stündet in keinen Rechnungen; das ist ungut, besonders wenn euer Hausbuch nicht in Ordnung ist, was kaum sein wird. Ich kenne das Hagelwerk und die Hagle, welche auf diese Weise handeln, nie rechnen wollen und endlich, wenn es sein muß, mit Rechnungen ausrücken, vor welchen des Teufels Großmutter sich schämen würde. Du kannst daran nichts machen, mußt warten, bis Uli wieder zweg ist, aber dann muß die Sache abgetrieben sein und ausgemacht bis auf den letzten Kreuzer. Können solche Leute einem nur die Fingerspitze berühren, so wird man ihrer nie los. Dann sage aber Uli alle Tage: Ehrlich währt am längsten, daß er es nie mehr vergißt. Von Joggeli habt ihr einstweilen nichts zu fürchten, daneben kann man auf solche Leute sich nie verlassen, es kömmt immer darauf an, wer zuletzt bei ihnen ist. Sieh gut zu ihm, so viel Verstand hat er noch, daß er dies einsieht.« Vreneli jammerte wegen Uli. Wenn man meine, man habe das größte Unglück erlebt, welches möglich sei,[342] so zeige sich schon ein anderes, noch viel größeres, daß man bitten müsse: Nur das nicht! und versprechen, das Vergangene wolle man gerne ertragen und nicht mehr klagen. So habe es es jetzt; vom Hagelschaden wollte es nun nichts mehr sagen, wenn nur Uli zweg wäre, der mache ihm jetzt den größten Kummer. »Zeige ihn nur nicht und rede nicht zu viel mit ihm von der Sache, es wird schon bessern, aber man muß einige Zeit vorüberlassen. Hast gehört, sei nur nicht verzagt, es war schon Mancher tiefer drin und kam wieder zweg.«

Auf dem Heimwege sagte er seiner Frau: »Es ist doch kurios mit dem Menschen! Daß Uli so einfältig sei und so dumm tun könnte, hätte ich mein Lebtag niemand geglaubt, aber es muß halt alles gelernt sein auf der Welt, und wenn einer auf einem Platze gut ist, so ist es noch lange nicht gesagt, daß man ihn auf einem andern auch wieder brauchen könne. Da war der Uli ein vortrefflicher Knecht, besser war er nicht zu wünschen; jetzt als Pächter macht er dummes Zeug, und wenn man nicht zu ihm sieht, so stellt es ihn auf den Kopf Es ist halt Mancher ein guter Soldat und ein schlechter Oberst! Ist sparsam, häuslich, hat bös und macht doch alles, was dumm ist und zu nichts führt, macht den guten Mann, handelt mit Händlern, prozediert, hat schlechtes Gesinde, es fehlen nur noch die Juden. Übersteht ers, so zweifle ich nicht daran, es gibt noch ein Mann aus ihm, die Frau ist gut, die hält ihm den Kopf über dem Wasser. Gut ists, daß es zu rechter Zeit so kam, später hätte es doch fehlen können, aber merkwürdig ists, wie unser Herrgott die Menschen faßt.« »Der alte Gott lebt gewiß noch,« sagte die Bäurin; »ich zweiflete zwar nie daran, aber wohl hart hat er es dem armen Uli gemacht. Es ist noch die Frage, ob er es aussteht, er hat zuletzt Sachen gesagt, wo ich nicht wußte, war er noch bei Verstand oder nicht.« »Habe nicht Kummer,« sagte der Bodenbauer, »wen Gott doktert, der geht an diesem[343] Doktern nicht zugrunde; er ist kein junger Pfuscher, der sich im Zeug vergreift und pfundweise gibt, was man bloß lotweise verträgt, er kennt das Maß, was einer ertragen mag und was ihm gut ist, er wird es wohl machen.« »Amen,« sagte die Frau.

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 2, Zürich 1978, S. 328-344.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Uli der Pächter
Uli der Pächter
Uli, der Pächter (Birkhäuser Klassiker)
Uli, der Pächter: Eine Erzählung (Birkhäuser Klassiker)
Uli der Pächter
Uli der Pächter

Buchempfehlung

L'Arronge, Adolph

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Hasemann's Töchter. Volksstück in 4 Akten

Als leichte Unterhaltung verhohlene Gesellschaftskritik

78 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon