Vierundzwanzigstes Kapitel

[329] Von einer andern Fahrt, welche durch keine Rechnung fährt, sondern unerwartet eine schließt


Das fiel der guten Mutter alles bei und daß dazu Uli und Vreneli fort wollten, daß dann der Tochtermann das Heft ganz in die Hand kriege, daß sie die Haushaltung machen solle mit Nichts, gegen die Armen schmürzelen, daß man ihr jede Kelle Mehl nachrechnen werde und alle ungeraden Male, wenn sie das Kücheln ankäme – und da kam sie ein Elend an, daß sie niedersitzen und weinen mußte, daß man die Hände hätte waschen können unter ihren Augen, so daß selbst Joggeli hinauskam und sagte, sie solle doch nicht so plären, es hörten es ja alle Leute und könnten meinen, was sie hätte. Was er gesagt habe, sei ja nicht der wert, sie wisse ja wohl, daß er allbe einist etwas sagen müsse. Auch Vreneli tröstete und sagte, sie solle das nicht so schwer nehmen, es gehe ja am Ende alles leichter, als man denke. Sie aber schüttelte den Kopf und sagte, man solle sie ruhig lassen, sie müsse sich selbst fassen können, das Reden helfe ihr nichts. Sie suchte nach Fassung manchen Tag. Man sah sie umhergehen schweigend, als ob sie Schweres im Kopfe wälze, sah sie hier und dort, wo sie sich unbemerkt glaubte, absitzen, die Hände in den Schoß legen hie und da den Zipfel des Fürtuches ergreifen und mit der Rückseite die Augen trocknen.

Endlich schien es ihr zu leichten, das Ungewisse schien verschwunden, sie sagte: Es hätte ihr viel gewohlet, aber es düech sie, sie möchte neuehin, sie sei so blange, es besserete ihr, wenn sie einen Tag oder zwei fort könnte. Joggeli hatte diesmal nichts darwider, seine Alte hatte ihm selbst Kummer gemacht. Sie könne ja zum Sohn oder zur Tochter fahren, wohin sie wolle;[329] Uli solle sie führen, er hätte jetzt wohl Zeit, meinte er. Nein, sagte sie, dahin möge sie nicht, da sei ein ewiges Gchär, und wenn sie die Säcke mit Neutalern füllte, sie hätte doch noch zu wenig. Aber es dünke sie, sie mochte einmal zu Vetter Johannes; man hätte es ihm schon lange versprochen, nie gehalten, und sie sei nie dort gewesen. Sie sehe da einen neuen Weg, eine unbekannte Gegend und könne vielleicht am besten vergessen, was sie drücke. Sie wolle Vreneli mitnehmen, das sei auch lange nie fortgewesen. Ans Hochzeit habe man es nicht mitgenommen, und es sei doch auch billig, wenn das Meitschi zuweilen eine Freude hätte. Gegen das Letztere hatte Joggeli Manches einzuwenden, indessen diesmal, der Alten zulieb, gab er nach und wollte zwei Tage sich leiden.

Uli freute sich, als er hörte, wohin er mit der Frau fahren sollte. Vreneli dagegen wehrte sich lange, hatte hundert Gründe dagegen und gab erst nach, als die Base sagte: »Du bisch mr doch es wunderligs Greis, und kurz und gut, du kommst mit, ih befiehles.«

Es war in den ersten Novembertagen eines schönen Herbstes an einem Samstag morgens, als das Sitzwägeli vor dem Hause stund, der Kohli herausgenommen, im Schopf mit geschäftigen Händen aufgeputzt und endlich von einem zum Fuhrwerk geführt wurde, während nun auch Uli seine Sonntagskutte anzog und stattlich mit der Geißel in der Hand an das Fuhrwerk sich stellte. Nicht lange darauf kam Vreneli, schmuck und schön wie ein aufgehender Morgen, einen kleinen Strauß an der Brust, und packte etwas ein. Dann kam die Mutter, geleitet von Joggeli, dem sie noch manche Anweisung zu geben hatte. »Die Leute werden glauben, ihr seiet ein Hochzeit,« sagte Joggeli, »die fahren an einem Samstag im Lande herum. Ds Vreneli sieht gerade aus wie eine Hochzeiterin.« »Öppis Dumms eso,« sagte Vreneli und ward rot bis weit hinteren. »Uli muß noch einen Meien haben, dann meinen[330] es alle Leute,« rief eine schnippische Jungfrau, riß dem Uli den Hut vom Kopf und sprang damit ins Haus. Zornig war Vreneli aufgesprungen im Wägeli: »Mädi, willst du den Hut geben oder nicht? Was braucht Uli einen Meien? Sei mir nicht ds Hergetts, einen Meienstock anzurühren!« Als Mädi nicht hören wollte, wollte Vreneli ab dem Wägeli springen; aber die Mutter, lachend, daß es ihre ganze Gestalt erschüttete, hielt es am Kittel und sagte: »Was willst du? Laß das doch gehen, das ist nur lustig. Vielleicht sieht man ja mich für die Hochzeiterin an, wer weiß?« Die sämtliche Hausbewohnerschaft nahm an dem Spiel teil und lachte über Vrenelis Zorn, der sich gar nicht wollte besänftigen lassen, während Uli in den Spaß eintrat und seinen Hut tüchtig in den Kopf drückte, den Vreneli ihm abzureißen suchte, um den Meien wegzunehmen. Es hätte ihm doch noch denselben abgerissen, wenn nicht die Mutter gesagt hätte, es solle nicht so dumm tun und den schönen Meien verstrupfen. Das wäre doch noch lange nicht das Grüslichste, wenn man sie schon für ein Hochzeit ansehen würde. Es wolle es aber nicht, sagte Vreneli und nahm den eigenen Meien von der Brust und hätte ihn fortgeworfen, wenn die Mutter nicht gesagt hätte: Es solle doch nicht so dumm machen. Die, wo am wüstesten täten, die heirateten zuletzt noch am liebsten, wenn es Ernst gelte. »Einmal ich nicht,« sagte Vreneli, »ich will keinen Schlufi, wie sie alle sind. Ich wüßte nicht, was ich so mit einem Schnürfli anfangen sollte.« »He, öppe was die Anderen!« sagte die Mutter herzlich lachend und fuhr mit dem von nun an schmollenden Vreneli in den schönen Morgen hinaus.

In aller Farbenpracht hing das welke Laub an den Bäumen, im Schimmer seiner eigenen Abendröte, unter ihm streckte sich grün und munter die junge Saat aus, spielte lustig mit den blinkenden Tautropfen, die an ihrer Spitze hingen; geheimnisvoll und düftig dehnte sich über alles der Himmel[331] aus, der geheimnisvolle Schoß der Wunder Gottes. Schwarze Krähen flogen über die Äcker, grüne Spechte hingen an den Bäumen, schnelle Eichhörnchen liefen über die Straße und beguckten von einem rasch erreichten Ast neugierig die Vorüberfahrenden, und hoch in den Lüften segelten in ihrem wohlgeordneten Dreieck die Schneegänse einem wärmeren Lande zu, und seltsam klang aus weiter Höhe ihr seltsam Wanderlied.

Der Mutter verständig Auge schweifte lebendig über alles, ihre lauten Bemerkungen nahmen kein Ende, und manche kluge Rede ward zwischen ihr und Uli gewechselt. Besonders wenn sie durch Dörfer fuhren, häufte sich das Auffallende, und selten ein Haus bot ihr nicht Gelegenheit zu einer Bemerkung. Es sei doch nichts, wenn man immer daheim hocke, sagte sie, da sehe man immer das Gleiche. Man sollte von Zeit zu Zeit im Lande herumfahren: da sehe man nicht nur etwas für den Gwunder, sondern könne auch viel lernen. Man mache die Sachen nicht an jedem Orte gleich und an einem Orte besser als am andern, und so könne man das Beste daraus nehmen. Sie waren nicht viel mehr als zwei Stunden gefahren, als die Mutter schon davon zu reden anfing, daß sie dem Kohli etwas werten geben müssen. Er seis nicht gewohnt, so lange zu springen, und sie wollte lieber ihn gesund wieder heimbringen. »Halt du beim nächsten Wirtshaus,« sagte sie auf Ulis Einreden, »und lueg, ob er nicht ein Immi Hafer nimmt. Es ist mir auch gleich, etwas zu nehmen, es will mich schier anfangen zu frieren.«

Dort angekommen, befahl sie Uli: »Wenn das Roß den Hafer hat, so komm hinein.« Noch unter der Türe kehrte sie um und rief: »Hast du gehört? Komm dann!« Nachdem drinnen die Wirtin mit dem Fürtuch die Bänke abgewischt, gefragt hatte: »Womit kann man aufwarten?«, eine gute Halbe und ein wenig Tee befohlen war, setzten sich die Frauen, sahen[332] in der Stube herum, machten halblaut ihre Bemerkungen und wunderten sich, daß es an dieser Uhr nicht später sei; aber Uli sei wohl geschwind gefahren, man sehe, es pressiere ihm, hinzukommen. Als endlich das Verlangte da war mit der Entschuldigung, es sei wohl lang gegangen, aber das Wasser sei nicht warm gewesen und das Holz habe nicht brennen wollen, sagte die Mutter zu Vreneli: Es solle doch Uli rufen, sie wisse nicht, warum der nicht komme, sie hätte es ihm doch zweimal gesagt. Als er da war und gehörig Gesundheit gemacht hatte, wollte die Wirtin ein Gespräch anfangen und sagte: Es sei heute auch schon ein Hochzeit durchgefahren. Da lachte die Mutter gar herzlich auf. Uli lächerete es auch, hingegen Vreneli wurde hochrot und zornig und sagte: Es seien nicht alles Hochzeit, was heute auf der Straße sei. Es werden andere Leute auch noch das Recht haben, am Samstag herumzufahren, die Straße werde nicht bloß für Hochzeitleute sein. Sie solle doch recht nicht zürnen, sagte die Wirtin sie kenne sie ja nicht; aber es hätte ihr geschienen, sie schickten sich wohl für einander, ein so hübsches Paar hätte sie nicht bald gesehen. Die Mutter tröstete die Wirtin, sie solle sich nur nicht lange verexgüsieren; sie hätten schon daheim ein großes Gelächter gehabt und gedacht, es werde so gehen, und schon damals sei das Meitschi so bös geworden. »Das ist nicht schön von Euch, Base, daß Ihr mich auch helfet plagen,« sagte Vreneli, »wenn ich das hätte wissen sollen, ich wäre gar nicht mitgekommen.« »Es plaget dich ja kein Mensch«, sagte die Base lachend. »Du tust so dumm, es würde sich ja manches Meitschi meinen, wenn man es für eine Hochzeiterin ansehen würde.« »Ich darum nicht,« sagte Vreneli, »und wenn man mich nicht ruhig läßt, so laufe ich noch jetzt heim.« »Du wirst den Leuten die Mäuler nicht verbinden können und kannst froh sein, wenn sie nicht etwas Ärgeres über dich sagen«, antwortete die Base. »Das ist mir genug, wenn mich die Leute verbrüllen[333] mit einem, den ich nicht will und der mich nicht will.«

