788. Kaiser Karl zu Herstelle.910

[743] Herstelle an der Weser war in alter Zeit eine Burg Karls des Großen und oft weilte er dort, von harten Kriegszeiten rastend oder zu neuen Schlachten Kräfte und Freudigkeit sammelnd. Jetzt sind alle Spuren dieser Felsenburg verschwunden, aber in der heiligen Osternacht um die Stunde, in der einst der Herr zu neuem Leben erstand, regt sich's im Grunde der Felsen und Schloß und Kaiser und Mannen erheben sich aus dem Schooße der Tiefe. Dann sind die Thürme und Warten und zackigen Giebel zu sehen, wie sie stolz ragend sich spiegeln in den blinkenden Wellen. Den Kaiser Karl selbst kann man schauen, wie er hoch auf dem marmornen Thron sitzt mit Scepter und Krone und Schwert. Nicht lange währt es, so kommt ein alter bleicher Mann, läßt sich vor dem Kaiserthrone auf die Kniee nieder und spricht, noch sei die Zeit der Erlösung nicht gekommen, noch seien die deutschen Brüder nicht einig geworden. Dann stößt der Kaiser einen tiefen Seufzer aus, die Augen gehen ihm über von schweren Thränen, Schloß und Thürme und Alles versinkt wieder, die Männer kehren in den Abgrund zurück und kommen nicht eher als in der nächsten Osternacht wieder.

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S. Seiler S. 47.

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Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 743.
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