Achtzehntes Kapitel

[314] Ein Gericht und zwei Sprüche


Unterdessen war Ulis Prozeßlein fortgelaufen, hatte sich ausgesponnen auf wunderbare Weise zu einem langen, langen Faden. Wenn er meinte, er packe das Ende, husch, war es[314] ihm entronnen und weit weg wie dem Kinde das Fischlein, nach welchem es hastig gegriffen. Schon tüchtig war Uli durch seinen Agenten angepumpt worden, als es endlich hieß, an dem und dem Tage werde, wenn nichts dazwischenkomme, abgesprochen, Uli müsse dabei sein, müsse auch einmal wissen, wie dies gehe, und sehen, wie der Gegner ein Gesicht mache, wenn er verspiele, er werde sich verwundern. Es machte indessen Uli doch angst auf diesen Tag, es fiel ihm ein, es wäre noch immer möglich, daß er verliere, dann könnte es ihn ärgern und der Andere zusehen; er habe schon gehört, es gehe bei den Abstimmungen oft verflucht ungerecht zu und der beste Handel könne verloren gehen, denn die meisten Richter verständen nichts vom Recht und die übrigen seien sonst nicht sauber im Nierenstück, dachte er. Bekanntlich müssen die Richter immer als Sündenböcke der Advokaten vor dem Volke paradieren.

Die Nacht vor dem Abspruch konnte er wenig schlafen, er wäre zu einem ziemlichen Opfer bereit gewesen, wenn er den Prozeß hätte ungeschehen machen können. »Das soll mir eine Warnung sein,« sagte er mehr als einmal halblaut, »ist der mal aus, fange ich mein Lebtag keinen neuen an, wenn es nicht sein muß.« Er war früh auf, und Vreneli versäumte ihn nicht mit dem Frühstück, war freundlich, aber vom Prozeß redete es nicht. Da war ein wunder Fleck in seinem Herzen, der nicht heilen wollte und schmerzte, so oft er berührt ward. Es war ein heißer, schwüler Sommertag, kurz vor der Ernte; der Roggen beugte bereits seinen philisterhaften Rücken und neigte sein Haupt wie ein alter Professor, wenn er sich der Höflichkeit befleißt. Das Korn hatte verblüht, stand keck gradauf wie junge Fähndriche, welche Generale werden möchten. Uli dachte, in acht Tagen muß der Roggen ab, in drei Wochen das Korn, überschlug seinen Ertrag, machte Preise, handelte, daß er darüber fast den Prozeß[315] vergaß und an Ort und Stelle war, ehe er es sich versah. Es war noch ziemlich stille, die Stunde des Gerichts noch nicht da, und bekanntlich gehören die Advokaten, welche früh zur Stelle sind, entweder zu den Ausnahmen oder zu den Anfängern. Wer des Abends zu viel Wein im Munde hat, frägt dem Golde, welches die Morgenstunde im Munde hat, nicht mehr viel nach.

Nach und nach trappeten die Parteien an oder fuhren wohl auch, stunden ums Schloß, wo das Gericht saß oder sitzen sollte, oder bewegten sich der Gaststube des Wirtshauses zu, um an einem Schnaps oder einem halben Schoppen Wein sich für die Operationen der Gerechtigkeit zu stärken. Auch seinen Gegner sah Uli herantrappen an einem langen Stock, gelb und mager sah unter dem breiten Rande des schwarzen niedern Wollhutes das Gesicht hervor. Der ging nicht dem Wirtshause zu, sondern dem Schlosse, sah sich erst lange bedächtig um, lehnte sich dann noch lange an seinen Stock, endlich saß er auf eine Bank ab, nachdem er sich sorgfältigst überzeugt hatte, daß er am rechten Orte sei und sich nicht verfehle, wenn er sich da setze.

