a) Kunigunde von Kynast.

[242] (Nach Ziehnert Bd. III. S. 205 etc. und Müller S. 460 etc. Gottschalk, Ritterburgen Bd. I. S. 53 etc. Fischer, Burgvesten Preußens Bd. II. S. 1 etc.)


Die weltberühmte Burgruine des Kynast (angeblich Kienast) liegt auf dem Gipfel eines bewaldeten, 1847 Fuß hohen Granitfelsens gleichen Namens, 1/4 Meile südwestlich von Hermsdorf im Hirschberger Kreise. Die Vollendung des Baues dieser Burg durch Herzog Bolko 1. fällt um's Jahr 1302; sie ist niemals erobert worden, allein am 31. August 1675 ward sie durch einen Blitzstrahl zerstört.

Einer der frühesten Besitzer der Burg Kynast, eine ziemlich zweifelhafte Tradition nennt ihn Bruno von Scharfeneck, besaß nur eine einzige Tochter, Namens Kunigunde. Sie war sehr schön, aber auch sehr eigensinnig, denn ihr Vater hatte ihr als seinem einzigen Kinde in jeder Hinsicht unbeschränkte Willensfreiheit gelassen und sie nicht wie ein Mädchen, sondern wie einen Junker erzogen. Darum bestand ihr Hauptvergnügen und ihre Lieblingsbeschäftigung darin, Rosse herumzutummeln, mit Waffen zu spielen und dem Eber und Hirsch in den den Kynast umgebenden Wäldern nachzujagen. Da trug es sich zu, daß ihr Vater in der Trunkenheit mit seinem Rosse die äußerste Mauer der Burg umreiten wollte, es aber versah und sammt dem Pferde in den Abgrund hinabstürzte. Seine Tochter war untröstlich und ließ ihn in der fast unzugänglichen Tiefe am Höllengrunde, wo er aufgefunden worden war, zur Erde bestatten. Von diesem Augenblicke an aber ward sie nur noch unumgänglicher und abgeschlossener gegen alle mildern Regungen, fast täglich besuchte sie das Grab ihres Vaters und grollte mit den Felsen, die ihn getödtet hatten. Da sie aber sehr reich war, so konnte es nicht fehlen, daß mancher Ritter nach ihrem Besitze lüstern ward, und so geschah es, daß sich bald eine große Anzahl von Freiern zusammenfand, die die reiche Erbin mit ihren Anträgen bestürmten. Sie glaubten ihre Bewerbung am besten dadurch unterstützen zu können, wenn sie nicht eher aus der Burg[242] zu weichen erklärten, als bis die Besitzerin derselben sich für einen von ihnen ausgesprochen habe. So freigebig und gastfrei aber auch Kunigunde war, so ward ihr doch diese Zudringlichkeit sehr bald zur Last und darum erklärte sie, es sollten sich alle ihre Freier am St. Gertrudentag zusammen bei ihr einfinden, da wolle sie ihre Entscheidung kundgeben.

