683. Die Sage von der Burgmühle bei der Ascanienburg.797

[642] Da wo die Eine bei Aschersleben den kahlen hohen Wolfsberg, der einst die alte Ascanienburg, das Stammschloß der Anhaltiner Fürsten, trug und jetzt deren geringe Trümmer uns noch zeigt, ziemlich in einem Halbkreise umfließt, erheben sich aus dem engen und tiefen Thale nach der Stadt hin stattliche Mühlgebäude, die Burgmühle genannt. Ehedem lag an der Stelle derselben nur ein armseliges Mühlengehöft. Wie es nun gekommen, daß sich dasselbe in einen so kostbaren Bau umgestaltet, darüber existirt folgende Sage.

Einst erwachte in der alten Mühle mitten in der Nacht die Magd des Burgmüllers und sah, wie einzelne Lichtstrahlen durch die runden Scheiben des trüben Schubfensters ihres Kämmerchens hindurchfielen. Halb schlaftrunken wähnte sie die Spuren des anbrechenden Tages zu bemerken und den Unwillen ihres strengen Brodherrn befürchtend, weil sie vielleicht in trägem Schlummer schon die bestimmte Zeit zum Aufstehen verpaßt habe, sprang sie rührig von ihrem Lager auf und kleidete sich an. In gewohnter Weise, nur leise, um dem gefürchteten Keisen zu entgehen, schlich sie zur Küche und fand an der bekannten Stelle das Feuerzeug, um sich Licht anzuzünden. So viel sie aber auch pinkte, heute wollte es ihr nicht gelingen: immer verlosch der Zunder, so oft sie dem Stahl auch Funken entlockte. Da blickte sie zufällig durch das Küchenfenster und zu ihrer großen Verwunderung sah sie gleich drüben jenseits des Steges am Berge nicht weit eine Menge glühender Kohlen. Sie stutzte zwar Anfangs, allein da sie auch sonst nicht eben viel Nachdenken besaß, so machte sie sich keine Sorgen, daß dies hier vielleicht nicht mit[642] rechten Dingen zugehe, es galt ihr jetzt blos, baldmöglichst Feuer zu bekommen und die versäumte Zeit einzuholen, sie setzte das unnütze Feuerzeug bei Seite und leise den Riegel von der Hausthür hinwegschiebend, hüpfte sie schnell mit Schaufel und Topf zu den Kohlen hinüber. Doch hier überraschte sie eine wunderliche Erscheinung. Männer mit seltsamen Gesichtszügen, wie den Gräbern entstiegen, lagen hier regungslos im Kreise und ihre Trachten und Mäntel gehörten einer Zeit an, von welcher die Magd je weder etwas gesehen noch gehört hatte. Vor Schreck entsank ihr der Topf und die Schaufel und schon wollte sie wieder umkehren, da überlegte sie sich, daß sie doch Feuer haben müsse und die Männer sich nicht regten und gar nicht auf sie zu achten schienen. Darum faßte sie sich ein Herz, schritt näher, füllte sich schnell ihr Gefäß mit glühenden Kohlen und eilte zurück in die Mühle. Allein es sollte ihr heute einmal mit dem Feuermachen nicht glücken, kaum hatte sie die Kohlen ausgeschüttet, so erlöschten sie auch im Nu wieder. Jetzt etwas dreister geworden, eilt sie nochmals hinaus, schöpft schnell nochmals Kohlen, recht große und glühende, und springt wieder zurück, jetzt festen Entschlusses, daß es ihr mit dem Feuer nicht wieder mißlingen soll. Alles, Späne und Stroh, lag schon bereit, doch so wie sie den Topf umkehrt und den Athem zum Blasen schon anhält, sind sie fast noch im Gefäße schon wieder erloschen. Was gilt es? Nun schon unwillig und gänzlich dreist geworden, eilt sie zum dritten Male über den schwankenden Steg zum schimmernden Kohlenfeuer, fast will sie die Männer wegen ihrer schlechten Kohlen ausschelten, allein das Unheimliche des Ortes verschließt ihr den Mund und stillschweigend füllt sie ihren Topf zum dritten Male gehäuft voll mit Kohlen. Da als sie eben zum Rückweg sich umdreht, ruft eine rauhe Stimme ihr mit drohendem Tone nach: »Nun aber nicht wieder!« Erschrocken zuckt sie zusammen und kaum tragen die schlotternden Kniee sie über den schwankenden Steg bis zur Thüre. Sie schüttet die Kohlen zwar schnell aus, allein sie verlöschen auch jetzt wieder, aber die Magd vermag vor Zittern sie nicht mehr anzusehen, denn Fieberfrost schüttelt ihren ganzen Körper und mit Angst und Beben schaut sie durch das Fenster nach dem schauerlichen Kohlenfeuer. Ungewiß was sie thun soll, steht sie vor Schrecken wie an den Boden gewurzelt, da hört sie von der Thurmuhr in der Stadt zwölf Uhr schlagen; es ist Mitternacht, und so wie der letzte Schlag verhallt, sind auch das Feuer und die grausen Gestalten verschwunden. Nun merkt sie wohl, daß sie mit bösen Geistern zu thun gehabt hat, betäubt wankt sie nach ihrem Kämmerchen zurück, sinkt auf's Bett und nachdem sie sich vor Furcht tief in die Laken und Kissen gehüllt, fordert die Natur ihr Recht und sie sinkt in tiefen Schlaf.

Der Müller erwacht am andern Morgen zuerst und ist nicht wenig verwundert, daß die Magd, die sonst so pünktlich bei ihrer Arbeit ist, noch nicht wach ist. Er geht daher in die Küche, um selbst Feuer auzuzünden, allein welcher Anblick, er weiß nicht, ob er wacht oder träumt, auf dem Heerde liegen blinkende Goldmassen hochaufgeschichtet. Wie sehr er nun auch über diesen unverhofften Reichthum erfreut ist, wagt er ihn doch nicht zu berühren. Er ruft also das ganze Haus zusammen, die Frau und die Kinder und endlich auch die Magd, und diese erzählt ihm, noch bleich und verstört von dem nächtlichen Abenteuer, den Hergang der Sache. Natürlich theilt der Müller ihren Fund redlich mit ihr und seine erste Sorge ist, mit dem Schatze an[643] der Stelle des alten baufälligen Mühlgehöstes sich ein neues, das noch jetzt steht, zu erbauen; aber sei es, daß seine Erben gut gewirthschaftet haben, sei es, daß an den Kohlen das Glück selbst hing, von jener Zeit bis auf den heutigen Tag sind die Besitzer jener Mühle immer in günstigen Umständen geblieben. Was aus der Magd weiter geworden ist, davon sagt die Sage nichts, allein solche Goldkohlen sind in jener Gegend niemals wieder gefunden worden, wie sehr sie sich auch Mancher gewünscht haben mag.

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S. Thüringen und der Harz Bd. III. S. 140 etc. Gottschalck Bd. VII. S. 1 etc. Fast dieselbe Sage s. unter No. 513.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 642-644.
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