Dreiundzwanzigstes Kapitel

[316] Von nachträglichen Verlegenheiten, welche statt des Friedens aus der Verlobung kommen


Als er endlich fort war und die Leute wieder zur eigentlichen Besinnung kamen, fanden sie sich schweren Herzens, Elisi ausgenommen. Was wird Uli machen, was wird Johannes sagen, wie wird alles gehen? rüttelte die Leute gewaltig aus ihrem ruhigen Leben auf. Zu ihrer großen Verwunderung sagte Uli nichts und tat so kaltblütig, als ob ihn das nichts anginge, und wenn seine Mitdiensten ihn aufziehen wollten, so schmunzelte er, daß die Leute nicht wußten, woran sie mit ihm waren. Ja mehr und mehr konnte er es auch von ganzem Herzen tun, denn jetzt, da die Sache vorbei war, war es ihm, als ob er, aus schwerem, dummem Traum erwacht, viel leichter geworden sei. Das Geld, das Gut hatte ihn wie mit einem Blendwerk umstrickt, er mußte die Sache nun von dieser Seite[316] ansehen und übersah Elisis Persönlichkeit mehr und mehr. Jetzt, da ihm diese wieder ins grelle Licht trat, jetzt ging er mehr und mehr dem Standpunkt zu, auf welchem er Gott danken mußte, dieser Gefahr entronnen zu sein. Mehr und mehr begriff er, wie unglücklich ein Mann bei allem Gelde sein müsse mit einem solchen Ding zur Frau. Jetzt erst begann er seinen alten Meister zu fassen, und er dachte manchmal, wenn er nur bald zu ihm käme, daß er ihm sein Mißtrauen abbitten könnte. Indessen stund es in ihm fest, den Dienst aufzusagen, da wollte er nicht mehr bleiben; er wartete nur eine Gelegenheit ab, es zu tun. Wo ein solcher Halunk Tochtermann sei, da sei seines Bleibens nicht, dachte er, und daß der Baumwollenhändler ein Halunk sei, das sagte ihm immer deutlicher sein eigenes Bewußtsein, so wie ihm die Gründe immer klarer wurden, warum er selbst Elisi eigentlich gewollt. Er mußte sich sagen, daß wenn er nur die Hälfte des Zehntens gehabt, welchen der Schminggel vorspiegle, er an Elisi nie gedacht hätte.

Nicht so kaltblütig benahmen sich Johannes und seine Frau. Elisi wollte hin, es ihnen anzukündigen und seine Uhr zu zeigen, allein weder der Vater noch die Mutter wollten mit, und alleine durfte Elisi es doch nicht wagen. Man schrieb. Wie aus einer Kanone kam das Ehepaar dahergefahren mit Schnauben und Tosen. Gepläret, geflucht wurde an selbem Tag in der Glunggen wie vielleicht seit hundert Jahren nie. Es war kein Schimpfname, den Johannes dem Bräutigam nicht gab, kein Laster, das er nicht haben sollte, kein Fluch, mit dem er ihn nicht belegte, und Trinette fügte noch unter Schluchzen und Schnüpfen bei, was Johannes vergaß. Ds Elisi sparte auch sein Maul nicht, wäre aber von dem Bruder geprügelt worden, wenn die Mutter nicht gewehrt. »Da hast dus jetzt,« sagte Joggeli, »da siehst dus, wies geht; da kann ich die Suppe ausessen helfen, die ihr eingebrockt.« Johannes übergab sich[317] unzählige Male dem Teufel, wenn er je wieder einen Fuß in die Glungge setze, wenn sie einem solchen Donners verfluchten Saufötzel ihre Tochter geben würden. Jetzt suchte er Uli wieder auf und fluchte auch bei ihm sich aus. Er verfluchte sich hunderttausendmal, daß wenn der Donners Plätter doch einen Mann hätte haben müssen, er hunderttausendmal lieber Uli zum Schwager gehabt. Natürlich, ledig wäre ihm das Mönsch am liebsten gewesen, sagte er, was brauche es das Geld zu vermannen! »Aber wie die Schelmen haben sie an dir gehandelt. Gäll, wärest du zu mir gekommen! Aber du kommst noch, bei den verfluchten Donnern bleibst du nicht!« Uli gab wenig und ausweichenden Bescheid und war froh, als Johannes mit Schnauben und Tosen von dannen gefahren war. Der arme Teufel hatte von dem Tage nichts, als daß seine Frau ihn um eine solche Uhr und Kette plagte, bis sie dieselbe hatte.

