502. Wie die alten Preußen einen Dieb erkundet haben.

[529] (S. Waissel S. 21 etc. Hartknoch S. 165.)


Wenn einem was gestohlen ward, so suchte er einen Weydeler oder eine Weydlerin und dies thaten sowohl die Deutschen als die Preußen, und nannten ihn Sigenoth und hielten viel auf ihn, damit er ihnen an ihrem Vieh oder Korne keinen Schaden thue. Diese Sigenothen waren nun aber gemeiniglich arm, blind oder lahm und konnten sich selbst nicht helfen, und fragte man sie, warum sie so arm seien, so sagten sie: ihre Götter wollten es so haben. Dieser Sigenoth rufte nun an den Gott des Himmels Oocchinnus und den Gott der Erde, Puschkaythus und ermahnten sie, sie möchten den Dieb nicht über ihre Grenze gehen lassen. Dann nahm er zwei Schüsseln und legte in die Schüsseln zwei Pfennige und goß Bier darauf, den einen für den Dieb, den andern für sich. Dann machte er ein Kreuz mit Kreide und strich mit der Kreide durch die Schüssel und schüttelte mit derselben und auf welchen Ort darin der Diebspfennig kam, den Weg ist der Dieb gelaufen, es sei in Osten, Süden, Westen oder Norden und er sprach zu dem, der das verloren hat: »An dem Orte mußt Du den Dieb suchen.« Auch muß der, dem etwas gestohlen ist, Bier holen lassen, und dann nimmt der Alte die Schale oder eine Schüssel und gießt dieselbe voll Bier, setzt sie auf die Erde, sieht gen Himmel und hebt seine Hände auf und spricht: »O Du gütiger Gott Himmels und der Erden und der Gestirne, durch Deine Kraft und Macht gebiete Deinen Knechten, auf daß Dir Deine Ehre nicht entzogen werde, daß dieser Dieb nicht möge Rast noch Ruhe haben, es sei denn, daß er wiederkomme und bringe wieder, was er gestohlen hat« und was der Diebstahl ist, das wird genannt. Er hebt nun die Schale auf, sieht hinein und ist eine Blase auf dem Biere, so ist sein Gebet erhört, ist aber kein Zeichen auf dem Biere, so trinkt er das, was in der Schale ist, aus, gießt sie wieder voll und thut wie zuvor, bis ihm ein Zeichen widerfährt. Diese Sitte hat sich nun auch noch unter den Kreuzherrn erhalten, nur daß dann der Priester, wenn er sah, daß eine Blase aus dem Bier aufschoß, hinzufügte: »Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.«

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 529.
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