Vreneli hätte noch lange geeifert, wenn nicht angespannt und weitergefahren worden wäre. Sie rückten rasch vor. Die Meisterin sagte öfters: »Machs nicht zu stark, Uli, wenn es nur dem Kohli nichts tut.« Als sie hörte, daß sie nur noch eine Stunde von Erdöpfelkofen seien, befahl sie, im nächsten Wirtshause zu halten. Dort wollten sie etwas zu Mittag essen, sie hätte Hunger und sie möge ds Vetter Johannese nicht zur Mittagszeit kommen, das gebe gar viel Umstände. So im halben Tag sei es am anständigsten und kommodesten, da könne man es mit einem Kaffee machen, das sei bald gemacht und man nehme es doch gern. Uli gehorchte, fuhr vor, und ziemlich wurden sie vom Stubenmädchen empfangen. Dasselbe führte sie in eine Stube und öffnete sie mit den Worten: »Geht nur hinein, es sind schon zwei drinnen,« und drinnen empfing sie der Ruf: »Das geht gut, da kömmt noch eins« – Hochzeit nämlich! Die Base lachte, daß es sie über und über schüttelte, und sagte: »Du siehst, es muß sein. Du magst dich wehren, wie du willst, es gilt dich doch.« Dahinein bringe es niemand, sagte das zornig gewordene Vreneli, und wenn es den ganzen Tag so gehen solle, so laufe es zu Fuß heim. »Und von dir, Uli, ist es auch nicht bravs, daß du nicht witziger bist als so, du tätest sonst deinen Meien ab dem Hut. Ich habe dir aber nichts darauf, weißt du es nur.« Da sagte Uli: Bös wolle er es nicht machen, er hätte es für einen Spaß angesehen. Wenn es es aber so nehme, so wolle er ihm gerne seinen Meien geben und, wenn es wolle, heimgehen; sie könnten mit dem Kohli wohl fahren, er sei sicher. Vreneli nahm den Meien und sagte: »Dankeigist!« Aber die Base sagte: »Ich hätte ihm ihn nicht gegeben, ihr habt euch einander nicht zu verschämen.« »Und kurz und gut, Base, sei das, wie es wolle, so will ich nichts davon, und zu den Hochzeitleuten will ich nicht, und[334] wenn Ihr nicht mit mir in die Gaststube kommen wollt, so laufe ich heim auf der Stelle«, begehrte Vreneli auf. »Das ist mir doch afe es Meitli, das,« sagte die Base. »Uli, wenn ih dih wär, su nähmt ih das uf e Gunte.« »Mira, nehm ers, wenr will; aber ih hätt bald gseit, Ueli syg witziger as anger Lüt und heyg o selber nit Freud a öppis Dumms eso.« »Wart ume, Vreneli,« sagte die Base, »es wird dir o scho angers cho, zell druf. E Hochzytere z'si ist doch de am Eng e schöni Sach.« »Was, e schöni Sach! E arme Tüfel isch e Hochzytere,« sagte Vreneli. »Hochzyt ha isch no viel ärger as Sterbe. Bim Sterbe weiß me doch no öppe, ob me selig wird oder ob eim dr Tüfel nimmt, bim Hochzytha cha me gar nüt wüsse. We me meint, dr Himmel syg voll Gyge, su sys zletzt luter Donnerwetter. U we me meint, mi heyg dr Freinst, su isch es de zletzt, we me recht luegt, dr wüestisch Hung.« »O Meitschi,« sagte die Base, »du heschs o so wie äy Bettlere, wo gseit het, sie möcht kei Büri sy, vo wege sie mög dKüechleni nit erlyde, das syg ere doch es Dolders Fresse, u wo me du grad druf im ene Cheller erwütscht het, wo sie e ganzi Bygete het welle stehle. Gang mr doch mit sellige Rede, mi vrsüngt sih drmit gar gern. U we me scho e wenig kybig isch, sym Mul soll me doch geng e Rechnig mache. Mi weiß nie, was es eim gä cha, u we me de drin isch, su chunts eim wieder zSinn, was me gredt het, u selligi Wort chönne eym mengisch Tag und Nacht vrfolge, ärger as e Truppele wildi Tier, daß me kei Rue meh het. U menge het ne nit angers wüsse z'ertrünne as dür e Tod.« »Base,« sagte Vreneli, »ih han Ech nit welle höhn mache u dih o nit, Ueli, aber löyt mih rüeyig! Ih bi nüt as es arms Meitschi, u drum mueß ih mih wehre, we mih öpper no zu öppis Mingerem mache will.« »Bhüetis,« sagte die Base, »das chunt niemerem zSinn, u es wär mängi rychi Tochter froh, si wär, was du. Ja ih wett o gern öppis minger ha u no fry ordelig minger, we ds Elisi wär, was du. Du machst en iedere Ma glücklich,[335] er ma rych oder arm sy. Mi cha dih histelle an esn ieders Ort, wo me will, u ds Elisi isch, helf mr Gott, nüt. Ih weiß o nit, wie das cho isch, u ha doch Beidi erzoge. Aber es isch o nit Eim gä wie am Angere. Du masch arüere, wasd witt, su steyts dr wohl a, u wenn ih e junge Bursch wär, su seyt ih: Die u ke Angeri! U was ds Elisi macht, isch uwatlig; da wirds no Vrdruß gä, dä mih i ds Grab bringt.«

Der guten Mutter schossen die Tränen in die Augen, und ds Vreneli, das bei sich selbst gedacht hatte, es könnten Zwei an einem Orte und von der gleichen Person erzogen werden und doch ungleich, sagte dieses nicht, sondern tröstete: Es werde wohl nicht so bös gehen, sondern besser kommen, als man denke. Aber die Base schüttelte den Kopf und klagte fort, wie sie gedacht hätte, wenn es einmal geheiratet sei, so werde es auch etwas angreifen, es werde ihm schon noch anders kommen; aber es komme ihm nicht. Den ganzen Tag habe es die Hände über einander, mache die Dame; es sei ein Schlärpli und werde sein Lebtag eins bleiben. Wenn sie ihm nur den Zehnten eingeben könnte, was Vreneli sei, so wollte sie glücklich sein. Ihm gebe alles nichts zu tun, es möge sein, was es wolle, und alles sei immer gemacht, es düech eim, es könne hexen, und wenn ds Elisi an einem Sessel den Staub abwischen sollte, so hätte es einen ganzen Tag daran, und den andern müßte es im Bette liegen. Manchmal am Nachmittag sei noch kein Bett gemacht, und abends um neun Uhr wisse man noch nicht, was man zu Nacht essen wolle. Es hätte sie hoch aufgesprengt, als sie das gesehen. »Aber sägits daheim niemere, ih möcht nit, daß es no uschämti,« setzte sie hinzu und trocknete sich die Augen.

Vreneli war wieder gut geworden; das Lob hatte ihm wohl, getan, es wußte eigentlich nicht warum. Es schwatzte, rühmte, schalt das Essen, schenkte ein und neckte Uli, er hätte immer nur leer. Die Mutter vergaß auch ihren mütterlichen Jammer,[336] und hellauf fuhr man wieder ab, dem vetterlichen Hause zu. Uli hatte nun viel zu berichten, wem dieses Haus gehöre, wem jener Acker. Als er den ersten Acker sah, der dem Vetter Johannes gehörte, lachte ihm das Herz im Leibe. Alles, was er auf demselben geschafft, ging wieder in ihm auf; von weitem zeigte er ihn, pries seine Eigenschaften. Dann kam ein anderer und wieder ein anderer, und sie fuhren zum Hause, ehe sie daran dachten. Dort machte man Kabis ein im Schopf, die ganze Haushaltung war da versammelt. Alles hob die Köpfe auf, als das unerwartete Wägeli daherkam. Erst kannte man die Leute nicht, dann erhob sich ein Geschrei: »Es ist dr Ueli, dr Ueli!«, und die Kinder sprangen aus dem Schopfe; dann sagte Johannes: »d Base in der Glungge kömmt mit; was Guggers kömmt die an, was bringt die wohl?« Er und seine Frau traten nun auch hinaus, längten die Hände hinauf zum Willkomm, und Eisi, des Johannese Frau, sagte: »Gottwillche, Ueli, bringst is dy Frau?« Da lachte die Base wieder herzlich auf und sagte: »Da ghöret drs, dr möget welle oder nit, es mueß sy, all Lüt säges ja.« »An allen Orten sieht man uns für ein Hochzeit an,« erläuterte Uli, »weil wir am Samstag mit einander fahren, wo so viele Hochzeit auf der Straße sind.« »He und nicht nur das,« sagte Johannes, »sondern es düecht mich, ihr schicktet euch nicht übel zusammen.« »Ghörst, Vreneli,« sagte die Base, »der Vetter meints auch, da hilft Wehren nichts mehr.« Bei Vreneli hatte Weinen mit Lachen gekämpft, Zorn mit Spaß; endlich überwand es sich der Leute wegen, das Letztere siegte, es antwortete: Es hätte immer gehört, wenn es ein Hochzeit geben sollte, so müßten Zwei wollen; bei ihnen aber wolle gar Keins, und so sehe es nicht ein, wie etwas aus der Sache werden solle. »Was nicht ist, kann werden,« sagte des Johannes Frau, »so etwas kömmt oft ungesinnet.« Es gspüre einmal noch nichts davon, sagte Vreneli, brach dann aber ab und gab die Hand noch einmal[337] und sagte: Wie uverschant es sei, daß es mitgekommen, aber die Base habe es haben wollen, sie könne es jetzt versprechen, wenn es ihnen in den Kosten sei. Es freue sie gar wohl, daß sie einmal gekommen, sagte die Hausfrau und hieß dringlich hineinkommen, gäb wie die Andern sagten: Sie wollten sie nicht versäumen, vor dem Hause bleiben, helfen, es sei so schön und frein da außen!