Joggeli hatte noch andere Erkundigungen eingezogen, sie waren ungünstig, ausweichend, oberflächlich gut. Er sei ein Windbeutel, dem nicht zu trauen sei, zeige viel Geld und habe keins, wenn man von ihm wolle, sagten die Einen; man wisse nichts Genaues über ihn, er scheine Geschäfte zu machen, aber man sei nicht in direktem Verkehr, die Zweiten; er sei ein artiger, gewandter junger Mann, der seinen Weg machen werde und, so viel man merke, Vermögen besitze, die Dritten. Je näher das Ende des Termins kam, desto schwerer ward das Herz den Alten, besonders der guten Mutter, der Joggeli alles aufbürdete. Sie wären lieber zurückgegangen, ja die Alte hätte Elisi fast lieber dem Uli gegeben; allein so oft davon die Rede war, tat Elisi wie eine Besessene, verdrehte die Glieder, bekam Schaum vor den Mund, daß sie sich vor dem fallenden Weh fürchteten. Als der Termin aus war, an einem Tage, an welchem es regnete und windete, daß man nicht leicht einen Hund zur Türe ausgelassen hätte, kam der[318] Baumwollenhändler wieder angefahren. Trübselig wie sein Herbeifahren war sein Empfang. Es zeigte sich kein Knecht, das Roß abzunehmen, Elisi blieb wegen dem Luft zehn Schritte von ihm am Schermen stehen, keine Jungfrau kam mit einem Regenschirm, die Alten zeigten sich nicht. Es ging noch ärger, als wo Uli anlangte als neuer Meisterknecht.

Es ging lange, bis er unter Dach war, naß und fröstelnd, lange, bis er sein Gesicht in die üblichen freundlichen Falten gelegt, und noch länger, bis die Alten kamen, aber auch frostig, so daß alle waren, Elisi ausgenommen, wie wenn sie bei zwanzig Grad Kälte in einem ungeheizten Zimmer einander amüsieren sollten. Nach langen Vor- und Einreden fragte endlich der Baumwollenhändler: Ob er jetzt wohl den Ring, den er mitgebracht, der Jungfer Elise als seiner lieben Braut an den Finger stecken dürfte. Die Alten machten beträchtliche Gesichter. Eins sah das Andere an, endlich sagte Joggeli: Er wisse neue nit, sie hätten allerlei vernommen, und der Sohn sei sich neue gar nicht zufrieden. Das Letztere sei ihm ganz begreiflich, sagte der Händler; aber wenn er die Ehre hätte, ihren Herrn Sohn persönlich zu kennen, so würde er garantieren, daß derselbe nichts gegen ihn hätte als eben, daß er seine Jungfer Schwester heiraten möchte und somit an seinem künftigen Erbe ihm zu schaden scheine. Ebenso begreiflich sei ihm das Andere. Er hätte schon lange viele Neider gehabt, und jetzt seien noch viel mehr derselben entstanden, die ihm sein Glück mißgönnten und ihn von Jungfer Elise zu trennen suchten. Nun erzählte er lange Geschichten, was man ihm von ihnen erzählt und wie man ihn abspenstig zu machen gesucht, ihm vorgestellt, wie er betrogen, unglücklich werden werde. Aber er kenne die Leute zu gut, kenne nicht umsonst den Weg von Moskau bis Lissabon, daß er ihn mit verbundenen Augen finden könnte; er wüßte, was die Leute seien und könnten. Sie könnten sich nun denken, wenn man über sie, so ehrbare,[319] honette Leute, die ein so geregeltes Leben auf ihrem Gute führten, solche Dinge erzählen könne, so müßte man sicher von ihm, dem lebhaften jungen Mann, noch viel leichter etwas zu ersinnen wissen. Es seien nie Zwei zusammengekommen, daß den Leuten die Mäuler nicht voneinandergegangen.

