1141. Der Zauberstuhl zu Klennow.

[923] (Nach Hennings S. 96 etc.)


Im vorigen Jahrhundert lebte im Dorfe Klennow eine arme Wittwe, welche eine einzige Tochter hatte und in einer elenden Hütte wohnte, die jedoch nicht einmal ihr Eigenthum war, sondern für welche sie dem Besitzer des benachbarten Gehöftes, einem reichen Bauer, schweren Zins zahlen mußte. Ihre Tochter war ebenso schön als gut und im ganzen Dorfe berühmt wegen ihrer Geschicklichkeit im Weben feiner Leinewand. Weil das Mädchen aber, da ihre Mutter nur sehr wenig verdienen konnte, indem sie alt und schwach war, sich zu sehr anstrengen mußte, so verblichen bald die Rosen ihrer[923] Wangen, die Verzehrung kam über sie und an einem kalten Februartage schloß sie ihre müden Augen. Wie nun die arme Frau thränenlos bei der Leiche ihrer Tochter saß, da trat der Besitzer der Hütte in ihre Stube und verlangte den Zins, den sie ihm in Folge der langen Krankheit ihres Kindes schuldig geblieben. Vergebens war all ihr Bitten, nicht einen Tag Gestundung konnte sie mehr erlangen, er erklärte, wenn am nächsten Sonnabend der Zins nicht auf seinem Tische liege, werde er sie auf die Straße setzen. In halber Verzweiflung setzte sie sich, nachdem der harte Mann ihre Stube verlassen und sie ein frommes Lied gesungen hatte, an den Webstuhl und arbeitete emsig, bis ihre Hände ihr versagten. Ermüdet von Arbeit und Kummer sank sie auf ihr Bett, da hörte sie aus der Kammer, wo dasselbe stand, um die Mitternachtsstunde plötzlich Geräusch in der Stube, es knirschte der straffe Faden des Flachses, das gespensterhaft fliegende Schiffchen schwebte rauschend hin und her und Schlag auf Schlag des Webstuhls ertönte in der Stille der Nacht und als sie neugierig, was das sein könne, die Kammerthüre öffnete, da sah sie im weißen Leichenhemde mit bleichem Antlitz ihre verstorbene Tochter am Webestuhl sitzen und weben, als wenn sie lebte. Erschreckt fuhr sie zurück und sank in ängstlichen Schlummer, allein als sie am Morgen erwachte, da lag Elle auf Elle der feinsten Leinewand so sorgfältig gewebt, wie es kaum eine Menschenhand fertig zu bringen vermag, vor ihren Blicken da. So ging es jeden Tag, am Tage arbeitete die Mutter, des Nachts die entschlafene Tochter. Verwundert sahen die Bewohner des Dorfes, wie die Wittwe ohne jegliche Unterstützung sich redlich nährte und Niemand begriff, woher sie trotz ihres hohen Alters die Kraft und Ausdauer zu ihrer schweren Arbeit nehme. Endlich aber wurde es doch laut, daß ihr Webstuhl Tag und Nacht nicht ruhe und sich von selbst bewege, daher drängten sich, als die Wittwe endlich gestorben war, viele ihrer Nachbarn um den einträglichen Webstuhl aus ihrem Nachlaß zu erstehen. Aber kaum war die Wittwe zur Erde bestattet, als ein Brand den größten Theil des Dorfes einäscherte, mit ihm die Hütte und was dieselbe barg.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 923-924.
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