Vierter Auftritt


[104] Fräulein Karoline. Herr von Kreuzweg.


FRÄULEIN KAROLINE. Setzen Sie sich doch, mein Herr von Kreuzweg. Sie setzen sich beide. Karoline lacht. Ist das nicht eine Angst um das leidige Testament! Die beiden Leute begehen die ärgsten Torheiten.

HERR VON KREUZWEG zuckt die Achseln. Ha! gnädiges Fräulein! das Geld ist gleichwohl ein notwendig Übel in der Welt.

FRÄULEIN KAROLINE. Drum muß man sich nur soviel wünschen, als man zur höchsten Not braucht: und daran hat die Oberstin es uns noch nie fehlen lassen.

HERR VON KREUZWEG. Es wäre doch aber schade, daß diejenigen, die ihr von Kindheit an soviel Vergnügen gemacht und ihr soviel Dienste geleistet haben, nicht auch die Erben ihres Vermögens werden sollten.

FRÄULEIN KAROLINE. Das wird die Frau Oberstin am besten wissen. Ich traue es ihr zu, daß sie uns gewiß bedenken wird, wofern sie glaubt, wir hätten es um sie verdienet.

HERR VON KREUZWEG. Aber ein wenig Gefälligkeit!

FRÄULEIN KAROLINE. Ich weiß schon, was Sie sagen wollen. Ich soll mich aus Hoffnung einer Erbschaft immer enthalten, der Frau Muhme die Wahrheit zu sagen. Aber das ist mir unmöglich. Ich wünsche mir in der Welt Wasser und Brot und die edle Freiheit, daß ich einem jeden meine Meinung unverhohlen sagen darf.

HERR VON KREUZWEG. Die Fräulein Schwester wird allem Ansehen nach von ihrer großen Gefälligkeit gegen die Frau Oberstin keinen Schaden haben.

FRÄULEIN KAROLINE. Das wird mir nicht unlieb sein. Ich gönne meiner Schwester gern ihr Glück![104]

HERR VON KREUZWEG. Sie meint es aber gewiß nicht so, wie sie sich stellet: und wenn die Belohnungen allemal nach den innern Verdiensten ausgeteilet würden, so möchte die Frau Oberstin wohl einen Unterschied unter zwoen Schwestern machen, deren Herzen mit sehr ungleichen Empfindungen gegen sie erfüllet sind.

FRÄULEIN KAROLINE. Ich weiß nicht, was Sie sagen wollen. Allein da man von andern Leuten gern nach dem urteilet, was man selbst tun würde, so denke ich: dasjenige, was ich einem durch ein Testament schenke, sei eine Belohnung dafür, daß er es redlich mit mir gemeint hat.

HERR VON KREUZWEG. Ganz recht.

FRÄULEIN KAROLINE. Und nicht dafür, daß er sich nur so gestellet hat.

HERR VON KREUZWEG. Ich habe gar nichts einzuwenden.

FRÄULEIN KAROLINE. Und so hoffe ich, wird die Frau Oberstin auch denken. Denkt sie aber anders: so werde ich doch allezeit den Trost haben, daß ich es besser um sie verdienet habe.

HERR VON KREUZWEG. Ich versichere, daß ich dieses von Herzen wünschte, und daß es mir leid sein sollte, wenn der Fräulein Schwester großes Vermögen Ihnen, gnädiges Fräulein, ein Herz entziehen sollte, daß Dieselben aufs vollkommenste verehret.

FRÄULEIN KAROLINE. Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen. Ich weiß aber wohl, daß, da mir der Eigennutz an meiner eigenen Schwester verhaßt ist, ich ihn noch viel weniger bei andern Personen leiden kann.


Quelle:
Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen. Reihe Aufklärung. Band 6, Leipzig 1933–1935, S. 104-105.
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