68. Die Klappergasse zu Aachen.

[89] (Nach Müller S. 18 etc.)


Als nunmehr der Kaiser Karl sieggekrönt aus dem Kriege mit den Sachsen zurückkehrte, da freute er sich sehr, den Münster vollendet zu sehen, und schenkte um denselben bald einweihen zu können, alle noch zur Ausschmückung desselben fehlenden heiligen Geräthe. Da nun mittlerweile auf seine Einladung Papst Leo III. selbst nach Aachen kam, um den Dom einzuweihen, so strömte natürlich eine ungeheure Anzahl von Grafen und Herren, Bischöfen und Prälaten zu dieser Feierlichkeit in Aachen zusammen, und der Kaiser sah seinen Wunsch, an diesem Tage 365 Bischöfe hier beisammen zu sehen, also gerade so viele als Tage im Jahre sind, beinahe erfüllt, denn es waren wirklich 363 versammelt, allein Gott wollte seinem frommen Sohne wirklich die Freude machen, seinen allerdings etwas wunderlichen Wunsch buchstäblich zu erfüllen, denn in der Nacht vor Einweihung des Münsters erschien in dem Gewölbe der St. Servatiuskirche zu Mastricht, wo die Gebeine der heiligen Bischöfe Monulphus und Gondulphus ruhen, ein heiliger Engel und rief: »Monulphe und Gondulphe stehet auf und ziehet gen Aachen zur Einweihung des Münsters.« Die beiden Bischöfe erhoben sich und zogen in vollem Ornate zur Stunde nach Aachen. Eiligen Schrittes zogen sie[89] durch die Jacobsstraße und als sie sich dem Münster näherten, zitterten ihre Gebeine vor Freude und Aufregung, so daß sie förmlich klapperten und Viele dies ganz eigenthümliche Geklapper deutlich hörten. Sie traten in das offenstehende Thor des Münsters ein und nahmen zwei von den für die 365 Bischöfe bestimmten Sitzen ein, hierauf weihte der Papst mit der größten Feierlichkeit das Münster ein und nannte es nach des Kaisers ausdrücklichem Wunsche zu unserer Lieben Frauen. Nach der erhabenen Feier aber verließen die zwei Heiligen an demselben Abend die Stadt Aachen und kehrten auf demselben Wege wieder in ihre Ruhestätte zurück. Die Straße aber, durch welche sie an jenem Abend gezogen waren, heißt bis diese Stunde noch die Klappergasse. In Mastricht aber war jene Reise der zwei Heiligen nicht unbemerkt geblieben, denn bis auf den Anfang dieses Jahrhunderts war in dem Gewölbe der besagten Servatiuskirche die Figur eines Engels zu schauen, welche eine Schrift mit folgenden Worten in der Hand hielt:


Monulphe, Gondulphe, staat ober, vaart,

Wyt Aken dat Münster, seyt God en gepaart!10

10

Als Beweis wie hoch das Aachener Münster und sein Capitel sonst bei den deutschen Kaisern angesehn war, mag dienen, daß jeder derselben sofort nach seiner Krönung daselbst in dasselbe eintrat und sich zum Domherrn wählen ließ. Allerdings war er auch noch zu Cölln, zu Bamberg und bei St. Peter in Rom Canonicus.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 89-90.
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