Wie sie nun auch sagten, sie hätten nichts nötig, hätten erst gegessen, so wurde doch gefeuert, und nur durch dreimaliges Hinausgehen konnte eine förmliche Mahlzeit verhindert, die Guttätigkeit auf ein Kaffee zurückgebracht werden. Vreneli hatte bald mit dem ältesten Mädchen, das aus einem rührigen Kinde eine schöne Jungfrau geworden war, Freundschaft geschlossen und mußte alle dessen Herrlichkeiten in Augenschein nehmen. Uli blieb aus schuldigem Respekt nicht gar lange in der Gesellschaft, die ältern Leute wurden alleine gelassen. Endlich mit einem schweren Seufzer begann die Base: Sie müsse fry gerade sagen, warum sie komme, sie hätte nirgends besser hingewußt um Rat und Hülfe als hieher. Der Johannes hätte ihnen schon so oft gedienet, daß sie gedacht, er lasse sie diesmal auch nicht im Stich. Es sei alles so gut gegangen bei ihnen, es sei eine Freude gewesen. Freilich hätte einige Zeit lang Uli ihr Elisi in den Kopf genommen, aber daran sei das Meitschi selbst schuld gewesen, und sie glaube, Uli hätte zuletzt doch eingesehen, daß das Meitschi nichts für ihn sei. Da hätte sie das Unglück in den Gurnigel hinauf geschlagen, dort das Elisi seinen Mann aufgegabelt, und seither sei alles wie zerstört. Ihr Johannes tue wüst, der Tochtermann sei nicht, wie er sein solle, sei ein grusam Interessierter, meine, sie solle nichts mehr brauchen in der Haushaltung. Ds Elisi hätte immer Streit mit Vreneli, das wolle nun fort deswegen, Uli wolle fort, alles falle wieder auf sie und sie wisse um ihr Leben nichts anzufangen, sie hätte manche Nacht kein Auge[338] zugetan und aneinander pläret, daß es ihr in ihren alten Tagen so gehe. Da sei ihr eins in Sinn gekommen: Es könne ihr doch sicher kein vernünftiger Mensch etwas dawider haben, wenn sie das Gut in Lehn geben würden, dadurch falle ihr die Last ab. Und da hätte sie gesinnet, einen bessern Lehenmann als Uli, der ihnen zu allem sehe und ehrlich und brav sei, könnten sie nicht erhalten, und Uli könnte da auch sein Glück machen; denn daß er öppe hart gehalten werden sollte, das täte sie nicht, es solle sein Nutzen sein wie der ihre. Aber sie hätte keinem Menschen etwas davon gesagt; sie hätte zuerst mit ihm reden wollen, was er dazu meine, und wenn er es gut finde, so möchte sie ihm anhalten, daß er mit Uli rede und der Sache sich annehme, bis sie im Reinen sei. Es dünke sie, wenn sie das zwegbrächte, so wollte sie nichts mehr wünschen auf der Welt, wenn schon manches öppe nicht sei, wie es sein sollte. Das sei wohl schön und gut, sagte Johannes, und es würde ihn für Uli freuen, aber da seien ihm zwei Sachen im Weg. Das sei eine gar bedeutende Übernahme, und Uli habe dafür zu wenig Geld. Er habe ein Schönes verdient, aber viel zu wenig für alles anzuschaffen, was da nötig sei. Er hätte kaum so viel, um im Handel etwas zu machen und nicht zur unrechten Zeit verkaufen zu müssen, woran die meisten Lehnleute gewöhnlich sterben. »Dann kann Uli nicht bloß mit Diensten husen, er muß eine Frau haben, und wo nun eine finden, die dem vorzustehen weiß? Denn das gibt eine schwere Haushaltung.« »Ich wüßte ihm eine,« sagte die Base, »gerade das Meitschi, welches mit nur gekommen. Ein besseres gibt es nicht, und es und Uli haben sich an einander gewöhnt; wir könnten noch heute sterben, sie trieben die Sache fort, man merkte nicht, daß jemand fehlte. Es ist gesund, stark und für so ein Junges hat es gute Gedanken, es täte manche Alte durch. Es hat freilich kein Vermögen, aber doch einen schönen Sparhafen, brav Kleider, und ganz mit leeren[339] Händen ließen wir es auch nicht. Ihr wißt wohl, wie es mit seiner Mutter gegangen ist. Wenn Uli Vreneli nähmte, so glaube ich, er würde für Bsatzig und andere Sachen wenig anzuschaffen brauchen. Die Sache ist da, man kann ihm ja alles in die Schatzung geben, so ist es da, wenn man den Hof wieder übernehmen will, und man braucht es nicht anzuschaffen. Sie könnten anfangen, fast wie wenn sie die Kinder vom Hause wären.«

»Das ist schön und gut,« sagte Johannes; »aber, Base, nehmt es mir nicht für ungut auf, aber fragen muß ich doch ob Ihr glaubt, daß alles seine Einwilligung gebe? Es sind gar viele Leute, die zu der Sache reden müssen, wenn sie gehen soll. Was werden Eure Leute sagen? Joggeli ist allbeneinisch wunderlich! Und Eure Kinder werden auch dareinreden und das Gut zu Nutzen bringen wollen so hoch als möglich. Uli macht eine gewagte Sache. Ein einziges Fehljahr, Presten oder so was macht ihn zu Boden. Auf einem solchen Gut ist tausend Pfund Ertrag auf oder nieder nicht sichtbar, während in einem Jahr vier- bis fünftausend Pfund verloren gehen können. Und will das Meitschi Uli? Es ist ein lüftiges und Uli nicht mehr heutig, er hat einige dreißig Jahre auf dem Rücken.«

Das, sagte die Base, mache ihr nicht allen Kummer. Joggeli sei am Ende froh, abzugeben, und Uli sei ihm als Lehenmann sicher anständig; denn wenn er schon wunderlich sei, so sei er doch nicht der Wüstest gegen sie und werde wohl ein, sehen, daß ein guter Lehnmann besser sei als schlechte Knechte. Ihrem Sohn werde das das Rechte sein. Er habe schon über den Schwager geflucht, er nehme alles fort, und das Gut müsse zu Lehn gegeben werden, er höre dann. Auch halte er auf Uli viel und habe ihnen denselben abdingen wollen. Auf den Tochtermann achteten sie sich nicht viel. Er rede ihnen zu viel in ihre Sache und es wäre ihnen lieb, wenn sie nicht[340] zu der seinigen reden müßten. Vreneli, glaube sie, täte nicht am wüstesten, wenigstens habe es keinen Andern, selb wisse sie. Sie glaube, es sehe Uli nicht ungern, und darum hätte es heute so wüst getan, wenn man sie für Hochzeitleute angesehen hätte. Sie sei afe alt, aber sie hätte noch nicht vergessen, wie es die rechten Meitscheni machen. Auf die heutigen anlässigen Täsche verstehe sie sich freilich nicht. Uli mache ihr am meisten Kummer. Der sei so politisch, man wisse nicht, woran man mit ihm sei. Wo ds Elisi den Baumwollenhändler genommen, habe sie geglaubt, er werde die Wände auf springen, alles verschlagen; aber er habe kein ander Gesicht gemacht, kein Wort lauter gesprochen, es sei gewesen, wie wenn alles ihn nichts anginge. »Uli ist ein Bursch, er kann sein Glück machen, wo er will; er ist brühmt zentum, und wenn mancher Herr wüßte, was das für ein Bursch wäre, es reute ihn kein Geld, er setzte an, bis er ihn hätte.« Uli mache ihr Kummer. Er trage es ihnen wegen dem Elisi nach. Aber er sollte dem lieben Gott danken, daß es so gegangen, er wäre ein unglücklicher Mensch geworden und hätte doch zuletzt an allem schuld sein sollen. Wenn Uli wollte, die Sache würde sich machen, und ein Jahr in das andere gerechnet, sollte er seine tausend Pfund vorschlagen. »Ich weiß, was der Hof abträgt, wenn man es treibt, wie Uli es treiben kann, wenn er und Vreneli zusammenspannen. Das kann Euch kochen, es ist allen recht, und sie schlecken noch die Finger bis an die Ellbogen, und braucht doch fast ds Halbe weniger als Manche, die meint, wie sie es könne, und doch die Diensten allemal grännen, wenn sie nur bei der Küche vorbeigehen.« Uli habe ihr Zutrauen, ein böses Jahr hätte er nicht zu fürchten. »Vetter Johannes,« sagte die Base, »du mußt doch nicht glauben, daß wir so wüste Hüng wären, wegen einem bösen Jahr den Lehnmann über Nichts zu bringen. Wenn wir den Hof selber hätten, so hätten wir ja auch das böse Jahr, und warum[341] sollte es der Lehenmann allein entgelten, wenn es zu trocken oder zu naß ist? Es ist doch immer unser Hof, und was vermag er sich dessen? Es hat mich schon manchmal wüst düecht, wenn ein Lehenmann immer den gleichen Zins geben muß, gebe es etwas oder gebe es nichts. Nein, Vetter, Joggeli ist wunderlich, aber der Wüstest doch nicht, und wenn alles fehlen sollte, so ist es dann nicht, daß ich nicht auch noch etwas hätte, womit ich nachhelfen könnte.«

