835. Die zwei Hünen von Verne und von Boke.957

[782] Bei Verne auf der Krebsburg wohnte in uralter Zeit ein Hüne und auf der Burg bei Boke (unweit Paderborn) auch einer. Die zwei hatten sich gewaltig lieb und sie arbeiteten, beteten, schmorten, brauten und bucken zusammen und was der eine wußte, das wußte auch der andere. Der in Verne hatte nun aber einen ungeheuer großen Backofen. Wenn er nun des Morgens den Ofen geheizt hatte, dann fehlte noch etwas im Troge und so kam der andere Hüne von Boke mit seinem Brodteige und buck mit. Einstmals wollten sie auch am Morgen backen, es mochte um 1 Uhr sein, da biß den Hünen in Verne ein Floh, er drehte sich in seinem Bett herum und kratzte sich an der Lende. Als das der Hüne von Boke hörte, meinte er, es wäre Zeit und der Ofen wäre schon heiß, er nahm also seinen Brodteig auf den Rücken und kam damit angetrollt. Der Hüne von Verne aber lag noch im Bette und sagte: »Was willst Du denn, es ist ja erst halb zwei Uhr?« Da ärgerte sich der Boke'sche Hüne und mußte warten, bis es Tag ward.

So ging es ihnen aber noch oft und immer haben sie einander angeführt und geärgert. So fing es einmal gerade an zu regnen, als der Vernesche Hüne einen Wagen voll Heu auf einer Wiese aufgeladen hatte. Nun wollte er aber das Heu gern trocken hereinhaben und so geschwind konnte er doch nicht nach Haus kommen. Da nahm er das Fuder Heu und schob es in sein Nasenloch. Der Hüne in Boke wußte aber davon nichts und nahm just in dem Augenblick eine Prise Schnupftabak. Da mußte der Vernesche Hüne niesen und der ganze Wagen voll Heu fiel in die Nässe und Stangen und Räder und Deichsel gingen kurz und klein.

Nun stand aber die Kirche, in welche Beide gingen, in einem Barbruch bei Thüle und da mußten sie allemal über die Lippe. Da konnten sie nun mit ihren langen Beinen gut hinübersteigen, das war ihnen gar nichts, aber wenn dieser Fluß einmal groß ward und austrat, dann machten sie sich doch die Füße naß. Da dachten sie sich's denn aus, sie wollten die Kirche nach Boke tragen, damit sie sie dicht bei sich hätten und nicht erst über die Lippe zu gehen brauchten. Der eine Hüne nahm nun die Kirche sammt dem Thurme auf den Arm, wie wenn er ein kleines Kind trüge und ging nach der Lippe zu. Freilich durfte er aber keine großen Schritte machen, damit die Kirche nicht auseinander fiele. Darum setzte sich der andere[782] Hüne auf das jenseitige Ufer nieder und legte sein rechtes Bein über die Lippe und der andere ging nun Schritt für Schritt mit der Kirche auf dem Arme über das Bein hinüber und stellte die Kirche auf den Platz, wo jetzt noch die Kirche von Boke steht.

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S. Firmenich Bd. I. S. 302.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 1, Glogau 1868/71, S. 782-783.
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