Er wisse neue nicht, sagte Joggeli, aber es düeche ihn, es wäre wohl am besten, wenn man sich nicht pressierte und noch so ein Jahr wartete; während der Zeit lernte man sich besser kennen, und Beide seien noch jung, sie veralteten nicht. In zwei oder drei Jahren könnten sie perfekt gleich heiraten wie jetzt und wären Beide um so viel witziger geworden. Man habe ja Beispiele, daß Leute zwanzig Jahre miteinander versprochen gewesen wären, und es heiße, die seien gerade am glücklichsten gewesen, und er glaube es, da habe man der Zeit gehabt, einander dLün abzluegen. Wenn man so zsämefüßlige dareinspringe, so fehle es eim gar gerne. Da fing ds Elisi zu heulen und zu schreien an, und als man endlich vernahm, was es sagte, so waren es gräßliche Protestationen gegen solche Verzögerung. Sie wollten es metzgen, schrie es, damit der Kerli zFrevligen desto mehr hätte; aber so wahr ein Gott im Himmel sei, sollte es sie gereuen, es wisse schon, was es mache usw.

Nachdem der Baumwollenhändler diesen Ausbruch hatte wirken lassen, besänftigte er Elisi mit zärtlichen Reden und wandte sich dann in rührsamer Ausdrucksweise an die Eltern. Ob sie das Herz hätten, ihr Kind so unglücklich zu machen und ihn dazu; sie könnten ja sehen, wie sie aneinander hingen. Und warum unglücklich machen ihr eigenes Kind? Wegen neidischen, unbegründeten Äußerungen, die bei jeder Heirat üblich seien? Warum? Weil ein Bruder, der, wie es scheine, viel nötig habe, nicht gerne mit seiner Schwester teilen wolle? Nein, so hart, so unbarmherzig, so steinernen Herzens[320] könnten sie sicher nicht sein! Nein, er wisse, sie seien gute, liebe Leute und glaubten an Gott und an eine Seligkeit, und darum bitte er noch einmal bei seiner und ihrer Seligkeit um die Hand der teuren Jungfer Elise, damit sie miteinander die Pfade der Tugend und der Moral wandern könnten, bis sie Gott einst zu einem seligen Leben hinaufnehme in seinen Himmel, wo sie einander alle wiederfinden und alle in alle Ewigkeit miteinander glücklich sein könnten. Der guten Mutter liefen die Tränen wieder über die roten Backen, und Joggeli sagte: »In Gottsname, wenn ihrs zwingen wollt, so zwingts; aber ich will nicht schuld sein, es mag gehen, wie es will.« »In Gottsname,« sagte die Mutter, »es hat so sollen sein, und wenn etwas sein soll, da kann man lange wehren. Aber seht jetzt selbst, daß ihr glücklich werdet. Wenn ihr es nicht werdet, so vermögen wir uns dessen nicht.« »Oh,« sagte der Baumwollenhändler, »was das Glück anbelangt, so habt keinen Kummer, wer wollte mit der teuren Elise nicht glücklich sein! Ich garantiere, wir wollen nie klagen. Das habe ich doch gedacht, daß Ihre guten Herzen nicht zwei Leute unglücklich machen werden. Kommt, Elise, laßt uns den teuren Eltern danken für unser Glück, danken, daß sie uns mehr geglaubt als bösen Leuten.« Bei der Hand faßte er Elisi und zog sie zu den Eltern und fiel darauf der Mutter um den Hals und küßte sie. Ihrer Lebelang hätte es ihr niemand so unerchannt gemacht, sagte sie später. Dann fiel er dem Joggeli um den Hals, daß der den Husten bekam fast zum Ersticken. Ds Elisi hätte eigentlich auch um den Hals fallen sollen, aber es hatte eben ein Stück Züpfen in der Hand, die wäre ihm brosmet. Es fand daher vernünftiger, ruhig zu bleiben und seine Züpfe zu essen. Als aber der Baumwollenhändler mit den Eltern fertig war, riß er in seinem männlichen Ungestüm die Tochter an seine hochschlagende Brust, achtete sich aber der Züpfe zu wenig; die kam ins Gedränge, so daß[321] Elisi schreien mußte: »Herr Jeses, my Züpfe, Ihr vrdrücket mr se ganz; wartet doch, bis ih se weggleit ha!«

