708. Die Braut des Fingerlings und die Unterirdischen auf der Eulenburg.

[640] (S. Temme S. 157 u.b. Grimm, Deutsche Sagen Bd. I. Nr. 31.)


Bei dem jetzigen Dorfe Leuenburg, was aber früher eine kleine Stadt war, liegt das Schloß Prassen, der Sitz der ehemals freiherrlichen, jetzt gräflichen Familie Eulenburg. Hier haben sonst die Erdmännlein ihren Wohnsitz gehabt. Einst sind nun vor dem Freiherrn von Eulenburg eine Anzahl solcher kleinen Männlein erschienen und haben für ihren König um die Hand seiner Tochter angehalten und ihm, wenn er diesem Antrage entspräche, immerwährendes Gedeihen seiner Familie verheißen. Der Freiherr hat in Rücksicht darauf eingewilligt und nun haben ihm die Männchen einen Ring überreicht und ihm eingeschärft, so lange dieser Ring in seiner Familie bleiben werde, werde auch das Glück in derselben sein, wenn er aber verloren gehe, dann werde auch Unglück sein Haus treffen. Hierauf haben sie dem Freiherrn einen bestimmten Tag genannt, an welchem seine Tochter in einem bestimmten Zimmer im Brautschmucke erscheinen solle, hier werde ihr König sie in Empfang nehmen, allein Niemand dürfe zusehen oder belauschen, was da vorgehe. So ist es auch geschehen, das Fräulein ist in das Zimmer geführt worden, aber von Stund an hat sie Niemand wieder erblickt. Nachher sind die Fingerlinge oftmals wiedergekommen und haben ihre Feste in jenem Zimmer abgehalten, bis sie einmal bei einem derselben belauscht wurden, da sind sie für immer verschwunden. Vorher saß aber einmal ein Freiherr von Eulenburg bei Tafel, da rief ihm plötzlich eine feine Stimme, die hinter dem Ofen vorzukommen schien, zu, er solle nach dem gedachten Zimmer gehen und dort hineinrufen: »Höre, Rothöhrchen, Gehlöhrchen ist todt!« Als er dies gethan, antwortete ihm eine andere unsichtbare Stimme: »So, ist he todt?« Der Ring wird noch in dem Familienarchive aufbewahrt.

Diese Sage wird aber auch noch anders erzählt99 und zwar so:

Auf dem Schlosse des Grafen Eulenburg diente eine sehr große Köchin, welche fromm und tugendhaft war, sonst aber die Gewohnheit hatte, von jedem Essen ein Löffelchen voll auf den Heerd zu gießen, warum sie das thue, sagte sie aber nicht. Einst saß der Graf in seinem Arbeitszimmer, da sprang ein Unterirdischer auf seinen Schreibtisch und sagte, seine Kameraden wollten in seinem Schlosse ein Fest begehen, er solle es mit seinem Gesinde verlassen, denn Niemand dürfe zusehen. Der Graf erklärte, er sei zu alt um fortzugehen, wolle sich aber auf einen entfernten Flügel zurückziehen, allein seine Leute wolle er fortschicken. Damit war jener zufrieden, der Graf hielt sein Wort, allein sein Haushofmeister, der davon nichts wußte, kam während der Zeit zurück, sah, als er nach seinem Zimmer ging, aus dem großen Saale Licht durch das Schlüsselloch blinken, schaute hinein und sah das ganze Zimmer voll kleiner Leute, die große Köchin aber ward mit einem derselben auf dem Trauteppich gleichzeitig copulirt. Auf einmal erloschen die Lichter, die Unterirdischen hatten ihn gesehen. In demselben Augenblicke erschien aber dem allein in seinem entfernten Zimmer sitzenden Grafen ein solcher Unterirdischer und sprach: »Graf, Du hast Dein Wort erfüllt, daher schenke ich Dir diesen Ring, so lange Du ihn trägst, wird Deinem Hause[641] kein Unglück widerfahren, allein Dein Haushofmeister hat uns belauscht, dafür sollen nie mehr als sieben Eulenburge in Deiner Familie sein!« So ist es auch geblieben, kein Stammvater der Eulenburg läßt den Ring vom Finger. Einst hatte einer vergessen, nachdem er sich gewaschen, ihn wieder anzustecken, und ging in den Schloßgarten, kaum war er unten, als das Schloß in Flammen stand. Glücklicher Weise hatte er noch Zeit wieder hinauf zu laufen und den Ring schnell wieder anzustecken, gleich erlosch das Feuer.

99

S. Preuß. Prov.-Bl. Bd. XXII. S. 442 etc. Grimm verlegt die Sage nach Eilenburg in Sachsen.

Quelle:
Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 640-642.
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