150. Der steinerne Kopf an der Mittagsseite der Kathedrale St. Johannis des Täufers zu Breslau.

[165] (S. Illustr. Ztg. 1858 S. 226. Ziehnert, Preußische Volkssagen Bd. I. S. 18 etc. Selt, Sagen aus Breslau's Vorzeit S. 57 etc.)


An der Mittagsseite der im Jahre 1270 aus Back- und Quadersteinen vollendeten Domkirche, welche nach der ursprünglichen Anlage vier Thürme erhalten sollte, von denen jedoch nur zwei bis zur Spitze ausgeführt wurden und deren südwestlicher in den Jahren 1510, 1632 und 1759 zum Theil zerstört ward, sieht man an einem seitwärts angeblendeten Giebel in ziemlicher Höhe eine fensterähnliche Nische, aus der ein Kopf etwas hervorragt, welcher einem schlafenden Jünglinge nicht ganz unähnlich zu sein scheint. Ob nun dieser Kopf, wie der Kopf des angeblichen Verräthers, den die Hussiten nach der Brandschatzung den Bürgern auslieferten, zu Schlettau, an der Mauer des Schlosses zu Wettin, zu Camenz etc. eine bloße Zierrath sei oder eine wirkliche lokale Bedeutung haben soll, darüber wissen Breslaus ältere Topographen nichts zu berichten. Dagegen hat die Volkssage diesen[165] eingezwängten Kopf durch folgende Sage zu erklären gesucht, die aber durch kein historisches Factum eine Wahrscheinlichkeit erhält.

