390. Der Teufel in der Nikolaikirche zu Stralsund.

[446] (S. Barthol. Sastroven Herkommen, Geburt und Lauf seines ganzen Lebens. Herausg. v. Chr. Friedr. Mohnike. Greifsw. 1823-24, Th. I. S. 71-74.)


Im Jahre 1528 lebte zu Stralsund eine Magd, die war vom bösen Geiste besessen. Sie war bis dahin stets eine stille und ordentliche Person gewesen, als sie aber einmal in der Küche Kessel und Töpfe von der Wand nehmen wollte, um selbige zu scheuern, warf sie sie herab auf die Erde und rief mit lauter Stimme: »ich will heraus!« Daraus sah man, daß sie vom Teufel besessen war. Deshalb nahm sie ihre Mutter zu sich und sie wurde etliche Male auf einem Schlitten in die St. Nikolauskirche geführt, damit man dort den bösen Geist von ihr austreibe. Da gestand derselbe denn, es habe eines Tages die Mutter der Magd auf dem Markte einen frischen sauern Käse gekauft und denselben in einen Schrank gesetzt, die Magd sei aber ohne Wissen ihrer Mutter an den Schrank gekommen und habe ein groß Stück von dem Käse verzehrt, die Mutter aber, so dies nicht gewußt, habe dem, der das gethan, den bösen Geist in den Leib geflucht, und von Stund an habe derselbe sich nun bei ihrer Tochter einquartirt. Gleichwohl ist aber die Magd unterdessen mehrmals zum Abendmahl gegangen, der Teufel aber befragt, wie das möglich sei, hat geantwortet: »Es liege wohl manchmal ein Schalk unter der Brücke und lasse einen frommen Mann über sich gehen; während die Magd das Abendmahl genommen, habe er ihr unter der Zunge gesessen.«

Dieser böse Geist konnte nun aber lange Zeit nicht aus der Magd herausgebannt werden, denn so oft ihn der Geistliche austreiben wollte, hat er mit ihm Spaß gemacht. Er forderte immer die Erlaubniß, dies oder jenes, wenn er ausfahren solle, mitnehmen zu dürfen, und wenn man ihm das eine zugestand, so hatte er stets etwas Anderes in Petto. So forderte[446] er eines Tages vom Prediger in der Kirche, daß er von einem Manne, der daselbst den Hut auf dem Kopfe behalten hatte, den Hut mitnehmen dürfe, allein der Prediger hat es ihm nicht erlaubt, er dachte, er werde auch den Kopf und den ganzen Leib mitnehmen. Endlich aber als er gemerkt hat, daß seine Zeit da sei und er nun fort müsse, da hat er eine Scheibe aus dem Kirchenfenster über der Thurmuhr verlangt. Dies hat man ihm zugestanden und da hat man denn gesehen, daß mit lautem Klingen sich die Raute aus dem Fenster gelöset hat und mit dem Teufel davongeflogen ist. Die Magd aber hat nachmals, nachdem sie von dem Bösen erlöset worden, einen Mann bekommen und mit ihm viele Kinder gezeugt.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 446-447.
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