781. Der Schatz in Wiedenbrück.902

[731] In der Stadt Wiedenbrück in der langen Straße, nicht weit vom Langenbrücker Thore steht ein kleines Haus, hinter welchem sich ein großer Garten befindet. In diesem Garten hat früher ein Schloß gestanden, das aber zerstört ist, in welchem vor Zeiten ein alter Geizhals gewohnt hat, der Wittwen und Waisen betrogen und viel Geld zusammengescharret, und damit es ihm nicht gestohlen werde, in der Erde vergraben hat. Das Geld liegt noch da und zur Strafe muß es der Geizige bewachen. Alle sieben Jahre kommt es beim Vollmonde zum Vorschein, dann öffnet sich die Erde und das Geld glänzt im Mondenscheine, darüber aber sieht man eine blaue Flamme. Wie man diesen Schatz heben kann, hat man noch nicht entdecken können.

In dem Hause, zu dem dieser Garten gehört, wohnte einmal eine Magd, die sich oft verschlief und daher von ihrer Frau ausgeschimpft wurde. Einstmals erwachte dieselbe und wie sie sah, daß es schon ganz hell war, glaubte sie es wieder verschlafen zu haben. Sie kleidete sich deshalb schnell an und ging in die Küche, um Feuer anzumachen. Wie sie aber währenddessen durch das Küchenfenster in den Garten sah, gewahrte sie darin ein kleines Feuer, weshalb sie Stahl und Feuerstein bei Seite legte, eine Schippe nahm und damit in den Garten auf das Feuer zuging, um sich lebendige Kohlen zu holen. Sie steckte die Schippe in das Feuer und zog eine Menge Kohlen hervor, mit diesen ging sie in die Küche zurück. Als sie dieselben aber auf den Heerd legte, gingen sie aus, weshalb sie noch einmal in den Garten ging und sich welche holte. Doch auch diese gingen aus, als sie sie wieder auf den Heerd legte, weshalb sie zum dritten Male in den Garten ging. Als sie aber jetzt an das Feuer kam, ging eine furchtbare Stimme daraus hervor, die rief: »Kommst Du noch einmal, so drehe ich Dir den Hals um!« Da ließ sie vor Schrecken die Schippe fallen und eilte in das Haus zurück. In dem Augenblicke schlug die Uhr Eins. Am andern Morgen aber lagen auf dem Feuerheerde lauter schöne Dukaten.903

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S. Stahl S. 119.

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Fast dieselbe Sage ist oben S. 465 und 642 aus dem Harz erzählt.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 731-732.
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