828. Der nächtliche Reiter.

[726] Zu Dillenburg am Strande der Dill sieht man um Mitternacht einen Reiter auf schwarzem Rosse dahin jagen, weder er noch das Roß aber haben einen Kopf. Hierüber erzählt man sich folgende Sage. In der Stadt wohnte dereinst ein Mann, den das Volk der Hexerei beschuldigte; der Graf wollte nicht recht daran glauben, allein da das Volk unruhig ward, so machte man ihm den Prozeß und verurtheilte ihn zum Feuertode. Weil aber der Graf doch im Geheimen an die Unschuld des Mannes glaubte, befahl er, man solle zwar den Holzstoß anbrennen, aber sobald man ein weißes Fähnlein vom[726] Schlosse herabwinken sehe, wieder auslöschen. Die Richter thaten auch so, hielten die Hinrichtung lange hin, allein als das Volk ungeduldig ward, mußten sie doch den Befehl geben, den Scheiterhaufen in Brand zu setzen. Schon schlugen die Flammen an den Kleidern des Unglücklichen in die Höhe und der Rauch erstickte sein Jammergeschrei, da wehte auf einmal das Fähnchen aus dem Schloßfenster, allein es war zu spät: als man den Holzstoß auseinander riß, fand man nur die verkohlte Leiche des armen Sünders. Der Graf hatte bei einem Bankett, welches er gerade zu dieser unpassenden Stunde gab, unter dem Jubel seiner Gäste sein Versprechen vergessen und als er sich endlich daran erinnerte, war es zu spät geworden. Zur Strafe muß er nun ruhelos jede Nacht den Weg vom Schlosse nach dem Flusse, wo die Richtstätte war, zurücklegen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 726-727.
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