Der Baumwollenhändler tat sehr glücklich, konnte nicht aufhören, von Einem zum Andern zu gehen, die Hände zu drücken und zu sagen, er könne Gott im Himmel nicht genug danken für sein Glück; es sei der schönste Tag seines Lebens, und der müsse würdig gefeiert sein. Darauf ging er hinaus zu seiner Chaise. Es möge nun gehen, wie es wolle, sagte die Mutter mit einem Seufzer, jedenfalls habe er ein gutes Herz und Religion. Das sei aber die Hauptsache, was man mehr wolle? Er kam zurück mit Flaschen und sagte: Sie hätten letzthin von Wein geredet; er habe gedacht, er wolle ihnen einige Muster mitbringen, sie müßten auch wissen, was Wein sei. Da er das Glück haben sollte, seine liebe Elise zu erhalten, so zieme es sich nicht, an einem solchen Tag gemeinen Wein zu trinken. Solchen Wein trinke man nicht alle Tage; ihnen aber könnte er ihn liefern um einen Spott, wenn er schon nicht Weinhändler sei. Aber wenn man viel in der Welt herumkomme und die Augen mitten im Kopf habe, so wisse man bald, wo man die besten Sachen am wohlfeilsten bekommen könne. So habe er gerade die schönsten Geschäfte gemacht. Auch hatte er ein prächtiges Stück Seidenzeug mitgebracht von aschgrauer Farbe, wie Elisi noch keines gesehen und Trinette keins hatte. Solches, sagte er, würden sie in Bern und Zürich umsonst suchen. Ein guter Freund hätte es direkt von Lyon gebracht und aus Freundschaft es ihm abgelassen. Nun waren alle glücklich, und bei dem guten Wein und schönen Seidenzeug wurde man nach und nach recht gemütlich und heimelig miteinander, daß die Mutter dachte, es wäre doch lätz gegangen, wenn man ihm das Elisi nicht gegeben hätte.

»Was habt ihr für wunderliche Leute im Hause?« fragte unter anderem der heimelig gewordene Bräutigam. »Als ich[322] das letztemal fortwollte, ging ich in die Küche und wollte dem hübschen Meitli, wo uns aufgewartet hat, ein Trinkgeld geben, wie es der Brauch ist; das kehrte mir den Rücken und sagte, es brauche kein Geld.« »Das wird Vreneli gewesen sein,« sagte die Mutter. »Es ist eigentlich nicht Magd, wir haben es dr Gottswille zu uns genommen. Es ist uns eigentlich von weitem verwandt und hat niemand gehabt, der sich seiner angenommen.« »Jä so,« sagte der Baumwollenhändler, »dann ists mir leid, wenn ich es beleidigt habe, ich muß es suchen gut zu machen.« Das sei nicht nötig, sagte ds Elisi; am besten täte er, es nicht immer so anzusehen, es könnte sonst meinen, was das zu bedeuten hätte. Es sei ohnehin ein anlässig Mensch. Das könne man just nicht sagen, sagte die Mutter. »Aber wer war denn der große, schöne Bursche,« durchschnitt der sprachgewandte Herr das unangenehm werdende Gespräch, »der mein Roß zäumte? Der hat mirs noch ärger gemacht. Der hat mir gar keine Antwort gegeben, aber den Zehnbätzler mir vor die Füße geworfen, so daß ich darauf und daran gewesen bin, ihm eine Ohrfeige zu geben, wenn ich meine Hand an einem Knecht hätte beschmutzen mögen.« Es sei besser, er habe das nicht getan, sagte Joggeli. Das werde Uli gewesen sein, der Meisterknecht, ein guter Knecht, aber längs Stück ein Kolder, mit dem nichts anzufangen sei. So einen würde er doch nicht haben, sagte der Händler. Er sei so bös nicht, sagte die Mutter. Und für das Land und das Vieh sei er bsunderbar gut, sie hätten noch Keinen so gehabt und so einen wüßten sie nicht mehr zu bekommen. Das müßte bös sein, sagte der Bräutigam. Wenn sie ihm den Auftrag geben wollten, so wolle er ihnen einen prokurieren um einen billigen Lohn, wo sie dann wüßten, daß sie einen Knecht hätten. Diesmal schnitt die Mutter das Gespräch ab und kam auf etwas anderes.