»Base,« sagte Johannes, »nehmt es mir nicht für ungut, aber wenn man etwas Rechtes machen will, so muß man von allem reden. Die Sache freut mich für Euch und Uli und auch für mich, denn an Uli ist mir etwas gelegen. Es ist wahr, er ist mir fast so lieb wie mein eigen Kind, und was ich für ihn tun kann, das spare ich nicht. Er hat mir auch von Elisi geredet, und da habe ich ihm die Sache mißraten. Es ist ihm damals nicht recht gewesen, ich sah es ihm wohl an. Es nimmt mich wunder, ob er mir jetzt etwas davon sagt. Soll ich mit ihm von der Sache reden, so ihm ablosen von weitem, was er im Sinne hat, oder gleich mit der Türe ins Haus, oder wollt Ihr zuerst mit Vetter Joggeli reden?« »Ich wäre lieber mit Uli und Vreneli im Reinen, und deswegen bin ich mit ihnen gekommen«, sagte die Base. »Fange ich Joggeli davon an und wollen später Uli und Vreneli nicht, so muß ich mein Lebtag hören, was ich da einmal Dumms hervorgebracht, von wegen er ist gar wunderlich und kann einem eine Sache nicht vergessen; darneben ist er der Wüstest nicht. Wenn es sich dir schickt, Vetter, so lose Uli ab, was er denkt, ziehe ihm die Würm aus der Nase; es wäre mir sehr lieb, wenn ich wüßte, woran ich mit ihm wäre. Es dünkt mich, ich wäre wie im Himmel, wenn die Sache im Reinen wäre. Gefällt Euch das Meitschi aber nicht auch?« fragte die Base. Und Johannes und seine Frau rühmten nun, wie hübsch es sei und appetitlich, und der Erstere versprach, zu helfen, was er könne.[342]

Selben Abend schickte es sich ihm nicht, er war mit Uli nie allein. Aber am andern Morgen, sobald sie zMorgen gegessen hatten, fragte Johannes den Uli: Ob er mit ihm auf den Herd hinauswolle, er möchte ihm zeigen, was er angesäet hätte, und dies und jenes ihn fragen. Die Base mahnte, ja nicht zu lange auszubleiben, indem sie zeitlich verreisen wollten, um nicht zu spät heimzukommen. Während nun Johannese Frau der Base zusprach, daß sie heute noch hier bleiben sollten, wandelten die Männer ab.

Ein schöner Morgen war es wieder. Ein Kirchturm nach dem andern gab sein Zeichen, daß es heute der Tag des Herren sei, die Herzen sich öffnen sollen dem Herrn, um Sabbat mit ihm zu halten, seinen Frieden zu empfangen, seine Liebe zu empfinden. Es ward den beiden Wandelnden auch feierlich im Gemüte, über manchen Acker waren sie gewandelt mit wenig Worten. Sie waren an einen Waldsaum gekommen, von wo man das Tal schwimmen sah in dem wunderbaren herbstlichen Duft und von vielen Kirchtürmen her das Geläute der Glocken hörte, welche die Menschen zusammenriefen, in den geöffneten Herzen den Samen zu empfangen, der sechzig- und hundertfältig Früchte tragen soll in gutem Herzensgrunde. Schweigend setzten sie sich dort und ließen einziehen durch die weiten Tore der Augen und Ohren des Herren herrliche Predigt, die alle Tage ausgeht in alle Lande ohne Worte, ließen in tiefer Andacht die Töne widerklingen im Heiligtum ihrer Seelen.

Endlich fragte Johannes: »Du bleibst nicht in der Glungge?« »Nein«, sagte Uli. »Nicht daß ich es ihnen zürne wegen Elisi. Ich bin froh, daß es so gegangen ist. Erst hintendrein sehe ich, daß ich keine glückliche Stunde mit ihm gehabt hätte und daß bei einem solchen bösen Schlärpli einen kein Geld glücklich macht. Ich kann nicht begreifen, was ich auch gesinnet habe! Aber ich mag doch nicht bleiben. Der Tochtermann[343] ist immer da, will anfangen zu regieren, plündert sie aus, wo er kann, so daß ich nicht mehr dabei sein mag; auch lasse ich mir von dem nicht befehlen.« »Aber was willst du denn?« fragte Johannes. »Das ists eben, was ich mit dir reden möchte«, sagte Uli. »Plätze bekäme ich genug; ich könnte auch zum Sohne, der gäbe mir Lohn, so viel ich wollte. Aber ich weiß es nicht: Knecht sein ist mir aparti nicht erleidet, aber es dünkt mich, wenn ich etwas Eigenes anfangen wolle, so sei es Zeit. Ich bin in den dreißig Jahren alt und gehöre schon fast zu den Alten.« »Jä so,« sagte Johannes, »hast du das Heiraten im Kopf?« »Aparti nit!« sagte Uli. »Aber wenn ich heiraten will, so sollte es bald geschehen, und etwas Eigenes anfangen muß man auch, während man sich noch rühren mag. Aber ich weiß eben nichts anzufangen. Für alles habe ich zu wenig, denn was sind zweitausend Pfund, um etwas Rechtes anzufangen? Ich sinne noch immer daran, wie du gesagt hast, auf kleinen Gütchen schlage man den Zins nicht heraus, und ein Lehenmann, der nicht Geld in den Händen habe, könne nicht wohl ein großes Wesen übernehmen, und auf kleinen gehe er zugrunde.« »He,« sagte Johannes, »zweitausend Pfund sind schon was, und es gibt hier und da Güter, wo die Bsatzig dabei ist, wo man sie gegen eine Schatzung übernehmen kann, so daß du die zweitausend Pfund zum freien Handel in der Hand behieltest, und wenns dann noch mehr sein müßte, so fändest du wohl Leute, die Geld hätten.« »Ja, aber die gäben mir es nicht. Wenn man Geld will, so muß man gute Versicherung oder Bürgen haben, und wo die nehmen?« »He, Uli,« sagte Johannes, »das ist eben, was ich dir auch gesagt habe: eine guter Name ist auch eine gute Versicherung. Vor fünfzehn Jahren hätte ich dir nicht fünfzehn Batzen geliehen, wenn du aber jetzt zwei- bis dreitausend Pfund mangelst gegen ein bloßes Handschriftli, so kannst du sie haben, oder wenn ich dir Bürge sein soll, so sprich zu.[344]

Wofür ist man auf der Welt, als für einander zu helfen?« »Das wäre guter Bescheid«, sagte Uli; »daran hätte ich nicht denken dürfen, und wenn ich etwas wüßte, ich wollte gleich darauf los.« »Das täte ich nicht«, sagte Johannes. »Ich ginge zuerst auf eine Frau aus, und je nachdem ich eine hätte, finge ich etwas an. Es sind schon viele Leute zugrunde gegangen nur deswegen, weil die Frau zu des Mannes Geschäft nicht paßte oder weil sie nicht dazu passen wollte. Um ein Hauswesen gut zu führen, bedarf es einen einträchtigen Willen. Hast du einmal eine Frau und wählet ihr einträchtig ein Heimwesen zum Kaufen oder Empfangen, das sich zu euch Beiden schickt, so ist schon viel gewonnen. Oder hast du schon etwas der Art unterhänds?« »Nein«, sagte Uli. »Ich wüßte wohl eine, aber die sagt mir nicht Herr.« »Warum nicht?« fragte Johannes, »ist es wieder eine reiche Baurentochter?« »Nein,« sagte Uli, »es ist das Meitschi, das mit der Frau gekommen ist. Vermögen hat es aparti nicht, aber wer das bekommt, der ist glücklich. Ich habe es seither schon manchmal gedacht, mit dem kömmt einer weiter, wenn es schon keinen Batzen hat, als mit dem reichen Elisi. Was es in die Hände nimmt, steht ihm wohl an, alles gerät ihm, und es ist nichts, das es nicht versteht. Ich glaube, es wird nie müde, am Morgen ist es zuerst und abends zuletzt und den ganzen Tag nie müßig. Nie muß man auf das Essen warten, nie versäumt es die Jungfrauen, und es meint einer, es werde nie hässig; je mehr zu tun ist, desto lustiger wird es, wo doch sonst die Meisten, wenn sie viel Arbeit haben, hässig werden und nicht bei ihnen zu sein ist. Es ist huslig in allen Teilen und doch bsunderbar gut gegen die Armen, und wenn jemand krank wird, so kann es ihm nicht gut genug luegen. Es ist Keins weit und breit so.« »Aber warum solltest du das nicht bekommen?« fragte Johannes, »hasset es dich?«»Aparti nicht«, sagte Uli. »Es ist gut gegen mich, und wenn es mir etwas zu[345] Gefallen tun kann, so ist es nie Nein, und wenn es sieht, daß ich möchte, daß etwas gemacht werde, so hilft es nur, so viel es kann, und kein einzigmal begehre es Saumsteine in den Weg zu legen, wie es die Weiber dickist haben, daß wenn sie sehen, daß man etwas absolut machen sollte, sie absolut etwas anderes wollen und einen versäumen, wie sie nur können. Aber doch ist es etwas hochmütig und kanns nicht vergessen, daß es aus einer vornehmen Familie ist, wenn es schon unehlich ist. Wenn ihm einer nur von weitem zu nahe kömmt, so schnauzt es ihn an, als ob es ihn fressen wolle, und öppe Gspaß mit ihm zu treiben und es auch etwas in den Finger zu nehmen, wie an vielen Orten der Brauch ist, das wollte ich Keinem raten. Es hat schon Mancher eine wüste Täschen herausgenommen.« »Aber das will noch gar nicht sagen, daß es dich nicht nehmen würde«, sagte Johannes. »Wenn es sich schon nicht von jedem will fingerlen lassen, so kann ich ihm das nicht für übel nehmen.« »Ja, dann ist noch eins«, sagte Uli. »Ich darf jetzt nicht mehr an Vreneli sinnen. Würde es mir nicht sagen: Gäll, jetzt, wo du die Reiche nicht haben kannst, jetzt soll ich dir gut genug sein! Hast du mir ja das grüne, gelbe Elisi vorziehen können, so will ich dich jetzt auch nicht; ich mag nicht einen, der so mit einem verschlampeten Bärentalpenstengel geschätzelet hat. Das muß es mir zur Antwort geben, und doch habe ich auch während der Geschichte mit Elisi mehr an Vreneli gesinnet als an ds Elisi. Erst jetzt merke ich, daß mir Vreneli immer lieber gewesen ist. Und wenn ich das Meitschi hätte, ich wollte ausbieten, einen Hof zu übernehmen und darauf mehr zu machen als irgend ein Anderer. Aber jetzt ist es zu spät, es nimmt mich nicht, es ist gar ein Eigeliges.« »He,« sagte Johannes, »man muß nie den Mut verlieren, solange ein Meitschi noch ledig ist. Das sind wunderliche Greiser und tun gewöhnlich gerade das Gegenteil von dem, was man ihnen zutrauet. Wenn die[346] Sache so ist, so wollte ich anhoschen, das Meitschi gefällt mir.« »Nein, Meister, nicht um hundert Kronen wollte ich das Meitschi fragen. Ich weiß wohl, es zerschreißt mir fast das Herz, wenn ich von ihm muß und es nicht mehr alle Tage sehen kann. Aber wenn ich es fragte und es würde mich verachten, Nein sagen, ich glaube, ich hinge mich an die Bühnisleiter. Beim Dolder, ich könnte es nicht sehen, wenn es ein Anderer zur Kirche führte, ich glaube, ich würde ihn erschießen. Aber das heiratet nicht, das bleibt ledig.« Da begann Johannes gar herzlich zu lachen und fragte: Woher er wisse, daß ein solches Meitschi, dreiundzwanzig Jahre alt, ledig bleiben werde. »Oh,« sagte Uli, »es nimmt Keinen; ich wüßte nicht, wer dem gut genug wäre.«

