94. Die drei Jungfrauen auf dem Esel zu Auw.

[107] (Nach J. Schneider, das Kyllthal. Trier, 1853. S. 107 etc.)


Im Kyllthale liegt zwischen hohen Felswänden das Dörfchen Auw. In der dasigen Pfarrkirche hängt ein altes Bildniß, auf welchem drei auf einem Esel sitzende Jungfrauen dargestellt sind, von denen die mittlere die Augen verbunden hat. Zu diesen drei Jungfrauen wird häufig, namentlich am Tage Mariä Himmelfahrt gewallfahret. Man erzählt von ihnen folgende Sage.

Vor grauen Zeiten, als König Dagobert I. auf dem fränkischen Throne saß und in zügelloser Leidenschaft seine Völker tyrannisirte, lebten still und zurückgezogen von dem Geräusche der Welt hinter den einsamen Klostermauern zu Mans drei Schwestern, Irmina, Adela und Chlotildis mit Namen, nicht minder ausgezeichnet durch körperliche Schönheit als durch[107] Frömmigkeit und tugendhaften Wandel. Dagobert, der in seinem ausschweifenden Leben seinen Hang zur Wollust in aller Weise zu befriedigen wußte, hatte nicht sobald den Ruf von der ausgezeichneten Schönheit der drei Jungfrauen und ihren Aufenthaltsort durch seinen Vertrauten Bercharius erfahren, als er sogleich mit seinen Reisigen nach dem Kloster zu Mans aufbrach. Hier fand er die drei schönen Nonnen, aber siehe! es waren seine leiblichen Schwestern, die ihm sittig entgegentraten. Nichtsdestoweniger ließ sie der König an seinen Hof bringen und versuchte es allda, sie durch teuflische Ränke in ihrer jungfräulichen Tugend irre zu machen, aber vergebens. Da entbrannte er in furchtbarer Wuth und befahl die Jungfrauen in einen finstern Keller zu werfen und daselbst elendiglich umkommen zu lassen. Aber der Himmel verließ seine Geweihten nicht: ein fränkischer Kriegsoberst, Namens Norbert, der für die jüngste, Chlotildis, eine sittige Liebe im Busen nährte, befreite sie des Nachts mit seinen Mannen aus dem Kerker und entfloh mit ihnen nach Deutschland. Kaum hatte dies der König erfahren, so setzte er zornigen Muthes ihnen augenblicklich mit seinem ganzen Kriegsheere nach und erreichte die Entflohenen in dem Eifelgebirge, wo er Norbert's Schaaren sämmtlich erschlug. Durch einen glücklichen Zufall hatten sich jedoch die drei Königsschwestern Tags zuvor von ihren Begleitern entfernt und waren eben auf die schroffen Höhen bei Auw geflüchtet, als sie plötzlich ihre Verfolger, die zu ihrer Aufsuchung im Gebirge umherstreiften, dicht im Rücken hinter sich gewahrten. Was war zu thun? Vor sich das tiefe Thal der reißenden Kyll, seitwärts jähe Schlünde und hinter sich die wüthenden Kriegsknechte mit blitzenden Schwertern; – in dieser Noth sandten die drei Schwestern ein inbrünstiges Gebet zum Himmel, setzten sich dann auf das Eselein, welches ihnen ihre Habseligkeiten trug, und sprangen in vollem Vertrauen auf den Beistand des Allmächtigen muthig über den Kyllfluß hinüber. Ihre Verfolger aber kehrten, als sie sich durch dieses Wunder um ihre Beute betrogen sahen, unter Verwünschungen und Flüchen nach Hause zurück.

Eine nahe gelegene Felswand wird noch heute von dem Volke das Eselchen genannt. Die Stelle aber, wo die drei Jungfrauen den kühnen Sprung wagten, ist mit einem Kreuze bezeichnet, eben so wie der Ort, wo sie am jenseitigen Ufer anlangten; auf jenem liest man die Worte:


Hie sein zu sehen Wundermahl,

So hinderlies dazumahl,

Da der heiligen Jungfrauen drei

Wurden verfolget hie vorbey.

Der Esel darauf sie sasen,

Wollt sie doch nicht verlasen,

Und ihr Leben zu gewinnen

Gleich über die Kyl thut springen,

Selbe auf den Ufer setzet

Ganz unverletzet.


Die geretteten Jungfrauen begruben die Leichname der erschlagenen Kriegsleute Norbert's unweit des Dorfes und erbauten ein Kirchlein darüber. Im Jahre 1738 wurde eine solche alte Kapelle, in welcher drei Lilien[108] sichtbar gewesen sein sollen und auf deren Fahne jene drei Jungfrauen abgebildet waren, hier niedergerissen, bei welcher Gelegenheit man mehrere in steinerne Särge eingeschlossene Leichname fand, auch sollen unter der Kanzel der Pfarrkirche noch einige Leichname im Boden liegen, von deren Herkommen man nichts weiß.

In neuerer Zeit hat man jedoch die Wahrheit dieser Legende bezweifelt und angenommen, daß die Verehrung dieser drei Jungfrauen eigentlich heidnischen Ursprungs ist, daß sie namentlich nichts Anderes als die bei den Landbewohnern der Ardennen in großer Verehrung gestandenen drei Mütter sind, von denen sich noch Spuren im deutschen Volksaberglauben des Mittelalters vorfinden. In mehreren Kirchen des Luxemburger Landes finden sich ebenfalls drei solcher Jungfrauen, von denen es kaum zu bezweifeln ist, daß sie derselben altheidnischen Mütterverehrung angehören.12

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S. Lersch in den Jahrb. d. Vereins v.A.F. im Rheinl. H. II, S. 124 etc.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 107-109.
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