401. Der wunderbare Juwelenladen zu Erfurt.487

[344] Um die Mitte des 18. Jahrhunderts war im Dorfe Mühlberg bei Erfurt ein gewisser Quehl geistlicher Inspector. Derselbe hatte eine Ehefrau, die in ihrer Jugend zu Erfurt in dem Hause eines sogenannten Biereigen erzogen ward. Dieselbe ging eines Nachts um 11 Uhr in den Keller. Als sie in denselben kommt, wird sie mit Erstaunen gewahr, daß darin eine kleine Bude aufgebaut und mit den kostbarsten Juwelen, auch allerhand Gold- und Silberwerk ausgeziert steht. Vor selbiger hat sich eine Weibsperson geschäftig gezeigt und solche Kostbarkeiten ordentlich ausgelegt. Dann ist selbige auf sie losgekommen und hat sie umarmen wollen und dabei verschiedenes Geschmeide in den Händen gehabt. Man kann sich leicht denken, daß die nachherige Frau Inspectorin hierüber gewaltig erschrocken ist. Daher hat sie sich, als sie der Geist anfassen wollte, mit einem lauten Geschrei dergestalt zurückgebogen, daß ihr das Halstuch, so sie getragen, vom Halse gefallen. Sobald sie aber den lauten Schrei gethan, ist Alles verschwunden und sie hat sich in aller Eile aus dem Keller geflüchtet, auch das Halstuch im Stich gelassen. Des andern Tages, als sie wieder in den Keller kommt, findet sie ihr Halstuch noch auf der Erde liegen, und als sie solches aufhebt, findet sie darunter eine vortreffliche goldene Panzerkette. Sie hebt solche auf und hat dieselbe die ganze Zeit ihres Lebens behalten und aufbewahrt, auch diese Geschichte vielen vornehmen und geringen Personen erzählt.

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Histor. Schauplatz sehr merkw. Geschichten und Schätze. Hannover 1747. S. 172.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 344.
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