Endlich, als das Volk sich gehäuft hatte, die übliche Stunde längst geschlagen, kamen sie daher, die Helden des Tages, die Agenten und Fürsprecher, wie Divisionärs und Brigadiers auch erst kommen, wenn die Bataillone aufmarschiert sind und oft schon lange stehn. In wunderlichen Kleidungen, in Kopfbedeckungen von allen Sorten kamen sie dahergefahren, drei kamen sogar geritten. Eben ritterlich sahen sie nicht aus, einer von ihnen saß auf seiner Rosinante wie eine junge Laus auf einem alten Spittler. Wenige Agenten kamen zu Fuß; was ihnen dadurch an Ansehen abging, suchten sie zu er, setzen durch die Majestät, mit welcher sie ihre Pfeife hielten, den Stock handhabten oder den Kopf trugen. Sie alle gingen der innern Stube des Wirtshauses zu, sammelten da ihre Gedanken[316] bei einem Glase Roten oder stärkten ihre Stimme mit Schinken oder Braten, stellten sich zuweilen in die Mitteltüre groß und breit und schauten hinaus in des niedern Volkes, welches sich in der Gaststube gesammelt hatte, lautes Gesumme. Mit Schauer und Respekt sah das Volk auf die Helden hin, welche die Gerechtigkeit in den Händen hatten wie der Töpfer den Lehm, um sie zu drehen nach Belieben. »Sieh, dort ist der Meine,« sagte einer und wies mit seinem langen Stock auf eine Figur, welche unter offenem Fenster stund. »Dort der Meine,« sagte ein Anderer, zog seinen Hut und machte dem Seinen einen tiefen Bückling mit langem Scharwenzel, doch umsonst, derselbe hatte ein kurzes Gesicht und eben seine Brille in den Händen, um ihr den Morgentau auszuwischen. Ganz verblüfft und verwundert über dieses kalte Benehmen, sagte der Klient: »Das letztemal, als ich bei ihm war, war er nicht da, heim, und hat ihm vielleicht seine Frau vergessen zu sagen, die Fische seien von mir. Ich sagte ihr meinen Namen dreimal, vergessen wird sie ihn doch nicht haben.« »Ich bringe nichts mehr,« sagte ein Anderer, »sie führen einem die Sache zu stark aus, man weiß nicht mehr, was ihnen recht ist. Letzthin brachte ich meinem Fürsprecher zwei Hasen, verflucht brave, da sagte die Frau, sie wolle nur einen, der andere stinke. Sonst hat man geschenkten Rossen nicht ins Maul gesehen.«

»Warte hier, muß doch noch ein Wörtlein mit dem Meinen reden,« sagte ein Anderer, »und ihn mahnen, daß er nur ja den und den Punkt nicht vergesse und die Satzung, welche darauf sich schickt, es ist die und die. Solche Herren sind oft gar schrecklich vergeßlich, besonders wenn sie vom Dischinieren kommen. So einer hat so viel Händel, daß er um den einen oder den andern nicht die Hand umdreht; verliere ich den, he nun so dann, so gewinne ich einen andern, spekuliert er. Unsereiner, der nur einen Handel hat, kann es minder leicht nehmen, gewinnt oder verliert er ihn.«[317]

So sieht man Manchen an der Tür sich drehen, um seinem Fürsprecher abzupassen, ihm noch ein vertraut Wort zu sagen, vielleicht mitzuteilen, was man selbst Schlagendes gedacht oder gesinnt. Der Eine oder der Andere flucht in einer Ecke, wenn er seinen Advokaten mit dem des Gegners vertraut unter einem Fenster reden sieht, denn er hatte geglaubt, sie Beide sollten sich mit dem gleichen Hasse hassen, mit welchem er und sein Gegner einander hassen. »Da werden sie mit einander abreden, wer gewinnen und wer verlieren soll, wie die Schwinger am Ostermontage in Bern. Es ist doch von denen Hagle keinem was zu trauen, es ist ein Schelm wie der andere, wenn man es sagen dürfte, und Unterschied ist keiner, weder daß der eine um etwas der Schlimmere und der andere um etwas der Dümmere ist,« so wird geurteilt.

