1167. Die Leisenröder Kirche.

[940] (S. Schambach u. Müller S. 23.)


Etwa eine halbe Stunde von Sudershausen hat früher ein Dorf gelegen, Namens Leisenrode, welches aber im 30jährigen Kriege vollständig zerstört worden ist. An der Stelle dieses Dorfes ist jetzt Wald gewachsen, doch sieht man noch deutlich die Abtheilung der Felder, nur die Ruine der Kirche ist noch von dem Dorfe vorhanden.

Einst will ein Bauer aus Sudershausen sich ein neues Haus bauen und hat auch schon das Holzwerk aufgerichtet, die Wände ausgefüllt und das Dach mit Stroh gedeckt, nur das Fundament fehlte noch. Um nun zu diesem auf billige Weise zu gelangen, beschließt er nach dem Leisenberge zu fahren, worauf das Fundament der Leisenröder Kirche steht, um von dort die nöthigen Steine zu holen, und zwar die schönen behauenen Quadersteine, aus denen der Altar der Kirche gebaut ist. Als er daselbst angekommen ist, spannt er seine Pferde ab, bringt dieselben auf einen schönen grünen Weideplatz in der Nähe und macht sich dann mit seinen Geräthschaften daran, den Altar abzubrechen. Doch kaum hat er mit seinem Brecheisen den ersten Stein aufgehoben, so entsteht ein furchtbares Geräusch, als wenn die ganzen Mauern der Kirche zusammenstürzten. Entsetzt darüber springt er zurück, läuft nach der Pforte und ergreift die Flucht. Als er aber einmal um sich schaut, erblickt er eine furchtbare riesige Gestalt auf einem weißen Pferde und mit einer großen Streitaxt bewaffnet. In seiner Angst stürzt er hin zu einem seiner Pferde, wirft sich darauf und jagt davon, seinem etwa eine halbe Stunde entfernten Hause zu. Dicht vor seinem Hause stürzt das Pferd erschöpft zusammen, er selbst aber, von der Gestalt noch immer verfolgt, entflieht glücklich ins Haus und schlägt die zum Glück mit einem Kreuze bezeichnete Thür fest hinter sich zu. Sein Verfolger, durch die geheiligte Thür an der weitern Verfolgung gehindert, schlägt mit seiner Streitaxt über der Thür in die Wand und verschwindet dann wieder. In der Wand aber war durch den Hieb der Streitaxt eine Oeffnung entstanden, die man, so oft man es auch versucht hat, niemals wieder hat schließen können.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 940.
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