1097. Die schreiende Schlange.

[893] (S. Seifart Th. I. S. 13.)


Wer aus einer Schlange das Fett bratet und sich damit bestreicht, wird stark wie ein Löwe. Das hatte der kleine Jude Veitel, den die Studenten auf dem Domhofe immer Moritz machen181 ließen, auch gehört und dachte sich auf diese Weise an ihnen rächen zu können. Veitel fing also in der alten Mauer am Kehrwieder-Wall eine Schlange und brachte sie seiner Schabbesfrau (die christliche Aufwärterin, welche am Schabbes die Bedienung der jüdischen Familien übernimmt) zum Braten, denn die Juden dürfen keine Schlange in ihr Geschirr nehmen. Auch die Schabbesfrau wollte erst nicht daran und so gab ihr denn Veitel einen Gulden und die Frau warf die Schlange in die Pfanne. Da schrie aber auf einmal die Schlange in der Schüssel: »Schma Jesröel! Schma Jesröel!« Da merkte Veitel auf einmal, welche große Sünde er gethan hatte, und dachte nicht mehr daran, daß er stärker werden wollte, als ihn Gott gemacht hatte.

181

Eigentlich »Morth machen« d.h. eine gezwungene Verbeugung machen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 893-894.
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