686. Der neue Messias in Preußen oder der Herr-Gott zu Rössel.

[629] (S. Hennenberger S. 396. (Hieraus) Preuß. Prov.-Bl. 1832 Bd. VII. S. 108.)


Rössel hat früher nicht gestanden, wo es jetzt steht. Man zeigt eine Stelle, einen guten Weg entfernt von seinem heutigen Stand, Alt-Rössel genannt, dort soll es einst gestanden haben und versunken sein, man sagt auch, man höre an den hohen Festen dort lauten.

Im Jahre 1401 hatten sich zwei Buben zu Marienburg so schlecht aufgeführt, daß sie die Stadt meiden mußten. Der eine hieß Kersten und war ein gar possirlicher Schalk auf Sprache und Bübereien und dieser kam in das Hinterland und machte sich zwölf Apostel und ging in die Dörfer und predigte und sagte dem gemeinen Volke, Gott weiß durch was für Offenbarung, viele Dinge, die verborgen und zukünftig waren. Er gebot in seiner Predigt, die Obrigkeit zu ehren, die Kirche zu besuchen, Almosen zu geben und solcher Dinge mehr, jedoch sammelte er viel Geld. Diesen Kersten nannten nun seine Apostel Christum und wo sie hinkamen, da hielt er sich ernst und redete demüthig. Er segnete den Bauern das Vieh, verkündete ihnen das zukünftige Wetter, er verkündigte ihnen Krankheit und benahm dieselbe auch, ob dies die Einbildung, der Glaube oder der Teufel that, das weiß Gott. Er brachte viele Dinge zuwege, so daß auch kluge Männer sowohl Pfaffen als Mönche solches für Wunderwerk hielten, denn so Jemand zu ihm auf Versuchung kam, sagte er ihnen, wer sie wären. Die Bürger von Rössel im Bisthum von Heilsberg warfen auf diesen eine Gunst und hielten gar viel von ihm, und viele lose Buben liefen ihm nach, der eine hatte die schwere Krankheit, der andere war lahm und solcher Schalkskrankheiten viele, und wenn sie vor ihn kamen, sprach er: »Im Namen des himmlischen Vaters, Euch geschehe, wie Ihr glaubet« und sie stellten sich hernach gesund. Darum waren in Rössel viele solcher Leute gesund zu machen. Sie baten ihn, er wolle zu ihnen kommen, und er kam mit eilf Aposteln und der Kaplan in der Pfarrkirche war der zwölfte, Judas, dieser sagte ihm Alles, was er wußte und gehört hatte, in der Beichte von den Bürgern.

Als er einzog, läutete man alle Glocken und die ganze Stadt ging ihm wie am h. Leichnamstag mit Fahnen und Kerzen entgegen. Im Einzuge[629] über den Ring blieb er vor einem Hause stehen und sprach: »Heißt die guten Leute aus dem Hause gehen, denn es wird einfallen«, und weiß der Teufel, wie es zuging, es stürzte nicht lange darnach ein. Er ging in die Kirche und that allda eine Predigt und nannte Niemand, doch offenbarte er ihnen ihre Bübereien, von welchen er große Wissenschaft erlangt hatte, und sie gaben ihm viel Geld für ihre Sünde. Denn er hatte sie gerührt, sie wußten aber nicht, daß es ihm Judas, ihr Kaplan, gesagt hatte. Jedoch war er allda nicht über drei Tage und zog dann gen Rastenburg, behielt aber den Namen: »Der Gott von Rössel.« Der Hochmeister Johannes von Tiefen ließ ihn fangen sammt seinen Aposteln und sie fanden bei ihnen 5000 Mark Geld, und er ließ den Henker über sie und sie beichteten ihm alle Dinge, und man spannte den falschen Christus auf die Leiter und stellte ihn vor die Domkirche zu Königsberg an einem kalten Tage, und begoß ihn mit Wasser und ließ ihn also gefrieren. Darnach wies man ihn zur Stadt hinaus und er kam nach Pomerellen zu einem Edelmann, Hector Machewitz genannt, und stahl ihm 400 Gulden, um welcher willen er gehängt ward. Seine letzten Worte sind gewesen: »Saget den Bürgern von Rössel: Also ist Euer Gott gen Himmel gefahren.« Nach ihm brachte man auch seine Apostel um.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 629-630.
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