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[69] (Nach Kiefer, Sagen des Rheinlands S. 48. Poetisch behandelt v.E.v. Groote bei Ziehnert, Preuß. Sagen Bd. III. S. 215 etc.)
Um die Mitte des 14. Jhdts. lebte zu Cölln auf dem Neumarkt ein Herr von Aducht, reich und hochangesehen, mit seiner Ehefrau Richmodis. Die zwei Eheleute liebten sich zärtlich, was eins wollte, das wollte auch das andere und ihre Ehe war ein Muster für alle Hauswirthschaften. Da trug es sich zu, daß die Pest im Jahre 1357 auch in Cölln ausbrach und fürchterlich wüthete. Niemand kam mehr zu dem Andern, Jedermann sperrte sich ab und so kam es, daß als Frau Richmodis ebenfalls an der bösen Seuche erkrankte und im Laufe einiger Stunden derselben auch erlag, an eine genaue Untersuchung der Verblichenen, ob sie wirklich todt sei, Niemand dachte, sondern daß man, um Ansteckung zu verhüten, die Leiche so schnell als möglich aus dem Hause schaffte und dieselbe eiligst und in aller Stille[69] auf dem Friedhofe zu St. Aposteln beisetzte. Doch hatte der tiefbetrübte Gatte, um sein geliebtes Weib wenigstens einigermaßen noch im Tode zu ehren, ihr ein kostbares Geschmeide und einen prachtvollen Ring ins Grab mitgegeben. Dieser Umstand war den Todtengräbern nicht entgangen, sie beschlossen das Grab zu öffnen und sich jener Kleinode zu bemächtigen. Sie stiegen also um die Mitternachtsstunde in die Gruft hinab und schon hatten sie die Leiche alles ihres Schmuckes beraubt, und bemühten sich eben ihr den etwas festsitzenden Ring vom Finger zu ziehen, als sie sich plötzlich aufrichtete und die Frevler mit großen Augen anstarrte – Frau Richmodis war nämlich nur scheintodt gewesen. Die Räuber in dem Wahn, der Geist der Abgeschiedenen wolle ihre Unthat rächen, ergriffen die Flucht und eilten so bestürzt davon, daß sie das Geschmeide sowohl als die Laterne, welche sie mitgebracht hatten, zurückließen. Nicht minder groß war aber das Entsetzen der aus dem Todesschlafe erwachten Frau Richmodis, als sie vollends zu sich kam und sah, an welchem Orte sie sich befand. Sie nahm jedoch nach und nach ihre Kräfte zusammen, raffte sich aus ihrer geistigen und körperlichen Betäubung auf, stieg aus dem Sarge und versuchte nun, die Leuchte in der Hand, aus der Gruft heraus zu klettern und den Weg nach ihrer Wohnung anzutreten. Dies gelang ihr auch, freilich mit vieler Mühe und sehr langsam, allein endlich langte sie doch an ihrem Hause an, wo Alles in tiefem Schlafe lag. Frau Richmodis mußte lange pochen, bis endlich einer der Diener des Hauses aufwachte und durchs Fenster hinaus fragte, wer da sei und so spät noch Einlaß begehre? Als sie dem Fragenden ihren Namen sagte und derselbe auch sofort die Stimme seiner Herrin erkannte, da eilte derselbe von Entsetzen ergriffen hinauf ins Schlafgemach des Hausherrn, weckte ihn und berichtete demselben zitternd vor Angst was er eben gehört hatte. Herr von Aducht aber wollte dem Diener nicht glauben, hieß ihn einen furchtsamen Thoren und rief endlich, da derselbe die Wahrheit seiner Aussage mit den feierlichsten Schwüren betheuerte: »Meine Hausfrau kann ebenso wenig vom Tode auferstanden sein, als meine zwei Pferde aus dem Stalle brechen und auf den Söller steigen werden, um von da hinab in die Straße zu schauen!«
Kaum hatte er jedoch diese Worte gesprochen, da ließ sich auf der Treppe ein gewaltiges Trampeln und Poltern hören und mit Grauen sah Herr von Aducht, wie seine zwei Schimmel eben im Begriffe waren zum Speicher emporzuklimmen. Da leuchtete ihm ein, daß der Diener doch die Wahrheit gesprochen haben müsse und daß bei Gott kein Ding unmöglich sei, er eilte die Treppe hinunter, öffnete die Hausthüre und siehe vor derselben stand seine Gemahlin im Sterbekleide, vor Frost bebend, aber doch lebendig. Die sorgsamste Pflege verschaffte ihr bald ihre Kräfte wieder, sie lebte noch eine Reihe von Jahren gesund und glücklich mit ihrem Gatten, gab ihm auch noch drei Söhne, allein sie blieb seit dieser Auferstehung doch stets in sich gekehrt und ernst und Niemand hat sie seit dieser Zeit je wieder lachen sehen.
Noch lange zeigte man aber in Cölln das ehemalige Aducht'sche Haus, welches den Namen zum Papageien führte, auch ihr Grab ward lange erhalten, auch ein Gemälde, worauf die ganze Begebenheit abgebildet war, befand sich in der Apostelkirche zu Cölln in der Vorhalle bis zum Jahre[70] 1585, wo dieselbe abgebrochen ward und das Bild wegkam. Noch heute aber zeigt man in der genannten Kirche ein Fastentuch, welches sie aus Dankbarkeit für ihre Errettung aus der Todesgefahr dieser Kirche geweiht und selbst kunstreich gewebt hatte. Auf diesem sind Maria und die Jünger dargestellt, wie sie zum Gekreuzigten flehen, am Kreuze aber liegt ein Schädel, auf dem drei Rosen blühen, aus diesen aber schweben drei Engel hinauf zum Heiland und rechts und links liegen Rittersleute auf den Knieen und beten. Der Schädel aber, die Rosen und Engel beziehen sich auf einen Traum, den sie einst vor ihrer Erkrankung geträumt hatte, aber nicht zu deuten vermochte. Sie hatte nämlich vorher, da ihre Ehe kinderlos geblieben war, oft zur h. Jungfrau gebetet, sie möchte ihr doch Kinder schenken. Da träumte sie einst, die h. Jungfrau trete aus ihrem Bilde, welches in ihrem Schlafzimmer hing, heraus, reiche ihr ein Todtenköpflein und aus dem Schädel erhöben sich drei Rosen, aus deren Dufte drei Englein sanft empor wuchsen. Jetzt wußte sie wohl, was der Traum gewollt, der Todtenkopf bezog sich auf ihre vorzeitige Beerdigung, die drei Englein aber auf die drei Knaben, die ihr der Herr später noch schenkte. Ein Paar hölzerne Pferde6 als Wahrzeichen dieser wunderbaren Begebenheit sahen noch Jahrhunderte lang von den Speicherfenstern des ehemaligen Hackeneyschen Hauses auf dem Neuen Markte und zum Andenken hat man auch der an ihre Wohnung angrenzenden neuen Straße den Namen der Richmodisstraße gegeben.
6 | Nach Andern war aber das Haus der Frau von Aducht das gegenseitige Eckhaus, und das Pferdebild nur das Wappen der Familie Haquenay. |
Ausgewählte Ausgaben von
Sagenbuch des Preußischen Staats
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