Da sagte Johannes, sie wollten doch machen, daß sie heimkämen, ehe die Kirche aus sei, er möchte nicht in die Kirchenleute laufen. Uli folgte ihm, wenig redend, und was et redete, klang immer gegen Vreneli zu, bald dieses, bald jenes, und Johannes sollte ihm versprechen, ja kein Wort über seine Lippen zu lassen von dem, was er ihm gesagt. »Du Gäuchel du,« sagte Johannes, »wem sollte ich etwas davon sagen?«

Die Base hatte daheim schon lange vor Ungeduld gezappelt, und sobald Uli und sein Meister in die Stube traten, sagte sie zu Uli: »Geh doch in die Stube, in welcher wir geschlafen haben, und sieh, was Vreneli macht. Es soll einpacken, wir wollen fort.« Uli fand das Mädchen vor einem Tische stehend, wo es ein Fürtuch der Base zusammenlegte. Uli ging sachte hinter ihns, schlang den Arm, aber ganz manierlich, um dasselbe und sagte: »dBase pressiert.« Vreneli drehte sich rasch um, sah, wie über diese ungewohnte Vertraulichkeit verwundert, schweigend zu Uli auf. Dieser fragte: »Bist noch immer böse auf mich?« »Ich bin über dich nie böse gewesen«, sagte Vreneli. »So gib mir ein Müntschi, du hast mir noch keins gegeben«, entgegnete Uli und bog sich herab. In diesem[347] Augenblick wand Vreneli sich so kräftig los, daß er in die halbe Stube zurückfuhr; und doch war es ihm, als hätte er ein Müntschi erhalten, er glaubte noch deutlich an einem gewissen Fleck Vrenelis Lippen zu fühlen. Dasselbe aber fuhr mutwillig über ihn her: Es dünke ihns, er sei zu solchen Flausen wohl alt, und wahrscheinlich werde die Base ihn nicht heraufgeschickt haben, um mit solchem Narrenwerk es zu versäumen. Er solle doch denken, was Stini, sein alter Schatz, dazu sagen würde, wenn es dazukäme. Es begehre nicht mit demselben einen Schwinget zu haben wie Ürsi. Dabei lachte es, daß es Uli ganz zerschlagen zumute ward und er die Türe suchte so bald möglich.

Die Reise ging später vor sich, als man dachte. Denn als man anspannen wollte, mußte man zuerst noch zu einem Mahl, wobei des Johannes Frau ihre ganze Kochkunst, den ganzen Reichtum ihres Hauses aufgeboten hatte. Obgleich die Base in einem fort sagte: »Herr Jeses, wer möcht doch auch von allem essen«, so war doch des Nötigens kein Ende, und sie wurde nicht in Ruhe gelassen, bis sie erklärte: Sie bringe ihre armi türi nichts mehr hinunter; wenn sie noch ein Brösmeli essen sollte, es würde sie versprengen.

Während Uli anspannte, drückte sie des Vetters Kindern neues Geld in die Hände, gäb wie die sich wehrten und ihre Eltern die Base mahnten, sie solle sich doch nicht solche Kosten machen, und den Kindern zusprachen, sie sollten doch nicht so unverschämt sein und es nehmen. Wenn sie es doch nahmen und zu der Mutter eilten und ihren Schatz zeigten, so hieß es: »Nein, es hat kei Gattig, wir müssen uns ja schämen.« Und dann sagte die Base: Es sei ja nicht der Rede wert und sie sollten doch recht bald zu ihnen kommen und es ein, ziehen, was sie ihnen in den Kosten gewesen sei. Das werde sich schon geben, erhielt sie zur Antwort, aber sie hätte nicht so pressieren und noch einen Tag bleiben sollen. So unter vielen[348] Reden kam sie endlich auf ihr Sitzwägeli und setzte oben das Reden fort, Vreneli alle ihre gemachten Betrachtungen mitteilend, deren in der Tat nicht wenige waren. Denn sie hatte manches gesehen, von dem sie sagte: »Wenn ich jünger wäre und noch besser möchte, das müßte mir auch sein.«

Zu allem redete Uli nichts, war mit seinem Kohli beschäftigt, den er tüchtig traben ließ, so daß endlich die Frau sagte: »Uli, fehlt dir etwas? Machst es dem Kohli nicht zu stark? Er ist nicht gewohnt, so zu laufen.« Uli versprach sich und erhielt den Befehl, etwas über em halben Weg zu halten. Es sei ihr nicht nur wegen dem Kohli, sagte sie, sondern auch wegen ihr selbst. Hamme und Küchli zusammen machten ihr immer Durst. Vreneli sagte, auch ihm sei es recht, es hätte es gerade wie die Base, und heute werden sie doch in ein Wirtshaus können, ohne für ein Hochzeit gehalten zu werden. Man werde eher glauben, sie kämen von einer Gräbt, so mache Uli ein Gesicht. Er hätte keine Ursache, ein anderes zu machen, sagte Uli, am allerwenigsten seinetwegen. Am Samstag sei es nicht recht, wenn er lache, und am Sonntag nicht recht, wenn er nicht lache, es sei bald bös z'breiche. »Du bist puckt, Uli« sagte Vreneli, »ich habe nicht gewußt, daß man dir nichts mehr sagen darf.« »So, zanket recht,« sagte die Base, »das gefällt mir; was sich liebt, muß sich zanken, und ihr machet exakt wie Zwei am Tage nach der Hochzeit.« Eben darum wolle es ja nicht heiraten, sagte Vreneli. Solange es ledig sei, mache es ein Gesicht für sich, wie es ihm gerade anständig sei. »Ich mache meine Gesichter auch für mich,« sagte Uli, »und du brauchst sie gar nicht zu sehen, wenn sie dir nicht anständig sind. Habe nur noch ein wenig Geduld, so wird dir mein Gesicht nicht mehr im Wege sein.« »Nit, nit!« sagte die Base. »Machet einander nicht zu guter Letzt noch böse und kommt mir taub heim. Man muß aus Spaß nicht gleich Ernst machen, sonst kömmt man nicht durch die Welt.[349]

Und wenn man gleich so aufbrennen will, ach bhüetis, so ists allerdings besser, man bleibe ledig! Ich bin als Meitschi auch aufbegehrischer Natur gewesen und habe nichts leiden wollen, aber wenn ich bei meinem Joggeli so hätte bleiben wollen, so lägen er oder ich oder Beide im Grabe. Ich habe bald gesehen, daß eins nachgeben, sich ändern muß, und da ist die Reihe dazu an mich gekommen. Nit daß Joggeli nicht auch ein Gleich gemacht, er hat sich auch in manchem gebessert. Ich glaube nicht, daß Zwei zusammenkommen auf der Welt, die sich nicht mehr oder minder ändern müssen, wenn sie glücklich bleiben wollen.« »Darum ists am besten, man bleibe ledig«, sagte Vreneli, »da kann man bleiben, wie man ist, und es grännet einen niemand an für nichts und wieder nichts.« »Eh, Vreneli, sinnest denn nicht an Gott und daß der will, daß wir uns ändern und alle Tage besser werden? Ist dir der auch zu wenig, daß du um seinetwillen kein ander Gesicht machen willst, als dir anständig ist?« »Aber Base,« sagte Vreneli, »wie kommt Ihr mir auch! Wir reden von einem Mann und Ihr kommt mir mit Gott, da ist doch ja gar keine Gleichheit. Wie einem Gott in Sinn kommen kann, wenn man von einem Manne redet, begreife ich nicht. Wenn man von Männern redet, so sollte einem immer der Teufel in Sinn kommen, denn der ist ja auch ein Mann, und er hat das Weib verführt; wenn er nicht gewesen, so wären wir glücklich geblieben. Von einer Frau Tüfelin habe ich noch nichts gehört; das ist mir ein sicher Zeichen, daß der Teufel unter dem Weibervolk Keine seinesgleichen gefunden hat, sondern nur unter dem Mannenvolk. Unter dem gibt es ja ganze Legionen, wie es in der Schrift heißt.« »Versündige dich nicht, Vreneli,« sagte die Base, »du weißt nicht, was dir bestimmt ist. Ich glaube, du redest nicht, wie es dir ums Herz ist, sondern wie alle Meitschi, wenn sie noch Keinen haben oder der Rechte ihnen noch nicht gekommen.« So wie Vreneli den Mund zur Antwort auftat, fuhr[350] Uli, der ihnen ganz den Rücken gekehrt und getan hatte, als höre er von allem nichts, zum bestimmten Wirtshause. Die Wirtin empfing sie und führte sie in eine apartige Stube, wie die Base verlangt hatte, nachdem sie dem Uli gesagt, er solle bald nachkommen. Dort befahl sie Wein und auch etwas auf einem Teller oder zweien; das Fahren mache hungrig, sie hätte es nicht geglaubt.