Endlich begann der Bräutigam davon zu reden, noch heute[323] das Hochzeit angeben zu wollen zu Üfligen. Die Mutter schlug über diese Eile die Hände über dem Kopf zusammen, Joggeli schüttelte den Kopf und sagte: Das Pressier gefalle ihm nicht. Elisi sagte, das Wetter sei sehr strub, sie möchte warten bis morgen. Diese Meinung ging endlich durch, und der Herr blieb da über Nacht. Er suchte während dem Abend sein vermeint Vergehen gegen Vreneli gut zu machen, trappete ihm nach und wollte nach seiner Weise artig mit ihm sein. Elisi merkte es aber, und er hatte Mühe selben Abend, ein gutes Wort von ihm zu erhalten. Dem Vreneli packte das Elisi gräßlich aus, hielt ihm Anlässigkeit vor, daß es ihm den Bräutigam verführen wolle, daß es gesehen, wie sie mit den Augen ein Verständnis hätten, und daß es, wenn es einmal verheiratet sei, keinen Fuß mehr ins Haus setzen wolle, solange eine solche Luenz darin sei. Das sei ein schöner Dank, daß man es so lange dr Gottswille gehabt habe. Vreneli war nicht von denen, welche Personen wie Elisi schwiegen. »Die Luenz,« sagte Vreneli, »kannst du für dich behalten und deinen Schminggel auch; den möchte ich nicht, wenn ich noch einmal nichts hätte. Aber im Weg will ich dir nicht mehr sein, ich bin lange genug dr Gottswille hier gewesen. Was man an mir getan, glaube ich abverdient zu haben, und begehre nun nicht zTrinkgeld, daß man mir alle Tage vorhält, was längst vergangen ist und was dich nichts angeht, denn du hast nichts an mir getan als mich geplagt, wo du konntest. Einer solchen Gränne wegen wollte ich ein Narr sein zu plären und mir die Sache zu Herzen zu nehmen. Aber aus dem Wege will ich dir, darauf zähle. Und jetzt laß mich ruhig, dein Zyberligränni wird wohl auf dich warten.« Elisi wäre dem Vreneli ins Gesicht gefahren, wenn es nicht zu gut gewußt hätte, daß Vreneli sich von niemand auf den Leib kommen ließ. Es war schon einige Male bei solchen Anfällen von Vreneli an den Armen festgehalten[324] worden, daß man die Zeichen noch tagelang sah.

Die sämtlichen Hochzeitgeschichten aller Art, das Hochzeit selbst usw. wollen wir überspringen, denn mit dem Baumwollenhändler haben wir es eigentlich nicht zu tun, sondern mit Uli, daher uns schon zu lange mit dieser unbedeutenden Nebenperson abgegeben. Als dieselbe aber einmal aufgetreten war, wollte sie sich bei ihrer angebornen jüdischen Zudringlichkeit nicht so schnell abfertigen lassen, und noch jetzt, nach gefaßtem Entschluß, werden wir ds Teufels Mühe haben, sie uns vom Leibe zu halten.

Ulis Stillschweigen und ruhiges Verhalten war den alten Eheleuten sehr sonderbar, indessen nicht unangenehm vorgekommen. Es wollte ihnen scheinen, als hätten sie das Verhältnis zwischen Elisi und Uli zu ernsthaft genommen und dieser sei froh, daß es gelöst sei, so daß er weiters nichts daraus machen, sondern dableiben werde. Sie hatten aber nicht Zeit, während dem Hochzeitstrudel das Nähere zu erforschen, sondern nahmen getrost das Bessere an. Als die Geschichte aber versurret hatte, mahnte die Mutter Joggeli, daß er Uli doch frage, was er gedenke; sie hätte alle gute Hoffnung, er werde bleiben. Joggeli meinte, wenn er nicht bleibe, so sei sie daran schuld. Ein Besserer wäre wohl zu bekommen, der Tochtermann hätte ihnen ja einen versprochen, aber man sei jetzt an Uli gewohnt, daher sei es ihm recht, wenn er bleibe; aber hängen wolle er sich nicht, wenn er gehe. »Du bist immer der gleiche Löhl,« sagte die Frau und ging zur Stube aus.

