395. Der Wettlauf um das Opfergeld72.

[448] (S. Micrälius Th. II. S. 407. Poetisch behandelt von Freyberg, Pommersche Sagen. Pasewalk 1836 S. 32 etc. und bei Ziehnert Bd. I. S. 131 etc.)


Vor der Stadt Greifswald stand ehedem eine Kapelle, der h. Gertrud geweiht, wohin viel gewallfahret ward. Nun war aber einst an einem Feste der Heiligen sehr viel Opfergeld eingekommen, welches der hier angestellte Priester an den Gotteskasten abzuliefern hatte. Da kam der Geizteufel über ihn und er beschloß das Gelb für sich zu behalten. Da er aber auch sonst noch ein frecher und ungläubiger Geselle war, so nahm er das Bild der h. Gertrud vom Altar und stellte es an den Eingang der Kapelle jenem gegenüber und sprach zu ihm: »Jetzt wollen wir sehen, wem das Opfergeld sein wird, wir wollen beide nach dem Altare laufen, und wer zuerst hinkommt, dem soll es gehören!« Nachdem er so gesprochen, lief er nach dem Altare, allein siehe, das hölzerne Bild ward auf einmal lebendig, lief an ihm vorbei und kam eher hin als er. Das Wunder erschreckte aber den Bösewicht nicht, er nahm das Bild ein zweites Mal vom Altare, stellte es wieder an den Eingang und lief abermals nach dem Opfergelde, welches auf dem Altare lag, allein das Bild lief ihm wieder nach und überholte ihn ein zweites Mal. Aber auch dies schreckte ihn nicht, er holte es zum dritten Male, stellte es wieder an den Eingang und lief zum Altare. Diesmal aber kam er allein hin, denn die h. Gertrud blieb stehen und weinte bitterlich, der gottlose Priester aber nahm das Geld und trug es nach Hause, aber schon in der nächsten Nacht ward er schwer krank und nach drei Tagen war er todt und ward auf dem Gertrudenkirchhof begraben.

In der nächsten Nacht um die Mitternachtstunde aber erschien der Teufel auf dem Kirchhofe, klopfte an das Grab des Priesters und rief hinein: »Stehe auf, Pfaff, und laufe mit mir um die Wette.« Da mußte der Todte aus dem Sarge aufstehen, als er aber aus dem Grabe hervorstieg, da packte ihn der Teufel mit seinen Krallen und schleppte ihn fort, wie sie aber an der Kapelle vorbei kamen, da wollte der Priester sich an dem Thürschlosse anhalten, weil er dachte, der Teufel müsse ihn loslassen, allein es half ihm alles nichts, der Teufel riß ihn fort und führte ihn über die Kirchhofsmauer hinweg in sein höllisches Reich. Der Windmüller aber in der benachbarten Windmühle sah dies alles mit an und machte Anzeige davon, als man aber dann den Ort näher untersuchte, da konnte man in der Thüre noch die Spuren der Fingernägel sehen, womit der Priester in Todesangst in das Holz sich eingekrallt hatte, auch tiefe Fußtapfen des Teufels waren in den Boden getreten und das Gras ringsherum versengt. Alle diese Spuren sind geblieben und lange zu sehen gewesen, bis die Kapelle weggerissen ward, um aus der Stelle, wo sie stand, einen Wallgraben zu machen. Nach einer andern Sage hätte aber der Teufel den Priester an einen Flügel der gerade stillstehenden Windmühle aufgehängt und seit dieser Zeit sei stets in jener Mühle die Flügelwelle linksum statt rechtsum gelaufen und die Begebenheit sei nicht in der Gertrudenkapelle, sondern in der 1298 erbauten Nicolaikirche passirt.

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Eine etwas ähnliche Sage s. unter Nr. 400 S. 451.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 448-449.
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