663. Das Wunschpferd.

[615] (S. Reusch S. 28 etc. [I.A. S. 21 etc.])


Im Jahre 1832 ist zu Lapehnen ein Wirth gewesen, der zu Hause eine kranke Frau hatte und wollte deshalb den andern Tag nach Königsberg zum Doctor, vorher aber noch bei seinem Schwiegervater in Waldhausen einsprechen. Als er sich zu Bette gelegt hatte, wurmte es ihn immer. Er hatte gar keine Ruhe und Frieden, stand wieder auf und machte sich auf den Weg. In Pobethen fand er schon ein Lichtchen brennen und meinte, daß es stark auf den Tag losgehen müsse. Sein Weg war aber noch sehr weit und als er auf Goithenen zu ging, wünschte er in seinem Sinn: »Wenn du doch ein Pferd hättest, du wolltest ja nur bis Waldhausen reiten und es morgen wieder auf dieselbe Stelle zurückbringen!« Wie er das so dachte, stand ein Pferd vor ihm auf der Weide, durch welche der Fußsteig führte. Er setzte sich gleich einen Zaum zusammen und stieg auf. Das Pferd ging auch ganz gut und er bog dem Teiche vorbei, indem er einen Richtweg durch den Forst einschlagen wollte. Als er aber in den Wald kam, fing das Pferd sichtbar unter ihm zu wachsen an. Er kam immer weiter von der Erde ab und die Zweige der höchsten Bäume, welche früher weit über ihm gestanden hatten, streiften ihm am Kopfe vorbei. In Todesangst griff er nach den Aesten, um sich herabzuziehen, aber das Pferd jagte so gewaltig, daß sie ihm schon längst vorbei waren, wenn er sie erfassen wollte. Zu halten war das Pferd auch nicht und so faßte er sich kurz und warf sich herab. Da war's als wenn der Wald voller Vögel wäre, so sang es, so klang es, klingelte und klapperte, sprang und that sich's. Das Pferd aber jagte in das Dickicht und es sauste, brauste und schnaufte, als es daherfuhr. Ermattet schlich der Bauer nach Waldhausen und fand dort Alles noch im Schlafe. Hätte er Bast zum Zaume gehabt oder Kreuzknoten hineingeknüpft, wäre es ihm nicht entlaufen.

Ein anderer Bauer hatte auch wirklich einmal ein solches Pferd mit Bast aufgezäumt und es viele Jahre behalten, als er aber einst seine Pferde in der Jürge (dem Warnickenschen Forst) hütete, mußte er einem entsprungenen Füllen nacheilen und unter dieser Zeit hatten die Hirtenjungen dem Pferde den Bastzaum gelöst, worauf es fortgelaufen war.

Ein Bauer aus Hubnicken wünschte sich ebenfalls ein Pferd97, fand es auch sogleich, mußte es aber laufen lassen, weil es sich unter ihm vergrößerte. Er dachte indeß bei sich: »Wenn ich es doch nur ein einziges Mal noch finden möchte!« und ging mit dem Gedanken des andern Tages auf dieselbe Stelle. Das Pferd stand wieder da, schnell legte er ihm einen Bastzaum um und es mußte mit ihm. Er spannte es ganz allein vor die größten Wagen, es zog sie im Sausen fort. Er gab ihm Heu: es fraß nichts, auch nicht einmal[615] Brod. So diente es ihm acht Tage, dann aber war es verschwunden, und hat sich auch, so sehr er es sich wünschte, nicht ferner von ihm betreffen lassen.

Im Jahre 1807 ging eine Wittwe aus Rauschen mit dem nachmaligen Wirthe desselben Ortes, welcher damals schon ein hübscher Junge war, in den Gausup, weil ein starker Sturm wüthete, und sie sehen wollte, ob etwa ein Schiff stranden werde. Von dem ewigen Hin- und Herlaufen ward der arme Junge herzlich müde und hatte keinen sehnlicheren Wunsch, als irgendwo ein Pferd zu finden. Da sah er gerade vor sich eins weiden und wollte, während die Frau voran eilte, sich hinaufschwingen, kam aber bald in Carrière auf eigenen Füßen nachgerannt, denn das Pferd hatte keinen Kopf gehabt.

Ein Bauer aus Gr.-Kuren hatte in Königsberg exercirt und kam zur Heimath zurück. Bei Ladtkeim wünschte er sich ein Pferd zum Reiten. Bald fand er eins, sah ihm zwar gleich an, daß es mit ihm nicht richtig sei, griff ihm aber doch mit beiden Händen um den Hals und wollte sich hinaufschwingen. Er war ein ungeheuer großer und starker Mann, der unter dem alten Fritz gedient hatte, und konnte sich auf seinen Arm verlassen, das Pferd warf ihn aber so weit und so hart ab, daß er ganz betäubt auf die Erde fiel und sich lange nicht erholen konnte.

97

Dies Wunschpferd ist der Nix, er zeigt sich deshalb auch nur in solchen Schluchten, welche in die Ostsee münden (s. Grimm, D. Myth. S. 458). Dasselbe Geisterpferd kommt aber heute noch als Pukke in Wales und als Phuka in Irland vor (s. Rodenberg, die Harfe von Erin. Leipzig 1861 in 12. S. 61).

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 615-616.
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