Endlich wird das Publikum ungeduldig, Einige steigen voran, Einige schimpfen über das Zögern, sie hätten weit heim und seien nicht zweispännig hergefahren, und es dünke sie, die Herren sollten an Hunger und Durst auch etwas sparen für den Mittag, sonst möchten sie da nichts mehr. Endlich kömmt der Gerichtsweibel und sagt den Herren des Tages: Die Richter säßen schon lange und verlangten nach den Herren, wenn man erst mittags anfange, so finde man den Feierabend nie. Indessen ist der Herr Gerichtsweibel nicht halb so pressiert, daß er nicht mit einem oder zwei Gläsern Wein Bescheid tun kann. Hätten sie drüben schon so lange gewartet, so würden sie noch um einer kleinen Weile willen nicht aus der Haut fahren, kalkuliert er, und gewöhnlich ganz richtig, denn sein Kalkul gründet sich auf Erfahrung. Endlich muß doch aufgebrochen werden, denn unter all den Helden ist denn doch kein Josua, der die Sonne stellen kann, und nach Sonnenuntergang sind Gerichtshandlungen nicht mehr gültig. Vor Gericht beginnt die Schlacht mit Plädieren und Replizieren und endlichem Judizieren. Partei um Partei treten[318] vor und treten ab, und reiche Studien macht, wer die Wirkungen beobachtet, welche Gewinnen und Verlieren auf den Gesichtern hervorbringen, und bemerkt manch Gesicht, dem man es durchaus nicht anzusehen vermag, ob ihns ein günstig oder ungünstig Urteil getroffen.

Uli war einer der Letzten, welche vorkamen, ihm war ungefähr wie einem, der gehängt werden soll, aber erst noch einige Andere zu seiner Stärkung und Erquickung muß hängen sehen; wer dies erlebt hat, weiß, wie es ihm war. Endlich wurden sie vorkommandiert. Seines Gegners Agent eröffnete das Feuer, und zwar so scharf, daß es Uli fast schwarz ward vor den Augen. Der wusch ihm den Pelz, daß er glaubte, er könne sein Lebtag keinem Menschen mehr ins Gesicht sehen, daß er viel Geld gegeben hätte, nicht bloß, wenn er den Handel nie angefangen, sondern wenn er nur nie hergekommen wäre, denn fortan werde jedes Kind, wo er sich zeige, mit Fingern auf ihn weisen und sagen: »Seht da den Betrüger, den verlogenen Kuhhändler!«, und daß was an dem Gerede wäre, das sagte Uli was unter dem Brustlatz. He nun, so ists, dachte er, gut für einmal! Ich merke jetzt, wie es die Leute meinen; hätte ich der Frau geglaubt, so wäre es mir nicht so gegangen.

Nun trat auch sein Anwalt auf. Wenn der nur schweigen oder die Sache ganz kurz machen würde, daß sie bald vorbei wäre, dachte Uli, aber dem Lumpenhund wolle er es doch einmal sagen, wie er ihn hineingeführt, denn mit Schein laute das Gesetz ganz das Gegenteil, als der Hagel es ihm angegeben. So gehe es, wenn man von der Sache nichts verstehe, sich bloß müsse brichten lassen und noch dazu von solchen Beinschabern. Nun aber kam sein Anwalt nach einigen Präliminarien auch in Fluß der Rede. Potz Himmel, wie tat Uli erst das Maul auf und wie fing es ihm dann zu wohlen an, das Ding kam heraus wie ein umgekehrter Handschuh und[319] Uli mußte immer denken: Persche, ja so! Kuh, was ich bin, daß ich das nicht gedacht! Er fing an zu wachsen, mit souveräner Verachtung auf den andern Anwalt und das Lumpenmannli, das heißt seinen Gegner, herabzusehen, der zuweilen das Maul auftat, als ob er reden, eine Bewegung machte, als ob er auf den Redner einspringen wolle und ihn traktieren mit seiner Faust, die er immer geballt hatte und mehr oder weniger vorstreckte, je nach dem Siedpunkte seines Zorns.

Uli kam sich fast vor, als sei er eins von den Gespenstern, von denen man erzählt, daß sie sichtlich wachsen und wachsen, bis ihr Kopf in den Wolken ist, während sie mit den Beinen noch auf Erden stehen. Man hätte glauben sollen, im ganzen Bernbiet sei kein ehrlicherer Mann und noblerer Staatsbürger als Uli. Und wirklich hatte selbst Uli nie daran gedacht, daß er so einer sei, und fürchtete fast, er könne künftig vor lauter Rechtschaffenheit, Tugend, Vaterlandsliebe und entschiedenem Fortschritt sich nicht vor den Leuten sehen lassen, dieweil die Einen aus Neid zerspringen, die Andern aus Begierde, so einen zu sehen, ihn erdrücken könnten; recht hätte er, und ohne Laterne sehe man es, und wenn die Richter nicht Schelme seien, so müsse er gewinnen, und daß sein Agent so reden könne, als wäre er schon im Himmel gewesen, das hätte er ihm sein Lebtag nie angesehen, weder hinten noch vornen, weder im Wirtshaus, wenn er die Andern im Spiel betrog, noch daheim, wenn er die Frau prügelte. Das Gewinnen hätte er bar, so dachte Uli, und so war es auch.

