175. Warum die Tartaren nach Schlesien gekommen sind und bei Neumarkt erschlagen wurden.

[186] (Nach der Legende d.h. Hedwig. Breslau, 1504 in 4°. [mit einem Holzschnitt] Fol. Jij – iij a. bei Büsching, Volkssagen S. 19. Vgl. a. Sammter, Chronik von Liegnitz. Liegnitz 1861 S. 110 etc.)


Im Morgenlande herrschte um das Jahr 1240 ein mächtiger und reicher Tartarischer Kaiser, Batu (oder Pete) Khan geheißen. Der hatte eine Gemahlin, welche ihm nach tartarischer Sitte vermählt war. Nun hatte diese viel gehört von den Sitten und Gewohnheiten der Christenlande, wie dort Alles so lieblich und ehrlich zuginge und wie die Fürsten, Ritter und Herrn so muthig und tapfer für ihren Glauben mit ihrem Blut und Leben einstanden. Da entbrannte in ihrem Herzen eine heftige Begierde, mit eigenen Augen die löblichen Sitten und Gewohnheiten der Christenlande und Städte und ihre herrlichen Ritter und Fürsten zu sehen. Sie bat also ihren Gemahl, er möge ihr doch die Reise dorthin erlauben, erhielt aber zuerst eine abschlägige Antwort, als sie jedoch mit Bitten nicht nachließ, gab der Fürst am Ende seine Einwilligung. Er versorgte nun seine Gemahlin[186] für diese Reise mit einem mächtigen Gefolge von Fürsten und Edelleuten, gab ihr auch Gold, Silber und Edelsteine in Ueberfluß mit, sowie eine Menge von Geleitsbriefen, so daß sie ohne Hindernisse überall hinziehen und Alles nach Wunsch sich ansehen könnte. So zog sie nun aus, und ward überall gut aufgenommen, auch mit herrlichen Gaben und Geschenken erfreut. Endlich kam sie auch nach Schlesien an den Fuß des Zobtenberges zu dem Schlosse Fürstenberg, von wo sie zu der damals in Schlesien angesehenen Stadt Neumarkt gelangte, um selbige mit ihrem Gefolge sich anzusehen. Als aber die dasigen Bürger sahen, welche ungeheuern Schätze die Kaiserin mit sich führe, da hielten sie untereinander einen Rath37 und meinten, es sei doch unziemlich, daß eine solche ungläubige Frau mit so großen Schätzen ihnen entrinnen solle, sie wollten sie also mit ihrem gesammten Gefolge überfallen und erschlagen und ihre Schätze unter sich theilen. Solchen bösen und unbedachten Rath führten die Bürger in Neumarkt auch wirklich aus und erschlugen die Kaiserin mit ihrem Gefolge und theilten sich in ihre Schätze.

Zwei Jungfrauen aber aus dem Gefolge der Kaiserin, die sich in einem Keller verborgen hatten, kamen mit dem Leben davon. Sie wußten sich heimlich zu retten und langten nach einiger Zeit und vielen Beschwerden glücklich wieder in ihrem Vaterlande an. Dort erzählten sie aber dem Kaiser mit vielem Weinen und Wehklagen, wie sie viele christliche Städte durchzogen und überall eine freundliche Aufnahme gefunden hätten, wie aber in der Stadt Neumarkt die Kaiserin und all ihr Gefolge von den Bürgern überfallen und erschlagen worden wäre. Darob ergrimmte der Kaiser in schrecklichem Zorn und verschwur sich hoch und theuer und sprach, er wolle sein Haupt nicht eher zur Ruhe legen, als bis er solchen Mord seiner Gemahlin und seiner Getreuen an der ganzen Christenheit gerächt und ihr Land von Grund aus verwüstet habe.