Als nun der verhängnißvolle Tag anbrach, da erschienen denn auch ihre Bewerber und harrten der Dinge, die da kommen sollten. Kunigunde aber er suchte sie, sich zu gedulden und vorerst mit ihr ein Mahl einzunehmen, um sich zu der feierlichen Handlung zu stärken. Selbstverständlich ward tüchtig auf die Gesundheit des künftigen Burgherrn getrunken, und als nun gegen das Ende des Mahles die Köpfe der Anwesenden von dem starken Wein erhitzt waren, da hob Kunigunde die Tafel auf und forderte ihre Gäste auf ihr zu folgen. Sie eilte in den Burghof hinab, ließ dort von den Knechten viele Fackeln anzünden und stieg nun außerhalb der Veste nicht ohne Anstrengung die grausige Felsschlucht hinab zum Grabe ihres Vaters. Dort knieete sie lautlos nieder, betete ein Vaterunser, ergriff dann ein Crucifix, welches der Burgkaplan, der sie an diesen Ort mitbegleitet hatte, ihr nachgetragen, hob es hoch in die Höhe, küßte es und sprach mit lauter Stimme: »Hier am Grabhügel meines edlen Vaters schwöre ich hoch und theuer, daß nur der mein Gemahl werden soll, der den obern Rand der Burgmauer, von der mein Vater herabgestürzt ist, glücklich umritten haben wird!« Dadurch ward nun freilich die Heirathslust in mancher Brust gewaltig abgekühlt, und von den zahlreichen Bewerbern entfernten sich während der nächstfolgenden Nacht die meisten ohne Abschied zu nehmen. Allein einige blieben doch zurück, und wirklich bestieg einer von ihnen am dritten Tage sein Roß, um den schauerlichen Ritt zu wagen, wozu Kunigunde die Trompeten schmettern und einige Donnerbüchsen krachen ließ, während sie selbst aus dem Erker ihres Gemachs auf den Tollkühnen herabsah und ihm spöttisch viel Glück zum Brautritt wünschte. Wenn aber einmal der Reiter sein Roß über die Zugbrücke auf die verhängnißvolle Mauer gelenkt hatte, da hatte er auch den Pfad des Todes betreten, denn keiner von allen denen, welche den gefährlichen Ritt gewagt, kehrte jemals wieder, alle fanden wie Kunigundens Vater ihren Tod in dem Abgrunde. Bald wurden aber keine Bewerber mehr auf der Burg gesehen und dies machte Kunigunden erst recht mißmuthig, weil sie sich ärgerte, daß Niemand mehr sein Leben um ihre Hand wagen möge. So verstrichen viele Monate, da meldete sich auf einmal wieder ein Ritter zu der gefährlichen Reitprobe. Als er in ihr Gemach trat und sich ihr vorstellte, da kam auf einmal ein sonderbares Gefühl über sie; sein Blick hatte gezündet, und nun bereute sie plötzlich die frevelhafte Aufgabe, welche sie ersonnen und bereits so viele Menschenleben gekostet hatte; allein sie konnte es nicht rückgängig machen, darum versuchte sie dem Ritter, der sich ihr übrigens nicht nennen wollte, abzureden und ihn durch die Schilderung der von ihm zu bestehenden Gefahr von seinem Unternehmen abwendig zu machen. Allein umsonst, er erklärte den Ritt wagen zu wollen. Am nächsten Morgen mit Aufgang der Sonne war der fremde Ritter schon im Schloßhofe, sattelte sein Roß selbst, bestieg es in leichter Kleidung und ganz unbewaffnet und ritt, nachdem er seinen Knappen zärtlich umarmt, hinaus durch das Burgthor zur blutglänzenden Mauer. Alle[243] Bewohner der Burg standen im Schloßhofe, unter ihnen Kunigunde, die das erste Mal in ihrem Leben für das Gelingen des kühnen Unternehmens still zu Gott betete; Niemand durfte sich jedoch der Mauer nähern, und so sah man denn den Ritter langsam die Burg umreiten, und als der erste Strahl der Sonne die Spitzen der hohen Burgthürme beleuchtete, da hatte der Ritter auch die verhängnißvolle Bahn durchritten und lenkte sein schweißbedecktes Roß von der Mauer zum Burgthore hinab, wo das Fräulein ohnmächtig vor Aufregung am Boden lag. Der Knechte Jubelgeschrei und der Trompetenschall weckten sie aber bald und mit den Worten: »Edler Ritter, meines Vaters Tod ist an den tückischen Felsen gerächt und mein Schwur gelöst, hier habt Ihr meine Hand!« eilte sie ihm entgegen. Jener aber versetzte: »Wohl ist Euer Schwur gelöst und Euerem Stolze und frevelhaftem Uebermuth jetzt eine Schranke gesetzt, aber darum allein bin ich hierher gekommen, nicht um Euch und Euer Erbe zu erringen, denn ich, der Landgraf Adalbert von Thüringen, bin längst vermählt und würde auch, wenn ich dies nicht wäre, Euere blutige Hand niemals anrühren.« Da stürzte Kunigunde zerknirscht auf die Kniee, und der Landgraf sprach: »Geht in Euch und sucht durch Frömmigkeit und gute Handlungen Gott für Euern Frevel zu versöhnen, wollt Ihr das aber nicht, so betretet selbst den Pfad, auf dem so viele Edle Eurer wegen ihr Leben gelassen haben, und sühnt das Blut durch freiwilligen Tod an derselben Stelle!« Damit wandte er sein Roß und verließ mit seinem Knappen das Felsenschloß. Darüber nun, was jetzt mit Kunigunden geschehen, giebt es eine dreifache Sage. Nach der einen stürzte sie sich aus Verzweiflung, gekränktem Stolz und verschmähter Liebe in denselben Abgrund, wo ihr Vater und ihre Freier umgekommen waren; nach der andern ging sie in ein Kloster, starb nach kurzer Zeit am gebrochenen Herzen und wurde in derselben Felsschlucht begraben; nach der dritten aber hatte ihr der Landgraf seinen vermeintlichen Knappen, den Ritter Hugo von Erbach zum Ehegemahl empfohlen und ihr vier Wochen Bedenkzeit gegeben. Als nun Letzterer nach Ende des Termins zurückkehrte, reichte sie ihm ihre Hand und vermählte sich mit ihm; die Mauer ließ sie abbrechen, für die Seelen der gefallenen Ritter Messe lesen und suchte durch Liebe, Menschenfreundlichkeit und reichliche Almosen an die Armen ihren früheren Frevel zu sühnen und vergessen zu machen.

Wenn man auf den Kynast kommt, so bringen gewöhnlich die Kinder des Schloßverwalters ein ungestaltetes hölzernes weibliches Brustbild, einen Haubenstock mit Igelborsten statt der Haare. Dies soll die schöne Kunigunde vorstellen. Man wird von ihnen aufgefordert, das häßliche Bild zu küssen, und muß sich durch ein Geldgeschenk loskaufen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 242-244.
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