Als sie nach kurzer Beratung des Gerichtes wieder hinein, gerufen wurden, war sein Gegner mit seiner Klage abgewiesen und in die Kosten verurteilt. Das Mannli ward blaß, sein langer Stab tanzte auf dem Boden, und weit, weit streckte er seine Faust vor, und es war, als wolle er sich ducken zum Sprunge auf die Richter; dumpfe Laute quollen über seine Lippen, wahrscheinlich drückten sie nicht den größten Respekt[320] aus, denn sein Agent, welcher ihm am nächsten stund, fand sich veranlaßt, ihn mit möglichster Schnelligkeit vor sich her aus dem Gerichtssaale zu schieben.

Uli wars wie einem, der, in eine Dornenhecke gefallen, gefürchtet hatte, er komme nur zerfetzt und wie ein gerupftes Schaf mit Hinterlassung aller Wolle daraus, plötzlich auf freien Füßen steht mit heiler Haut, oder wie dem Daniel, als er ungefressen aus der Löwengrube kam, die Bestien ihn nicht angetastet, und waren doch im Gerichtshofe acht Anwälte, sechs Agenten und Geschäftsmänner in ungezählter Menge und alle trotz asiatischen und afrikanischen Bestien (amerikanische sollen weniger wild und grausam sein) mit Hunger und Durst behaftet. Also gewonnen, gewonnen! Was wird die Frau sagen? Es ist doch gut, daß man andern Leuten auch glaubt als nur den Weibern, aber so leichtlich bringt mich nicht mehr jeder zu einem Prozeß. Es ist allweg eine verteufelte Plag, man wäre leichter eine kleine Weile gichtisch oder sonst krank, so dachte Uli.

So war er, ohne daß er es merkte, hinter das Mannli und seinen Agenten gekommen und hörte, wie der Erstere zum Letzteren sagte: »Machet, was Ihr wollt, aber einen solchen Handel zu verspielen, muß man ein Esel oder Schelm sein. Ich habe recht vor Gott und Menschen in aller Ewigkeit, die Ochsen da oben mögen erkennen, was sie wollen. Macht jetzt was Ihr wollt, ich habe kein Geld, habe nichts als ein mager Höflein, Kinder und Schulden, und wenn Ihr die wollt, könnt Ihr sie haben, welche Stunde Ihr wollt, ich will sie Euch noch vors Haus bringen unentgeltlich. Vor und nach kann ich vielleicht was zahlen, aber überstürzt Ihr mich, werfe ich den Schlegel, rufe den Konkurs an. Die Kinder können betteln gehen und ich will stehlen, bis ich an obrigkeitliche Kost komme.«

Da sagte Ulis Agent: »Mit Reden zahlt man niemand, das[321] wäre bequem, ich habe auch noch eine Rechnung, und die wird müssen bezahlt sein; es hat schon Mancher, der nichts haben wollte, gezahlt, wenn man ihn recht angefaßt hat.« Da drehte sich das Bäuerlein um, sah Uli, stund still und sagte: »So, du bist auch da! Hast mich betrogen und jetzt noch den Handel gewonnen, und ich werde mit Weib und Kind dem heiligen Almosen nach müssen! Mein Lebtag hat mich doch kein Mensch so verführt! Meinte, du seiest ein ehrlicher Mann, den Halunken sah ich dir nicht an! Aber ist ein gerechter Gott im Himmel, so treibt er dir dein Schelmenstück zehnfach ein und bald oder läßt es dich bis zum Galgen bringen und jagt dich dann dem Teufel zu, besser verdienst du es nicht!« Als er das gesagt hatte, drehte er sich um, ging rasch seines Weges. Es war Uli, als sehe er ihn mit dem Ärmel über die Augen fahren.

