383. Die arme reiche Frau zu Stralsund.

[443] (S. Kantzow, Pomerania I. S. 451. Micrälius Th. I. S. 276. Poetisch bearbeitet von Ziehnert Bd. I. S. 124 etc.)


In der Stadt Stralsund ist um das Jahr 1420 eine sehr schöne Jungfrau gewesen, die aber allein in der Welt stand, denn ihre Eltern waren ihr früh weggestorben. Dieselbe war ebenso reich als schön, hatte Alles in Ueberfluß, freilich aber auch nie gearbeitet und war so üppig erzogen, daß sie sich täglich zweimal in kostbarem Ungarwein badete. Nachdem sie viele Freier abgewiesen, reichte sie dem Säckelmeister der Stadt, Wolflamm geheißen, ihre Hand. Sie feierten eine ungemein prächtige Hochzeit, bei welcher sieben ganzer Tage lang bankettirt wurde, allein die Armen gingen leer aus. In solcher Freude und Herrlichkeit ging es nun aber fort, jedoch dachte weder Er noch Sie daran, daß es einmal mit ihrem Reichthum auf die Neige gehen könne. Ehe es noch so weit kam, pochte an einem sehr kalten Wintertage ein alter armer Mann an ihre Thüre und bat, starr vor Kälte, um etwas warmes Essen. Es war gerade Essenszeit und aus den Silberschüsseln dampfte der Geruch von kostbaren Speisen dem Bettler in die Nase, die hochmüthige Frau aber lachte ihm ins Gesicht, stieß mit dem Fuß ihn nach der silbernen Schüssel, aus der gerade der Haushund fraß, und sprach: »Hier kannst Du mit dem Hunde tafeln, der aus Silber seine Knochen verspeist, sie sind auch für Dich gut genug!« Da sah sie der Bettler zornig an und sprach: »Wehe Euch, Frau, mit derselben Hundeschüssel sollt Ihr nach wenigen Jahren noch betteln gehen und dann wird man Euch so thun, wie Ihr jetzt mir thut!« Das ließ sie sich aber nicht kümmern, sondern warf den alten Mann zur Thüre hinaus, setzte sich mit ihrem Gemahl zur Tafel und aß und trank nach Herzenslust. Allein die Strafe folgte ihrem Frevel auf dem Fuße, sehr bald waren ihre Reichthümer vergeudet, und als ihr Gatte, der sich nicht an Sparsamkeit und ein einfacheres Leben gewöhnen konnte, sich an der Stadtkasse vergriff, um ihr schwelgerisches Leben fortzuführen, fiel er auf dem Bergener Kirchhof auf Rügen noch eher im Streit durch die Hand eines Herrn von Zaum, als sein Unterschleif an den Tag kam.[443] Nun aber konnte er nicht länger verborgen bleiben, alle ihre Häuser, Felder und Gärten wurden ihr genommen, um den verursachten Schaden zu ersetzen, nichts ward ihr gelassen als ein kleiner Wittwengehalt, allein dabei ward ihr zur Pflicht gemacht, wenn sie nicht auch das Wenige verlieren und aus dem Stadtgebiet gepeitscht sein wolle, mit jener silbernen Hundeschüssel, der einzigen, die sie von ihrer Habe behalten hatte, in die Häuser der Wohlhabenden ansprechen zu gehen und zu sagen, man solle doch der armen reichen Frau um Gottes Willen ein Stück Brod geben.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 443-444.
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