Drei Jahre lang ließ er nun in seinem Lande alle streitbaren Männer aufrufen, an der Christenheit die Schande und Schmach zu rächen, die diese seiner Gemahlin und ihrem Gefolge angethan habe, und es versammelten sich fünfmal hunderttausend. Dieses Heer ging nun nach Polen und Schlesien und schlug die Christen bei Liegnitz. Da die Tartaren den Herzog getödtet hatten, nahmen sie sein Haupt und zogen damit vor das Schloß zu Liegnitz und schrieen also mit lauter Stimme auf das Schloß zu denen, die darauf waren: »Sehet hier das Haupt Eures Herrn und erkennet daraus unsern Sieg, und daß Euch nicht Solches auch widerfahre, so ergebet Euch!« Da gaben ihnen die aus dem Schlosse folgende Antwort: »O Ihr bösen und grausamen Mörder unseres allerliebsten Herren, lieget nicht hie, unsere Herren werdet Ihr nimmermehr!« und von den Worten »lieget nicht hie« hat die Stadt den Namen Liegnitz empfangen. Als nun die Tartaren diese harte Antwort hörten und ihre Tapferkeit merkten, da zogen sie wieder ab von dem Schlosse und warfen das Haupt des edeln Fürsten in den See bei dem Dorfe Koschwitz und nahmen ihren Zug gegen Neumarkt.[187]

Als die Bürger zu Neumarkt dies hörten, hielten sie zusammen einen Rath und geboten ihren Frauen und Töchtern vor sie zu kommen und redeten also zu ihnen: »Lieben Frauen und Töchter, Ihr habt gehört, wie die grausamen Tartaren Alles verheeren, morden und brennen, auch Frauen und Jungfrauen schwächen, überhaupt unaussprechliche Grausamkeit verüben. Nun können wir aber ihrer Macht nicht widerstehen, darum haben wir eine List ersonnen, die, so Gott will, uns wohl helfen wird. Darum höret nun unsern Rath und unser Gebot. Wir wollen uns verbergen in unsern Kellern mit Harnisch und Waffen, und wenn die Feinde kommen, so geht ihnen entgegen mit Euerem besten Schmuck und Kleidern und nehmet sie scheinbar mit gutem Willen und mit Freuden auf und saget ihnen, wir seien alle aus Furcht weggeflohen. Pfleget sie wohl und bewirthet sie mit den besten und köstlichsten Speisen und Getränken, und wenn Ihr sehen werdet, daß sie trunken sind und ihre Waffen abgelegt und sich zur Ruhe begeben haben, so gebt uns ein Zeichen mit der Rathhausglocke, dann wollen wir auf sein und sie alle überfallen und erschlagen!« Diesem Rathe und Gebote sind ihre Weiber und Töchter getreulich gefolgt und, während jene sich selbst mit ihren Waffen und Wehr sich verborgen gehalten, haben sie jenen mit Speise und Trank freundlich aufgewartet. Nachdem dies eine Zeit gedauert, haben sie die Rathsglocke geläutet, da sind ihre Männer und Brüder herbeigekommen und haben unzählig viele Tartaren erschlagen, so daß gleichsam ein kleiner Bach von dem Blute der Ungläubigen geflossen ist bei der Pfarrkirche bis zu dem Thore und die Bürger haben also mit Freuden den Sieg behalten wider die Ungläubigen.

Zum Andenken an diese Begebenheit hat man aber im Rathskeller zu Neumarkt den Rock und Mantel der Kaiserin den Durchreisenden gezeigt, ihr Hemde aber wird in der Stadtkirche bewahrt und in dem Keller eines Bürgerhauses wird ihr Grab vorgewiesen.38

In der Kirche zu Liegnitz zu St. Peter und Paul wird heute noch ein Gebein von einer Tartarischen Riesin gezeigt, welches ihr os sacrum gewesen sein soll und ebenso wird im Dom zu Breslau ein mit Perlen und Edelsteinen reich verzierter Mantel vorgewiesen, den die Fürstin einst getragen haben soll.

37

Nach dem alten Volksliede über diese Begebenheit im Wunderhorn Bd. II. S. 258 und bei Büsching, Sagen S. 24 wäre der Mord von dem Gastwirthe, wo sie logirte, begangen und ihr Körper in seinem Keller von ihm begraben worden.

38

S. Schles. Labyrinth S. 693.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 186-188.
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