Die Agenten lachten sehr über den Zorn des Bäuerleins und lebten noch manchen Tag wohl daran, ungefähr wie Buben, welche sich am Zappeln von Maikäfern ergötzen, die sie an Faden gebunden haben und denen sie allgemach Flügel und Beine ausreißen. Auf Uli dagegen machte die Rede Eindruck; es lag ein Fluch darin, und solche Worte hielt er nicht für gleichgültig, besonders da sich in seinem Herzen etwas rührte, welches sich mit dem Troste, daß, hätte er nicht recht gehabt, die Richter ihm nicht recht gegeben, durchaus nicht beschwichtigen lassen wollte. Anlügen ist anlügen, ein Gericht mag sagen, was es will.

Es ist eine wunderbare Sache um die Macht des Wortes, nicht umsonst hat so mancher Aberglaube sich damit vermischt; daß zum Beispiel das Wort des Menschen Macht habe über Gott, so daß er müsse töten oder wettern, je nachdem, das Wort die Macht habe, aus den Gräbern die Toten zu rufen und zu öffnen die Schatzkammern der Erde. Aber ein fromm vertrauensvolles Wort zum Vater im Himmel,[322] eine Bitte aus innigem Herzen, was hat sie nicht vermocht und wie oft hat nicht ein Wort geschlagen in das Herz des Sünders wie der Blitzstrahl aus einer Donnerwolke! Wie oft nicht ein Wort das Andenken großer Verstorbenen herbei, gerufen, neues Leben geweckt in den Herzen der Enkel! Wie oft ist nicht das Wort in Herzen gedrungen, hat Steine von den Gräbern gesprengt, unter welchen die edelsten Kräfte begraben lagen, und ein junger, schöner Frühling erblühte, wo früher Öde war und totes Gestein! Wie oft ward das Wort nicht zur feurigen Röte, welche den Bösewicht unstät jagte über die Erde! Das Wort ist unendlich mächtiger als das Schwert, und wer es zu führen weiß in starker, weiser Hand, ist viel mächtiger als der mächtigste der Könige. Wenn die Hand erstirbt, welche das Schwert geführt, wird das Schwert mit der Hand begraben, und wie die Hand in Staub zerfällt, so wird vom Rost das Schwert verzehrt. Aber wenn im Tode der Mund sich schließt, aus dem das Wort gegangen, bleibt frei und lebendig das Wort; über dasselbe hat der Tod keine Macht, ins Grab kann es nicht verschlossen werden, und wie man die Knechte Gottes schlagen mag in Banden und Ketten, frei bleibt das Wort Gottes, welches aus ihrem Munde gegangen. Aber auch mächtiger als Dolch und Gift ist das böse Wort, das durch die Herzen fährt und in die Seelen schleicht oder schlüpft. Schlangen und Banditen sind greuliche, scheußliche Dinger, aber viel scheußlicher sind glattzüngige Verführer, welche Gift träufeln in arglose Herzen, sind viele Wortführer des Tages, falsche Propheten des Lügengeistes, der im Paradiese sein heillos Amt begann.

Es war lange über Mittag, als sie zum Wirtshaus kamen; heiß war es zum Ersticken, kein Lüftlein regte sich, zum Himmel heraus hingen schwarze Wolken, Trauerfahnen, welche Gottes Hand heraushängt, wenn er seine Gerichte bereitet. Uli begab sich ins große Gastzimmer; in die innere[323] Stube, wohin die Agenten gingen, wo auch die Richter er, wartet werden, gehören die Laien nicht. Er ließ sich etwas zu Mittag geben, er meinte, er sei sehr hungrig, aber der Appetit fehlte ihm, als er begann zu essen. Der Wirt munterte ihn zum Essen auf: »Es ist alles frisch und sauber,« sagte er, »und lange her, seit du etwas im Magen gehabt haben wirst.« Eben das mache es, sagte Uli, daß er nicht essen möge; wenn es über die gewohnte Zeit gehe, so vergehe der Hunger.