Es war alles da, nur Uli nicht. Die Wirtin war nach ihm ausgeschickt worden, kam wieder mit dem Bescheid, daß sie es ihm gesagt, aber er kam doch nicht. Da sagte die Base: »Geh, Vreneli, und heiße ihn auf der Stelle kommen.« Vreneli drehte und meinte, man solle ihn doch nicht zwingen; wenn er hungrig oder durstig wäre, er würde schon kommen. »Wenn du nicht gehen willst,« sagte die Base, »so muß ich zuletzt noch selber gehen.« Da ging Vreneli hässig und trieb mit hässigen Worten den bei den Keglern stehenden schmollenden Uli, der anfangs nicht kommen wollte, herbei. Seinethalben, sagte es, könnte er bleiben, wo er wäre, aber die Base befehle es. Er solle kommen, es hätte nicht Lust, ihm noch mehr nachzulaufen.

Uli kam endlich, auf die vielen Vorwürfe der Base wenig antwortend. Diese schenkte ihm tapfer ein, nötigte zum Essen und schwatzte allerlei durcheinander, wie es ihr bei Vetter Johannes wohl gefallen und wie sie jetzt wohl merke, wo Uli sei drässiert worden. Er müßte aber auch bsunderbar wohl für sie gewesen sein, denn noch jetzt hingen die Kinder an ihm, und sie hielten ihn ja wert fast wie ein Kind. »Du wirst wohl wieder zu ihnen wollen, wenn du bei uns fortgehst?« »Nein«, sagte Uli. »Es ist sonst nicht der Brauch, daß man frägt, aber willst du mirs sagen, wo du hinkömmst?« sagte die Base. Er wisse es noch nicht, sagte Uli, es hätte ihm noch nicht pressiert, einen Platz zu nehmen, obgleich er manchen hätte haben können. »E nun, so bleibe du bei uns, das schickt sich[351] für beide Teile am besten, wir sind jetzt an einander gewohnt.« Sie solle es nicht für ungut haben, sagte er, aber er hätte nicht im Sinn mehr, Knecht zu sein. »Hast du etwas anderes?« fragte sie. »Nein«, antwortete er. »Wenn du nicht mehr Knecht sein willst: wenn wir dir da unser Gut ins Lehen geben wollten?« Dies Wort traf Uli wie ein Stein. Er ließ die mit einem Stück Schafbraten beladene Gabel aufs Teller fallen, behielt den Mund aber offen, drehte seine Augen groß wie Pflugsrädleni der Base zu und starrte sie an, als ob sie aus dem Mond herabkäme. Vreneli, das am Fenster gestanden war und sich über Ulis langes Essen geärgert hatte, drehte sich rasch um und horchte mit spitzigen Augen, was das geben sollte. »Ja, sieh mich nur an,« sagte die Base zu Uli, »es ist mir Ernst mit der Frage: wenn du nicht als Knecht bleiben willst, würdest du wohl als Lehenmann bleiben?« »Frau,« sagte endlich Uli, »wie sollte ich Euer Lehenmann werden können? Das vermag ich nicht, da muß einer anders hintersetzt sein als ich. Ihr wollt mit mir nur Eure Flausen treiben.« »Nein, Uli, es ist mir Ernst,« sagte die Frau, »und mit dem Nitvrmögen ist das nichts, das könnte man ja machen, daß das Anfangen dich nichts kostete, die Bsatzig ist da.« »Aber was denkt Ihr, Frau,« sagte Uli, »wenn das schon wäre, wer wollte mir Bürge sein? Ein einziges Fehljahr brächte mich auf einem solchen Gut zu Boden. Das Geschäft ist zu groß für mich.« »He, Uli, das wird sich alles machen, und die wüstesten Hüng sind wir doch nicht, daß wir einen Lehenmann, der uns anständig ist, wegen einem einzigen Jahr zugrunde gehen ließen. Sag nur, du wollest, so wird sich das schon machen.« »Ja, Frau,« sagte Uli, »und wenn das sich schon machte, wer sollte mir die Haushaltung machen, Das will da was heißen.« »He, nimm eine Frau,« sagte die Base. »Das ist bald gesagt«, antwortete Uli, »aber wo wollte ich wohl eine finden, die gut dafür wäre und die mich nähme?«[352]

»Weißt du keine?« fragte die Base. Da stockte dem Uli das Wort im Munde, und werweisend grübelte er verlegen mit der Gabel auf dem Teller. Vreneli aber sagte rasch: Es dunke ihns, es wäre Zeit für fort, der Kohli habe den Hafer längst gefressen und Uli werde auch bald genug haben, sie könnten ein andermal mit einander Flausen haben. Ohne auf diese Worte zu hören, sagte endlich die Base: »Weißt du keine? Ich wüßte dir eine.« Uli machte wieder Pflugsrädli gegen die Base zu, Vreneli sagte, es möchte die auch wissen. Die Base, in ungestörter, schalkhafter Gemütlichkeit, die eine Hand auf dem Tische, den breiten Rücken behaglich hinten am Stuhle, sagte: »Errate mal, du kennst sie wohl.« Uli sah herum an allen Wänden, er konnte das rechte Wort nicht finden, es war ihm, als ob er einen Erdäpfelstock von einem ganzen Sack Erdäpfel im Halse hätte, und Vreneli trippelte ungeduldig hinter die Base und sagte: Sie wollten doch machen und fort, es finstere ja schon. Aber die Base hörte Vreneli nicht, sondern fuhr fort: »Kömmt es dir nicht in Sinn? Du kennst sie wohl, es ist ein werchbar Mensch, tut aber zuweilen etwas uwatlig, und wenn ihr nicht zusammen zanket, so könnt ihr es sonst recht gut mit einander.« Dazu lachte sie recht herzlich und schaute Eins ums Andere an. Da schaute Uli auf, aber ehe er eine Antwort hervorgeworget hatte, fuhr Vreneli dazwischen und sagte: »Geh und spanne an! Base, man kann den Spaß auch zu weit treiben. Ich wollte, ich wäre nie mitgefahren. Ich weiß gar nicht, warum man mich nicht ruhig lassen kann. Gestern haben mich die Leute taub gemacht, und heute wollt Ihr es noch ärger machen. Das ist nicht schön, Base.«

Uli war aufgestanden und wollte gehen, aber die Base sagte: »Hock doch nieder und los. Es ist mir Ernst, ich habe schon manchmal zu Joggeli gesagt, es schickten sich nie Zwei besser zusammen als ihr Beide, es sei, wie wenn ihr für einander gewachsen wäret.« »Aber Base,« rief Vreneli, »dr tusig[353] Gottswillen, hört doch auf, sonst laufe ich fort. Ich lasse mich nicht ausbieten wie eine Kuh. Wartet doch nur bis Weihnacht, da will ich Euch aus den Augen, oder wenn ich Euch so erleidet bin, noch vorher. Was wollt Ihr Euch so vergebene Mühe geben, Zwei zusammenzubringen, die einander nicht mögen? Uli fragt mir gerade so viel nach als ich ihm, und je eher wir von einander kommen, desto lieber ist es mir.« Da ging doch Uli der Mund auf, und er sagte: »Vreneli, zürne mir doch recht nicht, ich vermag mich ja gar nichts dessen. Aber das muß ich dir sagen: wenn du mich schon hassest, so bist du mir schon lange lieb gewesen und ich wünschte mir keine bessere Frau. Es muß einer glücklich mit dir sein; wenn du mich wolltest, ich wäre glücklich genug.« »So,« sagte Vreneli, »jetzt, wo du vom Hof hörst und daß du ihn ins Lehen erhieltest, wenn du eine Frau hättest, bin ich dir auf einmal recht von wegen dem Hof. Du bist mir ein lustig Bürschli. Gell, wenn du nur den Hof kriegtest, so heiratest du jede Luenz ab der Gasse, jeden Zaunstecken aus einem Hag. Aber ohä! Du bist an der Lätzen, es ist nicht, daß ich einen Mann haben muß. Ich will gar keinen, allweg keinen, der jeden Dachen nimmt, wenn nur ein Tröpfli Öl daran hanget. Wenn ihr nicht fahren wollt, so laufe ich alleine heim,« und somit wollte es zur Türe aus schießen. Aber Uli fing es auf, hielt es mit starkem Arm, wie es sich auch wehrte, und sagte: »Nein, wahrhaftig, Vreneli, du tust mir unrecht. Wenn ich dich haben könnte, ich wollte mit dir in die Wildnis, wo ich nichts als schwenden und reuten müßte. Es ist wahr, wo mir ds Elisi so flattiert hat, da ist mir der Hof in den Kopf gekommen und ich hätte es nur deßtwegen genommen. Aber schwer hatte ich mich versündigt, denn schon damals bist du mir im Sinn gelegen, und ich habe dich immer hundertmal lieber gesehen als ds Elisi. Allemal wenn ich ihns gesehen, so bin ich erschrocken, wenn du mir aber begegnet bist, so lachte mir allemal[354] das Herz im Leibe. Frag nur den Johannes, ich habe es ihm heute morgen gesagt: eine Frau, wie du eine gibst, wüßte ich, so weit die Sonne scheint, keine bessere zu finden.« »Laß mich gehen,« schrie Vreneli, das während der schönen Rede getan hatte wie eine Katze am Hälsig und selbst mit Klemmen und Kratzen nicht schonte. »Ich will dich gehenlassen,« sagte Uli, der männlich das Kratzen und Klemmen aushielt, »aber du mußt mich nicht im Verdacht haben, als wollte ich dich nur, wenn ich Lehenmann werden könnte. Du mußt glauben, ich hätte dich sonst lieb.« »Ich verspreche nichts!« rief Vreneli, riß sich los mit eigener Gewalt und floh oben an den Tisch. »Du tust doch so wüst wie eine junge Katze«, sagte die Base. »Ich habe mein Lebtag kein solch Meitschi gesehen. Aber tue jetzt vernünftig, komm hock da neben mich! Willst du kommen oder nicht? Ich gebe dir mein Lebtag kein gutes Wort mehr, wenn du nicht eine Minute da hocken und dich stille halten willst. Uli, sag, man solle noch eine Halbe bringen. Halt dich still, Meitschi, und rede mir nicht darein,« sagte die Base und erzählte nun, wie es ihr wäre, wenn sie Beide fortgingen, was für böse Tage ihrer warteten, vergoß schmerzliche Tränen über ihre Kinder und wie sie noch glücklich werden könnte, wenn es ginge, wie sie in schlaflosen Nächten es sich ausgedacht. Wenn Zwei miteinander glücklich werden könnten, so wären sie es. Sie habe Joggeli manchmal gesagt, sie hätte ihrer Lebtag nie zwei Menschen gesehen, die einander so wohl verstünden in der Arbeit und einander so behülflich seien. Wenn sie so fortführen mit einander, so müßten sie zu schönem Vermögen kommen. Was sie ihnen behülflich sein könnten, das würden sie tun. Sie hätten es nicht wie viele Lehenherren, denen nicht wohl sei, wenn nicht alle zwei Jahre ein Lehenmann auf ihrem Gut zugrunde ginge, und die allemal schlaflose Nächte hätten und am Zins aufschlagen wollen, wenn einmal der Lehenmann zu rechter Zeit den ganzen Zins[355] geben kann, weil sie fürchten, er habe das Lehen zu wohlfeil. »Nein, gewiß,« sagte sie, »wir wollten tun an euch, wie wenn ihr unsere eigenen Kinder wäret, und einen Trossel müßte Vreneli haben, dessen keine Baurentochter sich zu schämen hätte.« Aber wenn ihr das nicht gerate und Vreneli wüst tun wolle, so wüßte sie nicht, was anfangen, sie wollte lieber nicht mehr heim. Sie wolle ihm nichts fürhalten, aber das hätte sie doch nicht um ihns verdient, daß es jetzt so wüst tue; sie hätte öppe getan an ihm, was ihr wohl angestanden sei. Und das Wüstmachen tue es ihr expreß zuleid, sie merke es wohl. Es sei schon lange nicht mehr wie sonst gegen sie. Und gar herzlich weinte die gute Frau.

