721. Wie Lech König von Polen geworden ist.

[654] Die genannten drei Brüder waren jedoch nicht sehr sanften Sinnes, obgleich sie sich gegenseitig zärtlich liebten, so stritten sie sich doch fast unaufhörlich. Einst hatten ihre Leute ein prächtiges Elenthier auf der Jagd erbeutet, und da bekanntlich von diesem geheimnißvollen Thiere das Eingeweide (Flakki) zum Genuß das Beste ist, so wurde es zu einer köstlichen Mahlzeit bereitet. Während derselben aber entspann sich ein Streit unter denselben, weil jeder für sich die saftigsten Stücke der Flakkis verlangte. Der Zank hierüber führte zu einem öffentlichen Bruche, weil jeder, je nach Laune und Absicht, Parthei nahm. Czech, welcher auf den getrockneten Gedärmen des Elenthiers, die er über einen dürren Weidenast gezogen, nur lustige Lieder spielte und dazu sang, lockte die musikalischen Ohren als seine Anhänger zu sich heran und zog mit ihnen nach dem Donaustrom, von wo aus er das Czechen-Reich, das heutige Böhmen gründete. Der blutdürstige Rus, welcher in Folge seines unsäglichen Appetits immer Alles allein verspeisen wollte, wandte sich mit denen, die immer grobe Nahrung liebten und sich gern unreinlich hielten, ins Land der Ruthenier, das heutige Rußland, Lech aber, ein witziger Kopf (lech = verschlagen), blieb mit der Mehrzahl des Volkes in seiner neuen Heimath zurück und wandelte den Namen Variner in den der Lechen um. Dies geschah im Jahre 550 n. Chr. Geb.

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Johann Georg Theodor Grässe: Sagenbuch des Preußischen Staates 1–2, Band 2, Glogau 1868/71, S. 654.
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