Dem war aber nicht so, das Wort des armen Mannli hatte Uli ins Gemüt geschlagen, gärte dort, verdarb ihm den Appetit. Was er auch anderes denken wollte, es stund ihm immer vor der Seele, und wie er auch zum Zorn sich stacheln wollte gegen das Lumpenmannli, welches solche Reden führe, die Rede löschte immer den Zorn, und Bangen war da. Bah, sagte er, solchen Worten müsse man sich nicht achten; Recht sei Recht, und wer recht habe, hätten die Richter gesagt, die sollten es wissen! So tröstete sich Uli, und der Trost hielt doch nicht. Solche Worte sollte man verbieten beim Hängen, zu bedeuten hätten sie nichts, das wisse ja jedes Kind, aber man höre sie doch nicht gerne; alles Fluchen sei ja schon von Gott verboten, und wenn er das daheim forttreibe, vielleicht noch mit seinen Kindern, so könnte ihnen allen das an der Seele schaden, und es wäre doch schrecklich, wenn sich die Kinder dessen entgelten müßten. Man sieht, Uli hatte bereits viel von den Agenten gelernt.

Der Wirt fragte: »Du wirst doch gewonnen haben? Was hast für einen Handel gehabt?« Uli erzählte. »Da hast gewinnen müssen,« sagte der Wirt, »jedes Kind auf der Gasse kanns ja begreifen; aber ich kenne das Mannli, das ist nicht das richtigste, ein böses Tüfelsmannli ist das, es hat auch den Ruhm dafür. Es ist gut, daß der einmal an den Rechten gekommen ist; gerade recht hast du es ihm gemacht, er besinnt sich dann ein andermal, ob er die Leute plagen soll. Brandschatzen[324] hat er dich wollen, und gerade so sollte es allen gehen.« Aber die Worte, welche er ihm hätte drin zugemessen, hätte er doch ungern; er möchte nicht, daß jemand meine, er hätte sie verdient, entgegnete Uli. »Dessen mußt du dich gar nichts achten,« sagte der Wirt, »solche Worte haben gar nichts zu bedeuten; Worte sind Worte und sonst nichts, um einen guten Schoppen will ich dir abnehmen alles, was dir dein Lebtag angewünscht wird. Was meinst, wie bös wäre ein Wirt daran, wenn solche Worte was zu achten wären? Jedes Hagels Bäuerlein, wenn es meint, ich habe an einem Kalb zu viel Profit gehabt oder an einem Leichenmahl zu viel Wein angerechnet, wo es doch gewiß nicht ist, sagt gleich, der Tüfel solle den Wirt holen, und ich habe ihn noch nie gesehen.«

So tröstete der Wirt, und der Trost eines Wirts ist auch gut, warum nicht? Er währt wenigstens so lange als seine Schoppen, und dies ist auch schon was. Durch die ins andere Zimmer einbrechenden Gerichtsmänner wurde der Wirt in seinem Troste unterbrochen, denn wenn Priester und Krieger der Gerechtigkeit einem Wirte zuhanden kommen, gilt so ein Uli nichts mehr, und wenn er Trost noch so nötig hätte. Es war bereits über vier Uhr, als Uli sich auf den Heimweg machte, er förderte rasch seinen Schritt. Der Wein, des Wirts Worte, das Gefühl, gewonnen zu haben, drängten den empfangenen Eindruck in den Hintergrund, machten ihn guten Muts. Es sei schon viel geschwatzt worden in der Welt, dachte er, und habe nicht viel zu bedeuten gehabt.

Schwarz stund im Westen ein Wetter, aber es bewegte sich nicht; in kurzen Flügen flatterten die Schwalben um Bäume und Häuser, still und matt hingen die Blätter an den Zweigen. In den Wiesen sah man in breiten schwarzen Hüten und hohen Holzschuhen die eingefleischten Wässerbauern stehen und den zu erwartenden Wassern die Wege bereiten, denn[325] das Wasser bei Gewitterregen, welches die Straßen fegt und die nicht wohlbewahrten Düngerhaufen umspült, ist für einen rechten Wässerbauer oder vielmehr seine Wiesen das beste Labsal. Wer bei solchen Umständen den Andern am besten um dieses köstliche Labsal betrügen kann, der geht mit den erhabensten Gefühlen, mit dem gehobensten Selbstbewußtsein heim. Das hat wohl auch zu der Sage Anlaß gegeben, daß wer ein Fronfastenkind sei, vor dem Ausbruch der heftigsten Gewitter alte, längst verstorbene Wässerbauern, welche sich gegenseitig ums Wasser betrogen, in den Wiesen wässern sehe, Graben auftun, Bretter einschlagen, dann stehen hinter diesem oder jenem Strauch oder Baume, Feuer schlagend und ihr Pfeifchen rauchend. Man denkt dabei nicht an die Sitte der rechten Wässerbauern, die alten, hundertjährigen, währschaften Röcke ihrer Großväter anzuziehen und uralte Hüte aufzusetzen, da modernes Zeug ins Wasser hinaus nicht taugt. So sieht man von ferne allerdings ein uralt, längst zu Grabe gegangenes Geschlecht in den Wiesen hantieren, und manche Gestalt mag sich vor der andern fürchten, hinter einen Dornstrauch sich bergen. Ginge man den Gestalten zu Leibe, würde man ganz bekannte Gesichter sehen, deren Beine noch auf Erden wandeln, aber in den Schuhen der Väter, gehüllt in ihre Röcke, übend ihre Sitten.