»Aber Base,« sagte Vreneli, »wie könnt Ihr auch so reden? Ihr seid ja meine Mutter gewesen, für eine solche habe ich Euch immer gehalten, und wenn ich für Euch durchs Feuer sollte, ich besänne mich keinen Augenblick. Aber so einem Schnürfli, der mich nicht begehrt, lasse ich mich nicht anhängen. Wenn ich denn endlich einen haben muß, so will ich doch einen, der mich lieb hat und mich meinetwegen nimmt und nicht mitsamt den andern Kühen mich zum Lehen begehrt.« »Wie kannst du auch so reden« sagte die Base, »hast du nicht gehört, daß er gesagt hat, er habe dich schon lange lieb gehabt?« »Ja,« sagte Vreneli, »das sagen sie alle, Einer wie der Andere; wenn man aber an dieser Lüge ersticken müßte, es würde wenige Hochzeit geben. Er wird auch nicht besser sein als die Andern; wenn Ihr nicht zuerst vom Hof angefangen hättet, Ihr hättet dann sehen können. Und es ist auch nicht recht von Euch gewesen, mir nichts von allem zu sagen und mich da so ungesinnet ihm darzuwerfen wie einer Sau einen Tannzapfen. Wenn Ihr mir zuerst ein Wort gegönnt hättet, so hätte ich es Euch sagen können, was Trumpf ist bei Uli. Er sagt auch: Geld, du bist mir lieb, und dann soll eine verstehen: Gäll, du bist mir lieb!« »Du bist ein wunderlich[356] Gret,« sagte die Base, »und tust ärger, als wenn du die vornehmste Herrentochter wärest.« »Eben, Base, weil ich nichts bin als ein Meitschi, so steht es mir wohl an, vornehm zu tun und mich da nicht so vorwerfen zu lassen. Ich glaube, ich habe ein größer Recht dazu als manche vornehme Tochter, sei es dann meinethalb eine Herren- oder eine Baurentochter.« »Aber Vreneli,« sagte Uli, »was vermag ich mich dessen, und soll ich es jetzt entgelten? Du weißt im Herzen wohl, daß ich dich lieb habe, und ich habe so wenig von dem gewußt, was die Base im Sinne hatte, als du. Es ist daher nicht recht, daß du es an mir auslassest.« »Ach,« sagte Vreneli, »erst jetzt merke ich, daß das Ganze eine abgeredete Sache war; du würdest dich sonst nicht versprechen, ehe ich dich angeklagt. Das ist erst recht wüst und ich will von der ganzen Sache nichts mehr hören, ich lasse mich nicht so hineinsprengen, wie man die Fische ins Garn sprengt.«

Damit wollte Vreneli wieder auf und fort, aber die Base hielt es fest am Kittel und sagte ihm: Es sei das wüstest und mißtreust Mönsch, wo an der Sonne herumlaufe. Seit wann sie hinter seinem Rücken unter dem Hütli spiele? Das sei wahr, wegen dieser Sache habe sie zum Vetter begehrt und dessetwegen habe sie Beide mitgenommen. Aber was sie im Sinn gehabt, habe niemand gewußt, nicht einmal Joggeli, geschweige denn Uli. Sie habe dem Vetter den Auftrag gegeben, dem Uli die Würme aus der Nase zu ziehen, und es sei wahr, der habe Vreneli grusam gerühmt, so daß der Vetter ihr gesagt, Uli nähme Vreneli lieber heute als morgen, aber er dürfe ihm nichts sagen, er fürchte, es halte ihm ds Elisi vor. Daraufhin habe sie gedacht, sie wolle reden, wenn Uli nicht dürfe, denn daß ihm Uli nicht anständig sei, das überrede sie niemand, sie habe ihre Augen noch nicht am Rücken. Er vermöge sich also dessen nichts. »Aber warum kömmt er denn heute in die Stube, wo ich einpacke,« fragte[357] Vreneli, »und will mir ein Müntschi geben? Das hat er noch nie getan.«

»He,« sagte Uli, »ich will es dir grad sagen. Als ich heute mit dem Meister geredet hatte, da bliebest du mir im Sinn mehr als je, und ich dachte, ich wollte geben, was ich hätte, wenn ich wüßte, ob du mich lieb hättest und mich nehmen würdest. Vom Lehen wußte ich kein Wort. Als ich dich so allein antraf, da übernahm es mich, ich wußte nicht wie, es kam mir in den Arm fast wie ein Gsüchti, ich mußte dich anrühren, dich um ein Müntschi fragen. Anfangs glaubte ich, ich hätte eins erhalten, allein später dachte ich, es könnte doch nicht sein, du hättest mich sonst nicht so wild in die Stube hinausgeschossen; ich dachte, du hättest mich nicht gerne, und das machte mich betrübt im Herzen, und ich dachte, wenn nur Weihnacht da wäre, daß ich fort könnte, da wollte ich weit weit ins Weltschland hinein, daß nie jemand mehr etwas von mir höre. Und so ists mir noch, Vreneli; wenn du mich nicht willst, so will ich vom Lehen nichts, will fort, fort, so weit mich die Füße tragen, und kein Mensch soll erfahren, wohin ich gekommen.« Er war aufgestanden, vor Vreneli getreten, das Wasser stund ihm in den treuherzigen Augen, der Base aber rollte es die Backen ab. Da sah Vreneli zu ihm auf, die Augen wurden ihm feucht; aber um den Mund zuckte noch der Spott und der Trotz, die niedergehaltene Liebe brach auf und begann durch die Augen ihre leuchtenden Strahlen zu werfen, während das jungfräuliche Widerstreben die Lippen aufwarf als Schanze gegen das Ergeben an die männliche Zudringlichkeit. Und während die Augen Liebe leuchteten, kamen doch hinter den aufgeworfenen Lippen hervor die spottenden Worte: »Aber Uli, was sagt dann Stini, wenn du schon wieder eine Andere willst? Wird es dir nicht singen:


Er hat ein Herz wie es Tubehus:

Flügt die Eini dry, flügt die Anderi drus!«[358]


»Aber wie magst du auch mit ihm den Narren treiben!« sagte die Base, »du siehst ja, wie es ihm Ernst ist. Wenn ich ihn wäre, ich kehrte dir das Nest und sagte dir: Blase mir, wo ich schön bin!« »Er hat dWehli, Base, und Ihr wisset nicht, ob es mir nicht recht wäre«, sagte Vreneli. »Nein, es wäre dir nicht recht, Meitschi,« sagte die Base, »ich höre es dir schon an. Und Uli, wenn du nicht ein Löhl bist, so nimmst du es jetzt um den Hals; es schießt dich nicht mehr in die Stube hinaus, glaub es mir.« Indessen hätte die Base fast unrecht erhalten. Noch einmal bot das Mädchen seine Kraft auf, und Uli wäre in raschem Umschwunge bald wieder geflogen. Allein des Mädchens Kraft hielt nicht aus. Das Mädchen fiel an Ulis treue Brust und brach in lautes, fast krampfhaftes Weinen aus. Es wurde den beiden Andern, als das Schluchzen nicht aufhören wollte, fast angst dabei, sie begriffen nicht, was das sein solle. Uli tröstete, so gut er konnte, und sagte, es solle doch ja recht nicht so tun, und wenn es ihn lieber nicht wolle, so könne er ja gehen, er wolle ihns nicht plagen. Die Base balgete erst, es sei dumm getan, zu ihrer Zeit hätten die Mädchen nicht die Schloßhunde verspottet, wenn sie einen gefunden. Dann ward ihr aber auch bange, und sie sagte, sie wolle es nicht zwingen; wenn es lieber nicht wolle, so könne es ja ihretwegen machen, was es wolle. Es solle doch nur dr Gottswillen nicht so tun, die Wirtsleute könnten sonst glauben, was es wäre.

