343. Der unterirdische Gang in Spremberg.

[393] (Nach Haupt Bd. I. S. 238.)


Nahe bei Spremberg, jenseits der Spree, befindet sich ein Hügel, auf dem ehemals eine sehr reich dotirte Kapelle stand, die dem heiligen Georg gewidmet war. Zu dieser Kapelle aber führte von Spremberg aus ein unterirdischer Gang. Nun wollten aber die Spremberger einst diesen Gang untersuchen und schenkten einem zum Tode verurtheilten Verbrecher das[393] Leben, auf daß er den Gang untersuche und zur Georgenkapelle wieder herauskommen solle. Der arme Sünder war auch damit zufrieden, ging in den Gang hinein, kam aber niemals wieder zum Vorschein und Jedermann glaubte, er sei entweder in dem Gange verunglückt oder darin von Geistern zerrissen worden, eine weitere Untersuchung ward nicht angestellt.

Einige Jahre später kamen einmal ein Paar Spremberger nach Zittau und begegneten dort dem zum Tode verurtheilten armen Sünder, sie erkannten ihn auf der Stelle, ob er gleich jetzt als ein wohlhabender Bürgersmann daherschritt. Auf ihr Befragen, wie er denn hierher komme, theilte er ihnen mit, er sei also in dem Gange eine lange Weile fortgeschritten, da habe er über sich Hundegebell gehört und daraus abgenommen, daß er sich unter der Scharfrichterei befinde; gleich darauf aber erschien ihm ein Geist mit einem brennenden Lichte und fragte ihn, wohin er wolle. Der arme Sünder antwortete: »Ich bin zum Tode verurtheilt, wenn ich nicht auf diesem Wege zur Georgenkapelle komme!« – »Gehe nur fort«, antwortete jener, »Dein Glück ist gemacht!« Hierauf kam er bald in ein Gewölbe, in welchem zwölf Apostel aus purem Golde standen, jeder etwa einen Arm lang. Hier verweilte er, bis nach seiner Berechnung der Abend angebrochen war, kehrte dann um und nahm einen der Apostel mit. Ins Freie gelangt, ging er der Grenze Böhmens zu, dort zerschlug er seinen goldenen Schatz, verwandelte ihn stückweise in klingende Münze und ließ sich dann häuslich zu Zittau nieder. Jene Oeffnung ist nun aber wegen eines daraus hervordringenden mörderlichen Gestankes seit vielen Jahren vermauert und die andern eilf Apostel warten bis heute noch auf ihren Erlöser.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 393-394.
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