Der fünfte Auftritt.

[403] MYRTILLUS allein.

Wie mach ichs nun damit? Mein Herz ist schon entführt,

Weil Atalantens Blick mich gar zu sehr gerührt.

O schönste Schäferinn! wie lieblich ist dein Wesen!

Dein Antlitz, Leib und Gang ist edel und erlesen.

Dein Mund ist voller Witz; dein Herz ist tugendhaft,

Und deine Sprödigkeit von seltner Glut und Kraft.

Ich sah sie noch nicht recht und mußte sie schon lieben;[403]

O Schicksal! hast du mich nur darum hergetrieben:

So lindre künftig auch die Größe meiner Pein,

Und laß mich auch bey ihr im Lieben glücklich seyn.

Allein, wie fang ichs an? Soll ich mich zärtlich stellen?

Da würde sie von mir kein ander Urtheil fällen,

Als von der Buhler Schaar, die sie bisher gequält;

Und also hieße dieß des besten Zwecks verfehlt.

Soll ich ganz spröde thun? und sie wohl selbst verachten:

So wird sie mich als grob und ungeschickt betrachten.

Nein, so gewinn ich nichts! Doch wie? vielleicht gehts an,

Daß ich durch Sprödigkeit die Spröde zwingen kann.

Ich will mich ihrer Art in jedem Stück bequemen;

Ihr Lassen und ihr Thun will ich zum Muster nehmen;

Ganz unempfindlich seyn, wann mir ein Frauenbild

Gleich noch so gütig ist. Wohlan! der Einfall gilt!

Ich hoff und glaube fest, der Kunstgriff soll gelingen,

Die Spröde dergestalt zur Zärtlichkeit zu zwingen.

Und spiel ich gleich die Lust mit meiner Schwester fort;

So thut es dennoch mir in keinem Stücke Tort.

Vielleicht dient eben dieß, das Hauptwerk auszuführen:

Es gehe, wie es will, ich werde nichts verlieren.

Sie kommen; halt! nunmehr geht die Verstellung an.


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Herausgegeben von Joachim Birke, Band 2: Sämtliche Dramen, Berlin 1968/1970, S. 403-404.
Lizenz:
Kategorien: