695. Der Kopf des heil. Liborius.810

[675] Im Jahre 1660 hatte der Bischof Bernhard von Galen Münster belagert und den Bürgern manches Leid angethan, so daß sie zuletzt den Frieden nehmen und ihm die Stadt übergeben mußten. Da zog er mit großem Gefolge von Geistlichen, Domherren, Rittern und Soldaten in die Stadt ein, und am Thore der Citadelle übergab ihm der Magistrat den Schlüssel und leistete einen neuen Huldigungseid. Das Volk von Münster aber, welches kurz vorher noch auf ihn folgendes Spottlied gesungen hatte:


Berndken von Gaolen

Kann puchen, kann praohlen,

Kann stinken, kann leigen,

Kann Lüde betreigen,


jauchzte ihm zu, nur der h. Liborius, dessen Bildsäule im bischöflichen Ornate an der Ecke des Rathhauses steht, bezeigte sein Mißfallen; denn nachdem schon einige Mönche bemerkt hatten, daß er den Kopf etwas schüttele, schüttelte er ihn, als der Bischof gerade vor dem Rathhause war, dermaßen, daß er ihm ab und zur Erde fiel. Hierüber erstaunte alles Volk, und Niemand wagte es, dem heiligen Manne seinen Kopf wieder aufzusetzen. Erst in der neuern Zeit hat man ihm einen neuen Kopf aufgesetzt, mit welchem er sehr ängstlich nach der Rothenburg hinsieht, so daß man jeden Augenblick glaubt, er wolle abermals anfangen ihn zu schütteln.

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S. Münsterische Geschichten S. 105 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 675.
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