In Breslau lebte einst ein sehr geschickter Goldschmied, Frank des Namens, der eine sehr schöne Tochter hatte. Nun stand bei ihm ein Mündel in der Lehre, ein hübscher aber trotziger und leichtsinniger Bursche. Der hatte ein Auge auf die schöne Meisterstochter geworfen und diese sah ihn auch gern und so kam es denn, daß Beide ein Liebespaar wurden. Allein der Meister war damit nicht einverstanden, sein Mündel war ihm noch zu jung und zu arm und darum sagte er ihm mit harten Worten, er solle sich die Sache aus dem Kopfe schlagen, aus der Heirath mit seiner Tochter könne nie etwas werden, und thue er das nicht, so müsse er aus dem Hause. Das gefiel aber dem jungen Mann gar nicht, als der Abend kam, packte er sein Ränzel und erklärte, er wolle auf die Wanderschaft gehen. Zwar war er noch nicht losgesprochen, allein er war doch guten Muths, denn er verließ sich auf seine Geschicklichkeit und sein gutes Glück. Seine Geliebte vermochte ihn auch nicht auf andere Gedanken zu bringen und so ging er denn wirklich zum großen Aerger seines Meisters fort. Indeß ging es mit ihm nicht so, wie er gedacht hatte, wo er auch hinkam und um Arbeit fragte, da wollte man seine Kundschaft sehen, und da er keine aufzuweisen hatte, so ward er überall abgewiesen und wie ein Herumtreiber angesehen und behandelt. So kam er denn bald ganz herunter, und irrte planlos herum, in zerrissenen Kleidern und halb verhungert. Als er eines schönen Tages von seiner Lagerstätte im Walde, denn ein anderes Unterkommen konnte er überhaupt nicht finden, erwachte, standen einige wild aussehende Männer um ihn, mit scharfen Waffen und Schießgewehr wohl versehen, welche ihn fragten, was er hier mache und wer er sei. Auf seine Antwort luden sie ihn ein, einer der ihrigen zu werden, sie seien Straßenräuber und führten ein lustiges Leben. Leider ließ er sich durch die Noth verleiten, den Lockungen der Bösewichter Gehör zu geben und schloß sich ihnen an. Er blieb über zwei Jahre bei ihnen und hatte das Glück, während alle seine Kameraden in die Hände der Gerechtigkeit fielen, allein der Strafe zu entgehen. Mit den zusammengeraubten Schätzen beladen, in bessern Kleidern ritt er in seine Vaterstadt wieder ein. Sein erster Gang war zu seiner früheren Geliebten, dieselbe empfing ihn mit offenen Armen und hörte seine Lügen über die Glücksfälle, die ihn angeblich zum reichen Manne gemacht, gläubig mit an, allein der alte Goldschmied war mißtrauischer, er verlangte durchaus Zeugnisse über die Jahre seiner Abwesenheit und es gelang ihm auch nicht dadurch, daß er seinen von Goldstücken strotzenden Mantelsack vor seinen Augen auspackte, dessen Argwohn zu zerstreuen. Während er aber noch so in dem Golde wühlte, kam auf einmal ein Papier zu Tage, aus welchem der Alte auf das frühere Leben seines sauberen Mündels schließen konnte. Er hieß ihn kurzweg seiner Wege gehen und als er dies nicht wollte, warf er ihn ohne Weiteres sammt seinem Golde zur Thür hinaus. Wüthend und Rache schnaubend eilte der Räuber nach der Insel des Doms, wo der Domthurmwart, ein Anverwandter von ihm, ihm eine Herberge gab. Mittlerweile brach die Nacht ein, eine Nacht von Sturm und Unwetter, wie sie die Bewohner Breslau's noch nicht oft erlebt hatten. Darum waren auch die Gassen leer und er hätte zu seinem verbrecherischen Unternehmen keine bequemere Zeit finden können.[166] Er verließ den Dom und schlich unbemerkt um Mitternacht zum Hause des Goldschmieds, erbrach einen Laden, drückte behutsam das Fenster ein, warf Stroh und Zunder hinein und zuletzt die brennende Lunte, dann aber entfloh er. Kaum hatte er den Dom wieder erreicht, da schlug die Lohe durch die Fenster des Goldschmiedhauses hervor, die Sturmglocke weckte die Bürger, allein ihre Anstrengungen vermochten nichts gegen die zügellose Flamme, die vom Sturme getrieben sich von Haus zu Haus, von Straße zu Straße fortwälzte. Während dem hatte der boshafte Brandstifter den Dom wieder erreicht, er eilte auf den Thurm hinaus und steckte, um sich seines teuflischen Werkes zu freuen, den Kopf durch eine Luke desselben und sog gierig den Rauchdampf ein, der, wie eine schwarze Wetterwolke, den Thurm einhüllte. Da kam ihm plötzlich ein wunderliches Grausen an, es kam ihm vor, als werde ihm die Luke zu enge, er wollte seinen Kopf zurückziehen und konnte nicht. Immer enger zog sich das steinerne Band um seinen von der Anstrengung angeschwollenen Hals. Er zerschlug sich die Hände an der Mauer, die ihn gefangen hielt, er schrie um Hilfe, die Augen traten starr aus ihren Höhlen und sehr bald endete der Verräther sein Leben durch Erstickungstod. Der Sage nach ist das Gesicht an der Mauer des Thurmes das Conterfei des Bösewichts.

Es giebt jedoch noch eine zweite Sage über die Bedeutung des Kopfes. Diese bringt nämlich denselben mit der Geschichte von der Armesünderglocke in Verbindung und erzählt, der Rath habe, weil der Guß so vortrefflich gelungen, dem Goldschmied die Todesstrafe erlassen, allein der Meister selbst habe sich doch seine That so zu Herzen genommen, daß er seinen Mitbürgern nicht mehr unter die Augen treten wollte. Deshalb bewarb er sich um die gerade offen gewordene Stelle eines Wächters auf dem Domthurme. Nun entstand aber eines Tags Feuer auf der Dominsel, das rasch und unaufhaltsam um sich griff und auch das innere Gebälk der beiden Thürme erfaßte. Als das Feuer ausbrach, da hatte der wachsame Thürmer seinen Kopf zum Schalloche herausgesteckt und Feuer gerufen. Als nun das Feuer immer näher kam und er sich eilig retten wollte, da war sein Kopf durch das Schreien und die Anstrengung so dick geworden und angeschwollen, daß er ihn nicht mehr herauszuziehen vermochte. So ward er von unten auf von den Flammen langsam verzehrt, während er vor Schmerz so laut brüllte, daß man sein Jammergeschrei bis tief unten in die Stadt hinein hörte.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 165-167.
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