Als Uli einmal grasete, trappete Joggeli zu ihm und sagte: Sie werden es, denke er, wohl haben wie gewöhnlich; einmal er sei nicht anders gesinnet, als daß Uli bleibe. »Nein, Meister,« sagte Uli, »ich will fort, Ihr müßt für einen Andern sehen.« »Was kömmt dich an?« sagte Joggeli, »hast du schon wieder zu wenig Lohn oder hat dich der Johannes mir abgestohlen?« »Keins von beiden«, sagte Uli. »Aber warum[325] willst du dann fort?« »Ho, man kann nicht immer an einem Orte sein«, sagte Uli. »Und wenn ich dir noch vier Kronen hinzumache?« »Um hundert bliebe ich nicht. Es ist mir erleidet, und wenn es mir einmal erleidet ist, so behält mich kein Geld.« Mißmutig stöffelte Joggeli dem Stübli zu und sagte seiner Frau: »Da hast du es jetzt, Uli will nicht bleiben; gehe und suche jetzt einen Andern, ich will nichts damit zu tun haben.«

Wie auch die Frau fragte: »Warum? Was hat er gesagt?«, so antwortete Joggeli nichts darauf als: »Frag ihn selbst.« Und als sie fragte: »Was fangen wir jetzt an?«, so sagte er auch: »Da siehe du zu, ich habe von Anfang gesagt, das komme so.« Weiteres brachte sie auf ihre Fragen nicht heraus. Da ging sie hinaus in die Küche, wo Vreneli waltete, die ihre Vertraute war in allen häuslichen Angelegenheiten, und sagte: »Denk o, Uli will fort, weißt du warum?« »Aparti nicht,« sagte Vreneli, »aber ds Elisi hat es ihm wüst gemacht und er wird denken, er wolle nicht da den Leuten zum Gespött sein und dazu sein Lebtag für Andere werchen, wenn man es ihm am Ende so macht.« »Aber was sollen wir jetzt auch anfangen?« sagte die Mutter, »so einen kriegen wir nicht wieder. Er ist manierlich, fromm, arbeitsam, es ist allen wohl dabei, man hat nichts von Streit gehört, und wenn er fortgeht, so ist alles anders; ich darf gar nicht daran denken.« »Es geht mir gleich«, sagte Vreneli. »So, wie es vorher gegangen ist, mag ich nicht mehr dabeisein. Es ist mir leid, Base, aber ich muß Euch bei diesem Anlaß auch sagen, daß ich nicht mehr dableiben kann, ich will auch fort.« »Was, du? Was hab ich denn dir zuleid getan? Uli und du werden es abgeredet haben« »Nein, Base,« sagte Vreneli, »Uli und ich haben nichts miteinander abgeredet, wir haben nichts miteinander. Ihr habt mir auch nichts zuleid getan, Base, Ihr seid immer eine Mutter an mir gewesen, und wenn alles auf mir gewesen ist, so habt Ihr Euch[326] meiner angenommen; ich werde Euch das nie vergessen, solange ich lebe, und solange ich bete, werde ich für Euch beten, daß der liebe Gott Euch vergelten wolle, was Ihr an mir getan.« Und Vreneli weinte und längte der Base die Hand, welcher auch wieder große Tropfen über die roten Backen rollten. »Aber warum, du wüests Meitli, willst dann fort, wann du mich lieb hast und ich dir nichts zuleid getan?« fragte diese. »Ich bin an dich gewohnt, du hast mir alles zuvorgetan. Wenn ich etwas habe machen wollen, so war es gemacht; wie soll ich jetzt, wo ich alle Tage älter werde, bald nichts mehr mit mir ist, die schwere Haushaltung machen?« »Base, es ist mir leid, aber ich muß fort; ich habe mich verredet, ich wolle mir von Elisi nicht allemal wüst sagen lassen, wenn es mit seinem Mann kömmt. Allemal hält es mir vor, ich wolle ihm den Mann verführen, und halt mir alle Suppenbröckli vor, die ich hier gegessen. So kann ich nicht länger dabeisein. Wenn mich sein Schminggel einmal anrührte, ich schabte mir die Haut bis auf das Bein ab, so gruset es mir ab ihm. Ich habe ihm gesagt, ich wolle ihm aus dem Wege und wolle mir nicht alles vorhalten lassen, ich sei jetzt nicht mehr dr Gottswille da.« »Ach,« sagte die Mutter, »du mußt dich des Elisis nichts achten, du kennst es ja, es ist immer ein Wüstes gewesen, und was es sagt, hat nichts zu bedeuten. Warum läßt du mich entgelten, was es dir sagt?« »Dafür kann ich weiß Gott nichts«, sagte Vreneli. »Warum kann Elisin niemand in Zucht und Ordnung halten? Ich muß ihm aus dem Wege. Dann ist noch eins, aber ich will es nur Euch gesagt haben. Sein Mann ist allerdings mehr hinter mir drein, als nötig ist, das wüst Böckli! Aber habe er nur Sorge: kömmt er mir zu nahe, so überschlage ich ihn, daß er mit den Beinen am Himmel bhanget. Ach, Base, das geht jedenfalls nicht mehr gut hier, ich könnte ohnehin so nicht mehr dabeisein; der Tochtermann macht schon jetzt, als ob nur er zu befehlen hätte und schon alles sein wäre.«[327]

