632. Die Zwerge bei Dardesheim.744

[587] Zwischen Halberstadt und Braunschweig liegt das Städtchen Dardesheim. Dicht an der nordöstlichen Seite desselben ist ein Quell des schönsten Wassers, welcher der Smans- (Leßmans-) Born heißt und aus einem Berge hervorquillt, in dem in der Vorzeit Zwerge wohnten. Wenn die ehemaligen Bewohner der Gegend ein Feierkleid oder an einem Familienfest ein seidenes Geräthe gebrauchten, so gingen sie vor diesen Zwergberg, klopften dreimal an und sagten mit deutlicher und vernehmlicher Stimme ihr Anliegen, und frühmorgens, ehe die Sonne aufging, stand schon Alles vor dem Berge. Die Zwerge fanden sich vollständig belohnt, wenn ihnen etwas von den festlichen Speisen vor den Berg hingesetzt wurde. Dieser Zwergberg zieht sich nun auf der östlichen Seite ein Stück Acker hinan. Dieses Feld hatte einst ein Schmied, Namens Riechert, mit Erbsen bestellt. Er bemerkte, als sie am wohlschmeckendsten waren, daß sie häufig ausgepflückt wurden. Um dem Erbsendieb aufzulauern, baute sich Riechert ein Hüttchen auf seinen Acker und wachte Tag und Nacht dabei. Am Tage entdeckte er keine Veränderung, aber alle Morgen sah er, daß seines Wachens unerachtet in der Nacht sein Feld bestohlen war. Voll Verdruß über seine mißlungene Mühe beschloß er,[587] seine noch übrigen Erbsen auf dem Acker auszudreschen. Mit Tages Anbruch begann Riechert seine Arbeit. Aber noch hatte er nicht die Hälfte der Erbsen ausgedroschen, so hörte er ein klägliches Schreien. Beim Nachsuchen fand er auf der Erde unter den Erbsen einen der Zwerge, dem er mit seinem Dreschflegel den Schädel eingeschlagen hatte und der nun sichtbar war, da er seine Nebelkappe verloren hatte. Der Zwerg floh eilends in den Berg zurück. Doch störten dergleichen kleine Streitigkeiten das gute Vernehmen des Zwergvolks und der Landeseinwohner nur auf kurze Zeit. Aber die Zwerge wanderten endlich doch aus, weil ihnen die neckenden Spöttereien mancher Landesbewohner unerträglich waren, sowie der Undank bei manchen erwiesenen Gefälligkeiten. Seit der Zeit sieht und hört man keinen Zwerg mehr.

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Nach Otmar S. 332.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 587-588.
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