1367. Der Ring der Markgrafen von Bayreuth.

[1103] (Nach J. Ratcliffe, Magenta und Solferino. Berlin 1865 Bd. III. S. 38 etc.)


Der Prinz von Preußen, Neffe Friedrichs des Großen und nach dessen Tode Nachfolger desselben als König Friedrich Wilhelm II. war anfangs mit einer Prinzessin von Braunschweig vermählt, nachmals aber, als er sich von dieser getrennt hatte, mit einer Prinzessin von Darmstadt. Aber auch von dieser hatte er nach Verlauf eines Jahres noch keinen Thronerben zu hoffen. Zu dieser Zeit hatte der Markgraf von Ansbach zwei Kammerherrn, von denen der eine, Herr von B., einer preußischen Adelsfamilie entsprossen, für einen Sonderling in Bayreuth galt. Er hielt sich fern von den heitern Zirkeln des Hofes, lebte viel in einem kleinen alterthümlichen Thurmgemach des Schlosses und ließ sich des Nachts sogar darin einschließen, weil er, wie die Sage ging, dem Schlafwandeln unterworfen war. Diesem menschenscheuen und finstern Herrn träumte eines Nachts, es klopfe drei Mal an sein kleines Thurmzimmer, zugleich öffne sich in dem buntgewirkten Wandteppich eine Thüre, die er zuvor nie bemerkt, und durch diese Thüre trete ein alter Mann in grauem Pilgergewande ein und bewege sich, ohne auszuschreiten, gegen den Alkoven, in welchem der Kammerherr lag. Die Gestalt bleibt vor dem Bette stehen, sieht ihm lange und fest ins Auge und sagt endlich: »Mache Dich auf und ziehe nach der Begräbnißkirche der Markgrafen von Bayreuth. Laß die Pforte der Gruft aufsperren. Schaue in der Vorrathskammer des Todes weder rechts noch links, sondern gehe gerade und vorbei an dem Altar. Im dritten Gewölbe am letzten Pfeiler steht einsam ein Sarg von alten braunem Eichenholz, mit geschnitzten Cherubimköpfen, das ist der rechte. Von dem hebe den Deckel. Ich will Dir helfen, wenn Du mich auch nicht siehst. In dem ersten ist ein zweiter Sarg von Zinn eingesetzt, auch den wirst Du öffnen. In diesem ruht ein Ahnherr Deines Herrn. An dem Goldfinger der linken Hand steckt ein goldener Ring mit Edelsteinen, den ziehe Du selbst dem Markgrafen vom Finger. Wenn Du es nicht thust, merke wohl – wenn der Ring nicht von seiner Hand kommt, so stirbt der preußische Stamm aus.« Nach diesen Worten verschwand die Gestalt; der Kammerherr schlief ruhig weiter und als er am andern Morgen erwachte, dachte er kaum noch seines Traumes, und wenn er es that, so lachte er über die sonderbare Phantasie. Einige Wochen später wiederholte sich dem Kammerherrn dasselbe Traumgesicht. Der alte Mann kam wieder zu ihm in die Stube und sah ihn wieder lange an, und noch bittender und trauriger als früher. »Du warst noch nicht in Himmelskron«, sagte er vorwurfsvoll, »noch nicht in der Gruft der Bayreuther. Auf nach Kulmbach! Und vergiß nicht, im dritten Gewölbe der letzte Sarg von Eichenholz. Versäume Dich nicht! Nur einer der Diamanten am Ringe ist[1103] noch nicht erblindet. Erbleicht auch sein Glanz, dann geht das preußische Haus unrettbar zu Grunde!«

Herr von B. dachte lange über den Traum nach, er wußte nicht, was er thun sollte, da er den Spott des Hofes fürchtete, wenn er davon spräche, den Unwillen des Markgrafen, wenn er sich in Familienangelegenheiten zu mischen schiene, und er vergaß nach und nach wieder den Traum. Da wiederholte sich dieser zum dritten Male. Der alte Mann schien Thränen zu vergießen, indem er ihm zurief: »Nur ein Stein ist noch hell, wenn er erblindet am Finger des Markgrafen, dann erlischt das Königshaus für immer!« Der Kammerherr erwachte und konnte nicht wieder den Schlaf finden. Früh am Morgen ließ er den Markgrafen um eine Unterredung bitten, aber dieser fand an diesem Tage keine Zeit dazu. Erst am nächsten Nachmittag auf der Spazierfahrt, wo der Kammerherr, der heute den Dienst hatte, den Fürsten begleitete, fand er einen freien Augenblick, wo er ihm seine geheimnißvolle Mittheilung machen konnte. Der Markgraf nahm sie sehr kühl auf und zuckte verächtlich die Achseln, bei näherer Ueberlegung fand er aber, daß die Sache damit nicht abgemacht sein dürfe, und daß der seltsame Traum wenigstens nach Berlin gemeldet werden müsse. Dies geschah und bald darauf kam der Bescheid, man solle mit Vermeidung von unnöthigem Aufsehen doch Nachforschungen in der Erbgruft anstellen und den Ring, falls er sich vorfände, von der Hand des Eigenthümers und aus dem Sarge entfernen. So wurde denn eine Commission ernannt, die sich nach Kulmbach und Himmelskron begeben sollte. Der Kammerherr war ein Mitglied derselben. Als die Gruft nach einiger Mühe eröffnet war, schritt er, der noch nie darin gewesen war, ohne Zaudern durch die Gewölbe hindurch und rief, auf einen Sarg im dritten deutend: »Der ist's!« Der obere Eichendeckel wurde geöffnet und enthielt in der That einen zweiten Sarg von Zinn mit dem Wappen der Markgrafen von Bayreuth. Als man auch diesen öffnete, bot sich ein ergreifender Anblick. Der alte Markgraf lag, als wenn er erst gestern hineingebettet worden wäre, in seinem Arme das Schwert, an seiner Hand einen goldenen Ring mit Edelsteinen. Es war übrigens nur ein flüchtiger Anblick. Durch die Wirkung der eindringenden Luft oder die Erschütterung der Oeffnung fiel die Figur plötzlich zusammen und es blieb von ihr nichts als Gebeine und ein Häufchen Asche. Der Kammerherr von B. mußte sich mit Gewalt zwingen, um der Aufforderung des Commissars gemäß den Ring von dem Knochenfinger zu ziehen. Die Diamanten zeigten sich kunstvoll zu einem Blumengewinde gefaßt. Man prüfte sie genau, alle waren erblindet, nur einer blitzte noch hell. Noch an Ort und Stelle wurde ein Protokoll aufgenommen über den Vorgang, dann eilte die Commission nach Ansbach zurück, wo der Ring mit dem Protokoll in das Markgräfliche Archiv niedergelegt ward. Dort ruhte er wieder wie in einer andern Art Gruft, da der Markgraf bald nachher starb. Aber nicht lange Zeit nachdem man den Ring von Himmelskron geholt hatte, lief von Berlin die erfreuliche Kunde ein, daß die Prinzessin von Preußen jetzt mit freudigen Hoffnungen gesegnet sei. Die Documente hierüber liegen zu Berlin im Geh. Archiv.[1104]

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 1103-1105.
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