Erster Auftritt


[113] Herr von Kaltenbrunn. Fräulein Amalie. Dr. Hippokras.


FRÄULEIN AMALIE. Nun, mein lieber Herr Doktor, ich will es Ihnen nimmermehr vergessen, daß Sie uns einen so wichtigen Dienst geleistet und die Oberstin brav krank gemacht haben.

HERR VON KALTENBRUNN. Das ist wahr, Herr Doktor! Klopft ihm auf die Achsel. Sie haben sich recht tapfer gehalten. Sie sollen auch mein Doktor sein, wenn ich mir einmal die Schwindsucht an den Hals werde gesoffen haben.

DR. HIPPOKRAS. Ei! behüte der Himmel, den Herrn von ...

FRÄULEIN AMALIE verdrießlich. Nun, das ist wahr, Bruder! du wärst es wert, daß die alte Oberstin nur erst zwanzig Jahre alt wäre und noch dreißig Jahre lebte. Du lüderlicher Mensch! muß denn alles versoffen sein?

HERR VON KALTENBRUNN springt herum. Ha! meine liebe Amalie! du weißt viel, was für Süßigkeit in einer Flasche Wein steckt, die man in der Hoffnung austrinkt, sie von einer reichen Erbschaft zu bezahlen.

FRÄULEIN AMALIE lachend. O wie wollt' ich das wissen!

HERR VON KALTENBRUNN. Ich möchte lieber tot sein als Geld in der Tasche haben, was ich nicht geliehen hätte.

FRÄULEIN AMALIE lacht. O freilich! Es läßt einem Kavalier noch einmal so gut, wenn er allen Menschen schuldig ist.

HERR VON KALTENBRUNN. Das versichere ich dich, Schwester! das Herze lacht mir, wenn ich einem Gläubiger begegne.

DR. HIPPOKRAS lächelnd. In diesem Stücke haben Sie wohl nicht viel Ihresgleichen, mein Herr von Kaltenborn.

HERR VON KALTENBRUNN springt herum. Ich weiß nicht, wie sich andere Menschen vor den Leuten so fürchten können, denen sie schuldig sind. Ich sehe niemanden in der Welt lieber! Es sind die allerbesten Menschen! sie gäben einem wohl das Herz aus dem Leibe.

FRÄULEIN AMALIE lacht sehr. O ja, und die Seele dazu; aber für dreißig Prozent.[113]

HERR VON KALTENBRUNN. Lache du nur nicht. Ich glaube, daß sie sich nicht werden trösten lassen, wenn ich ihnen einmal von der Oberstin ihrer Erbschaft meine Schulden bezahle.

FRÄULEIN AMALIE. Ei, da will ich dir einen guten Rat geben, Bruder. Tritt mir geschwinde deinen Teil vom Testamente ab.

HERR VON KALTENBRUNN. Meinethalben! Amalie. Du sollst ihn haben; aber mit dem Bedinge, daß du mich hernach, so lange ich lebe, freihältst.

FRÄULEIN AMALIE lächelnd. Bei Wasser und Brot?

DR. HIPPOKRAS lacht. Da bekäme ich gewiß an Ihrer Gesundheit nichts zu flicken!

HERR VON KALTENBRUNN. Bist du wunderlich, Amalie? Nicht bei Wasser und Brot! Du mußt mir alles schaffen, was ich brauche. Ich bin gewiß ein Mensch, der sich in der Welt nicht viel wünscht: wenn ich nur immer soviel habe, als ich mit aller Macht durchbringen kann.

FRÄULEIN AMALIE erschrickt. Was? meinst du, daß die Frau Muhme des Krösus Witwe ist?

HERR VON KALTENBRUNN. Nun, so wird es wohl am besten sein, daß ich meinen Teil von der Erbschaft selbst behalte. Hernach, wenn ich mit dem Meinigen fertig bin: so komme ich und helfe dir das Deine auch verzehren.

FRÄULEIN AMALIE droht ihm. Ja, das wollte ich dir raten!

HERR VON KALTENBRUNN flehend. Ei! Du würdest doch deinen armen Bruder nicht darben lassen!

FRÄULEIN AMALIE. Wer das Seinige lüderlich verschwendet, der muß darben.

HERR VON KALTENBRUNN flehend. Deinen armen lieben Bruder!

FRÄULEIN AMALIE. Kein Türke sollte so unbarmherzig gegen dich sein, als ich sein wollte!

DR. HIPPOKRAS. Ich sehe das gnädige Fräulein doch für viel zu mitleidig dazu an.

FRÄULEIN AMALIE. Sie mögen es glauben oder nicht, Herr Doktor: ein Mensch, der sein Geld nicht zurate halten kann, der ist mir ein Abscheu.

HERR VON KALTENBRUNN. Du weißt aber wohl, liebes Schwesterchen, daß es gut ist, wenn man aus Erfahrung klug wird. Darum vertue ich jetzt so brav: hernach, wenn mich die Not ein paar Stunden gedruckt haben[114] wird, dann werde ich das Geld, was du mir geben wirst, recht schön zu Rate halten können.

FRÄULEIN AMALIE. Ein paar Stunden? Ja! meinetwegen sollst du wohl bis in dein Grab hungern, dursten und frieren.

HERR VON KALTENBRUNN. Ei, du würdest ja so unbarmherzig nicht sein! Indessen damit wir auch etwas Ernsthaftes reden. Er lacht sehr. Ha, ha, ha! ich habe vor Lachen fast keinen Bissen essen können, daß Sie die alte Muhme immer kränker und kränker machten.

DR. HIPPOKRAS. Gehorsamer Diener; das ist meine Schuldigkeit!

FRÄULEIN AMALIE. Das ist wahr. Sie haben Ihre Rolle vortrefflich gut gespielt. Sie lacht. Ich biß mir die Lippen fast wund, daß die Oberstin immer ärger zu stöhnen anfing: so oft Sie ihr eine Krankheit mehr nannten. Ha, ha, ha!

HERR VON KALTENBRUNN. Über den verteufelten von Ziegendorf habe ich mich nur geängstet. Der Hund saß und lachte immer hinter dem Serviette, daß mir alle Augenblicke angst war, die Alte möchte es merken.

DR. HIPPOKRAS lächelnd. O nein! er saß ihr gerade zur Seiten.

FRÄULEIN AMALIE lacht sehr. Und daß sie gar noch einen Doktor kommen läßt ...

HERR VON KALTENBRUNN. Ich möchte nur wissen, welcher Unglücksvogel ihr in den Kopf gesetzt hatte, daß sie zum Landrat aufs Gut fahren sollte.

FRÄULEIN AMALIE schlägt die Hände zusammen. Ja, das ist wahr! ich erschrak, daß mir das Herz im Leibe kalt ward.

DR. HIPPOKRAS. Ja, das hätte den heutigen Tag sehr fruchtlos geendiget.

HERR VON KALTENBRUNN. Wenn ich doch das Teufelskind kennte: ich wollte ihm das Leder ausgerben, daß die Stücken herumstieben sollten.

FRÄULEIN AMALIE. Ach! es ist niemand anders als die Karoline. Das Unglückskind!

HERR VON KALTENBRUNN. Ei, das glaube ich nicht!

FRÄULEIN AMALIE eifrig. Darauf wollte ich wohl schwören. Sie tut einem ja zum Possen, was sie nur kann und weiß.

DR. HIPPOKRAS zweifelhaft. Ich sollte auch kaum denken, daß Fräulein Karoline dies geraten haben sollte.[115]

FRÄULEIN AMALIE zum Doktor. Ach! Sie glauben nimmermehr, Herr Doktor, wie boshaft meine Schwester ist.

DR. HIPPOKRAS verwundernd. Ei!

FRÄULEIN AMALIE zum Doktor. Es ist keine redliche Ader an ihr. Wo sie einem bei der Muhme oder bei andern Leuten ein Bein unterschlagen kann, da läßt sie es nicht.

DR. HIPPOKRAS. Ei! das habe ich doch niemals an ihr gemerkt.

FRÄULEIN AMALIE. Ja, sie ist falsch wie eine Schlange. Gegen fremde Leute stellt sie sich nur scheinheilig. Das macht, sie will gern einen Mann haben: und da nimmt sie sich gegen Sie, Herr Doktor, in acht, daß Sie sie nur bei allen Kavalieren loben sollen: denn sie weiß, daß Sie in viele Häuser kommen.

DR. HIPPOKRAS erstaunt. Ei!

FRÄULEIN AMALIE zum Doktor. Ja, ich weiß, was ich mein Lebetage von ihr habe leiden müssen. Bei der Muhme mag sie gewiß ihren guten Schnitt machen.

DR. HIPPOKRAS erstaunt. Das wäre viel!

FRÄULEIN AMALIE. Wie wollte sie sonst so gleichgültig bei dem Testamente sein? Ich habe es lange gemerkt, daß sie der Frau Muhme nicht recht treu sein mag; aber ich verleumde nicht gern jemanden.

DR. HIPPOKRAS schüttelt den Kopf. Ei, ei!

FRÄULEIN AMALIE. Sie kann sich zutun und freundlich sein wie ein Ohrwürmchen: es ist aber alles lauter List. So oft nur Kavaliere herkommen, so kann sie so schön tun und sich zudringen: da sie doch Sie ziert sich sehr. gewiß nicht ihrentwegen herkommen.

HERR VON KALTENBRUNN der die ganze Zeit über im Zimmer herumgehüpft, gepfiffen und getanzt, auch dann und wann an dem Tische mit seinem Stocke Stellungen gemacht hat, als ob er Billard spielte. So, so recht! so recht! das steht fein, wenn eine Schwester von der andern Übels redet. Nunmehr täte ich wohl am besten, wenn ich herausginge, so käme die Reihe doch auch an mich. Denn du wirst doch deinen Bruder wohl so wenig schonen, als du die Karoline schonst.

FRÄULEIN AMALIE höhnisch. Ach! die ärgste Satire, die auf dich gemacht werden kann, die machst du dir selbst mit deiner Lebensart.

HERR VON KALTENBRUNN. Ich habe meine Lebensart noch niemals gelobt. Ich weiß, daß ich wild und unordentlich lebe, wie es einem jungen[116] reichen Kavalier zukömmt. Allein wenn ich bei meinen guten Freunden sitze und so lange saufe, bis wir unterm Tisch liegenbleiben: so vergehe ich mich nicht um ein Haar mehr als die sparsamste Schöne, Er macht ihr einen tiefen Reverenz. die gegen wildfremde Leute von den Ihrigen Böses redet. Zum Doktor. Sie können sich indessen nicht irren, Herr Doktor, wenn Sie nur anstatt der Karoline diese Amalie setzen: hernach ist das Bild, was sie gemacht hat, nach dem Leben getroffen.

FRÄULEIN AMALIE. Hältst du etwa darum so der Karoline ihre Seite, weil sie dir immer solche derbe Pillen zu verschlucken gibt?

HERR VON KALTENBRUNN. Nein, ganz und gar nicht. Du kannst glauben, daß Karoline mir soviel Fehler zu haben scheint als du: aber da sie den Leuten die Wahrheit immer in die Augen sagt, so ist es billig, daß man es ihr auch so mache.

FRÄULEIN AMALIE schüttelt mit dem Kopfe. Wenn du nur wüßtest, was sie hinter deinem Rücken von dir redet.

HERR VON KALTENBRUNN legt den Finger auf den Mund. Noch mehr? Ich versichere dich, daß ich dir's nicht eher glaube, bis ich's von andern Leuten auch höre.


Quelle:
Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen. Reihe Aufklärung. Band 6, Leipzig 1933–1935, S. 113-117.
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