Uli sah diese Gestalten in den Gründen. Muß pressieren, dachte er, werden glauben, es gebe ein starkes Gewitter, muß auch profitieren; bin ich nicht daheim, so macht es mir niemand. Er eilte durch einen Boden oder Tal, welches ein stattlicher Bach bewässerte, und wie es schien, gut. Von weitem sah er etwas, nicht weit vom Weg, welches ihm unheimlich vorkam, daß er dachte, er wollte, er wäre schon vorbei. Es glich einem gestutzten ungeheuren Weidenstrunk, und doch war es keiner, denn es schien sich zu bewegen, oder einem kleinen alten Ofenhaus mit rußichtem Dache, welches[326] auf schwachen Stützen schwankte. Uli ging langsamer. Er hatte noch kein Gespenst gesehen; der Drang, einem zu begegnen, war durchaus nicht groß bei ihm und noch dazu am heiterhellen Tage. Es wäre doch eine strenge Sache, dachte er, wenn man vor ihnen nicht mehr sicher ist, wenn noch die Sonne am Himmel steht. Als er näher kam, schien das Ungetüm zu wachsen, richtete sich auf und stellte sich an eine Wasserschaufel und war anzusehen wie ein Riese aus dem Gebirge oder wie der Rübezahl geschildert wird. Da stund Uli, einen solchen Wassermann hatte er nie gesehen. Da kam das Ungetüm mit der Schaufel auf der Achsel auf ihn zu, und unter einem Hut hervor, den wahrscheinlich ein Spanier im dreißigjährigen Kriege verloren hatte, rief eine Stimme: »Komm nur, komm, fürchte dich nicht, bin kein Gespenst.« Es war die Stimme des Wirts, seines Freundes, unter dem breiten schwarzen Hut hervor, der seine kolossale Gestalt in einen alten Oberrock seines Vaters, der noch viel kolossaler als er gewesen, gehüllt hatte, so daß er allerdings von weitem anzusehen war wie ein Elefant oder ein Rhinozeros, welches auf den hintern Beinen aufrecht stund. Es leichtete Uli, er bekannte, daß er wirklich nicht gewußt, wer da so eine Postur mache, ein solcher Grüsel sei ihm noch nie vor, gekommen. »Und wie ist es gegangen?« frug der Wirt, »hast gewonnen?« Als Uli es bejahte, stimmte der Wirt einen Lobpsalmen an, aber wohlverstanden, auf sich selbst. »Nicht wahr, ich habs gesagt, nicht wahr, es kam besser, daß du mir Gehör gabest als deinem sturmen, aufbegehrischen Fraueli? Ja sieh, geirrt habe ich mich in solchen Sachen noch nie, wie ich sagte, ists noch allemal gegangen. Muß ich einmal auf, hören zu wirten, fange ich an zu agenten, und nicht lange soll es gehen, so will ich alle überwunden haben! Komm jetzt, auf den Schrecken hin wollen wir eins nehmen, es soll dich nichts kosten.« Uli dankte, sagte, er müsse pressieren,[327] das Wetter gefalle ihm nicht. Es drohe grausam, und breche es los, so könne es übel gehen, wo es durchfahre. »Komm du nur,« sagte der Wirt, »eine Flasche ist bald getrunken. So bald gehts nicht los, und daran machen kannst du nichts, ob du daheim seiest oder nicht; das fährt durch, wo es will. Uns tut es diesmal nichts, zähle darauf, das fährt obenein den Bergen nach.«

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 2, Zürich 1978, S. 314-328.
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