928. Zwei Tauben.

[791] (S. Wolf a.a.O. S. 96.)


In dem Fuldaer Land hausten seit Jahren zwei gefürchtete Raubmörder, welche ihr schauerliches Gewerbe um so ungestörter trieben, da sie sich unsichtbar machen konnten; wenn die Häscher sie gefangen zu haben vermeinten, fanden sie statt ihrer nur zwei Büschel Stroh. Endlich traf die Gnade ihr Herz und sie beschlossen, in sich zu gehen und sich dem Gericht zu stellen. Unterwegs begegnete ihnen aber eine Frau, welche sie erkannte und sie auf den Knieen bat, ihr das Leben zu lassen. Da sprach der Eine: »Fürchte nichts von uns, was wir von Dir haben wollen, wirst Du uns gern geben. Schließ uns alle Tage in Dein Gebet ein, denn wir gehen zum Richter, uns ihm selbst zu überliefern. Hörst Du, daß wir hingerichtet werden, dann komm zum Hochgericht, und sieh, was unsere Seelen machen!« Gern versprach die Frau Alles, und hielt auch treu Wort, betete jeden Tag für die Mörder, und als sie vernahm, daß dieselben sterben sollten, da eilte sie an das Hochgericht. Kaum hatte aber der Henker dort gethan, was seines Amtes war, da sah die Frau, wie von den Leichnamen sich zwei schneeweiße Tauben erhoben, welche im Kreise um sie herumzogen und sich alsdann gen Himmel schwangen, wo sie verschwanden. So erkannte die Frau, daß die Mörder Gnade gefunden hatten vor Gott, vor dem keine Sünde so groß ist, daß eine aufrichtige Reue sie nicht tilgte.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 791.
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