Endlich konnte ihnen Vreneli sagen, sie sollten es doch nur ruhig lassen, es wolle sich zu überwinden suchen. Es sei sein Lebtag eine arme Waise gewesen und verstoßen von Jugend auf. Es habe nie ein Vater es auf den Schoß genommen, die Mutter es nie geküßt, nie habe es seinen Kopf an irgend einem Halse verbergen können. Es hätte ihns manchmal gedünkt, gerne wollte es sterben, wenn es nur dabei jemand auf den Knien sitzen, jemand dabei um den Hals nehmen könnte;[359] aber solange es Kind gewesen sei, habe niemand ihns lieb gehabt, nirgends hätte es sein sollen. Es könne nicht sagen, wie oft es einsam geweint. Sein Sehnen sei immer und immer dar, auf gegangen, irgend einmal jemand so von ganzem Herzen, ganzem Gemüte lieb haben zu können, jemand zu finden, an dessen Brust es sein Haupt in Leid und Freud legen könnte. So eine Freundin aber habe es keine gefunden. Da habe es gedacht, wenn man ihm vom Heiraten gesprochen, es wolle es nie, es sei denn, es könne so von Herzensgrund glauben, daß das die Brust sei, an die es in Leid und Freud sein Haupt legen, die ihm treu sein werde im Leben und im Sterben. Aber es habe keine gefunden, zu der es diesen Glauben hätte haben können. Uli sei ihm lieb, sei ihm schon lange lieb, mehr als es sagen wolle, aber diesen Glauben zu ihm habe es noch nicht finden können. Und wenn es diesmal getäuscht würde, wenn Uli nicht die rechte Liebe, die rechte Treue für ihns hätte, dann wäre ja sein letztes Hoffen dahin, dann würde es keine mehr finden, dann müßte es unglücklich sterben. Darum mache es ihm so angst, und sie sollten es doch jetzt dr Gottswillen ruhig lassen, damit es so recht überlegen könne, was es mache. Ach, sie wüßten es nicht, wie es einer armen Waise zumute sei, welche der Vater nie auf dem Schoße gehabt, die Mutter nie geküßt!

»Du bisch es Göhl!« sagte die Base und wischte die nassen Backen ab. »Wenn ich gewußt hätte, daß es dir nur da fehle, auf ein Müntschi mehr oder weniger wäre es mir doch gewiß nicht angekommen. Aber warum sagst du es nicht? Unsereins kann doch wahrhaftig nicht an alles sinnen.« Uli sagte, er hätte das verdienet, es geschehe ihm recht und er hätte gedenken sollen, daß es ihm so gehen werde. Aber wenn es in ihn hineinsehen könnte, so würde es sehen, wie lieb er es hätte und wie aufrichtig er es meine. Er wolle sich nicht entschuldigen, er habe schon mehrere Male ans Wyben gesinnet, aber[360] lieb gehabt habe er Keine wie ihns. Aber er wolle es nicht zwingen, er müsse in Gottes Namen sich gefallen lassen, was sein Wille sei. »Du hörst es ja,« sagte die Base. »wie lieb er dich haben will! Komm, nimm dein Glas und mach Gesundheit mit Uli und versprich ihm, du wollest die Lehenfrau in der Glunggen werden.« Vreneli stund auf, nahm sein Glas, machte Gesundheit, aber versprach nichts, sondern bat: Man solle ihns nur heute noch ruhig lassen und nichts mehr davon sagen; morgen wolle es den Bescheid geben, wenn es sein müsse. »Du bist ein wunderliches Gret,« sagte die Base. »He nun, Uli, so spann an, sie werden daheim nicht wissen, wo wir bleiben.«

Draußen flimmerten die Sterne im dunkelblauen Grunde, weiße Nebelwölkchen schwebten über feuchten Matten, einzelne Streifen hoben neugierig an Talwänden sich auf, laue Winde wiegten das matte Laub, hie und da läutete eine auf der Weide vergessene Kuh ihrem vergeßlichen Meister, hie und da schickte ein übermütig Bürschchen sein Jauchzen weit über Berg und Tal. Die Bewegungen des Tages und des Fahrens rüttelten die Base in tiefen Schlaf, und Uli hielt mit gespannter Kraft den wild ausgreifenden Kohli in ziemlichem Laufe; Vreneli war alleine in der weiten Welt. Wie weit am fernen Himmel die Sterne schwammen in des unermeßlichen blauen Meeres schrankenlosem Raume, jeder für sich in einsamer Bahn, so fühlte es sich wieder das arme, einsame, verlassene Mädchen im großen Weltengetümmel. Wenn es fort war von Base und Vetter, wenn sie gestorben waren, so hatte es niemand mehr auf der Erde, kein Haus, wohin es sich flüchten konnte in kranken Tagen, keinen Menschen, dem es etwas klagen konnte, kein Auge, das mit ihm lachte, mit ihm weinte, keinen Menschen, der einmal weinte, wenn es sterben sollte, ja vielleicht keinen, der seinen Sarg begleitete bis zu dem engen, kalten Hause, das man ihm endlich doch gewähren[361] mußte. Allein war es, einsam und verlassen sollte es durch das Weltgetümmel bis zu seinem einsamen Grabe auf langer Wanderung, vielleicht durch viele viele einsame Jahre, gebeugter, mut-, kraftloser von Jahr zu Jahr, ein alt, verwittert, verachtet Wesen, dem kaum jemand Herberge mehr gab, wenn auch um Gotteswillen dafür angesprochen. Neues Weh zuckte ihm im Herzen, Klagen wollten aufquellen: warum doch wohl der Vater, der gute, der die Liebe heiße, so arme Kinder leben lasse, die niemand hätten auf der Welt, die in der Kindheit verstoßen würden, in der Jugend verführt, im Alter verachtet?

Da begann es doch zu fühlen, daß es sich an Gott versündige, der ihm viel mehr gegeben als Vielen, der seine Unschuld behütet bis auf diesen Tag, es so gestaltet, so hatte werden lassen, daß ein reichlich Auskommen ihm sicher schien, wenn Gott seine Gesundheit erhielt. Es begannen ihm aufzutauchen, wie aus dem Nebel die Hügelspitzen und die Kronen der Bäume, die Liebeszeichen, die Gott augenscheinlich über sein Leben ausgestreut, wie es behütet worden hier und dort, wie es viel heiterere Tage genossen als viele viele arme Kinder und wie es auch Leute gefunden, viel bessere als andere Kinder, die, wenn sie es auch nicht wie Vater und Mutter an ihre Herzen nahmen, ihns doch auch lieb gehabt und so erzogen, daß es vor alle Leute treten durfte mit dem Gefühl, daß man ihns für einen eigentlichen Menschen ansehe. Nein, klagen durfte es nicht über den guten Vater droben, es fühlte, daß dessen Hand ob ihm gewesen. Und war seine Hand nicht noch jetzt über ihm, war sie nicht auch heute über ihm? Hatte er sich wohl über das arme, einsame Meitschi erbarmet? Hatte er den Ratschluß wohl gefaßt, weil es getreu geblieben bis dahin und von der Sünde sich unbefleckt zu erhalten gesucht, nun auch seines Herzens Sehnen zu stillen, ihm eine treue Brust zu geben, an die es sein Haupt[362] lehnen konnte, etwas Eigenes, damit einst jemand weine bei seinem Tode, jemand es begleite auf dem trüben Wege zum schaurigen Grabe? War das wohl Uli, der getreue, vielgewandte Knecht, den es so lange schon in verschwiegenem Herzen geliebt, dem es nichts vorzuhalten wußte als seine Verirrung mit Elisi, daß er auch von dem Wahn ergriffen worden, das Geld mache glücklich, der so treu und ehrlich sein Herz dargetan und seinen Fehler bereute? War es nicht eine eigene Fügung, daß sie sich Beide getroffen gerade an diesem Orte, daß Uli nicht früher fortgekommen, daß Elisi habe heiraten müssen, daß der Base der Wunsch komme, das Gut Uli in Lehen zu geben? Hatte das alles sich nicht recht wunderbar treffen müssen, war darin nicht offenbar des Vaters gütige Hand? Sollte es wohl das Dargebotene verschmähen? War es etwas Hartes, Widerliches, das ihm zugemutet wurde? Nun rollte die Seele ihre Bilder auf, bevölkerte mit ihnen die öde Zukunft. Uli war sein Mann, es hatte Wurzel geschlagen im Leben, in der weiten Welt, sie waren der Mittelpunkt, um den ein großes Hauswesen sich ordnete, um ihren Willen kreisend. Hundertfältig gestaltete dieses Bild sich vor seinen Augen, und immer schöner, lieblicher woben dessen Farben sich durcheinander. Es wußte nicht mehr, daß es im Wägeli fuhr, es war ihm so leicht, so wohl ums Herz, als ob es bereits atme in jener Welt, wo keine Sorge, kein Leid mehr ist; da rollte das Wägelein über einen Stein. Vreneli fühlte ihn nicht, aber die Base erwachte mit langem Gähnen und fragte, mühsam sich fassend: »Eh, wo sind wir? Ich habe doch nicht geschlafen?« Da sagte Uli: »Wenn Ihr recht lueget, so seht Ihr dort unser Licht durch die Bäume.« »Herr Yses, wie habe ich doch geschlafen! Das hätte ich doch niemand geglaubt. Wenn nur Joggeli nicht balget, daß wir so spät sind.« »Es macht noch nichts,« sagte Uli, »und morgen kann der Kohli ruhen, wir brauchen ihn nicht.« »He nun,«[363] sagte die Base, »so macht es desto minder. Aber wenn die Rosse spät heimkommen und früh fort sollen, so ist das eine Schinderei. Nehme man doch, wie es einem wäre, wenn man es einem auch so machen würde, immer laufen, immer laufen und keine Zeit zum Essen und Schlafen.« Aus allen Türen schossen diesmal mit Lichtern und Laternen die Bewohner der Glungge, als sie das herannahende Wägeli hörten, die einen ans Pferd hin, die andern zum Wägeli; selbst Joggeli gnappete herbei und sagte: »Ich habe geglaubt, ihr kommet heute nicht mehr, es hätte euch etwas gegeben«

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 1, Zürich 1978, S. 329-364.
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