Der sechste Auftritt.

[422] Nisus. Damon.


DAMON.

Gieng da nicht Doris hin? Mich dünkt, ich sah sie gehn.

Wie seh ich dich denn hier so starr und einsam stehn?

Hat nicht Myrtillus sie an seiner Hand geführet?

So rede doch einmal! Hab ich es recht gespüret?

NISUS.

Das undankbare Mensch! da lief sie freylich fort.

Der fremde Schäfer sagt ihr kaum ein halbes Wort;

Gleich war sie mit ihm weg! So läßt sich mit Geschenken

Ein schwaches Weiberherz zu jedes Liebe lenken.[422]

Sobald Menalkas ihr vorhin ein Bändchen gab;

So schlug sie kurz und rund mir alle Neigung ab.

Ich nahm ihrs wieder weg, in Meynung sie zu zwingen,

Und den Menalkas selbst dadurch recht aufzubringen:

Allein das war umsonst, sie lärmte gar zu viel;

Und selbst Myrtillus kam von ungefähr ins Spiel.

Dem trugs Menalkas auf, den Zweifel zu entscheiden;

Doch dieser that den Spruch für keinen von uns beyden:

Er gabs der Jägerinn, die sollte Richter seyn.

DAMON.

Nun bild ich mir voraus schon ihren Ausspruch ein!

Ich seh es schon im Geist wie sie den Streit geschlichtet!

Nicht wahr? sie hat das Band zerrissen und zernichtet;

Weil es zur Eitelkeit bey zwey Verliebten dient.

NISUS.

O nein! sie hat sich wohl was ärgers noch erkühnt.

Was meynst du wohl, das sie zu unserm Schimpf erfunden?

Du kennst ja ihren Hund? dem hat sies umgebunden!

DAMON.

Dem Hunde? Ha! ha! ha! Das hab ich wohl gedacht.

Wer Henker hat sie auch zur Richterinn gemacht!

Was sprach Myrtillus denn?

NISUS.

Er konnte selbst vor Schrecken,

Was er dabey gedacht, gleich anfangs nicht entdecken.

Doch gab er bald darauf der Doris selbst die Hand,

Versprach ihr auch dafür ein desto schöner Band,

Und führte sie davon, so wie du itzt gesehen.

DAMON.

So, Nisus? aber sonst ist weiter nichts geschehen?[423]

NISUS.

Wie? ist das nicht genug? Sie hat sich schon vergafft:

Sein Wort war gegen sie von ganz besondrer Kraft;

Sein Schmäucheln nahm sie ein.

DAMON bey Seite.

Da seh ich wohl, der Possen,

Den ich mir ausgedacht und selbst mit ihm beschlossen,

Geht unvergleichlich an!


Laut.


So glaubst du denn, mein Freund?

Daß Doris ihn schon liebt?

NISUS.

Aus allem Thun erscheint

Nichts deutlichers, als das. Allein, ich will mich rächen,

Und bald dem schönen Paar das neue Bündniß brechen.

Es kostet eine List, so ist der Handel aus.

Leb wohl!

DAMON.

Geh du nur hin! da wird wohl nichts daraus!

Myrtillus wird dich nicht in deiner Liebe stören.

Doch Damon kann dich noch vielleicht was anders lehren.

Denn itzo, da ich doch zweymal verworfen bin,

Bring ich mein zärtlich Herz der schönen Doris hin.

Seht! da kömmt Corydon, ich muß mich nicht verrathen.


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Herausgegeben von Joachim Birke, Band 2: Sämtliche Dramen, Berlin 1968/1970, S. 422-424.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Spitteler, Carl

Conrad der Leutnant

Conrad der Leutnant

Seine naturalistische Darstellung eines Vater-Sohn Konfliktes leitet Spitteler 1898 mit einem Programm zum »Inneren Monolog« ein. Zwei Jahre später erscheint Schnitzlers »Leutnant Gustl" der als Schlüsseltext und Einführung des inneren Monologes in die deutsche Literatur gilt.

110 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon