Fünfter Auftritt


[126] Die Oberstin von Tiefenborn. Fräulein Karoline.


FRÄULEIN KAROLINE. Die Nase blutet ihr, Frau Muhme.

FRAU VON TIEFENBORN. Karoline!

FRÄULEIN KAROLINE. Was befehlen Sie, Frau Muhme?

FRAU VON TIEFENBORN. Darf ich mir versprechen, daß du mir die Wahrheit sagen wirst?

FRÄULEIN KAROLINE. Gnädige Frau Muhme, ich habe schon so oft einen unglücklichen Versuch damit gemacht, daß ich's fast verredet habe, es mehr zu wagen?

FRAU VON TIEFENBORN. Diesmal aber begehre ich's von dir.

FRÄULEIN KAROLINE. Das ist ja eine glückliche Stunde für mich! Da werde ich einmal meiner Meinung nachkommen können, und Sie doch nicht erzürnen.

FRAU VON TIEFENBORN. Sage mir einmal: Was führt doch deine Schwester eigentlich im Schilde?

FRÄULEIN KAROLINE. Soviel ich davon weiß, eben nichts Böses.[126]

FRAU VON TIEFENBORN. Geht nicht ihr ganzes Absehen dahin, daß sie gern einen Mann haben möchte?

FRÄULEIN KAROLINE. Ich weiß es nicht recht, gnädige Frau! aber wäre denn das was Böses? Lächelnd. Ich hätte selber gern einen Freier.

FRAU VON TIEFENBORN. Du? Und das sagst du so frei heraus?

FRÄULEIN KAROLINE. Ja. Wenn einer käme, der mich haben wollte und mir erst gefiele, hernach auch der gnädigen Frau Muhme anstünde: so würde es mir eine Freude sein.

FRAU VON TIEFENBORN lächelnd. Hm! Mit deiner Gemütsart wirst du wohl schwerlich einen bezaubern.

FRÄULEIN KAROLINE lächelnd. Je nun! so bin ich auch leicht getröstet: denn meine Gemütsart muß ihm durchaus gefallen: sonst mag ich ihn nicht.

FRAU VON TIEFENBORN. Mich dünkt, deiner Schwester ist es sehr um ein starkes Vermächtnis von mir zu tun.

FRÄULEIN KAROLINE. Das kann ich nicht sagen! Es könnte aber doch wohl sein.

FRAU VON TIEFENBORN droht ihr. Nicht wahr? Sie wünscht meinen Tod?

FRÄULEIN KAROLINE. Nein, Frau Muhme; ich glaube es nicht: denn sie gesteht mir's nicht.

FRAU VON TIEFENBORN. So meinst du, daß sie ohne Eigennutz sei.

FRÄULEIN KAROLINE. Ich hoffe es wenigstens.

FRAU VON TIEFENBORN droht ihr. Ei! du hast mir ja versprochen, mir die Wahrheit zu sagen!

FRÄULEIN KAROLINE. Was ich Ihnen noch zur Zeit gesagt habe, das kann ich verantworten.

FRAU VON TIEFENBORN. Karoline! Karoline! du nimmst dich deiner Schwester hinter ihrem Rücken an: glaubst du aber, daß sie es mit dir auch so machet?

FRÄULEIN KAROLINE. Ich hoffe es, gnädige Frau Muhme.

FRAU VON TIEFENBORN. Wenn du dich aber irrst?

FRÄULEIN KAROLINE. So irre ich mich gern. Denn eine Schwester, die von der andern hinter ihrem Rücken Übels redet, die halte ich für ein Ungeheuer, das ich in meinem Leben nicht kennen mag.

FRAU VON TIEFENBORN. Nun! So werde ich von dir wohl etwa hören, daß auch dein Bruder sehr fein und ordentlich lebt?[127]

FRÄULEIN KAROLINE. Nein, Frau Muhme, da würde ich wider die Wahrheit reden. Sie zuckt die Achseln. Er lebt freilich etwas wild und unordentlich; allein er ist von einer bösen Gesellschaft verführet worden. Sein von Natur gutes und redliches Herz hat diesen Leuten zu viel getraut: und Dero eigene Gütigkeit hat ihm im Anfange ein wenig zu sehr den Willen gelassen.

FRAU VON TIEFENBORN. So? so werde ich wohl endlich noch selbst an seiner tollen Lebensart schuld haben sollen?

FRÄULEIN KAROLINE. Behüte der Himmel! Frau Muhme, das sage ich nicht. Allein, verzagen Sie deswegen noch nicht an ihm. Sie küßt ihr die Hand. Verzeihen Sie ihm das Vergangene. Entziehen Sie ihm Ihre Gnade nicht. Die Vernunft wird gewiß bei ihm endlich erwachen. Dero Wohltaten selbst werden ihn noch zurechte führen: er wird sich schämen, eine Muhme beleidigt zu haben, die der ganze Grundstein seines Glückes ist.

FRAU VON TIEFENBORN bedenklich. Nun! so sehe ich wohl, wenn deine Schwester so unschuldig ist, als du vorgibst, und wenn deines Bruders Besserung so gewiß ist: so werden sie beide heute meiner Belohnung würdig sein. Wer wird nun aber dich verteidigen, daß du mit deinen freien Ausdrückungen meinen Zorn so oft gereizet hast?

FRÄULEIN KAROLINE. Nichts als die gute Quelle, woraus sie geflossen sind. Mein redliches Herz muß es tun: wo dies mich nicht entschuldigen kann: so muß ich mir alle Strafen gefallen lassen, die mir der Abscheu vor der Schmeichelei zugezogen hat.

FRAU VON TIEFENBORN. Dein redliches Herz hat wohl an unserm itzigen Gespräche wenig teilgehabt.

FRÄULEIN KAROLINE. Sie zweifeln an meiner Redlichkeit, weil ich meines Geschwisters Bestes geredet: würden Sie ihr aber mehr trauen, wenn ich mein Geschwister verleumdet hätte?

FRAU VON TIEFENBORN sieht sie an und lächelt. Karoline, du hast ein vortrefflich Naturell, in der Welt arm zu bleiben.

FRÄULEIN KAROLINE. Der Himmel bewahre mich vor jedem Dreier, den ich mir durch Falschheit und Verleumdung zuziehen soll![128]


Quelle:
Deutsche Literatur in Entwicklungsreihen. Reihe Aufklärung. Band 6, Leipzig 1933–1935, S. 126-129.
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