1206. Das Pater-Kleid und der Pater-Busch zu Visselhövede.

[979] (Nach d. Stader Sonntagsblatt 1855 Nr. 1 u. Köster S. 117.)


An einer Anhöhe im südöstlichen Theile des Herzogthums Verden sprudeln mehrere starke Quellen ihr krystallhelles Wasser, welches bei der größten Hitze des Sommers fast eiskalt bleibt und bei der größten Kälte des Winters wie heißes Wasser dampft. In der sumpfigen Vertiefung fließt das Wasser dann zu einem Bache zusammen, der Vissel, welche nach kurzem Laufe in die Rodau mündet und sodann durch die Wümme sich in die Weser ergißt. An diesen Quellen ließen sich schon sehr frühzeitig Anbauer nieder, von denen man den Ort Visselhövede nannte. Am Ursprunge der Vissel liegt der Kirchhof des Dorfes und in diesem eine Kirche, welche noch aus mittelalterlicher Zeit stammt, durch spätern Anbau aber erweitert worden ist. In der alten Mauer, welche die Bogen des steinernen Gewölbes trägt, befindet sich an der Seite des Altars ein kleiner Schrank, der mit doppelten Thüren versehen ist, zuerst mit einer starken eisernen Gitterthür, dann aber mit einer festen hölzernen. In ihm, der in zwei Theile getheilt ist, befindet sich das sogenannte Paterkleid. Dieses besteht aus einer runden ledernen Kappe, mehreren Stücken Leinenzeug, das aber schon theilweise vergangen ist und anscheinend verblichene Blutflecken an sich trägt. Das eine davon ist ein Hemd, das am Halse und an den Aermeln noch mit Spitzen besetzt ist; ein Tuch davon ist mit Sternen und Buchstaben, aus Silberdraht gestickt, verziert. Das merkwürdigste Stück aber ist das Gewand, welches etwa fünf Ellen lang ist und an den beiden Enden allmälig breiter wird als in der Mitte, wo sich ein Querschlitz befindet. Wenn hierdurch der Kopf gesteckt wird, bedeckt es bis auf die Arme und Füße den Leib des Mannes. Es besteht aus festem Seidenstoffe, der auf blauem Grunde röthlich geblümt ist, und ist mit leinenem Futter versehen. Auf der einen Hälfte entlang ist ein Kreuz mit verschieden und schön gefärbter Seide gestickt, woran man in der Mitte das Bild des Heilandes, unten das der Mutter Maria und auf den beiden Enden des Querpfahls zwei Gesichtsbilder erblickt. Das ist das sogenannte Pater-Kleid.

In der Nähe von Visselhövede aber befindet sich der sogenannte Pater-Busch an dem Wege von da über Jeddingen nach Verden. Wenn man nämlich auf diesem Wege nahe bei dem Flecken hinter dem neuen Kirchhofe an ein Gehölz kommt, so ist man erst in dem Schützenholze, so genannt, weil hier das Jägercorps von Visselhövede sein Schützenfest feiert, dann kommt man ins Hünenholz, das heißt einigen Buchen, welche ihren Namen von den früher dort liegenden Hünensteinen, Granitblöcken, die aber jetzt auch verschwunden sind, haben, und endlich erreicht man einen Abhang, wo kleine Büsche von Hainbuchen und einige Wachholdersträucher stehen; das ist der Pater-Busch. Sein Name kommt von folgender Begebenheit.

Zu Visselhövede gab es noch lange einen katholischen Pater, als längst die ganze Umgegend den lutherischen Glauben angenommen hatte. Endlich[979] trat aber auch zu Visselhövede ein Prediger der neuen Lehre auf. Der Pater eilte nun fort mit der Drohung, die Hilfe des Bischofs von Verden gegen diesen Eindringling zu requiriren; man wollte ihn wieder zurückholen und holte ihn wirklich an diesem Pater-Busche ein, er aber setzte sich zur Wehr und ward von seinen Verfolgern erschlagen. Man scharrte ihn an seiner Todesstätte ein, seine blutigen Kleider aber sind als letzte Ueberreste der katholischen Zeit in der nun lutherisch gewordenen Kirche aufbewahrt worden. Dies ist der Ursprung der Namen Pater-Kleid und Pater-Busch.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 979-980.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Sagenbuch des Preußischen Staats
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Erster Band
Sagenbuch des Preußischen Staats: Zweiter Band