Daran war etwas Wahres. Die reiche Fülle, welche bei der üblichen Sparsamkeit in der Haushaltung herrschte, wo es auf eine Maß Milch, ein Pfund Anken, ein Brot mehr oder weniger nicht ankam, über die Eier keine Rechnung geführt, Arme, ohne sie zu zählen, gespiesen wurden, hatte er aufs Korn genommen. Manchmal schon in der kurzen Zeit hatte er dem Joggeli vorgerechnet, wie viel er eigentlich sollte verkaufen können, jetzt trage ihm das Gut nicht einmal zwei Prozente ab. Wenn er das Geld für das Gut in seinem Geschäft hätte, so wollte er wenigstens acht Prozent daraus ziehen. Allemal darauf hatte dann Joggeli gemuckelt, über den vielen Verbrauch mit seiner Frau gebalget und gemeint, sie sollte da oder dort abbrechen. Als man ihn in Spycher und Gaden herumgeführt, in Tröge und Schäfte hatte blicken lassen, erstaunte er über die reichen Vorräte. Das trage doch gar nichts ab, sagte er, das verliege ja. In den Sachen liege ein bedeutend Kapital, das nicht nur kein Prozent abtrage, sondern sich am Ende selbst aufzehre. Wenn sie nur das Überflüssigste verkaufen wollten, und gerade jetzt sei ein günstiger Moment, so garantiere er ihnen: wenigstens dreitausend Pfund wollte er lösen. Aber er würde es nicht den Unterhändlern hier verkaufen, die gewöhnlich fünfzig Prozent Gewinn nähmten, sondern direkt den ersten Abnehmern. So hatte er ihnen Garn, Flachs, Tücher, Schnitze, Korn, Kirschenwasser abgeschwatzt, bedeutend Kisten und Kasten ernüchtert, daß der guten Mutter das Herz blutete und sie sich des Weinens fast nicht enthalten konnte. Sövli use, sagte sie, syg si nit gsi, sit si heyge afa huse. »Bhüetis Gott vor ere türe Zyt, was fieng ih a, ih dörft niene warte.« Er hatte Nachricht gebracht, daß er alles vortrefflich verkauft, aber kein Geld. Er habe es gegeben, wie es im Handel üblich sei, auf halbjährigen Kredit, hatte er flüchtig gesagt. Das wollte Joggeli eben auch nicht am besten gefallen.[328]

Quelle:
Jeremias Gotthelf: Ausgewählte Werke in 12 Bänden. Band 1, Zürich 1978, S. 316-329.
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