875. Der Ursprung der Familie von Riedesel.

[749] (S. Justi, Hess. Merkwürd. Bd. IV. 2. S. 403 etc.)


In der Mitte des 15. Jhdts. lebte am Hofe des Landgrafen Ludwig von Hessen (1413-38) ein biederer fester Ritter, Namens Hermann Riedesel von der Brockenburg. Dieser liebte ein schönes, züchtiges Fräulein Margarethe, die Tochter des alten Erbmarschalls Röhrig von Röhrenfurth. Aber ihrer Liebe lächelte kein günstiger Erfolg. Der alte Erbmarschall, unbeugsam in seinen Entschließungen und gefühllos gegen die Thränen seiner Tochter, beharrte unerschütterlich darauf, daß nicht der junge Ritter, sondern dessen Nebenbuhler, der durch Reichthum und Ehrenstellen glänzte, die Hand des Fräuleins erhalten solle. Riedesel bot Alles auf, den Alten zu gewinnen, selbst der Landgraf sprach oft und stark für das Interesse der Liebenden, der Erbmarschall blieb unerbittlich. »Die reiche Erbin meiner Güter«, so redete er immer, »soll nicht die Beute eines leichten Abenteurers werden.« Einst war Hermann in einem dichten Walde auf der Jagd. Plötzlich hört er um Hilfe schreien, seiner Ritterpflicht eingedenk, eilt er dem Geschrei des von Gefahr Bedrängten entgegen. Wenige Schritte – und er erblickte den Vater seiner Geliebten von Räubern niedergeworfen in der äußersten Gefahr ermordet zu werden. Rasch stürzt er auf die Bösewichter los, haut wacker mit seinem Schwerte um sich, sie ergreifen die Flucht und der zitternde Greis ist gerettet. »Unbekannter Mann«, sprach der Erbmarschall, »heische von mir, was Du[749] willst, kein Lohn wird mir zu groß sein, um Dir Deine Biederthat zu vergelten.« Er kannte Riedeseln nicht, denn dieser war geharnischt und hatte sein Haupt mit dem Helm umschlossen. »Meine Bitte ist kühn«, sprach der Ritter, »aber Du wirst sie mir nicht versagen! Ich bitte Dich um Deiner Tochter Hand!« – »Du sollst sie haben«, sprach der Greis, »so Du anders von edelem Blute bist.« – »Das bin ich«, versetzte Riedesel, schloß den Helm auf und warf sich dem staunenden Röhrig in die offenen Arme. Freudig zogen sie an das Hoflager des Landgrafen zurück und brachten Margarethen die frohe Kunde, daß alle ihre Wünsche erfüllt seien. Aus dieser Ehe Hermanns und Margarethens stammt die ganze jetzt noch blühende Familie der Freiherrn von Riedesel zu Eisenbach ab, so wie die meisten Güter, welche dieses altadelige Haus noch jetzt in Franken und Hessen besitzt, durch jene Margarethe an dasselbe gekommen sind.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 749-750.
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