1217. Marenholter.

[986] (S. Sundermann S. 24.)


Sandhorst ist lange Zeit ein fürstlich Lustschloß gewesen, bis folgende schaurige Geschichte hier vorgefallen ist. Es war in Ostfriesland eine Fürstin, welche an der Statt ihres unmündigen Sohnes regierte, diese hatte einen Rath, welcher Marenholz hieß und von welchem sie sich gänzlich leiten und lenken ließ. Dieser Marenholz aber mißbrauchte das Vertrauen seiner Herrin und that, was ihm gefiel. Als nun der junge Fürst majorenn geworden war und von seinen Reisen heimkam, hörte er viel Klagen über die Regierung seiner Mutter und ihres Rathes. Auch hörte er heimlich reden von der großen Gnade, in welcher der Rath bei seiner Mutter stünde, und noch andere heimliche Dinge. Da ward er höchlich erzürnt, eilte gen Aurich, trat sofort die Regierung an und ließ den Edelmann gefangen setzen. Weil es ihn wurmte, daß man im Lande meinte, die Fürstin werde ihrem Liebling nichts zu Leide thun lassen, ließ er dem Marenholz den Prozeß machen, und das Gericht sprach die Sentenz, der Rath sei schuldig. Da das die Fürstin-Mutter hörte, eilte sie, ihren Sohn zu bewegen, von seinem Vorhaben abzustehen, aber vergebens war ihr Flehen, vergebens das Jammern und Bitten der Frau und Kinder des Marenholz, der junge Fürst blieb unerbittlich und hart. Schon am dritten Tage war das Gerüst aufgeschlagen, auf dem der Henker seinen Dienst thun sollte. Zum Ort der Hinrichtung war das Jagdschloß Sandhorst bestimmt worden, wo der Rath so manche frohe Stunde verbracht hatte. Als nun der Marenholz auf dem Blocke lag und des Streiches wartete, sah er durch das Fenster die Krone eines Apfelbaumes ragen und er erkannte den Lieblingsbaum seiner Herrin. Da rief er: »So wahr dieser Baum von jetzt an blutrothe Aepfel tragen wird, so wahr bin ich unschuldig an den Verbrechen, deren der Fürst mich bezüchtigt!« Da fiel das Messer und trennte den Kopf vom Rumpfe. Und der Frühling kam und der Baum fing an zu blühen, und es wurde Herbst, und er trug blutrothe Aepfel, da er doch zuvor gelbliche Frucht gebracht hatte. Und die Fürstin ließ ihrem Sohne sagen: »Du bist der Mörder eines Unschuldigen, den ich liebte, ich will hinfort Dich nimmer sehen«, sammelte ihr Hab und Gut und zog ferne ab in ihrer Eltern Land. Den jungen Fürsten aber durchschauerte es jedesmal, wenn er in Sandhorst auf der Jagd war und den Baum sah, ließ auch den Baum umhauen und zuletzt das Schloß verkaufen. Doch immer[986] wieder sproßten die Wurzeln aus und trieben Schößlinge mit blutrothen Früchten, so daß viele Menschen, die darin Gottes Finger erkannten, von den Kernen dieser Frucht verpflanzten und so der Baum durch's ganze Land verbreitet wurde; und heißt noch heutzutage dieser Apfel durch ganz Ostfriesland »Marenholter.«

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 986-987.
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