Erster Auftritt.

[101] Cato allein, der in tiefen Gedanken sitzt, und ein Buch in Händen hat. Es liegt neben ihm ein bloßer Degen auf dem Tische; und an der Seite steht ein Ruhbett.


CATO.

Ja, Plato, du hast recht! dein Schluß hat großen Schein!

Wahrhaftig! unser Geist muß doch unsterblich seyn.

Woher entstünde sonst das Hoffen und Verlangen,

Ein unaufhörlich Glück und Leben zu empfangen?

Wo kömmt das Schrecken her, das uns so zaghaft macht?

Woher die kalte Furcht vor unsers Grabes Nacht?

Erbebt die Seele nicht vor ihrem Untergange?

Und was macht ihr so sehr, als Gruft und Moder bange?

Ja, ja, es wohnt in uns ein göttlich hoher Trieb:

Der Himmel macht uns selbst die stete Dauer lieb,

Und führt uns aus der Welt in ungleich größre Schranken.

O Ewigkeit! Du Quell entzückender Gedanken!

Durch wieviel Kümmerniß, Bemühung, Noth und Pein,

Und Wechsel, dringet man zu deinen Thoren ein!

Dein Anblick liegt uns zwar ganz offen im Gesichte,

Man sieht sehr weit hinaus; allein bey schwachem Lichte:

Denn Schatten, Dampf und Nacht verhindern stets den Blick,

Und ziehn der Augen Stral allmählich gar zurück.

Hier will ich stille stehn. Giebt es ein höchstes Wesen;[101]

(Jedoch Natur und Welt läßt tausend Proben lesen.

Und ruft: Es ist ein Gott!) so folgt auch zweifelsfrey,

Daß Gott der Tugend stets geneigt und gnädig sey.

Wem er nun gnädig ist, der muß auch glücklich werden.

Doch wenn geschiehts? und wo? – – Gewiß, nicht hier auf Erden;

Die fällt ja Cäsarn zu, und scheint für ihn gemacht!

Wo denn? – – das weis ich nicht; so sehr ich nachgedacht.


Er greift nach dem Degen.


Dieß Eisen soll mir bald den langen Zweifel heben!

Nun bin ich doppelt stark; mein Sterben und mein Leben,

Mein Gift und Gegengift liegt beydes da vor mir.

Das eine führet mich im Augenblick von hier:

Das andre lehret mich, ich könne niemals sterben.

Die Seele bleibt getrost, und scheuet kein Verderben;

Mein Geist verlacht dieß Schwert und höhnt den spitzen Stahl.

Die Sonne selbst wird alt, so wie der Sterne Zahl

Allmählich blässer scheint; Natur und Welt gehn unter:

Nur du allein, mein Geist, bleibst ewig jung und munter:

Du lebst, wenn sich der Krieg der Elemente regt,

Und aller Körper Bau in Stück und Drümmer schlägt.

Welch eine Mattigkeit will meine Brust befallen!

Ich fühle schon den Schlaf durch alle Glieder wallen.

Mein schweres Aug und Haupt ist von den Sorgen matt;

Und sehnt sich nach der Ruh. Wohlan, ich geb ihr statt!

Ich überlasse mich dem Schlummer, den ich merke:[102]

Daß mein erwachter Geist hernach mit voller Stärke

Die Flucht ergreifen kann; und dann an Kräften neu,

Dem Himmel, den er ehrt, ein würdig Opfer sey.

Wen sein Gewissen plagt, dem stört die Angst den Schlummer:

Davon weis Cato nichts; kein Laster macht mir Kummer!

Drum gilt auch in der That mir Schlaf und Tod gleichviel:

Denn beydes labet mich und setzt dem Gram ein Ziel.


Er legt sich auf den Arm, um zu schlafen.


Quelle:
Johann Christoph Gottsched: Ausgewählte Werke. Herausgegeben von Joachim Birke, Band 2: Sämtliche Dramen, Berlin 1968/1970, S. 101-103.
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